FRAN-Tastic – The Meaning Of It All

Berlin, Interviewtermin mit einer studierten Psychologin. Was kommt auf mich zu? Werde ich analysiert und muss auf einer vor Klischees triefenden Couch Platz nehmen? Und wie bereitet man sich hierauf vor? Sicherlich nicht mit der Lektüre von Schopenhauer. Oder doch? Immerhin wird der deutsche Philosoph und Verfechter des subjektiven Idealismus im Album „Frantastic“ erwähnt. Allerdings zieht ihm Fran in diesem Text die Musik vor. Das ist doch ein gutes Zeichen. Was das Album dann schließlich mit Oliver Koletzki, Björk, Punkrock, Moloko, Sia und Herbert Grönemeyer gemein hat, erschließt sich nur dem Leser des kompletten Artikels.

Die meisten der 13 auf dem Album „Frantastic“ enthaltenen Songs transportieren eine Botschaft. Das klingt kopflastig und schwer verdaulich, ist es aber nicht. Dafür sorgen die abwechslungsreichen und im Dunstkreis von Soul, Funk und House entstandenen Backings, die mit dem intelligenten Texten eine homogene Verbindung eingehen. Allerdings ist „Frantastic“ kein Album zum ‚Nebenbeihören‘, denn es gibt eine Menge zu entdecken. Viel über den Menschen Fran und viel über den Menschen an sich. Aber fangen wir behutsam an und stellen die Künstlerin Fran vor.

„May I Introduce Myself“

Ich bin ein Mensch, der seit der Jugend zwischen den Stühlen steht. Ich bin ausgebildete Psychologin, war aber während meines Psychologie-Studiums Punkrockerin, also Sängerin in einer Punk-Band. Überhaupt bin ich musikalisch im Punk verwurzelt. Überall, wo ich mich bewegt habe, war ich so etwas wie ein schwarzes Schaf. Ich bin immer aus der Masse herausgestochen.

So stellt sich die 33-jährige Fran im Interview vor. Wie ein schwarzes Schaf wirkt sich nicht, eher wie ein seltener, roter Vogel. Wobei mir Witze über rote Haare nicht zustehen. Wir reden über ihr Debütalbum, das am 3. November auf Stil vor Talent erscheinen wird. Ein Album, das ich liebgewonnen habe, nachdem ich es einige Male aufmerksam gehört habe. Beim ersten Hören fand ich es so lala, nach dem zweiten Hören okay, und spätestens nach dem vierten Hören musste ich ab und an mitsingen und –summen. „Frantastic“ ist sehr vielseitig, Frans Stimme sehr ambivalent.

Musik begleitet mich schon mein ganzes Leben, dennoch bin ich totale Autodidaktin. Ich habe mir das Singen selbst beigebracht. Vor kurzem hatte ich meine erste Stunde Gesangsunterricht und der Lehrer hat mir verraten, dass meine Stimme vier Oktaven umfasst, was wohl ganz gut ist. Ich habe einen sehr starken Willen, Sachen umzusetzen, die ich mir vorgenommen habe, und davon handelt der erste Song auf meinem Album. ‘If you believe you can do anything’ ist die wichtigste Zeile des Stücks, vielleicht des gesamten Albums. Diese Attitüde ist mir ganz wichtig. Menschen Mut zu machen, ihre Pläne umzusetzen und Träume zu verwirklichen. Ich hätte mir niemals erträumt, ein Soloalbum zu veröffentlichen. Ich wurde mein ganzes Leben lang von meinem Umfeld unterschätzt. Das Paradebeispiel hierfür ist meine Leseschwäche. Ich bin auf eine ganz strenge, katholische Privatschule gegangen, bei der das noch nicht angekommen war, dass es sich um eine Art von Krankheit und nicht um Dummheit handelt. Sie sagten: ‚Oh Gott, das Kind kann nicht richtig lesen, es muss wohl dumm sein.‘ Da ich aber eine komplett andere Selbstwahrnehmung hatte, verkündete ich meinen Eltern mein Ziel, nach der sechsten Klasse auf das Gymnasium zu wechseln. Sie entgegneten: ‚Wenn du das möchtest, dann mach das doch mal.‘ Mit diesem Album ist der Prozess der Selbstverwirklichung noch nicht abgeschlossen, aber er ist ein wichtiger Schritt. dorthin.

