Jayda G – Intimste Einblicke

Jayda G – Intimste Einblicke / Foto: Nabil Elderkin

Ihr Debüt-Langspieler aus 2019 schien bereits den passenden Titel zu haben, der die darauffolgenden vier Jahre perfekt beschreibt. Denn „Significant Changes“ gab es im Leben von Jayda G im Übermaß. Die Kanadierin avancierte in den letzten Jahren zu einer der gefragtesten Akteurinnen im House-Genre, wurde in dieser Zeit für ihre Single mit Fred Again.. für einen Grammy nominiert, veröffentlichte zahlreiche Hit-Singles, remixte Künstler*innen wie Taylor Swift und Dua Lipa, lieferte eine gefeierte Ausgabe der „DJ-Kicks“ und bespielte die renommiertesten Clubs und Festivals weltweit, darunter das Glastonburry und das Coachella. Auch ihre Jugendliebe heiratete sie im selben Haus, in dem einst ihre Eltern heirateten. Nun meldet sich Jayda Guy, wie die Klimaaktivistin mit bürgerlichem Namen heißt, mit einem beeindruckenden neuen Album zurück, das am 9. Juni auf Ninja Tune erscheint. Auf den insgesamt 13 Titeln rücken sowohl ihre eigene Stimme als auch die eigenen Lyrics stärker in den Mittelpunkt als je zuvor. Sie frönt dabei ihren House-, Disco-, R&B- und Soul- Wurzeln und betont gleichzeitig ihr Feingefühl als Pop-Songwriterin, durchsetzt mit Archivaufnahmen ihres verstorbenen Vaters, William Richard Guy. Diese Aufnahmen – von denen es nahezu ein Dutzend Stunden gibt, die kurz vor seinem Tod gemacht wurden, als Jayda G gerade einmal zehn Jahre alt war – bilden das Fundament der Erzählung des Albums und fangen einen kleinen Schnappschuss der amerikanischen Erfahrung ein, erzählt aus der Perspektive eines jungen afroamerikanischen Mannes. Einige Sequenzen sind auch Teil der jeweiligen Musikvideos. Wer nun ein melancholisches oder gar trauriges Album erwartet, wird vom Ergebnis überrascht sein.w

Jayda, wie würdest du die letzten vier Jahre in deinem Leben beschreiben?

Wow, das ist wirklich schwierig. Ein Album veröffentlicht, eine Pandemie überlebt, für einen Grammy nominiert worden, wieder angefangen zu touren, ein paar weitere Singles herausgebracht, die größten Shows meiner Karriere gespielt, Musik produziert, die meine Seele und mein Herz berührt haben, und eine Dokumentation über aktuelle Umweltprobleme gemacht. Klingt nach einem halben Leben, oh mein Gott (lacht).

In der Tat, der Hype um deine Person ist enorm. Wie, würdest du sagen, hast du dich in dieser Zeit als Künstlern verändert und entwickelt?

Ich glaube, mein Sound hat sich in dieser Zeit sehr verändert. Meinem Gefühl nach habe ich mich sehr dem Lo-Fi-House-Sound gewidmet, was auch viel mit neuen Skills im Studio zu tun hatte. Ich habe mit vielen Leuten gearbeitet, die mir Sachen beibringen konnten. Es ist mir wichtig, mich immer wieder neu herauszufordern und mich nicht zu wiederholen. Und ich denke, das hört man auch auf dem neuen Album. Es ist eine Art Spiegelbild der letzten vier Jahre, voller neuer Eindrücke. Und auf persönlicher Ebene? Ich habe geheiratet. Und ich glaube, die Pandemie hat uns alle etwas verändert bzw. beeinflusst. Die Pause hat mir die Möglichkeit gegeben, mich für einen Moment zurückzuziehen, um darüber nachzudenken, wie ich das Album angehen möchte. Ich wusste, ich möchte es machen. Ich wusste auch, dass mein Vater mir dieses zehnstündige Videomaterial hinterlassen hatte und ich hatte schon lange die Absicht, etwas damit zu machen. Aber ich wusste nicht wirklich, wo und wie ich starten sollte.

Das Album ist eine Art Hommage an deinen Vater, sein Leben und deine Beziehung zu ihm. Aber auch deine Großmutter ist ein Teil davon. Wie emotional waren die Stunden und Tage im Studio?

