Isabelle Beaucamp  – Everything everywhere all at once

 

Isabelle Beaucamp  – Everything everywhere all at once / Foto: Yasmine Bennis

In unserer Oktober-Ausgabe haben wir mit Isabelle Beaucamp über ihren rasanten Aufstieg in der Techno-Szene gesprochen. „Damals“ bezeichneten wir sie als Durchstarterin. Nun, keinen Monat später stellen wir fest, dass „durchstarten“ ihre Karrieresprünge nicht annährend beschreibt. Sie erzählt uns überglücklich von bis zu sechs neuen Songs, ihrem ersten Label, einem eigenen Podcast, ihrer ersten Mode-Kollektion und nebenbei Foto-Sessions mit Sven Marquardt. Alles noch vor Jahreswechsel. Einmal durchatmen.

Brandaktuell kommt die junge Techno-Produzentin aus Paris zurück, wo sie nach eigener Aussage zwischen Sonne, Rosé und Croissants auch gearbeitet hat. „Und zwar nicht zu knapp. An meiner eigenen Modekollektion, zusammen mit Paris RE Made. Diese erste Collab-Linie meiner eigenen Fashionbrand Bazar Sauvage Couture startet im November“, berichtet sie enthusiastisch. Jedes Stück sei einzigartig, aufwendig zugleich und wurde im Pariser Atelier hergestellt, aus wiederverwertbaren Materialien. Eine nachhaltige Lieferkette sei ihr sehr wichtig.

Das Shooting der Kollektion hat sie mit niemand Geringerem als ihrem Fotografie-Idol Sven Marquardt gemacht. „Er besitzt diese unbeschreibliche Fähigkeit, Designs und Personen auf eine ganz neue unerwartete Art ins Bild zu setzen, mit Brüchen und Tageslicht-Magie zu zaubern“, schwärmt sie. Reine Rave-Mode „wie wir sie aus TikTok kennen“ sollten ihre Fans aber nicht erwarten. „Es ist klassische Designer Mode neu interpretiert. Ein Bruch mit konventioneller Ästhetik, einen Tick zu lang, zu breit, neu übernäht, anders aufgebrochen, gleichermaßen elegant, extravagant und lässig.“

Foto: Sven Marquardt

Brutal, aber mit Neon – ein „Bazar“ für den Zeitgeist

Während Isabelle von ihrer Mode spricht, erwähnt sie immer wieder auch ihre angeborene Synästhesie. Sie wolle Kreativität visualisieren. „Ich interessiere mich sehr für Farben, Stoffe, Kulturen, Kunst und Trends. Die Kleidung ist neu entwickelt aus Pariser Eleganz und sticht heraus durch aufgeknöpfte Jeans, Neon Bänder im Blazer, Jacken aus verschiedenen Layern, Hosen mit vielzähligem Hosenbund. Pariser Eleganz aufgebrochen mit Neon Elementen, düsteren, brutalen Formen und neuen Perspektiven auf Größen, Schnitte und Figur.

Nicht nur bei Techno, sondern auch in der Mode würde ihrer Auffassung nach jeder Trend von aktuellen politischen Geschehnissen, wahrgenommenen Bedrohungen, technischem Fortschritt und zahlreichen weiteren äußeren Einflüssen geprägt. „Mode- und Musiktrends erleben gerade eine faszinierende Symbiose. Eine positive Beobachtung ist beispielsweise die Tendenz hin zu verantwortungsvollerem Konsum“. Neu dimensionierte Kleidungstücke, aufregende Abwechslung durch bewusstes Aufbrechen von alten Idealen – das alles sei der Zeitgeist, den ihr Mode-Label „Bazar Sauvage“ begleiten möchte.

Von wilden Märkten und roten Fäden

Bazar Sauvage Couture schlägt dann auch den Bogen zurück zur Musik. Dort, wo alles für Isabelle anfing. Denn auch ihr erstes eigenes Musik-Label hört auf Namen Bazar Sauvage. Bereits am 3. November veröffentlicht sie dort ihre drei ersten Tracks, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen. Bis Ende des Jahres soll es dann ein regelmäßiges Isabelle-Feuerwerk geben und ab 2024 wird es dann zusätzlich auch mit neuen Artists weitergehen. „Die Idee entstand als ich überlegte, zu welchem Label mein Sound passen könnte. Den EINEN Stil habe ich nicht. Zwar sind meine Tracks von meiner Handschrift geprägt und mit meinen eigenen Vocals auch unverkennbar Isabelle, aber ich würde gerne jedes Mal etwas Neues ausprobieren“.