„I’ve learned to protect my soul“ – Sunglasses

Das Album bietet viele Songs, die verschiedene Stimmungen vereinen. Der zweite Song „Sunglasses“ ist hierfür ein gutes Beispiel. Er handelt davon, dass man keine Lust verspürt, vor die Tür zu gehen. Nachdem man sich eine Sonnenbrille aufgesetzt hat und somit über eine Art Schutzschirm verfügt, ist das Ganze aber kein Problem mehr, und der Song mutiert von einem breakigen Track zu einem beschwingten Housetune. „Dieses Gefühl kennt wohl jeder. Ich persönlich setze auch aus diesem Grund manchmal eine Sonnenbrille auf. ‚Sunglasses‘ hat eine Verbindung zur ersten Single ‚Arcade Love‘, denn auch hier fungieren die Augen als Fenster zur Seele. Und wenn man sich schützen und die Realität nicht ganz an sich heranlassen will, erweist einem eine Sonnenbrille gute Dienste.“

„We need to find (…) our ability to create“ – Frantastic

Nicht grundlos sind im Booklet die Songtexte der einzelnen Stücke abgedruckt. Diese weichen von der oft im elektronischen Bereich praktizierten Grundregel ‚give the audience a good feeling by saying nothing‘ ab. Ohne die einzelnen Nummern jetzt künstlich überhöhen zu wollen, atmet das Album in vielen Zeilen die Luft der examinierten Psychologin. Einige Texte könnten problemlos im Deutschunterricht der gymnasialen Mittelstufe als Interpretationsobjekt herangezogen werden.

Die Instrumentals der Songs existierten zuerst, und ich habe die Songs auf mich wirken, zu mir sprechen lassen. Was sagt mir der Song? In gewisser Form habe ich mich bemüht, als Medium aufzutreten und den Songs eine Stimme zu verleihen. Dabei war es mir wichtig, dass der Hörer des Albums die Aussage und Stimmung der einzelnen Stücke auch ohne Zuhilfenahme der Songtexte versteht. Es gibt jedoch einige Themen, die immer wieder in meinen Texten auftreten, und diese kommen auch bei ‚Frantastic‘ vor. Ich höre einen Song, und intuitiv öffnet sich in mir ein Themengebiet. Mein Ziel ist es stets, Instrumental und Gesang zu einem nicht trennbaren Gefüge werden zu lassen.

„It’s so complete and it’s so divine“ – Ocean Of You

Viele Kenner der elektronischen Szene wissen natürlich, dass Fran die Ehefrau von Stil vor Talent-Gründer Oliver Koletzki ist und mit diesem zusammen das erfolgreiche Album „Lovestoned“ produziert hat. Auf „Frantastic“ jedoch tritt der Ehegatte nur zurückhaltend in Erscheinung. Lediglich auf „Sunglasses“ und „The Spell“ zeichnet er für zusätzliches Drum Programming verantwortlich. Die Instrumentals der „Frantastic“-Tracks stammen von The Koletzkis-Mitglied Oded K.dar, der u.a. auch schon für Moloko-Songs produziert hat, und von Martin Seyer, den Fran genau wie Oliver via Myspace kennen gelernt hat.

