INNELLEA – The Belonging

Foto: Kaj Lehner

In der stetig fortschreitenden und sich permanent neu erfindenden Welt der elektronischen Musik, wo Innovation den Herzschlag vorgibt und Künstler*innen immer mehr die Rolle von Architekt*innen klanglicher Landschaften ausüben, sticht ein Name mit einer beeindruckenden Resonanz hervor – INNELLEA. Anerkannt als einer der derzeit meistgefeierten Künstler im elektronischen Kosmos, hat Michael Miethig mit seiner einzigartigen Mischung aus Genres und mit unvergleichlichem musikalischen Handwerk die Gunst eines globalen Publikums gewonnen. Dazu geführt haben zahlreiche von Kritiker*innen frenetisch gefeierte Singles wie z.B. „The World Returns“, „Vigilans“, sein „Five Phases“-Projekt im letzten Jahr, Remixe für Künstler wie Stephan Bodzin, Röyksopp, RÜFUS DU SOL, sowie DJ- und Live-Sets in den renommiertesten Clubs und auf den wichtigsten Festivals. Am 9. Februar erscheint mit „The Belonging“ sein Debütalbum.

Auf dem Werk mit insgesamt 15 Titeln widmet sich der Münchner nicht nur einer Sammlung von Tracks, sondern begibt sich auf eine avantgardistische Reise in unerforschte Gebiete, mit einer Manifestation kreativer Evolution und der Erforschung des tiefen Gefühls von Zugehörigkeit.

In diesem exklusiven Interview legen wir die Schichten der Kreativität frei, die „The Belonging“ ausmachen, und erforschen die Inspirationen, Herausforderungen und künstlerischen Entfaltungen, die INNELLEAs musikalische Reise geprägt haben – oftmals beeinflusst von Selbstzweifeln, Eskapismus und dem Streben nach dem Ausbrechen. Dass seine Kunst eine enorme Resonanz beim Publikum erfährt, und sowohl INNELLEAs Musik als auch seine Projekte einen gewissen musikalischen Aufbruch repräsentieren, wird nicht zuletzt dadurch untermalt, dass er sich im aktuellen FAZEmag-Jahrespoll in der Kategorie „Durchstarter National“ die Krone sichern konnte, nachdem er 2021 und 2022 bereits den jeweils zweiten Platz belegt hatte. Und so lest ihr in dieser Ausgabe nicht nur ein, sondern gleich zwei Interviews mit dem Künstler der Stunde.

Michi, wie waren deine ersten Tage in 2024?

Hey, danke der Nachfrage, mir geht’s voll gut. Ich habe das letzte Jahr gründlich reflektieren können und bin einfach nur megadankbar und glücklich, dort in meinem Leben zu stehen, wo ich gerade stehe. Ich habe mir auch einen Großteil des Januars freigenommen, um kurz vom Touren durchzuschnaufen. Außerdem bereite ich mich momentan auf die kommende Album-Tour vor. Ich habe darüber hinaus gerade wieder richtig Bock bekommen, neue Musik zu schreiben.

Reflektieren klingt gut. Wie war das Jahr 2023 generell für dich, sowohl beruflich als auch privat? Dein „Five Phases“-Projekt war ein grandioser Erfolg.

2023 war definitiv ein herausforderndes Jahr und ich habe wieder viel dazugelernt. Ich denke, dank der Hilfe meines Teams haben wir 2023 gut meistern können und können es als ein sehr erfolgreiches und positives Jahr verbuchen. Es ist so schön zu sehen, wie viele Menschen sich mit dem „Five Phases“-Projekt auseinandergesetzt und sich selbst in diesem Projekt wiedergefunden haben. Storytelling macht mir so viel Spaß, da es in der Kombination mit Musik wirklich tief in die Gefühle der Menschen vordringt und so viel bewegen kann. Aber ich habe im letzten Jahr auch viele kleine Kriege gegen mich selbst in meinem Kopf geführt, in denen ich irgendwie mehr Dinge als zuvor hinterfragt hatte. Es ging meistens um den Konflikt von Trends und Passionen, Unzufriedenheit mit mir und dem Projekt aufgrund meines Perfektionismus oder um die Balance von Privat und Business. Aber auch hier kann ich rückblickend sagen, dass ich das alles ganz gut gemeistert bekommen habe.

Auch 2024 scheint ein großes Jahr für dich zu werden, in diesem Monat erscheint dein Debütalbum. Wie lange hast du an „The Belonging“ gearbeitet und wie entstand die Idee?