Schnell gefiel ihr die Idee, ein eigenes Label zu gründen, auf dem sie neben der eigenen Musik auch andere Künstler supporten und offen sein könne für viele verschiedene Genres, Sprachen und Klänge. „Eines wird sich dabei aber wie ein roter Faden durch das Label ziehen: extremer Drive und Ausgefallenes. Ein wilder Markt, auf dem es unendlich viel zu entdecken gibt“. In diesem Rahmen geht dann im November auch Isabelles eigener Podcast Beat Bites an den Start. Das Ziel: die Idee des Labels mit einem passenden Mix pro Monat zu untermalen. „Im November startet der Mix mit Niereich aus Österreich. Ihr könnt gespannt sein.“

Podcasts und Labels haben eines gemeinsam: sie brauchen Musik. Eben jene Musik werden wir uns ein bisschen genauer anschauen. Denn Isabelle Beaucamp macht keine halben Sachen. Dafür aber bis zu sechs neue Tracks, noch bevor die Silvesterkorken knallen. „Angefangen hat alles mit der Empowering Speech an mich selbst, etwas Neues zu wagen, Ideen und Leidenschaft in ein Projekt zu stecken und Hürden für die Umsetzung nicht zu scheuen“. Mit ihrem Erstling „Lâche-toi“ habe sie sich selbst das Go für die eigene Musikproduktion gegeben. „Es soll ermutigen, direkt ins Herz treffen und irgendwo dort einen optimistischen powervollen Moment hinterlassen“.

„We Have A Dream“ sei dagegen ein Aufruf zu mehr Menschlichkeit und gegenseitiger Akzeptanz und damit leider relevanter, als man es sich wünschen würde. „Die Message zu respektvollerem Umgang wollte ich auf die Tanzfläche transportieren und habe dafür von 10 Freunden aus aller Welt, in ihrer jeweiligen Muttersprache, den gleichen Satz aufgenommen. Eine in die Zukunft interpretierte Version aus Martin Luther Kings Speech. Es ginge ihr bei dem Song um die Gleichbehandlung Aller, die Anerkennung der Würde eines Jeden Einzelnen und darum, dass Streit und Krieg auf diese Weise eigentlich verhinderbar seien. „Gerade beim Raven kann man diesen besonderen Moment der Einheit dafür nutzen“.

Harter Techno mit Shakespeare und Martin Luther King

Mit „Habibi“ wolle Isabelle dagegen ein eher extravagantes Lied schaffen, entstehend aus den Lyrics einer arabischen Liebeserklärung. „Mit meiner Vorliebe zu der wunderschönen arabischen Sprache und der orientalischen Kunst und Kultur wollte ich eine Symbiose entwickeln mit driving Trillerpfeifen und ravy Einkleidung in ein hartes Techno-Korsett. Der Track ergab für mich eine faszinierende Mélange aus Stilrichtungen und er steht somit auch sinnbildlich für die Idee meines Labels.“

Der experimentelle Track Nummer vier hört auf den lieblichen Namen „Dante’s Höllentor“, ist inspiriert vom italienischen Lyriker Aligheri und vereint zarte Stimme mit harter Lyrik. „Der Track spricht über Hoffnungen und über die Hölle und die Komplexität des menschlichen Daseins. Mit den düsteren Höllenklängen und der bewusst aufbauenden Melodie soll er letztlich die Göttliche Komödie in die heutige Zeit transportieren und optimistisch auflösen, da wir doch zum Glück überwiegend frei die Wahl des eigenen Handelns treffen können“, erklärt Beaucamp ihre Idee dahinter.

