Joplyn – Träume und Noten

Joplyn – Träume und Noten / Foto: Olaf Heine

Gepaart mit dem für sie typisch zerbrechlichen, melodischen Gesang entfalten sich die teils treibenden, deepen Produktionen mit ihren Beats und Synthies in abstrakte und einnehmende Klangwelten. Mit diesen bespielte Joplyn in diesem Jahr bereits renommierte Venues wie das Village Underground London, eine Residency im Hï auf Ibiza, wo sie regelmäßig mit Damian Lazarus und Black Coffee die Stage teilte, sowie die Bühnen auf vielen weiteren Festivals und Shows in Deutschland, Griechenland, Türkei, Rumänien, England, Spanien und Dubai. In diesem Herbst setzt die Berlinerin zu ihrer zweiten Tour in den USA an. Mit „Sant Jordi“ veröffentlicht die Songschreiberin, Produzentin und Sängerin mit deutschen, vietnamesischen und kanadischen Wurzeln nun ihren zweiten Langspieler. Veröffentlicht wird das Werk am 4. November auf dem Label None Of The Above Berlin. Das Album ist zeitgleich eine Hommage an ihre Zeit auf Ibiza sowie ein Zeugnis ihrer musikalischen Weiterentwicklung. Auf elf Titeln thematisiert Joplyn Themen wie Zeit, Erinnerung, Verliebtheit, nach Hause kommen, sich im Moment verlieren.

Joplyn, wie fühlst du dich mit dem fertigen Werk?
Es fühlt sich für mich zwar alles andere als fertig an, aber ich glaube, das kann jeder „Künstler“, whatever that means, gut nachvollziehen. Die Songs haben nach der Abgabe im März schon wieder sowas von ihr eigenes Leben angenommen durch Live-Edits, Remixe und mehr, dass die Form, in der sie jetzt auf dem Album zu hören sind, sich für mich wie eine Art Zeitkapsel anfühlt, zurück zum Anfang des Jahres. Und das ist irgendwie schön.

Lass uns vorne beginnen, wie und wann entstand die Idee, einen Nachfolger zu „Pappelallee“ zu schreiben?
Ich sage immer „Nach dem Album ist vor dem Album“. Die Idee war vielmehr eine logische Weiterführung und Bündelung der kreativen Masse, die nach „Pappelallee“ so aus mir rauskam. Trotzdem habe ich mich dieses Mal zeitlich und örtlich eingegrenzt und wirklich alles auf einmal innerhalb von zwei Monaten geschrieben, aufgenommen und produziert. Das war eine neue Herausforderung, die ich mir so noch nie gestellt hatte.

Entstanden ist das Album demnach in Sant Jordi, einem Stadtteil auf Ibiza. Wie sehr hat dich diese Gegend beeinflusst und inspiriert?
Ich habe mir dort mit einer Freundin ein Häuschen gemietet im Januar und Februar. Es war das erste Mal für mich, dass ich so eine lange Zeit an einem anderen Ort außerhalb von Berlin verbracht habe. Es war für mich ganz neu, Ibiza während der Off-Season zu erleben. Die Insel war im Winterschlaf, man hat nur Ibizenko bzw. Katalan auf den Straßen gehört, wenn man überhaupt etwas gehört hat. Es gab eine Handvoll Restaurants, die auf der ganzen Insel geöffnet waren. Für mich war es diese Art Ruhe und Abgeschottetsein, die das Album vor allem inspiriert haben.

Später im Jahr sollte die Insel auch weiterhin eine Art Zuhause bleiben …Das stimmt, ja, ich habe dieses Jahr dort insgesamt mehr Zeit verbracht als in Berlin und so viele Freunde dort, dass ich sie immer vermisst habe, sobald ich die Insel verlassen musste. Ich hatte diese Saison meine erste Residency, mit Black Coffee und Damian Lazarus, im Hï, und habe auch sonst Gigs in Clubs wie dem Pacha oder Cova Santa gespielt und so viele schöne Erinnerungen dort machen dürfen. Fern von den Gigs ist Ibiza für mich die Kristallküste im Norden, die sämtlichen Tropfsteinhöhlen, die Reitausritte mitten im Nichts – die wunderschöne Natur, die schon fast als eine Art Gegenstück zur exzessiven und verrückten Partykultur fungiert.

Wie, würdest du sagen, hat sich der Prozess im Studio verändert bzw. entwickelt, im Vergleich zum ersten Album?
Der Prozess ist immer noch der gleiche. Ein „Trigger“, das kann eine Melodie, Text, Beat oder Sample sein, kommt meist aus dem Nichts, und schreit nur danach, „zu Ende erkundet“ zu werden. Auf dem Weg verläuft man sich dann ein paar Mal, nimmt Umwege, oder biegt auch mal komplett falsch ab. Oder man hat auch mal eine komplette Identitätskrise, bis man am vermeintlichen Ziel ankommt. Es ist wie ein großes Puzzle, was einem in den Schoß fällt, und vor allem meist, wenn man es am wenigsten erwartet. Zum Beispiel unter der Dusche, im Flieger, unterwegs mit Freunden; immer wenn man das Gehirn ein bisschen wandern lässt. Das meiner Meinung nach Entscheidende ist immer noch das Einfangen dieses initialen Triggers. Das war bei „PAPPELALLEE 01“ so, genauso wie bei „SANT JORDI 02“, genauso wie bei Album X. Und wird sich wahrscheinlich auch nie ändern.