Naja, ich war zehn Jahre alt, als mein Papa verstorben ist. Es war nicht so, dass ich diese Videos erst kürzlich entdeckt habe. Ich kannte sie also schon eine Weile und habe ihn dadurch auch ein großes Stück kennengelernt mit der Zeit. Er war damals schon länger krank, und wir wussten, dass er irgendwann versterben würde. Also nahm er diese Tatsache selbst zum Anlass, Videos aufzunehmen und über seine Sicht aufs Leben zu philosophieren. Eine wunderbare Idee von einem wahnsinnig tollen Mann, auf diese Art und Weise einige tolle Momente und Erinnerungen zu hinterlassen. Zwei Jahrzehnte nach seinem Tod kam mir die Idee, dieses Material in meine Musik zu integrieren.

Im Musikvideo zu „Circle Back Around“ sind Teile der Videos zu sehen bzw. hören. Viele Künstler*innen erzählen uns von intimen und sehr persönlichen Werken, wohl noch nie hat jemand allerdings solch tiefe Einblicke geboten.

Ja, die Videos zeigen extrem intime und private Momente aus meinem Privatleben. Und natürlich habe ich lange darüber nachgedacht, ob ich diese Momente mit der gesamten Welt teilen möchte bzw. wie viel davon angebracht ist, welche vielleicht zu privat sind? Aber ich bin generell ein sehr offener Mensch und eine Art offenes Buch. Hätte ich mir persönlich Grenzen oder Limits auferlegt, wäre dieses Projekt viel zu kompliziert geworden. Es war mir wichtig, seine, meine, unsere Geschichte unverfälscht und so transparent wie möglich zu erzählen. Und ich hoffe, dass irgendjemand dort draußen sich ein Stück weit selbst in dieser Person wiedersieht. Ich habe es in jedem Fall getan – ihn zu sehen und darin mich selbst zu entdecken, war einer der pursten Momente für mich. Ich persönlich bin der Meinung, wir in der westlichen Gesellschaft könnten den Tod viel öfter und direkter thematisieren. Es ist eine Art Tabu-Thema, vor allem in der Dance-Szene. Ich kenne in dieser Industrie tatsächlich niemand anderen, der das Thema jemals aufgegriffen hat. Ich weiß nicht mehr genau, wann und wo ich das gehört habe, aber jemand hat mal gesagt, Kummer sei nichts anderes als Liebe, die ihren Platz nicht bzw. noch nicht gefunden hat. Und dieser Vergleich lässt sich ganz gut bei diesem Album anwenden, wie ich finde. Die Zeit im Studio war natürlich sehr hart und emotional, ich hatte meinen Therapeuten quasi auf Kurzwahl in meinem Handy. Es war eine sehr intensive Reise in meine Vergangenheit, die teils auch sehr interessant war. Als Kind denkt man ja immer, Erwachsene wüssten alles. Wenn man dann selbst erwachsen wird, stellt man plötzlich fest, Erwachsene wissen eben nicht alles und stolpern wie alle anderen in ihrem Alter durchs Leben, mit allen Haken und Problemen, die es nun einmal gibt. Durch diese Videos habe ich meinen Papa und auch mich sehr gut kennen- und verstehen lernen können. „Ich wollte, dass das Album eine Mischung aus Storytelling über die afroamerikanische Erfahrung, Tod, Trauer und Verständnis ist.“

Die Worte deines Vaters im letzten Teil des Videos zur eben genannten Single sind sehr emotional: „Vielleicht ist das der Grund, warum wir hier sind, um zu lernen, wie wir uns gegenseitig begleiten und lieben können.“ Wenn man an Jayda G denkt, denkt man an eine immer lächelnde und freundliche Künstlerin. Hat dein Vater dir dies mitgegeben?

