HVOB – Ungewohnte Stille

Nach vier Studioalben und ihrem „Live in London“-Mitschnitt vor ziemlich genau einem Jahr veröffentlichen Anna Müller und Paul Wallner mit „TOO“ ihren nun mittlerweile sechsten Langspieler seit 2013. Debütiert haben die beiden Wiener damals mit dem gleichnamigen Werk „HVOB“, gefolgt von „Trialog“ in 2015, „Silk“ in Kollaboration mit Winston Marshall und „Rocco“ auf PIAS in 2019. Und genau auf Letzterem erscheint am 8. April auch das neue Album. Auf acht Titeln präsentiert das Duo einen wütenden, zärtlichen, verletzlichen, aber auch entschlossenen Bericht über den Seelenzustand einer Generation, die sich auf der Suche nach innerer und äußerer Zugehörigkeit befindet. Dabei changieren sie soundtechnisch zwischen düsteren Elektro-Beats und sphärischen Soundwelten, eine Art sanftere, aber zugleich auch härtere Weiterentwicklung ihres markanten Sounds. Wir sprechen im Interview über Ungewissheit, Dualität, Gegensätze und Vorsätze.

 

Anna und Paul, danke für eure Zeit und Glückwunsch zum neuen Album.

Anna: Dankeschön. Abgesehen davon, was gerade in der Welt passiert, geht es uns gut. Es ist unendlich traurig und unsere Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine. Kiew ist eine der ersten Städte, in der wir aufgetreten sind, wir fühlen uns mit der Stadt sehr verbunden. Es fällt schwer, unter diesen Umständen normal weiterzumachen – Musik zu veröffentlichen, auf Tour zu gehen, Dinge zu posten. Alles kommt einem plötzlich unwichtig, irrelevant vor. Aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es gerade deswegen wichtig ist weiterzumachen. Man darf dem Bösen nicht nachgeben.

Paul: Momentan sind wir in Wien und bereiten alles für unsere Europa-Konzerttour vor – Licht programmieren, proben. Ende April geht es los, wir freuen uns sehr darauf. Nach so langer Zeit des Stillstands tut es gut, wieder aktiv zu sein.

„TOO“ fängt äußerst brachial an, thematisch behandelt das Werk den Seelenzustand einer Generation. Wie würdet ihr diesen in Worte fassen?

Anna: In allen Tracks auf „TOO“ geht es um das Gefühl, zu wenig oder zu viel zu sein. Um Unsicherheit, um die Suche nach einem inneren Frieden. Das anzunehmen, was ist, sich selbst zu akzeptieren, und die Dinge anzunehmen, die man nicht ändern kann. Es geht auch um das Gefühl, sich ohnmächtig zu fühlen gegenüber all den vielen Informationen, die wir täglich aufsaugen, das ständige Vergleichen mit anderen – nie zuvor waren wir dem so ausgesetzt. Es geht auf „TOO“ auch viel um Schmerz, der oft einfach schwer auszuhalten ist. Ums Trotzdem-Weitermachen, auch wenn man das Gefühl hat zu ertrinken.

„Das Album fängt ein Leben in der Zwickmühle ein, von eigenen und fremden Erwartungen bestimmt zu werden, mit dem permanenten Drang, sich aus diesem Konstrukt zu lösen“ liest sich im Pressetext. Musstet ihr euch bereits von Erwartungen, unter Umständen musikalischen, befreien?

Anna: Es geht um das Gefühl, den Druck nicht anzunehmen, in gewisse Formen zu passen. Es kann sehr belastend sein, nicht zu wissen, was man möchte im Leben, genauso kann es schwer sein, gar nicht zu wissen, wofür man brennt. Als Paul und ich uns vor vielen Jahren dazu entschlossen, Musik zu machen, war das nicht einfach. Wir möchten dazu ermutigen, es trotzdem zu tun. Musikalisch habe ich nicht das Gefühl, dass wir uns von fremden Erwartungen beeindrucken lassen oder solche spüren. Wir haben von Anfang an immer das Ziel gehabt, nur das zu tun, was uns gefällt.

Generell sind die Songs geprägt von einer Dichotomie, wie z.B. Aufbruch und Rückzug, Entschlossenheit und Selbstzweifel – inwiefern haben die letzten von der Pandemie dominierten Monate euren Sound beeinflusst?

Paul: Wir waren vor Corona so viel unterwegs, immer auf Reisen, die Pandemie hat uns Zeit zum Durchatmen gegeben. Gleichzeitig war alles so unsicher, wir wussten nicht, ob und wie es weitergeht. Es war ein Hin- und Hergerissen-Sein zwischen einer Ruhe, die auch mal gut tut, gleichzeitig weiß man aber nicht, ob alles wieder so wird, wie es war, und dadurch hat man sich auch rastlos gefühlt und hat sich viele Sorgen gemacht. Ob es den Sound beeinflusst hat, kann ich nicht sagen, aber irgendwie beeinflusst ja alles den kreativen Prozess. Ich kann es auf alle Fälle gut nachvollziehen, wenn man sich in dieser Zeit verloren gefühlt hat.

Glaubt ihr, „TOO“ würde ohne diese Ungewissheit bzw. generell ohne die Pandemie rund um Covid-19 anders klingen?

