GIGEE – Innere Überzeugungen

Foto: Łukasz Dziewic

Nicht zuletzt durch mehrere Reisen in die französische Hauptstadt ist die in Warschau geborene Paulina Gielniewska aka GIGEE schon früh mit Musik in Berührung gekommen. Und auch wenn ihr erstes Release auf 2019 datiert, so beschäftigte sie sich bereits im Kindesalter mit der Thematik – so sehr, dass sie 2010 eine Musik-App inklusive ausgeklügeltem Algorithmus entwickelte und prompt in das berühmt-berüchtigte Silicon Valley eingeladen wurde. Sie war bereits als Ghostproducerin für erfolgreiche, tourende Akteur*innen der Szene tätig und betreibt eine eigene Kreativagentur. Nun tritt sie selbst ins Scheinwerferlicht – ihre Releases ernten Lobeshymnen von beispielsweise David Guetta, ARTBAT, Joris Voorn sowie von Radiosendern wie BBC 1. Ihre Diskografie listet Labels wie etwa Katermukke, Mobilee, Family Picnic und Desert Hearts Black. In diesem Monat ist GIGEE für den offiziellen FAZEmag-Download-Mix verantwortlich.

Paulina, wie bist du zur Musik gekommen und wer hat dich besonders beeinflusst?

Hey, vielen Dank für das Interview. Musik war schon immer in meinem Leben, seit ich mich erinnern kann. Ich habe schon als kleines Kind Kassetten, Vinyls oder CDs gesammelt. Jeder hat mich nach Musik gefragt. Darüber hinaus war ich sehr sportbegeistert, habe immer sehr intensiv Tennis und Fußball gespielt. Besonders Fußball habe ich sehr ernst genommen, irgendwann hatte ich allerdings eine ziemlich ernste Verletzung, und mittlerweile würde man wohl nie wieder darauf kommen, dass ich mal etwas mit diesem Sport zu tun hatte (lacht). Ich weiß noch, wie ich den Unterricht in der High School geschwänzt habe, um auf den vielen aufregenden Seiten, Apps, Tools und Plattformen, die mit der damals neuen Internet-Ära aufkamen, nach neuer Musik zu suchen. Ich bin ein totaler Nerd, wenn ich mich für etwas begeistere. Die Leidenschaft wurde mit der Zeit immer größer. Im Laufe der Zeit stieß ich auf Paul Kalkbrenner, Brodinski und Vitalic und wusste plötzlich, dass ich mich dieser Thematik widmen möchte. Das war quasi der Anfang. Nach dem Abitur beschloss ich, ein Jahr Pause zu machen und nach Paris zu fliegen, um die dortige Underground-Kultur besser kennenzulernen und verschiedene Szenen zu erforschen. Das war eine gewaltige Veränderung für mich und mein Leben. Ich wusste, dass ich nichts anderes als musikbezogene Dinge machen wollte. Gleichzeitig fing ich an, aufzulegen und Partys zu organisieren. Die Events wurden mit der Zeit immer größer und ich fing an, mit meinem Sound zu experimentieren. Es machte plötzlich alles Sinn und entwickelte sich sehr natürlich. Es ist eine absolute Passion.

Wie verliefen deine ersten Steps als Künstlerin genau?

Ungefähr 2011 habe ich meinen ersten Track produziert, aber ich habe die Materie damals noch nicht wirklich ernst genommen. Ich muss den Track mit Sicherheit noch immer auf meinem Computer haben, aber habe Angst, ihn mir anzuhören (lacht). Ich bin recht hart mit mir selbst und will immer besser werden. Deshalb hat es eine Weile gedauert, bis ich an mich selbst geglaubt und mir zugetraut habe, meinen Weg in der Musikindustrie zu gehen. Eine sehr lange Zeit war dies eher ein Raum für meine Träume. Im Laufe der Zeit hatte ich endlich ein Gefühl dafür, was ich mit meiner DAW mache, welche Art von Sound ich kreieren will und ich begann, anderen Musiker*innen zu helfen, indem ich Beats und Tracks für sie machte. Der klassische Fall des Ghostproducers. Nachdem immer mehr Aufträge reinkamen und ich sah, wie sich die Tracks dort draußen schlugen, hatte ich schließlich ein längeres Gespräch mit meinem inneren Ich. Und hier bin ich nun (lacht).

