Drumcomplex – Verantwortung übernehmen und entkoppeln

Seit den frühen Neunzigerjahren ist Drumcomplex als DJ aktiv und seit 2014 betreibt er auch sein eigenes Label Complexed Records. Er hat in unzähligen Ländern rund um den Globus gespielt – so auch noch Anfang des Jahres, als er unter anderem in Asien und Südamerika unterwegs war. Eine Bilderbuch-DJ-Karriere mit vielen Erlebnissen, Begegnungen und Anekdoten. Was dann kam, wissen wir alle, und Reichow hat reagiert, ein Album produziert und eine wichtige Entscheidung getroffen, die sein Leben umgekrempelt hat.

  

Hallo, Arnd, wie geht es dir?

Hi, ihr Lieben, mir geht es gut. Ich freue mich sehr über eure Einladung zum Interview.

Vor ein paar Wochen hast du via Facebook verkündet, dass du in deinen alten Beruf im Bereich Logistik zurückgekehrt bist. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen, wie schwer ist sie dir gefallen und kannst du uns den Prozess beschreiben?

Die letzten sieben Monate waren eine sehr große Herausforderung mit vielen Höhen und Tiefen. Ich war im Februar noch im Tourmodus mit Gigs in Asien, Südamerika, Stopps in Madrid und Oberhausen und als ich dann Anfang März nach Hause kam, war ich superfroh, dass ich bis zum nächsten Auftritt zwei Wochenenden frei hatte. Was dann kam, wissen wir alle. Ich habe mich erst mal sehr motiviert ins Studio begeben, in der Hoffnung, dass es bald wieder losgehen würde. Im August war ich mit meiner Familie im Urlaub und habe für mich entschieden, aus der Situation des Hoffens und Abwartens auszusteigen und mir wieder einen Daytime-Job zu suchen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir es gewohnt sind, beschäftigt zu sein, und nur zu Hause im Studio, das war mir dann einfach zu wenig. Dazu kommt natürlich der finanzielle Aspekt: Was nützt es einem, seine Reserven jetzt zu opfern, die man sich für spätere Zeiten zurückgelegt hat? Ich muss ganz ehrlich sagen: Mich zu entkoppeln und Verantwortung für mich zu übernehmen, hat mir mental sehr gutgetan.

„The Story Of Now“: Der Titel lässt erahnen, dass das Album auch einen Bezug zur momentanen Lage hat.

Ja, absolut, ich musste gar nicht lange darüber nachdenken, wie ich mein Album nennen könnte. Der Titel bringt den jetzigen Zustand genau auf den Punkt.

Wann hast du denn mit den Arbeiten am Album losgelegt? Hattest du das schon vor Corona geplant? Und wenn ja, wie hat sich die Arbeit dadurch verändert?

Nach meinem letzten Album 2016 habe ich sehr oft gedacht, dass ich schon gerne wieder ein neues machen möchte, aber der Zeitpunkt war – auch durch das viele Touren – nicht gegeben. Mein Kalender für 2020 war sehr gut verbucht, und das auch weltweit. Meine Agentur und ich hatten superschöne Gigs schon fix gemacht, es wäre das erfolgreichste Jahr meiner Karriere gewesen. Als dann der Lockdown kam, habe ich Vollgas im Studio gegeben und das Album in drei Monaten geschrieben, ich war extrem fokussiert – immer mit dem Gedanken, dass ich Ende des Jahres damit auf Tour gehe. Nun ja, es wird wohl so nicht kommen. Viele sagten, dass ich das Release-Date verschieben sollte. Aber ich sehe das genau anders: Gerade jetzt möchte ich meinen Fans neue Musik von mir bieten, das ist doch das Einzige, was wir gerade noch haben.

Kannst du noch was zu deinen Albumgästen sagen? Frank Sonic ist ja auch bei zwei Tracks dabei. Ihr kennt euch schon länger?

Franky und mich verbindet seit Jahren eine sehr enge freundschaftliche Beziehung. Ich bin so dankbar, dass er in mein Leben getreten ist. Wir sind sehr harmonisch miteinander und er ist auch verantwortlich für die komplette Grafik meines Labels Complexed Records und den Drumcomplex-Stuff. Des Weiteren habe ich zwei enge Freunde mit ins Boot geholt – zum einen Ben Champell aus Hamburg, zum anderen Uncertain aus Wien. Mir war es wichtig, an diesem Album nur mit meinen engsten Homies zu arbeiten.

Wie sieht denn ein typischer Drumcomplex-Studiotag aus?

Bevor ich mit meinem neuen Job angefangen habe, bin ich um 8 Uhr aus den Federn, dann gab’s Frühstück und danach ging’s ins Gym. Um 11 Uhr ging es dann meist los mit dem Checken von Mails und Socials und danach habe ich Ableton und meine Maschinen angeschmissen. Ich bin keiner, der mit einer Idee ins Studio geht, es passiert immer, wenn ich mit Sounds rumjamme. Ich starte meist mit einer Kickdrum und einem Drumming-Groove.

