Emanuel Satie – Cocoon, Scenarios und warum Berlin ihn zurückgehalten hat

Foto: Arianne Amores

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Die vergangenen Jahre waren für Emanuel Satie nicht nur musikalisch von neuen Kapiteln geprägt, auch auf vielen weiteren Ebenen seines Lebens hat er radikale Veränderungen erlebt bzw. vollzogen: Der Umzug von Berlin nach Lissabon, die Gründung des Kollektivs Scenarios und die Geburt seines ersten Kindes haben das Leben und die Kunst von Emanuel Satie gleichermaßen beeinflusst – seine internationale Strahlkraft ist dabei stetig gewachsen. Schon 2016 wurde Emanuel bei den Ibiza DJ-Awards als „Best Producer“ ausgezeichnet, seitdem ist er auf Labels wie Innervisions, Crosstown Rebels, Diynamic oder Cocoon Recordings ebenso zu Hause wie auf den Bühnen von Hï Ibiza, Burning Man oder Fabric. Heute zählt er zu den wichtigen Stimmen einer Generation, die melodischen House mit emotionaler Tiefe und globalem Anspruch verbindet – und beweist, dass sich künstlerischer Erfolg und persönlicher Neubeginn nicht ausschließen müssen.

„Das ist ein Gefühl mittlerweile. Wenn mich ein Stück emotional oder körperlich bewegt, wenn ich es in meinen Sets spielen kann und es sich dort bewährt, dann weiß ich: Das ist ein Emanuel-Satie-Track“, sagt er über seinen kreativen Prozess. „Ich habe natürlich einige Trademark-Sounds — Klavierakkorde und die Roland-Juno-Sounds — aber eigentlich geht es mehr ums Gefühl. Uplifting, treibend und emotional.“ Neue Veröffentlichungen stehen in den kommenden Monaten auf gleich mehreren großen Labels an. Unterschiede zum Output auf dem eigenen Imprint gibt es dabei durchaus.  „Bei Scenarios machen wir kompromisslos das, worauf wir im Moment Lust haben. Wir haben mit der Zeit unseren ganz eigenen Sound kreiert, zeitlose Elemente gepaart mit modernem Sound, und nennen es ‚futuristic house music‘. Wenn ich einen Track für ein anderes Label wie Cocoon oder Defected produziere, verstelle ich mich nicht, aber ich habe die Historie und Vision dieser Labels im Hinterkopf und lasse mich davon inspirieren. Manchmal passiert das aber auch zufällig und völlig unerwartet.“ Besonders emotional ist für ihn die enge Verbindung zu Cocoon, die bereits tief in seiner musikalischen Biografie verankert ist. „Für mich sind Sven Väth und Cocoon der Grund, warum ich überhaupt DJ und Produzent geworden bin. Alles begann mit einer Mix-CD von Sven, die mein Bruder mit nach Hause brachte. Dieser Sound hat mich so fasziniert und war komplett neu für mich. Daraufhin habe ich zahlreiche Nächte im Cocoon Club verbracht und schließlich war ich sogar Praktikant bei Cocoon Recordings und habe dort viel darüber gelernt, wie diese Industrie funktioniert. Deswegen ist es nach wie vor etwas ganz Besonderes für mich, mit Sven und Cocoon zusammenzuarbeiten. Und das wird es auch immer bleiben.“

Mit der Gründung von Scenarios gemeinsam mit Maga, Tim Engelhardt und Sean Doron hat Emanuel eine Plattform geschaffen, die weit über ein klassisches Label hinausgeht. „Bei Scenarios ging es darum, etwas zu schaffen, das Teamwork über Ego stellt. Bei uns ist jeder Track eine Kollaboration, unsere Sets sind B2Bs und wir entscheiden auch sonst alles gemeinsam. Das war eine logische Konsequenz aus der Isolation während der Corona-Pandemie, und das Konzept hat sich bewährt. Unsere letzten sieben Releases sind allesamt in die Beatport Top 10 eingestiegen. Keinemusik, Black Coffee, Rüfüs Du Sol und sämtliche Größen der Szene spielen unsere Musik, und auch unsere Showcases sind weltweit gebucht. Man kann einfach viel mehr im Team erreichen, und dazu macht es auch mehr Spaß.” Die Dynamik innerhalb des Kollektivs beschreibt Emanuel als organisch gewachsen: „Jeder hat da mittlerweile seine Rolle gefunden und wir versuchen, jeden gemäß seiner Stärken einzusetzen. Maga und ich leben beide in Lissabon und arbeiten jede Woche gemeinsam im Studio. Tim und Sean arbeiten remote an Tracks und geben wertvollen Input. Wir sprechen alle jeden Tag miteinander, der Gruppen-Chat glüht auf jeden Fall von morgens bis abends.“