Spätestens bei „Rave in Peace“ gibt es dann die erste Collab mit einer Künstlerin, die noch lebt. Zusammen mit der spannenden Musikerin und Produzentin Lady Maru startet Isabelle einen Aufruf zur Wertschätzung von Kunst- und Kulturschaffenden und zur Liebe und Harmonie in der Gesellschaft. Der starke akzentuierte Rave Sound, der drückende Bass und die Trance-Melodie führen den Hörer in einen unbeschwerten Zustand der Eskalation, der über Vocals einen Aufruf für Frieden transportiert. Zudem stehen u.a. noch der Track „Worst poisons taste the sweetest“, eine Anlehnung an Shakespeares Romeo & Julia, in den Startlöchern, sowie eine Nummer, die Hip Hop Beats aus NYC in Techno einwebt. Man darf mehr als gespannt sein.

Foto: Yasmine Bennis

„Man möchte von der Musik nicht nur weggefegt, sondern auch mal umarmt werden“

Trotz des massiven Outputs ist Isabelle noch immer ein Produktionsfrischling. Umso spannender, ein paar Eindrücke von ihrer Arbeitsweise zu erhalten. „Am Anfang einer Idee arbeite ich etwas chaotisch und überschwänglich. Wenn ich einen kreativen Input spüre, während ich gerade irgendwo unterwegs bin, dann gehe ich nach Hause und fange an. Ich gehe eher impulsiv an Projekte heran. Wenn es mich packt, dann wende ich aber auch 110 % Energie für alle Feinheiten auf, sodass gerade unter Zeitdruck Besonderes entstehen kann“, berichtet sie.

Sie genieße es, jedes Mal aufs Neue dazuzulernen. Zwar sehe sie jede Art von Feedback als Chance – auch Kritisches – „Habe ich aber erst einmal eine Vision für einen Track entwickelt, dann gehe ich von alleine All-In und lasse alles andere für eine Weile liegen. Dann zählt nur noch der Track. Day & Night“. Am Ende jeder Produktion spüre sie eine große Erleichterung. „Das Ding dann im Club selbst abzufeuern und Reaktionen in der Crowd zu beobachten, die ich selbst beim Produzieren empfunden habe, ist die schönste Amortisierung der hineingesteckten Energie“.

Eindeutig ist zu beobachten, dass Techno seit einigen Jahren ein großes Comeback im Mainstream feiert. Aktuell traut sich das Genre sogar aus der düsteren Ecke heraus und wird noch schneller und bunter. Wo andere sich fragen, ob eigene Produktionen an die Trends der Zeit angepasst werden sollten, lebt Isabelle Beaucamp das klare JEIN. Den EINEN Stil habe sie eben nicht. „Ich empfinde die größte Schönheit darin, auszuprobieren und Unkonventionelles zu wagen. Das Techno gerade härter, aber zugleich auch bunter und schneller wird, zeigt mir, dass vor allem auch junge Generationen zwar die geopolitischen sowie klimatechnischen Bürden spüren und in harten explosiven Sounds eine gewisse Entlastung empfinden. Gleichzeitig streben sie aber auch nach Unbeschwertheit. Lustige, poppig-bunte Elemente gemischt in diese harten Beats, das lässt einen aufatmen und freischwimmen. Man möchte optimistisch sein und von der Musik zwischendurch nicht nur weggefegt, sondern auch mal umarmt werden“.

Foto: Yasmine Bennis

Wie tickt der Mensch hinter den Decks und Kleidern?

Am Ende steht hinter all den Nachrichten und Bässen dann doch das grundmenschliche Bedürfnis nach Frieden und Liebe. Eine menschliche Sicht auf die Dinge, die dazu verleitet, den Menschen Isabelle noch ein wenig besser kennenzulernen. „Ich springe und tanze viel hinter dem Mischpult, weil ich die Musik selbst so sehr spüre. Ich mixe spontan, lasse mich auf den Vibe der Menge körperlich sowie musikalisch voll ein. Aber gleichzeitig gibt es auch eine ruhige Isabelle, die Gemütlichkeit, Zeit mit Freunden und Familie sowie melancholische Musik und den grauen Berliner Winter liebt“.