Wenn mein Papa mir eine Sache mitgegeben hat, dann tatsächlich mein Lächeln und meine Positivität. Ich glaube, er hat seine positive Art gelernt bzw. erlernen müssen. Das Hauptthema bei diesem Album ist ja das Leben an sich und alles, was darin passieren kann – sowohl positiv als auch negativ. Und ich glaube fest daran, dass man immer eine Wahl hat. Die Wahl, was man aus den Ereignissen im Leben macht und wie sehr sie einen als Mensch formen. Mein Vater ist in absoluter Armut aufgewachsen, an einem Ort, von dem er wusste, dass er definitiv etwas Besseres im Leben wollte. Und ich glaube, in einer Zeit ohne Internet, Handys und die Möglichkeit, so schnell und einfach an Informationen zu kommen, so wie wir es heute können, gehört schon eine Menge Mut dazu, für Verbesserung zu kämpfen. Ohne dabei wirklich zu wissen, wo und wie diese zu finden ist. Ich bin ein großer Verfechter von der Idee, dass man für seine Träume immer einstehen sollte. Als mein Vater Anfang 40 war, musste er seine Selbstständigkeit aufgeben, er war Dachdecker. Und statt in seinem Dilemma den Kopf in den Sand zu stecken und evtl. einen schlechteren Job anzunehmen, hat er sich dazu entschieden, die Schulbank zu drücken. Er wollte Sozialarbeiter werden und hat alles dafür Notwendige getan. Diese Werte haben sehr auf unsere Familie abgefärbt und positive Spuren hinterlassen.

Ebenfalls positive Spuren wird hoffentlich die Dokumentation „Blue Carbon“ hinterlassen, die du moderierst und die Ende des Jahres erscheint. Du bist generell sehr aktiv beim Thema Klima. Erzähle uns mehr dazu.

2022 stand ganz im Zeichen von zwei großen Projekten, meinem Album und dieser Dokumentation. Und ich könnte nicht stolzer auf das Ergebnis sein. Die Premiere ist für September angesetzt. Es geht in der Doku um blauen Kohlenstoff, der aus drei Ökosystemen besteht: Mangrovenwälder, Salzwassersümpfe und Seegraswiesen. Alle diese Ökosysteme sind wirklich gut darin, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu ziehen und im Boden zu speichern. Diese Ökosysteme erstrecken sich über alle Kontinente – mit Ausnahme der Antarktis – und können mehr Kohlenstoff aufnehmen als tropische Regenwälder. Der Film verschafft einen Rundumblick auf die aktuelle Situation, was jeder Einzelne, aber auch die Regierungen dieser Welt tun können, um zu helfen. Der Klimawandel ist nicht etwas, das einfach so passiert. Der Klimawandel ist eine Art natürliche Gerechtigkeit zu menschengemachten Problemen und Systemen, die so nicht mehr länger funktionieren. Besonders bei uns in den Staaten gibt es viele Systeme, die sich nicht um den Menschen sorgen. Wir brauchen daher andere Systeme. Welche Menschen können uns diese liefern? Wenn man zu oft an dieselbe Tür desselben Systems klopft, sind die Antworten nach einer Zeit rein auf diesen Typ Menschen zugeschnitten, ohne Rücksicht auf Verluste. In dem Film gehen wir auf die Suche, wie groß z.B. unsere Hoffnung auf die Zukunft sein kann, wenn wir es jetzt noch schaffen, die Ruder rumzureißen. Wir werden mit dem Film so ziemlich alle relevanten Film-Festivals bereisen, ehe er im Herbst auf CNN seine Premiere feiert. In Europa wird er natürlich auch zu sehen sein.

Es ist Sommer in Europa, welche Highlights stehen auf deiner Agenda?

Ich freue mich wahnsinnig auf das Field Day Festival in London am 19. August, der Stadt, die ich mittlerweile auch meine Heimat nennen darf. Darüber hinaus spiele ich sämtliche Primavera-Shows in diesem Jahr, das wird großartig. Auf Ibiza werde ich natürlich auch oft sein, ich habe eine Residency bei Glitterbox mit Defected. In Deutschland habe ich kürzlich in der Panorama Bar gespielt. An einem Sonntag von 13 bis 17 Uhr. Ich war so unglaublich aufgeregt. Der VJ hat einige Male die Jalousien geöffnet und immer wieder für magische Momente gesorgt. Ich kann es kaum erwarten, wieder kommen zu dürfen.

Aus dem FAZEmag 136/06.2023
Text: Rafael Da Cruz
Foto: Nabil Elderkin
www.instagram.com/jaydagmusic