Du wurdest in Polen geboren und lebst in Paris, einer Stadt, die dich sehr geprägt hat.

Das stimmt, ich bin in Warschau geboren. Dort bin ich während der Pandemie auch wieder hingezogen zu meiner Familie, nachdem ich einige Jahre in Paris war. Ich wollte in dieser schweren Zeit schlichtweg nicht allein sein. Obwohl sich Paris wie eine zweite Heimat anfühlt, da ich meinen Patenonkel, meinen Bruder und seine Familie dort habe und seit meiner Kindheit jedes Jahr nach Paris komme, leben meine Eltern und der Großteil unserer Familie in Warschau. Ich hoffe, dass wir bald wieder zur absoluten Normalität zurückkehren können und ich wieder anfangen kann zu reisen. Den pulsierenden Pariser Underground zu erkunden, die unglaublichen Tracks zu hören und sich einfach auf dem Dancefloor zu verlieren, öffnete gefühlt meine Ohren und meinen Geist für die Magie der Musik dort. Ich habe mit einigen Kollektiven in Paris kollaboriert und auch oft im Club Batofar gespielt.

2019 ist deine Debüt-EP als GIGEE mit dem Titel „Reborn Pulse“ erschienen. In den vergangenen drei Jahren hast du eine beeindruckende Diskografie auf die Beine gestellt. Was ist für den Rest des Jahres geplant?

Vielen Dank, ich bin sehr dankbar für solch ein Feedback. Es motiviert mich weiterzumachen, auch wenn es gefühlt immer schwieriger wird. Ich arbeite gerade an einer neuen EP für einen meiner Musikgurus – den Namen kann ich noch nicht verraten, aber hoffentlich können wir die Sachen im Herbst veröffentlichen. Außerdem arbeite ich an einem Remix für ein legendäres Label, aber auch das muss ich noch eine Weile geheim halten, aber ich verspreche, dass ihr es hier als Erste erfahren werdet.

Wie sieht dein typischer Workflow im Studio aus?

Ich starte gerne mit dem Sounddesign. Jeder Track hat eine besondere Bedeutung für mich, also probiere ich viele neue Sachen und Funktionen aus, um genau den Sound zu finden, den ich mir mental vorstelle. Zurzeit benutze ich Logic Pro, auf das ich vor ein paar Jahren von Ableton gewechselt habe. Das ist meiner Meinung nach wesentlich intuitiver und passt besser zu meiner Arbeitsweise. Meistens kommen mir die Ideen spontan, an einem Tag habe ich das Gefühl, dass ich etwas aufnehmen muss, das in meinem Kopf loopt, an einem anderen Tag fühle ich mich leer und unfähig, etwas Besonderes zu entwickeln bzw. nichts, was ich mit der Welt teilen möchte. Es ist also etwas, das in meinem Fall nicht wirklich geplant werden kann. Es fängt meinst mit einem bestimmten Loop an, der in meinem Kopf herumschwirrt, und dann füge ich einfach immer mehr Elemente hinzu. Progression und FX-Horns sind meine „guitly pleasures“. Aber ich verbringe viel Zeit damit, die für mich perfekten Synth-Sounds zu kreieren. Der Fokus changiert immer mal wieder. Was die Hardware angeht, muss ich ganz klar Moog Subsequent 37, Moog One 8, Roland TR 8S, Korg VolcaBass, Roland TB 03, Nord Stage 3 und meinen neuesten Leckerbissen – ein einzigartiger Midi-Controller – ROLI Seabord Rise 49 nennen.

Der Sommer ist endlich da und du wirst großartige Venues bzw. Festivals wie Burning Man, Family Piknik und SMS bespielen. Erzähl uns mehr über deine Agenda.

YESSS! Ich freue mich riesig, endlich wieder auf Tour zu sein. Es fühlt sich so gut an, nachdem ja quasi zwei Jahre lang immer wieder Absagen oder spontane Umplanungen stattgefunden haben. Im Juli fliege ich nach Kalifornien, um für das fantastische Brand Fluffy Cloud zu spielen, das sowohl eine einzigartige künstlerische Installation als auch eine Community beim Burning Man ist. Das erste Event wird im El Pueblo National Historical Monument in der Innenstadt von Los Angeles stattfinden und das zweite im zauberhaften San Diego. Dann komme ich zurück nach Europa, besuche tolle Spots in Marbella und verbringe den Rest des Monats in Berlin. Ich liebe die Stadt. Der August steht ganz im Zeichen der Festivals, worauf ich mich sehr freue, denn die Stimmung auf Festivals ist immer etwas Besonderes. Eine einmalige Erfahrung. Ich hätte auch nichts dagegen, Ibiza noch in meinen Terminkalender einzubauen (lacht).