Wie hat sich deine Einstellung zur Musik und deiner künstlerischen Arbeit seit Beginn deines DJ-Daseins verändert?

Meine Einstellung zur Musik hat sich im Grunde nie geändert. Ich lebe Musik, seitdem ich denken kann. Musik hilft mir in allen Lebenslagen, und das wird sich niemals ändern – so viel ist sicher. DJ bin ich seit 1993, und besonders in den letzten Jahren war ich das sehr erfolgreich, wofür ich so dankbar bin. Auflegen ist für mich der Motor, um überhaupt ins Studio zu gehen. Der ganze Prozess drum herum mit Bookings, Travel-Management, Reisen, Auftreten macht mich unheimlich glücklich.

Und wie hat sich das unter COVID-19 verändert?

Wir befinden uns alle in einer speziellen Situation, natürlich stelle ich Dinge infrage. Was ist wichtig, was würde ich loslassen wollen? Wir werden sehen, wohin die Reise geht, aber um ganz ehrlich zu sein: Es fehlt mir schon sehr, im Club zu stehen mit ganz vielen tollen Menschen und zu Techno-Musik zu tanzen.

Wie bewertest du den Umgang der Politik mit der Musik- und Veranstaltungsszene?

Zu politischen Themen möchte ich mich nicht äußern. Ich bin schon kritisch, und so manche Dinge sind sicherlich infrage zu stellen.

Wie fühlt es sich eigentlich zurzeit an, Tracks für den Club zu produzieren?

Gute Frage, das geht mir auch echt oft durch den Kopf. Vielleicht lässt es sich so beantworten: Ich liebe diesen energetischen Sound. Wenn der Trend jetzt in Richtung Chill-out oder Downbeat ginge, dann sollten es einfach Leute machen, die es besser können und fühlen als ich.

Wie bist du eigentlich bei Techno gelandet und wie hast du im Laufe der Jahre deinen Sound entwickelt und verändert?

Trends kommen und gehen, und wenn man fast 30 Jahre am Start ist, hat man vieles schon gehört und mitgemacht. Ich bin gerade happy darüber, dass der härtere Techno wieder so angesagt ist und die Meute es feiert. Dennoch bin ich in meinen Sets offen dafür, auch mal was Trancigeres und Housiges zu spielen
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Was oder wer hat dich da beeinflusst?

Ich bin als Teenager aus dem Metal- und Punk-Bereich gekommen, bevor die erste Techno-Party mein Leben verändert hat. Es gibt so viele talentierte Künstler*innen auf dem Markt, die so gute Musik machen und die ich sehr schätze, aber wenn ich einen nennen sollte, dann wäre es Speedy J.

Du lebst in Emmerich am Niederrhein, einer Kleinstadt abseits der Großstädte in NRW. Was sind deine Beweggründe, dort immer noch zu leben und nicht in eine Großstadt zu ziehen, wo es eine ausgeprägte Clubszene gibt? So machen es ja viele DJs.

Meine Familie lebt in Emmerich, meine Frau und ich haben unser Haus hier – mehr brauche ich nicht. Ich bin dankbar, das Jetset-Leben in den Großstädten der Welt leben zu dürfen, aber dann ist es umso schöner, zu entschleunigen, wieder in die Kleinstadt zu gehen und das normale Leben zu genießen. Es macht für meinen Erfolg keinen Unterschied, wo ich lebe.

Seit 2014 betreibst du dein Label Complexed Records. Wie geht es hier weiter, sind in naher Zukunft Releases geplant?

Wir steuern so langsam auf das 100. Release zu. Jetzt kommt aber erst mal mein Album, das wir auch auf Vinyl machen. Ich habe tolle frische Künstler in der Pipeline wie Richard Ulrich, Shabaam, Chris v. B und Beck & Rius. Anfang 2021 wird es dann auch ein Remix-Paket zu meinem Album geben, und dafür konnte ich schon fette Namen gewinnen. Seid gespannt!

Wagst du einen Blick in die Kristallkugel? Was erwartet uns wohl 2021?

Das ist die Frage aller Fragen für uns Kunstschaffende. Ich bin guter Hoffnung, dass wir einen Weg finden, wieder zusammen tanzen zu können.

Die erste richtige Party nach Corona …?

In der guten Hoffnung, dass es so sein wird, wie wir es aus den letzten Jahren kennen. Es soll laut, heiß und ekstatisch sein und definitiv eine ausschweifende Afterparty geben.

 

 

 

Aus dem FAZEmag 105/11.2020
www.drumcomplex.de
Fotos: Maria Koltschin/Nick Merkert
Text: Bruno Lafitte