Fred again.. – Tagebuch, die Zweite

Nicht nur seine bisherige Karriere, sondern auch die Arbeitsweise, mit der Fred John Philip Gibson aka Fred again.. dieser Tage von sich reden macht, könnte man zweifelsohne als Paradoxon sowie einzigartige Erfolgsgeschichte zugleich betiteln. 1993 geboren, arbeitete der Brite bereits mit Künstler*innen wie FKA Twigs, Stefflon Don, BTS, Jayda G, Romy, Baxter Dury, Stormzy, Rita Ora, Clean Bandit, Ed Sheeran, Burna Boy, Headie One, Halsey, Eminem, Octavian, The xx, Underworld und Brian Eno zusammen. Letzteren begeisterte Fred mit seinen Skills in Logic Pro in London dermaßen, dass Eno unmittelbar zu seinem Mentor avancierte. In den vergangenen Monaten und Jahren stellte sich unglaublicher Erfolg ein, er produzierte unglaubliche Chart-Erfolge für die größten Namen im Musikbusiness, erhielt zwei Nominierungen bei den Ivor-Novello-Awards und gewann den letztjährigen Brit-Award in der Kategorie “Producer of the Year” – als jüngster Gewinner überhaupt in dieser Kategorie.

Eine Zufallsbegegnung mit Carlos, einem Bauarbeiter aus Atlanta, der im fröhlichen Südstaaten-Slang mit ihm sprach, ebnete den Weg für seine mitnichten konventionelle Herangehensweise, Musik zu machen. Fred begann, flüchtige Gesprächsfetzen in Musik zu überführen. Daraus erstellte er eine Art Tagebuch – das mit der Zeit an Größte gewann – indem er Clips von nächtlichen Ausflügen sammelte, Sprachmemos speicherte und die sozialen Medien durchkämmte – immer auf der Suche nach musikalischen Momenten in den flüchtigen Momenten des täglichen Lebens. Anfänglich hatte der Producer, Multi-Instrumentalist, Sänger und Songwriter ein schreckliches Gefühl dabei, sich bei der Kunst anderer zu bedienen – ein Gedicht etwa, das die Grundlage für den schummrigen Club-Stampfer “Kyle (I Found You)” bildet oder der eindringliche Monolog über das Leben mit Depression zu Beginn von “Sabrina (I Am A Party)”. Allmählich machte er jedoch seinen Frieden damit, bestärkt durch überwältigende Unterstützung und Dankbarkeit, die er immer dann erfuhr, wenn er seine Songs jenen Leuten zeigte, deren Arbeit er interpoliert hatte. So oder so veröffentlicht Fred nichts ohne die ausdrückliche Zustimmung dieser Menschen, betont er.

Am 16. April dieses Jahres erschien mit „Actual Life (April 14 – December 17 2020)“ das Debütalbum von Fred Again – es bot einen Blick auf die Welt, wie Fred sie sieht – oder besser gesagt: wie er sie hört – sowie die Menschen, die sie um ihn herum zum Leben erwecken. Er schreibt nicht über Erfahrungen, er nimmt Erfahrungen und verwandelt sie in Songs. Jeder Song des Projekts basiert auf einem kurzen Video- oder Audio-Sample aus den unterschiedlichsten Quellen (YouTube, persönliche FaceTime-Gespräche u.v.m.), u. a. von Künstler*innen wie Julia Michaels, Jessie Reyez und Dermot Kennedy. Nun veröffentlichte Fred Again am 19. November den zweiten Teil seines Sound-Tagesbuchs. Der Titel ist dabei mit „Actual Life (February 2 – October 15 2021)“ eine rein logische Konsequenz zum Erstlingswerk.

Pläne für beide Werke hatte er lange Zeit aber nicht, erzählt er: „Bis wenige Monate vor dem Release hatte ich gar nicht die Absicht, unbedingt ein Album zu veröffentlichen. Ähnlich war es auch jetzt – sodass ich recht frei und unvoreingenommen an die ganze Sache drangegangen bin. Das Einzige, das für mich am Anfang dieser Reise recht schnell klar war, war, dass ich eine gewisse Regelmäßigkeit verfolgen möchte bzw. diese Chronologie fortführe, sofern ich diese Art Sound-Tagebuch starte, von dem ich tatsächlich irgendwie besessen bin. Ansonsten wäre das erste Werk einfach nur ein willkürliches Resultat. Dass diese Periode jetzt auch erneut zu einem Album avanciert ist, fügte sich erst mit der Zeit.“