Kalifornien spielt eine äußerst wichtige Rolle in deinem Leben, nicht wahr? Vor ein paar Wochen hast du dein Debüt in Los Angeles gefeiert und im Herbst hast du vor, dort hinzuziehen.

Es mag nostalgisch klingen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich eine radikale Veränderung brauche, eine neue Herausforderung, und raus aus meiner Komfortzone muss, um als Mensch und auch als Musikerin weiter zu wachsen. Außerdem ist Kalifornien einfach mein Kindheitstraum. Nicht zu vergessen ist der geschäftliche Aspekt, denn ich bin seit fast elf Jahren in der Musiktechnologie-Start-up- und Entwicklungsbranche tätig und habe meine erste Musik-App entwickelt, als ich noch in der High School war, denn ich war begeistert von den neuen Streaming- und Playlist-Programmen und anderen musikorientierten Tools, Websites, Apps usw. Ich habe versucht, eine Lösung für das breite Spektrum an Graustufen in der Branche zu finden. In enger Zusammenarbeit mit Ingenieur*innen, UX-Spezialist*innen und Entwickler*inen habe ich meine erste Musik-App entwickelt, die auf Algorithmen zur Erstellung von Stimmungs-Playlists basiert. 2010 war das noch ziemlich neu, heute ist es fast überall zu finden. Dann habe ich die Beta-Version erstellt und wurde ins Silicon Valley eingeladen, um eine Pitch-Präsentation vor großen Tech-Unternehmen wie Apple, Google, Amazon usw. zu halten. Als junge Unternehmerin mit einer innovativen Idee – so fängt alles in dieser Branche an. Nach ein paar Jahren denke ich nun, dass ich endlich bereit, selbstbewusst genug und mehr als glücklich bin, einen Großteil meiner Zeit dafür zu widmen und in Vollzeit nach Kalifornien zurückzukehren und dort mein Leben zu leben. Mal sehen, wie es läuft, aber ich will es auf jeden Fall versuchen. Außerdem wollte ich schon immer mal am Meer leben (lacht).

Viel Erfolg dabei! In einem Interview mit der Vogue hast du kürzlich über den Druck auf die künstlerische Freiheit gesprochen. Was sind deiner Meinung nach die Hauptgründe dafür und was könnte eine Lösung sein, auch auf der Künstler- und professionellen Seite der Branche?

Ich denke, Musik sollte sich von Politik oder irgendwelchen Etiketten und Definitionen fernhalten. Musik ist größer als all diese Dinge und spricht nur eine einzige universelle Sprache. Die Position der Frau in der Musikindustrie ist zu einem wichtigen Thema avanciert, Frauen aus allen Lebensbereichen und Branchen strömen in diesen männerdominierten Beruf. Und auch wenn viele bereits erfolgreich sind, gibt es noch einiges zu tun. Ich denke, wir sollten dringend einen Dialog darüber anstoßen, was sich noch ändern muss, damit die Branche weiter voranschreiten kann und alle Menschen, gleich welchen Geschlechts, Herkunft oder Religion oder sexueller Orientierung gleichberechtigt zusammenarbeiten können. Ich glaube fest daran, dass wir als Künstler*innen uns voll und ganz einbringen und unsere Stimme öfter erheben könnten. Ich werde mein Bestes tun, um diesen dringend benötigten Wandel und die wichtige Bewegung, die gerade stattfindet, zu supporten.

In diesem Monat bist du für den offiziellen FAZEmag-Download-Mix verantwortlich. Was können wir erwarten?

Ich freue mich sehr, dass mir diese Ehre zuteil wird. Obwohl einige Leser*innen meinen Sound unter Umständen schon kennen, möchte ich auch sie trotzdem überraschen. Erwartet also das Unerwartete plus ein paar unveröffentlichte Tracks von mir (lacht).

Aus dem FAZEmag 125/07.2022
Text: Triple P
Foto: Łukasz Dziewic
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