Trotz all ihrer jüngsten Erfolge verfolge sie keinen Masterplan. Wie also definiert sie Erfolg für sich? „Das ist eine interessante Frage, denn Parameter wie Geld und Reichweite würde ich für mich persönlich gerade in der Musikwelt nicht unbedingt wählen. Eher, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Mir geht es weniger um Perfektion, als um das Freileben lassen von Ideen und Kreativität“. Kreative Ströme freizusetzen und damit etwas Neues auf die Beine zu stellen, das sei Erfolg für sie. „Dafür braucht es Ideen, unfassbar viel Motivation und Ausdauer“. Es sei somit anstrengend nach dieser Definition erfolgreich zu sein, es hänge aber gleichzeitig auch mehr von ihr selbst als von äußeren Faktoren ab.

Sich auf die Wünsche, Eigenschaften und Gefühle der eigenen Persönlichkeit zu konzentrieren ist auch Teil ihrer Musikproduktion. „Einen Song zu entwickeln, bedeutet immer tief in sich zu schauen und alles rauszuholen an Energien, Ideen und Emotionen. Wenn der Track dann fertig ist, habe ich viele schlaflose Nächte hinter mir und fühle mich kurz leer getankt, weil ich alles von mir in diesen Track gegeben habe“. Somit sei aber jedes ihrer Lieder sehr individuell fühlbar für sie selbst.

Foto: Sven Marquardt

Beaucamp – jetzt erst recht!

Wo gerade die Rede von Energien und leeren Tanks ist, wollen wir neben all den erwähnten Meilensteinen Isabelles DJ-Kalender nicht ignorieren. Immerhin durfte sie dieses Jahr bereits bei Top-Events wie Rave The Planet, Free Your Mind und Co. gastieren. „Auf einem derart großen und renommierten Festival wie FYM zu spielen, auf so einer herausragenden Bühne wie Complex Maastricht und Thuishaven Amsterdam performen zu dürfen – das waren Chancen, für die ich wahnsinnig dankbar bin. Bei Rave the Planet mit meinen Freunden als Support sogar einen eigenen Wagen zu haben und das Line Up selbst zusammen stellen zu dürfen war ebenfalls eine ganz einmalige, wundervolle Erfahrung“. Ihr Herz und ihre Seele bleibe aber die Ehrenklub-Serie. „Dort fühlt sich einfach alles wie eine Familie an. So einen lokalen Support erfahren zu dürfen ist ein großes Geschenk.“

Zudem bekomme sie Residency-Support im Wiener Exil Club, bei Cieloterra in Rom und bei Symbiotikka im KitKat Berlin. „Letztlich muss ich sagen, jeder Gig kann ein Highlight sein, weil es wirklich auf die Menschen ankommt, die dort mit einem zusammen dem Abend gestalten. Das sind allen voran die Gäste. Da kann der Club noch so klein sein und noch so fern abgelegen liegen. Der Vibe zu den Ravern gibt mir Alles. Deshalb freue ich mich aktuell zum Beispiel ganz besonders auf eine extrem motivierte Crew von Ecstatic Rave in Montenegro“. Ihr merkt, wir sind beim Blick in die Zukunft angekommen und an dieser Stelle überrascht es dann auch nicht mehr, dass Isabelle noch weitere kleine Bomben platzen lässt.

„Anfang des neuen Jahres startet mein Showcase, Isabelle Beaucamp invites… u.a. im legendären Bootshaus in Köln. Weitere Editionen hiervon wird es auch in Wien im Exil geben und an vielen weiteren internationalen Orten. Zudem wird es Label Nights geben, auf die ihr gespannt sein könnt“. Sie freue sich außerdem auf die kommende Festival-Saison und zeitnah ganz besonders auf ihr erstes All-Night-Long im Kölner Odonien, am 15. Dezember. Neben ihrer Modekollektion gehe zudem gerade auch bereits eine Accessoire-Kollektion in die Werkstatt. „In modischer Hinsicht wird es eine weitere spannende Collab-Kollektion mit einer etablierten Techno Brand geben, in Gemeinschaft mit einem sehr geschätzten Kollegen der Hard-Techno-Szene“. Mit wem genau verrät Isabelle uns noch nicht. Wir sind gespannt wie lange sie ihren nächsten Meilenstein für sich behalten kann.

Aus dem FAZEmag 141/11.2023
Text: Scharsigo
Fotos: Sven Marquardt, Yasmine Bennis
www.instagram.com/isabelle_beaucamp

 

Isabelle Beaucamp feiert Debüt mit massivem Erfolg auf Beatport