Vielen Dank! Ich glaube, die erste fertige Nummer des Albums müsste „Under Earth feat. Paris Paloma“ gewesen sein, die vor ungefähr zwei Jahren fertig war. Die letzte war „Airplane Mode“, die ich im Oktober im Flieger zurück aus Los Angeles gemacht und last Minute mit auf die Platte genommen habe. Die Idee entstand stark durch das Wiederfinden meines guten alten Freundes Marco, mit dem ich früher viel Zeit verbracht habe. Nach langer Funkstille haben wir gemeinsam das Video zu „Distorted Youth“ gemacht, da er Director ist. Von da an wussten wir, dass wir Bock auf ein größeres gemeinsames Projekt haben. Wir haben viel abgehangen, miteinander gesprochen und sind gemeinsam mit meinem Manager in den Urlaub gefahren, um die Grundidee des Albums zu definieren.

„The Belonging: A collective experienced catharsis. The process of releasing and providing relief from strong or repressed emotions.“ – Welches Konzept steckt hinter diesen Zeilen?

Das Album befasst sich mit dem Ausbruch aus der Deformation über die Transformation in die Katharsis. Das Ganze geschieht auch bei diesem Projekt in Phasen. Die Deformation beschreibt ein negatives, toxisches und verformendes Umfeld. Es ist ein Ort, an dem die Selbstbeobachtung im Mittelpunkt steht, an dem man sich mit der Komplexität seiner inneren Welt auseinandersetzt. Die Frage „WHERE DO I BELONG?“ ist ein Echo auf die zeitlose Suche nach Sinn und Verbindung. Es kann jeden ansprechen, der sich schon einmal mit seinem Selbstverständnis und seinem Platz in der Welt auseinandergesetzt hat. Die Transformation stellt den Abschnitt dar, in dem man erkennt, dass es einen Ausweg aus diesem toxischen Umfeld gibt, es aber superviel Kraft kostet, diesen Weg zu gehen: ein Kampf zwischen Festhalten und Loslassen. Die Katharsis – ein starkes Gefühl der Vollendung, das Gefühl, die emotionale Landschaft durchquert zu haben. Die Idee der „Resonanz der Zusammengehörigkeit“ deutet auf eine gemeinsame Erfahrung hin, auf eine Verbindung mit anderen, die ähnliche Wege gegangen sind. „I BELONG IN HERE!“ ist eine durchschlagende Bestätigung, seinen Platz zu finden, an einem Ziel anzukommen, das sich wie ein Zuhause anfühlt, und die Erkenntnis, dass wahre Zugehörigkeit von innen kommt.

„Releasing relief from strong or repressed emotions“: Wie wichtig ist dies auch für dich als Künstler?

Emotionen sind der Schlüssel zur Seele eines Artists und dessen Kunst. Und deshalb für mich enorm wichtig.

In Zeiten von Social Media, weltweiten Kriegen und Co. und einer damit einhergehenden Rastlosigkeit bei so vielem, oftmals negativem Content – wie wichtig ist es für dich, eine gewisse Zugehörigkeit zu finden bzw. wie hat sich dies in deinem Leben schon mal widergespiegelt?

Ich finde mich wirklich häufig in negativen Loopholes wieder. Das kommt vor allem von langer Bildschirmzeit, wenn ich mich durch die Unendlichkeit negativer News scrolle oder mich auf Social Media mit anderen vergleiche, was einfach äußerst kontraproduktiv ist. Ich habe für mich festgestellt, dass es kaum einen besseren Weg aus diesen Schleifen gibt, als Zeit mit Menschen zu verbringen, die mir nahestehen und mir wichtig sind. Ich spreche hier auch gar nicht von reinem Eskapismus, sondern auch davon, dass man sich ehrlich zu unangenehmen Themen austauschen kann und seine Gefühle mit anderen teilt. Für mich ist so etwas elementar, weil sich sonst zu viel Negativität in meinem Kopf anstaut, was zu einem allgemeinen Unwohlsein führt und das Gefühl von Hilflosigkeit hervorruft. Um auf deine Frage zurückzukommen, ist ein Gefühl von Zugehörigkeit meiner Meinung nach für den Menschen elementar, und aus diesem Grund liebe ich unsere open minded Community so sehr, die für so viele Menschen als Auffangbecken funktioniert.

Das hast du schön gesagt. Um von der emotionalen auf die eher technische Ebene zu kommen: Wie können wir uns deinen Workflow im Studio vorstellen?