Oded kenne ich schon sehr lange. Er ist ein Multitalent, kann tolle Songs schreiben und nahezu jedes Instrument spielen. Ich habe ihn als Gitarristen zu The Koletzkis geholt, und als es an mein Soloalbum ging, war es für mich ganz klar, ihn zu fragen, ob er Stücke beisteuern möchte. Das hat zum Glück geklappt. Dass Olli bei ‚Frantastic‘ nicht dabei ist, hat sehr mehrere Gründe. Vor zwei Jahren hat er sich dazu entschieden, ‚Großstadtmärchen 2‘ bei Universal herauszubringen. Sein Plan, mit vielen verschiedenen Gast-Vokalisten zu arbeiten, machte mich quasi arbeitslos, da ich nur auf einem Track von ‚Großstadtmärchen 2‘ zu hören bin. Die ganze Woche über untätig zu sein und nur am Wochenende Gigs zu haben, war mir zu langweilig, und so begann ich, an meinem Solodebüt zu arbeiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Olli und ich ein ‚Lovestoned 2‘ gemacht hätten, war aber ohnehin recht gering, da wir beide auf Abwechslung stehen und schnell gelangweilt sind.

Ihre starke äußerliche Veränderung, die besonders im aufwändig gestalteten Booklet zu „Frantastic“ auffällt, erklärt sie mit einem Lachen: „Dass du mein Coverbild in einen Vergleich zu Björk stellst, gefällt mir, ist aber keinesfalls beabsichtigt. Ich liebe es, mich zu verkleiden. Wenn ich mit The Koletzkis unterwegs bin, nehme ich mich allerdings zurück, da ich dort Teil eines Ganzen bin.

Neben der optischen Assoziation zu Björk erinnert das abwechslungsreiche Album an einige große Namen im Bereich elektronische Musik, ohne diese jedoch kopieren zu wollen. So habe ich unter anderem Dido, Gossip oder Moloko für mich inmitten der 13 enthaltenen Songs entdeckt. Manchmal nur in einer kurzen Sequenz, manchmal etwas ausführlicher. „Ich bin kein großer Moloko-Fan, jedoch mit der Musik der Band aufgewachsen und habe sie gern gehört. Es ist für mich ein Kompliment, wenn meine Stimme mit der von Roisin Murphy verglichen wird. Allerdings fühle ich mich eher zu Sia hingezogen. Natürlich kennt man sie heutzutage vor allem durch ihre David Guetta-Kooperationen, aber sie ist eine großartige Soulsängerin, die bereits drei Alben veröffentlicht hat und in ihren Texten auf viel Psychologisches verarbeitet hat. Ihre Alben sind Wanderungen durch die Seele und ich kehre immer wieder gern zu ihren Ausführungen zurück.

„I’ve been hearing my soul“ – Since You’ve Been Gone

Der dritte Track auf dem Album „Since You’ve Been Gone“ ist eine relativ konventionelle House-Produktion mit viel Schwung und einem eingängigen, im Vergleich zu den übrigen Stücken jedoch recht simplen Text. „Den Track haben wir nur aus Spaß gemacht. Ich fand das Backing toll, dachte aber nicht, dass der Song in den Albumkontext passen könnte. Das ist uns mit einigen Nummern so passiert. Auch ‚Arcade Love‘ war zuerst eine reine Spaßaktion, bis sich dann herauskristallisierte, dass es aufgrund hervorragender Resonanzen die Single wird. ‚Since You’ve Been Gone‘ ist rein fiktiv. Ich habe ganz viel Aretha Franklin gehört und muss sagen, dass der Song seine Lyrics fast selbst geschrieben hat. Ich bin sehr schnell im Schreiben eines Textes. Witzigerweise gehe ich dabei ähnlich vor wie Herbert Grönemeyer. Ich notiere mir zuerst nur Laute, arbeite also auf phonetischer Basis. Wenn es passt, schreibe ich mir ein ‚A‘ oder ein ‚O‘ auf. Bevor ich erfuhr, dass Herbert Grönemeyer genauso vorgeht, hatte ich Angst, verrückt zu sein.