Die zehn Monate, in denen das autobiografische Werk zusammenfügt wurde, waren gezeichnet von einer extrem schwierige Phase in seinem Leben. Das Album ist quasi die Momentaufnahme eines Künstlers, der sich mit den komplexen Facetten der Trauer auseinandersetzt, so erkundet er Themen wie Vertrauen in enge Freund*innen und Familie, die Heilung persönlicher Wunden aufgrund von Verlusten, ehe er schließlich zu einem Gefühl der Freude zurückfindet, mit der das Album auch ausklingt. Immer im Vordergrund sind dabei seine Samples – eine absolute Passion des Briten: „Ich liebe es einfach, selbst in den Augen vieler total irrelevante Momente auf der gesamten Welt aufzufangen und sie – wie auch immer – einfließen zu lassen. Mir ist es unheimlich wichtig, dass die Songs atmen können und Leben versprühen. Nichts ist schlimmer für mich, als Musik ausschließlich am Computer zu machen. Alle meine Stücke sind extrem von den Orten beeinflusst, an denen ich sie initiiere oder umsetze. Meist beginnt das mit Recordings auf meinem iPhone, wenn ich durch Straßen laufe oder mit Freunden zusammen bin. Diese Recordings sind für mich mittlerweile zum Alltag geworden und geschehen total natürlich.“ Einen Unterschied zwischen beiden Veröffentlichungen macht Fred binnen eines kurzen Augenblick aus: „Ich glaube, beim ersten Album geht es eindeutig um Liebe, während das zweite Kummer thematisiert. Zwei Gefühlswelten, die wohl unabdingar zum Leben dazugehören.“

Neben seinen Produktionen nehmen Live-Performances eine wichtige Rolle im Kreativprozess von Fred again.. ein. Einen Eindruck davon vermittelt eine Live-Session mit Henry Wu alias Multi-Instrumentalist Kamaal Williams, die er kürzlich auf seinem YouTube-Kanal veröffentlichte. Die halbstündige Session, die im September gefilmt wurde und bei der außerdem der Schlagzeuger Corey Fonville mitwirkte, hält experimentelle Improvisationen mit Musik vom neuen Album bereit. In diesem Jahr zelebrierte Fred again.. bereits zahlreiche Festival-Shows, aber auch Auftritte in ausverkauften Venues wie dem Village Underground in London mit einem Gast-Auftritt Romy von The xx. Aktuell tourt der Brite in den Vereinigten Staaten und bringt dabei das „Actual Life“-Konzept immer wieder neu auf die Bühne. Dabei wird die Show in ein gemeinschaftliches, immersives „Real Life“-Erlebnis verwandelt: „Das auffälligste Merkmal der Show ist und wird ein riesiger Bildschirm sein, der inmitten der Säle platziert ist, auf den neben uns als Band der Fokus gerichtet ist. Aber die Show wird sich von Mal zu Mal entwickeln, und ich glaube, in einem Jahr wird sie aufgrund der vielen Entwicklungen vielleicht schon wieder ganz anders aussehen. Wir sind aktuell in den Staaten unterwegs, wo ich neben den Shows noch ein paar Wochen schreiben werde. Danach geht es für mich pünktlich zur Weihnachtszeit zurück nach London. Es ist meine Lieblingszeit des Jahres – Freund*innen und ich haben unzählige Traditionen, die wir Jahr für Jahr gemeinsam erleben. Sei es von Glühwein bis hin zu Poetry-Abenden, wo wir gemeinsam Gedichte über uns selbst schreiben. Ich freue mich sehr, nach den ganzen Reisen alte Freunde zu treffen und das Jahr ausklingen zu lassen.“

In diesem Monat zeichnet Fred again.. auch für den letzten offiziellen FAZEmag-Download-Mix des Jahres 2021 verantwortlich: „Was genau zu hören ist, wird nicht verraten – aber größtenteils Stücke von meinem neuen Album, einige Bootlegs und auch Lieblingsstücke, ihr müsst es euch anhören!” Dies gilt wohl auch für den weiteren Output von Fred again.., das Tagebuch muss schließlich fortgesetzt werden.

 

Aus dem FAZEmag 118/12.21
Text: Triple P
Credit: WMG
instagram.com/fredagainagainagainagainagain