Doch nicht nur die Arbeit im Team, auch das Reisen inspiriere ihn. Sein Tourkalender führte Emanuel in den vergangenen Jahren an die unterschiedlichsten Orte der Welt – von Burning Man in der Wüste Nevadas bis zu Warung in Brasilien, vom Londoner Fabric bis Pacha auf Ibiza. „Man lernt dabei, welche Musik universell Menschen berührt. Und über die Jahre entwickelt man einen Sound, der weltweit funktioniert. Anfangs war meine Musik noch recht stark von einem deutschen, mitteleuropäischen Blickwinkel geprägt, das sind auch nach wie vor meine Wurzeln, aber man versteht mit der Zeit, wie man das in andere Situationen übersetzen kann. Generell ist das Reisen für mich eine große Inspiration, ich mache sehr viel Musik im Flieger und in Hotelzimmern.“

Ein weiterer prägender Einschnitt sei das Vatersein: „Ja, das war tatsächlich ein lebensverändernder Moment. Überrascht hat mich nichts so richtig, denn ich habe ganz bewusst nicht zu viele Erwartungen aufgebaut, sondern mir immer vorgenommen, offen zu sein für das, was kommt und mich dann darauf einzustellen. Die Liebe, die man spürt für diese neue Person, ist aber schon unvorstellbar. Und ich bin auf jeden Fall motivierter denn je zuvor. Auf einmal mache ich nicht mehr nur Musik für mich, sondern auch für meine kleine Familie.” Sein Lebensumfeld hat sich inzwischen ebenfalls stark verändert. Von Berlin zog es ihn nach Portugal: „Berlin war für mich eine großartige Schule, die Stadt gibt einem die Freiheit herauszufinden, wer man wirklich ist, ohne viel gesellschaftlichen Druck. Das war sehr wichtig für mich, aber irgendwann war dieses Kapitel der Selbstfindung abgeschlossen und ich sehnte mich nach mehr Sonne, einer neuen Kultur und frischen Impulsen. Eigentlich wollte ich nach Ibiza, doch da wir unser Scenarios-Studio bei Maga in Lissabon hatten, war ich ohnehin ständig dort und habe mich dann in die Stadt und auch in eine Frau verliebt – die inzwischen die Mutter meines Kindes ist. Alles entwickelte sich sehr organisch, Lissabon hat mich mit offenen Armen empfangen.“

Diese neue Leichtigkeit spiegelt sich auch in seiner Musik wider: „Ich würde sagen, meine Musik ist wieder weniger verkopft. Berlin hat mich da mit der Zeit schon irgendwie unlockerer gemacht, dort gibt es einen starken Anspruch, arty und underground zu sein, das hat mich teilweise angespornt, aber insgesamt hat es mich nur zurückgehalten. Jetzt mache ich einfach wieder, was mir gefällt und was mich bewegt. Und es ist mir völlig egal, was irgendwelche Geschmackshüter dazu sagen. Das hat meiner Musik und meiner Produktivität sehr gut getan und ich habe auch wieder viel mehr Spaß im Studio.“ An Projekten mangelt es nicht: „Ich freue mich sehr auf mein nächstes Release auf Cocoon, das bald herauskommt. Der Track heißt ‚Activate‘ und Sven spielt ihn schon rauf und runter. Außerdem kommt meine Single ‚Give It All‘ auf Defected Ende dieses Jahres. Das ist ein von Gospel-House inspirierter Track, gefolgt von einem weiteren Release auf Defected, meinem Remix von Grigoré & SERVECOLDs ‚Dancing‘. Und dann wird es natürlich auch eine ganze Menge neuer Scenarios-Releases geben. Was Shows angeht, werde ich in den nächsten Monaten in New York, London, Ibiza, Barcelona, Brasilien, Thailand und an vielen weiteren Orten unterwegs sein.“

Mit Familie, einem kreativen Zuhause in Lissabon, einem starken Kollektiv an seiner Seite und einer internationalen Karriere, die weiter an Fahrt aufnimmt, wirkt Emanuel Satie so gefestigt wie selten zuvor. Vielleicht ist es genau dieser Mix aus Erfahrung, Bodenhaftung und Offenheit, der seine Musik heute so besonders macht: uplifting, treibend und emotional – ganz so, wie er es selbst beschreibt.

Aus dem FAZEmag 164/10.2025
Text: Triple P
Foto: Arianne Amores
www.instagram.com/emanuelsatie