Anna: Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Auf dem Album geht es um sehr persönliche Themen, um Dinge, die ich mehr oder weniger gut verarbeitet habe in dieser Zeit. Ich denke, die wären zu einem großen Teil auch ohne Corona da gewesen. Aber diese Grundstimmung, nicht zu wissen, wie es weitergeht, wird auch ihren Weg in die Musik gefunden haben. Alles um uns beeinflusst uns, bewusst oder unbewusst.

Wie hat sich euer Sound in euren Augen im Vergleich zu den Vorgänger-Werken verändert bzw. entwickelt?

Paul: „TOO“ ist auf alle Fälle unser zartestes und härtestes Album. Die Gegensätze finden sich also auf alle Fälle im Sound wieder. Wir haben versucht, diese Extreme bewusst hervorzuheben. Gleichzeitig war auch alles sehr unbewusst, es ist einfach passiert, wie das eben ist beim Musikmachen. Weniger Kopf, mehr Herz. „TOO“ ist auf jeden Fall ein Prozess, es wäre schlimm für uns, würden wir immer gleich klingen.

Hat sich euer Workflow verändert?

Anna: In der Pandemie auf alle Fälle. Wir hatten Zeit. Sonst passierte das Songschreiben und Produzieren immer zwischen Konzerten. Das kann hektisch sein, doch wir arbeiten auch in diesem Szenario gut. Es war auch mal eine schöne Erfahrung, sich nur aufs Musikmachen zu konzentrieren. Ob ich es immer so haben möchte? Nein, definitiv nicht. Diese Ungewissheit war manchmal zermürbend. Viele meiner Freunde, die auch im Kulturbereich arbeiten, empfanden das auch so, für die ganze Branche war diese Zeit wirklich nicht leicht. Ich hoffe, es wird besser und wir können vorerst weiterspielen.

Wie hat sich diese Zeit auf euch als Band und eure Zukunft ausgewirkt?

Anna: Das ist jetzt sehr schwer zu sagen, vielleicht werden wir diese Stille beim Produzieren des nächsten Albums vermissen (lacht). Es wäre schön, wenn wir es schaffen, uns auch in hektischen Zeiten mehr Raum und Ruhe fürs Schreiben zu geben. Vielleicht können wir das als etwas Positives mitnehmen aus der Pandemie.

In unserem letzten Gespräch zu eurem Live-Album aus London hattet ihr wahnsinnige 77 Shows binnen eines Jahres gespielt. Ein Umstand, der bald wieder Realität werden könnte, denn ab April geht es erneut auf Album-Tour. Mit welchen Emotionen begegnet ihr aktuell diesen Shows?

Paul: Wir können es ehrlich gesagt gar nicht erwarten, dass es wieder losgeht, wir freuen uns so sehr darauf. Ab Ende April geht‘s mit dem Nightliner durch Europa, im Herbst gibt es dann den zweiten Teil der Tour, wir werden noch einige Städte und Länder veröffentlichen, da wir „TOO“ weltweit vorstellen werden. Aber erst einmal konzentrieren wir uns auf April und Mai. Die Vorbereitungen laufen, Anna und ich sind momentan dabei, die Lichtshow zu programmieren. Das macht uns neben der Musik sehr viel Freude.

Was werden Fans in Sachen Live-Show bzw. Visuals erwarten können?

Anna: Paul und ich sind sehr ambitioniert in Sachen Licht auf unseren Konzerten (lacht). Wir programmieren jede Sekunde selbst, Musik und Licht müssen zusammenspielen. Wir wollen eine Atmosphäre erzeugen, ein Gefühl und einen Raum, in den man zwei Stunden lang eintauchen und verloren gehen kann. Zu viel möchte ich noch nicht verraten, aber wir arbeiten diesmal mit völlig neuen Konzepten und Tools. Wir werden auf alle Fälle alles geben, damit die Shows Spaß machen.

Mitte März ist ein BBC 1-„Essential Mix“ von euch erschienen, was steht außerdem auf eurer Agenda? 

Paul: Die Anfrage für den Mix hat uns extrem gefreut. Wir freuen uns auf Konzerte, auf viele Festivals, endlich wieder zu reisen. Das Jahr steht für uns ganz im Zeichen unseres neuen Albums und endlich wieder die Welt zu sehen. Wir hoffen, dass wir den Leuten nach wie vor Freude bereiten dürfen, darum geht es uns.

 

Aus dem FAZEmag 122/04.2022
Text: Rafael Da Cruz
www.instagram.com/hvob_official
Foto: Andreas Jakwerth

 

 

HVOB – „TOO”-Album-Tour 2022

21.04. Muffathalle, München
22.04. Kaufleuten, Zürich
23.04. Huxleys, Berlin
28.04. Sono Club, Brno
29.04. Archa Theatre, Prag
30.04. Posthof, Linz
05.05. Batschkapp, Frankfurt
06.05. Live Music Hall, Köln
07.05. Electric Brixton, London
08.05. Gruenspan, Hamburg

11.05. Trix, Antwerp
12.05. Im Wizemann, Stuttgart
13.05. Melkweg, Amsterdam
14.05. Z-Bau, Nürnberg
15.05. Conne Island, Leipzig
20.05. Akvarium, Budapest
21.05. Orpheum, Graz
18.06. Checkfest, Wien