Ich wechsle meinen Workflow irgendwie ständig. Vor zwei Jahren konnte ich keine Musik außerhalb meines Studios machen, mittlerweile ist es genau andersherum. Ich liebe es, mit meinem Laptop, einem Midi-Keyboard und meinen Headphones flexibel zu sein und in meiner Küche mit dem iPhone Vocals zu recorden. Die Technologie ist mittlerweile so fortgeschritten, dass ich nicht mehr so an meinen analogen Geräten hänge wie früher. Ich bin mir aber sicher, dass es bald wieder eine Phase geben wird, wo ich mich darüber freue, all die Hardware zu besitzen.

Foto: Kaj Lehner

Welche persönlichen Phasen hast du bei der Albumproduktion durchlebt?

Wie oben erwähnt habe ich im letzten Jahr wirklich viele Dinge hinterfragt, unter anderem eben auch meine Musik oder besser gesagt die Rolle dieser im Kontext der momentan sehr trendbasierten und repetitiven Musik der Szene, die mich umgibt. Das Album spiegelt auch diesen Konflikt wider, was letztendlich dazu geführt hat, dass ich wirklich eine große Bandbreite an verschiedenen Genres auf das Album gepackt habe. Ich habe mich dabei nicht von Trends beeinflussen lassen, sondern auf meinen persönlichen Vibe gehört und mich von dem Spaß am Produzieren leiten lassen. Das hört man zum Beispiel an „Transformation To God“ oder an „So Far So Near“, das erste Lied, das ich für eine bestimmte Person in meinem Leben geschrieben habe und das letztendlich eine Ballade geworden ist, in der ich singe.

Du hast bei einigen Singles mit verschiedenen Acts kollaboriert, darunter Colyn, Monolink, Maurice Kaar, Juan Hansen und Co. Erzähle uns über die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Acts.

Ich bin wirklich so dankbar dafür, dass ich mit so vielen verschiedenen großartigen Künstler*innen zusammenarbeiten durfte. Jede Kollaboration war auf ihre Art spannend. Bei Colyn und Braev wurde zum Beispiel aus drei Songs einer, ich hatte einen superschönen Tag mit Monolink im Studio am Holzmarkt, und als ich Maurice das Instrumental geschickt hatte, habe ich ein paar Stunden später seine Vocals bekommen, die wie die Faust aufs Auge gepasst haben. Juan hatte mir damals quasi eine Akustikversion von „Burning Out“ geschickt, die ich dann neu interpretiert habe.

Musikvideos spielen in deinem Konzept eine große Rolle. So sind z.B. die Videos zu „Forward Forever“ und „Silence“ äußerst beeindruckend, auch das mit Juan Hansen. Wie ist deine persönliche Verbindung zu Musikvideos im Allgemeinen und wie bist du bei den jeweiligen Songs vorgegangen, in Sachen Storytelling, Umsetzung und Co.?

Ich bin ein großer Fan des Mediums Musikvideo. Ich muss einfach immer an diese ikonischen Musikvideos denken, die damals auf MTV liefen und die Songs visuell untermalt haben. Musikvideos bilden für mich einfach nochmal eine komplett andere Ebene zu einem Song, was zu einem viel größeren emotionalen Impact führt. Ich habe Marco bei den Musikvideos das Zepter komplett überlassen, weil ich ihn als Director wirklich sehr bewundere. Er hat hier seine persönliche Geschichte dargestellt, die letztendlich auch eine riesige Inspiration für die gesamte Album-Kampagne geworden ist. Marco hat neben den starken Konzepten ein mega Team auf die Beine gestellt, das mit voller Leidenschaft an den Videos gearbeitet hat. Danke nochmal an jede Person, die hier irgendwie mitgeholfen hat. Es ist unglaublich, wie viel Aufwand so ein Video mit sich bringt.

Zeitgleich zum Album launchst du auch ein neues Live-Set. Wie genau haben sich dein Setup und auch deine Show verändert?