Ihr katholisches Umfeld dachte während ihrer Pubertät, dass die Tochter vom rechten Weg abgekommen sei. Der Grund war natürlich Musik. Allerdings nicht die von Herbert Grönemeyer sondern Musik aus UK – Punkrock. „Punkrock war in erster Linie nicht Protest, sondern meine musikalische Vorliebe. Den ersten Punksong habe ich mit elf gehört, und ich war sofort geflasht. Ich wusste natürlich nicht, worum es in dem Song ging, aber es hörte sich nach Spaß an. Später ging es mir natürlich auch darum, meinem Nordberliner Katholikenumfeld zu zeigen, dass ich in eine andere Richtung tendiere. Als Sängerin in einer Punkband, die ich hier nicht näher benennen darf, ging es dann richtig ab. Ich trat auf mit Afro-Perücke, zu kleinem Karate-Anzug und abgeklebten Nippeln. Wir haben schlimme Sachen gemacht.

„Soon I will fall into you“ – Arcade Love

Das Video zur ersten Single „Arcade Love“ kursiert seit einigen Tagen im Netz. Insgesamt wird es zu sechs Albumtracks Bewegtbildumsetzungen geben. Die Entstehungsgeschichte zum „Arcade Love“-Video: „Ich habe der Videoproduktionsfirma geschildert, wovon der Song handelt, und dann zusammen mit ihnen einen ganz tollen Regisseur gefunden, der meinen Faden noch weitergesponnen hat. Wenn man einen Raum betritt, ist man für Sekundenbruchteile mit den sich dort aufhaltenden Personen durch den Augenkontakt verbunden. Das ist ein sehr direkter, intensiver Kontakt, der Gefühle und Fantasien auslöst. Und für einen ganz kurzen Moment taucht man in die Psyche des Gegenübers ein. Der Liedtext ist absichtlich sehr offen geschrieben, wird nie konkret und handelt von verschiedenen Augenfarben und Begegnungen. Deswegen ‚Black Eyes‘, weil die Iris schwarz und der Tunnel zur Seele ist.

Der Song ist deswegen die erste Single geworden, da er nicht nervt. Er ist positiv, das war mir wichtig. Außerdem gab es im Vorfeld diverse Listenings mit Freunden, Engländern, Promotern und anderen, in denen ‚Arcade Love‘ am besten abgeschnitten hat. Mir fiel die Entscheidung total schwer, insofern war ich froh, dann die beste Nummer nehmen zu können.

„Lay down, try to relax“ – Psychoanalysis

Es ist nur normal, dass sich ein Stück auf dem Album findet, das sich mit dem Beruf beschäftigt, der sich dann doch nicht als Berufung herausstellen sollte. Im Falle von Fran sind es sogar zwei Werke. Der Titelsong und „Psychoanalysis“.

Ich habe ein abgeschlossenes Psychologiestudium, nachdem ich sechs Jahre studiert hatte, und habe auch ein Jahr in diesem Beruf gearbeitet. Das war nicht die beste Zeit meines Lebens. Der Job war sehr hart und sehr schlecht bezahlt. In dieser schwierigen Zeit war die Musik mein Ausgleich. Das sagt dann letztendlich auch der Satz in ‚Frantastic‘: ‚Schopenhauer is okay, but it’s the music which I’m playing in my head that’s gonna stay. Außerdem geht es in dem Titelsong um die Vorteile von positivem Denken. Ich habe es immer geschafft, mich durch Positivität aus der Scheiße selbst herauszuziehen.‘

Doch obwohl sie sich berufstechnisch von der Psychologie entfernt hat, lassen sich das Studium und das dort erarbeitete Wissen nicht wegdiskutieren. Und dass es Fran immer noch beschäftigt, zeigt sich nicht zuletzt in den Texten auf „Frantastic“. „Es ist natürlich eine Berufskrankheit, jeden neuen Kontakt zuerst einmal analysieren zu wollen. Aber das kann man sich tatsächlich abgewöhnen. Ein guter Psychologe fängt ja sowieso zuerst bei sich selbst an, denn nur wenn er sich wirklich kennt und versteht, ist er in der Lage, auch andere Menschen zu verstehen und ihnen damit zu helfen. Allerdings ist dieser Prozess bei mir noch längst nicht abgeschlossen. Ich hinterfrage mich sehr oft. Alle anderen Menschen dürfen bei mir aber gern so bleiben, wie sie sind.“

Artikel aus FAZE 009, 11.2012

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