Joe Goddard – No Ego

Joe Goddard – No Ego

Hot-Chip-Frontmann Joe Goddard hat nachgedacht – über das Denken selbst. Für sein drittes Soloalbum „Harmonics“, das mit vielen spannenden Kollaborationen gespickt ist, hat der 44-Jährige einen Ansatz gewählt, der ihn intuitiver und einfühlsamer mit der Musik in Kontakt kommen ließ, ohne Musik und Mitwirkenden eine Bedeutung aufzuerlegen. Seinem emotionalen Instinkt folgend hat der Brite 14 Stücke mit Einflüssen aus UK-Garage, House, Hip-Hop, Pop und Disco kreiert, die Raum für eine bunte Varietät an internationalen Feature-Künstler*innen ließen und somit eine der essenziellen Facetten des Albums offenlegen: die Zusammenarbeit und Akzeptanz der individuellen menschlichen Nuancen.

Im Vergleich zu den Vorgängeralben „Harvest Festival“ (2009) und „Electric Lines“ (2017) ist „Harmonics“ das fundierte Ergebnis einer intuitiven Herangehensweise an die Musik. Zu seiner Entscheidung für diesen Ansatz sagt der Londoner: „Der Auslöser war die Arbeit im Studio mit vielen anderen Musiker*innen – ich habe gesehen, wie sich das Ego auf einen Song auswirkt; manchmal gerät die Entstehung eines Songs durch eine Art egoistisches Denken völlig aus den Fugen oder das Kommerzielle zu sehr in den Vordergrund. Eine Person will sich dann meist durchsetzen, um den Prozess zu kontrollieren, was sich kontraproduktiv auf die Qualität des Stücks auswirkt. Davon wollte ich Abstand nehmen.“
Wenn Joe Goddard seine Beobachtungen schildert, lassen sich diese schnell auch in einen globalen Kontext setzen. „Ich wollte, dass das Album unschuldig, sanft und farbenfroh ist, vor allem im Gegensatz zur brutalen Natur des modernen Kapitalismus, der die Gier über alles stellt – ich wollte, dass die Musik eine Erinnerung daran ist, dass stattdessen Empathie und Menschlichkeit Priorität haben sollten“, erklärt er und liefert die perfekte Erklärung für die Wahl des Albumtitels gleich mit.

Afro-House mit Eno Williams, Boom-Bap-Rap mit dem britischen Rapper Oranje, Low-Slung-House mit Hayden Thorpe oder Jazz mit Alabaster Deplume: Zum bunten Farbspektrum auf „Harmonics“ trägt in erster Linie die Mixtur an Kollaborationen bei, darunter auch die Zusammenarbeit mit der Newcomer-Sängerin Findia, über die Joe Goddard sagt: „Die Arbeit mit ihr war wirklich faszinierend, weil sie eine sehr natürliche und kreative Fähigkeit zum Songwriting hat; eine spielerische und fantasievolle Art, mit Texten umzugehen, die mich an Kate Bush erinnert.“
Doch neben all den Features mit Goddards Hot-Chip-Bandkollegen Alexis Taylor und AI Doyle, Tom McFarland von der Londoner Erfolgs-Dance-Pop-Gruppe Jungle oder mit dem guineischen Sänger Falle Nioke gibt es auch eine Handvoll Solo-Songs („Follow You“, „On My Mind“, „Out At Night“) auf „Harmonics“, die nachdenklicher und introvertierter erscheinen und einen kleinen, aber nicht unerheblichen Kontrast zum euphorischen Charakter der Kollaborationen markieren. „Ich habe versucht, Texte zu schreiben, ohne eine allzu genaue Vorstellung davon zu haben, was ich ausdrücken will, ich schreibe einfach dem Strom des Bewusstseins folgend“, so Goddard, der im Rahmen seiner Europatour am 20. November in der Kuppelhalle in Berlin auftreten wird. Und sonst so? „Es stehen Festivals, viele Aufnahmen mit vielen verschiedenen Künstler*innen, eine EP in Zusammenarbeit mit Kaitlyn Aurelia Smith, eine EP mit cluborientierter Musik und neue Releases auf Greco Roman Music an.“ Bis dahin erfreuen wir uns aber erst einmal an „Harmonics“.

Tracklist:

A1. Moments Die
A2. Progress
A3. Destiny
A4. New World (Flow)
B5. When Love’s Out Of Fashion
B6. Follow You
B7. On My Mind
C1. Summon
C2. When You Call
C3. Out At Night
D4. Mountains
D5. Ghosts
D6. Miles Away
D7. Revery

Hier könnt ihr in die aktuelle Single „Follow You“ reinhören:

„Harmonics“ erscheint am 12. Juli auf Domino Records.

Aus dem FAZEmag 149/07.2024
Text: M. T.
Crédit: Louise Mason
www.joegoddard.co.uk