Das stimmt, die Album-Kampagne mündet in der „The Belonging“-Live-Tour. Ich habe mich im letzten Jahr musikalisch und auch menschlich sehr weiterentwickelt. Ich bin gefühlt selbstbewusster geworden, was dazu führt, dass ich mich wohler dabei fühle, nahbar zu sein und mich auch verletzlich zu zeigen, so wie es jeder Mensch eben ist. Ich möchte diese Entwicklung auch auf der Bühne widerspiegeln. Ich werde neben ein paar Add-ons zu meinem bisherigen Setup die Songs, in denen ich singe, auch tatsächlich live singen. Durch das Mikrofon habe ich natürlich auch die Möglichkeit, mit der Crowd zu interagieren und eine persönliche, eben nahbare Ebene einzubauen. Generell wird mehr live passieren als zuvor, und es gibt ein paar „mutigere“ Passagen, bei denen ich wirklich schon sehr auf die Reaktion der Menschen gespannt bin. Ich habe einfach Bock, ein paar Sachen zu riskieren, Grenzen auszuloten. Denn am Ende geht es rein darum, Spaß bei der Sache zu haben.

Das unterstreichen wir. Die Album-Tour startet in deiner Heimat München und führt dich anschließend u.a. nach Kairo, Istanbul, Dubai, Amsterdam, New York, London, Paris oder Riyadh. Worauf freust du dich bei all diesen Stopps, Venues und unterschiedlichen Kulturen besonders?

Dass der Kick-off in München stattfindet, macht mich schon besonders stolz, vor allem wenn ich bedenke, dass ich vor ca. zehn Jahren in derselben Venue als freiwilliger Aufbauhelfer gearbeitet habe, um mir ein Ticket für ein Festival, was damals dort stattgefunden hatte, zu finanzieren (lacht). Generell freue ich mich wirklich auf alle Stopps gleichermaßen. Das Wunderschöne an der Vielfalt dieser Stopps ist, dass man wirklich sehen kann, dass wir alle gleich sind und dass unsere Community keine Grenzen kennt.

Wie hat sich INNELLEA in den letzten Jahren soundtechnisch entwickelt?

Ich glaube, ich habe mein Spektrum über die Jahre erweitert. Fast auf jeder EP ist mittlerweile ein genreübergreifender Titel mit drauf, der meine Liebe für Vielfalt darstellen soll. Der Sound ist mutiger geworden und ich bin weiterhin experimentierfreudig und versuche, mich gegen Trends durchzusetzen. Auch wenn ich mich lange dagegen gesträubt habe, muss ich mir eingestehen, dass die Schnelllebigkeit und die Optimierung der Musik auf Streamingdienste hin nicht spurlos an mir vorbeigeht. Ich passe meine Arrangement- und Songlängen mittlerweile automatisch der Masse etwas an. Das passiert echt größtenteils unterbewusst, weil mich das viele Musikhören natürlich auch prägt.

Du giltst dieser Tage als einer der gefragtesten Acts, spielst die renommiertesten Festivals und Clubs. Wie gehst du persönlich mit diesem Scheinwerferlicht um? Vor allem in Sachen Erwartungshaltung, Druck und Co.

Ich habe festgestellt, dass ich mir eine Art Schutzschild angeeignet habe, was die Wahrnehmung der Umwelt angeht. Zum Beispiel lasse ich Aussagen wie „Bei dir geht‘s aber ab“ gar nicht an mich heran, oder blende aus, was es eigentlich bedeutet, wenn nach einer Show Hunderte von Leuten Fotos mit mir wollen. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Klare Vorteile sind, dass ich am Boden bleibe und mir der „Erfolg“ nicht zu Kopf steigt. Der Nachteil ist aber häufig, dass ich nicht zu schätzen weiß, wie erfolgreich ich tatsächlich bin, was zu einer häufigen Unzufriedenheit führt, die objektiv betrachtet natürlich vollkommen ungerechtfertigt ist, wobei ich es subjektiv aber nicht anders einzuordnen weiß.

Es ist Anfang des Jahres, was hast du außer dem Album-Release für 2024 sonst noch geplant?

Für das Album habe ich ja bereits Distorted Youth als Label gegründet, und ich denke, ich werde noch zwei EPs darauf veröffentlichen, ehe ich die Plattform auch für andere Künstler*innen zugänglich mache. Es gibt so unglaublich viele talentierte Menschen und ich habe große Lust, gemeinsam mit anderen Künstler*innen Geschichten zu erzählen, die die Menschen abholen und berühren. Außerdem bin ich gerade gemeinsam mit meiner Frau nach Lissabon gezogen, was für mich bedeutet, dass ich das erste Mal in meinem Leben aus meiner unmittelbaren Heimat wegziehe. Das wird definitiv ein Abenteuer für uns und ich freue mich sehr darauf.

Aus dem FAZEmag 144/02.2024
Text: Rafael Da Cruz
Foto: Kaj Lehner
www.instagram.com/innellea