Was Francesco Tristano in den letzten Jahren geleistet und abgeliefert hat, war immer außergewöhnlich, spannend und sehr erfrischend. Er ist einer der interessantesten musikalischen Grenzgänger unserer Zeit, denn kaum einer schafft es mit so einer Leichtigkeit eine Brücke zu schlagen zwischen klassischer und zeitgenössischer elektronischer (Club-)Musik, oftmals gepaart mit einer vom Jazz bekannten Improvisationsdynamik – solo oder mit seiner Formation Aufgang. Sein neuestes Werk widmet sich nun seinen Wurzeln, ganz ohne Elektronik. Auf „Long Walk“ präsentiert Francesco Tristano Schlimé, so sein kompletter Name, klassische Kompositionen von Bach, Buxtehude und von sich selbst.
Hintergrund des Albums ist ein Marsch von Johann Sebastian Bach, den er 1705 auf sich nahm, um Dietrich Buxtehude bei dessen Orgelspiel zu lauschen. Dafür ging er fast 400 Kilometer von Arnstadt nach Lübeck, die sich aber definitiv auszahlen sollten, denn aus einer für wenige Wochen geplante Reise wurde ein dreimonatiger Studienaufenthalt. Aufmerksam auf diese Geschichte wurde der 30-jährige Luxemburger durch einen Schweizer Freund, der darüber einen Film drehte und ihn fragte, ob er ein paar Kompositionen beisteuern könne. „Als ich mich mit der Musik Buxtehudes auseinandergesetzt habe, wurde mir nicht nur die Kompositionskunst klar, sondern auch dessen Parallelen zu meinem Lieblingskomponisten Johann Sebastian Bach.“ Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung sind „Long Walk“ und „Ground Bass“, beide auf dem Album zu finden, wie zwei Stücke von Bach und fünf von Buxtehude. Tristano hofft, dass er mit seinem Werk nicht nur ein auf Bach und Barockmusik spezialisiertes Publikum erreicht, sondern betont oft genug, das man sich dieser Musik undogmatisch und vorurteilsfrei nähern sollte. Er bemängelt in diesem Zusammenhang Defizite in der Erziehung: „Das ist natürlich ein schwieriges Thema, und ich bin kein Politiker, aber es scheint mir, dass Kultur im generellen immer mehr verdrängt wird, hauptsächlich in der Schule.“ Was dagegen hilft, ist natürlich ein gutes Maß an Eigen- und Elterninitiative, denn „klassische Musik ist, genauso wie Popmusik, eine Erbschaft der Menschen. Richtig ist es, dass diese Erbschaft weiter er- und belebt wird. Falsch wäre es, diese Erbschaft weiter als Museumskunst zu behandeln und somit von der Jugend abzuschirmen [weil man ihr den Zugang verweigert oder schwer macht]. Klassische Musik ist wichtig, weil sie auch Popmusik ist und übrigens die heutige Popmusik geboren hat – Musik ist ein Kontinuum, alle Musikrichtungen sind verbunden, es gibt keine E- und U-Musik, es gibt nur die Musik.“ Und das wird mehr als offensichtlich, wenn man sich mit diesem talentierten Künstler auseinandersetzt. Für ihn sind die Grenzen längst verwischt: „Es ist der Rhythmus, der Bass, die Energie … Moment, rede ich eigentlich jetzt von Techno?“
Ein Leben ohne Musik … ist langweilig.
Meine Heimat ist … in meinem Koffer.
Wenn ich mal zwischendurch keine Lust auf Musik habe, mache ich … Espresso.
Das Publikum, die Fans in Deutschland sind … große Klasse!
Momentan höre ich am liebsten … Stille.
In drei Jahren werde ich … Urlaub machen.
19.11.2012 – Berlin, Kammermusiksaal
20.11.2012 – Hamburg, Kampnagel
21.11.2012 – MünsterH, Hörsaal H1 der Universität
26.11.2012 – München, Allerheiligenhofkirche