Wie beschreibst du selbst deine eigene musikalische Entwicklung?
Ich bin nach wie vor tief in der Soundfindung. Dieses Album ist im Gegensatz zum ersten definitiv „größer, tanzbarer“ und auch Festival-tauglicher. Ein Wort, das ich immer gerne benutze, um „SANT JORDI 02“ zu beschreiben, ist „Melanphoria“ – eine Mischung zwischen Melancholie und Euphorie, die ich bei der Kreation des Albums verspürt habe, und das hört man, finde ich. Ich bewege mich oft zwischen Moll- und Dur-Tonarten und auch textlich habe ich vor allem über Themen wie Erinnerung, Nostalgie und Zeit geschrieben.

Wie wirkt sich das Album auf deinen Live-Act im Club aus?
Live im Club spielen, ist immer so eine Sache. Dort kommt dann die gute alte Debatte „Kunst vs. Funktionalität“ auf. Man muss diese beiden oft konträren Welten irgendwie vereinen und am besten eine Erfahrung schaffen, die größer ist als die Summe ihrer Teile. Oft sind die Leute extrem geflasht, wenn ich den ersten Ton singe, weil sie es einfach gar nicht erwarten. Ich habe durchs Singen den Vorteil, eine Emotionalität in den Club zu bringen, die ein DJ schwer hat zu erreichen. Dafür braucht man als Live-Act vielmehr diese „Take it or leave it”-Attitude. Wenn eine Crowd mit der Musik, die du als DJ auflegst, nicht „connectet“, ist es dein Job, die Leute durch andere Musik wieder einzufangen. Als Live-Act hat man diese Option nicht. Und das macht das Ganze natürlich oft um einiges schwerer. Aber nicht unschaffbar.

Erzähle uns mehr zu J.O.P., eine virtuelle Erweiterung von dir selbst.
Glad you asked! J.O.P. ist in der Tat eine digitale Erweiterung von mir selbst. Da ich viele Songs oft auf der Grundlage von Träumen, die ich geträumt habe, schreibe, sind die Dinge, über die ich singe, oft sehr visuell. Die Idee zu J.O.P. kam mir aufgrund eines bestimmten Songs, „STAINS“. Dort befand ich mich in einem Traum in einem Raum gefüllt mit Überbleibseln meiner Erinnerung bzw. meines Unterbewusstseins. Daraufhin kam mir die Idee, für jeden Song des Albums eine Art visuelle Begleitung bzw. Erklärung zu erstellen, die man zukünftig dann auch live als Visuals benutzen bzw. auf Social Media teilen kann, um die Musik noch auf einer weiteren Ebene erlebbar zu machen. Mittlerweile ist es so, dass ich „Referenzvideos“ drehe und schneide, bestehend aus eigenen Videos und Stock-Footage, die genau darstellen, was ich mir vorstelle. Meine ultra-talentierte Freundin Amy Brutton verwandelt diese Videos dann Frame by Frame in die J.O.P.-Animationen. Wir haben lange an dem Animations-Stil/Aussehen/Farbigkeit etc. von J.O.P. getüftelt. Es ist einer meiner vielen Projekte, auf die ich besonders stolz bin.

Der Herbst ist da und die Clubsaison startet, du wirst im November einige Termine in den USA spielen, korrekt?
Yeah! Im November mache ich meine zweite kleine Tour in Amerika, nachdem ich im August zum ersten Mal rüber bin und die ersten paar Shows vor amerikanischem Publikum gespielt habe. Das war total skurril, vor allem im Vergleich zu Europa. Alles ist größer, mehr, extremer. Ich freue mich, bald wieder da zu sein. Sonst gestaltet sich die nächste Zeit eher ruhiger im Vergleich zu den Sommermonaten. Ich freue mich, wieder mehr Zeit im Studio zu verbringen und Musik zu machen. Das ist etwas, was unter dem ganzen Touren natürlich leidet. Letzte Woche hatte ich eine meiner ersten „freien“ Wochen dieses Jahr und habe direkt drei neue Songs hintereinander fertig gemacht. Es gibt anscheinend viel in mir, das darauf wartet, freigelassen zu werden. Nächsten Januar und Februar setze ich mich dann an Album Nr. 3 und ziehe dafür nach L.A. für einen Kick neuer Inspiration. Genauso wie ich es dieses Jahr mit Sant Jordi, Ibiza, gemacht habe. Das heißt, das dritte Album wird dann auf jeden Fall nach einem für mich besonderen Ort an der Westküste benannt (lacht). Und ich freue mich schon so darauf, es zum Leben zu erwecken.

Aus dem FAZEmag 129/11.2022
Text: Triple P
Foto: Olaf Heine
www.instagram.com/joplynberlin