Mausio – Unzensierte Emotionen

Foto: Marcel Carstens

Unmittelbar vor der Pandemie erlebte Claudio Mikulski alias Mausio seinen Durchbruch. Sein gefeiertes Debütalbum „Censored“ landete in unserem Jahresvoting 2018 auf dem dritten Platz und im Durchstarter-Ranking belegte er die zehnte Position. Zu Recht, wie sich in den Folgemonaten herausstellen sollte. Im Frühjahr 2020 unterschrieb Mausio einen Vertrag bei Warner Music, ehe nur wenige Tage später die Welt von der Corona-Pandemie auf den Kopf gestellt wurde. Die Auszeit verbrachte der Bonner mit der intensivsten Studiozeit seiner noch jungen Karriere. Zeitgleich durchlebte der Rheinländer eine Achterbahn der Emotionen, die er allesamt in das neue Werk packte. Groß war die Vorfreude bei seinen Fans, als er das Album im Frühjahr dieses Jahres mit einem beeindruckenden Prolog-Video aus Island ankündigte. Das fertige Album erscheint am 7. Oktober mit dem Titel „unCENSORED“. Auf 15 Titeln machte sich Mausio frei von jeglichen Erwartungen und Druck und beweist, auf welches Level er seine produktionstechnischen Fähigkeiten heben konnte. Für die Tracks, die teilweise schon veröffentlicht wurden, hat er mit Sänger*innen und Songwriter*innen aus der ganzen Welt gearbeitet. Schon jetzt zählt Spotify wahnsinnige 85 Millionen Streams auf seine Titel, in denen er Einflüsse aus Hip-Hop, Dubstep und Minimal-Techno zum „Future-Techno“ verschmelzt, wie er es nennt. Lest mehr dazu in unserem Interview.

Claudio, wie geht es dir aktuell und wo befindest du dich?

Hey! Ich bin in Bonn in meiner Wohnung, frisch von der Festivalsaison zurück und mitten in meiner aktuellen Promo-Phase zum Album und der Album-Tour. Gerade ist alles superstressig. So ein Album ist eine unglaubliche Menge an Arbeit und jetzt laufe ich quasi gerade das letzte Viertel dieses Marathons. Wir hatten gerade ein Meeting mit meinem Team und haben festgestellt, dass der Projektordner zur Planung, ohne die Tracks und Stems, schon über 1.200 Dateien und 35 GB hat. Einfach verrückt, wie vielschichtig so ein Projekt ist, wenn man bedenkt, dass ich ja eigentlich „nur“ Musik machen möchte.

Mit elektronischer Musik bist du erstmals durch Skrillex’ „Scary Monsters and Nice Sprites“ in Verbindung gekommen – wer bzw. was hat dich damals besonders beeinflusst?

Meine ersten Einflüsse beginnen mit Hollywood Hank, aber auch die Sachen von Nero und Feed Me waren sehr prägend für mich. Vor allem lag meine Motivation darin, dass ich immer meine eigene Musik spielen wollte. Daher habe ich erst angefangen, mir das Produzieren beizubringen, bevor ich überhaupt daran gedacht habe aufzulegen. Auch heute sehe ich mich in erster Linie als Produzent und nicht als DJ.

Und scheinbar hast du ein außerordentliches Talent dafür. Dein Debütalbum 2017 landete bei uns auf Anhieb auf Platz drei. Wie rekapitulierst du deine Anfänge?

Die Zeit war definitiv aufregend. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich von der Platzierung erfahren habe und meinen Manager aus dem Urlaub angerufen habe. Das war die Zeit, in der alles so richtig losging und Fahrt aufgenommen hat. Eine unfassbar spannende und lehrreiche Zeit, aber das Projekt war viel kleiner, was vieles auch unkomplizierter gemacht hat. Mittlerweile ist das Ganze ja eine richtige Firma geworden und das Team wächst und wächst immer weiter. Abgefahren, wenn man so darüber nachdenkt, dass ich zu Hause bei meiner Mama im Kinderzimmer angefangen habe.

Du selbst nennst dein Genre „Future-Techno“. Wie, würdest du sagen, hat sich dein Sound entwickelt?

Mein Sound entwickelt sich jeden Tag weiter. Was einfach damit zusammenhängt, dass ich immer neues lerne und mich selbst herausfordern möchte. Bei meinem ersten Album hatte ich ganz andere Ansprüche an mich, da ich mich einfach in meinen damaligen Möglichkeiten bewegen und mir das nötige Know-how mit der Zeit aneignen musste. Mittlerweile und auch durch das große Time-out der Pandemie habe ich so viel dazugelernt und meine Fähigkeiten im Studio so weiterentwickelt, dass ich mir ganz andere Dinge zutraue. Ich habe mich komplett von dem Druck mancher Fans und der Zuhörer*innen gelöst und starte bei jedem Song mit einem weißen Blatt Papier, das nichts von mir erwartet. So kann ich mich komplett entfalten und die besten Ergebnisse erzielen, wenn ich einfach das tue, was ich in diesem Moment wirklich fühle und empfinde und nicht das Gefühl habe, dass ich den nächsten Club-Song schreiben muss und gesagt wird „Kannst du diesen oder jenen Song nicht nochmal machen“. Das ist letztlich auf „alten Erfolgen“ rumreiten und keine Weiterentwicklung.

Im Frühjahr 2020 wurdest du von Warner unter Vertrag genommen, zeitgleich mit dem Start der Pandemie. Wie hast du diese Zeit erlebt?

Es war ein Potpourri an Gefühlen. 2019 hat grandios geendet, ich kam quasi aus dem Helikopter und von einer Silvester-Show im Bootshaus mit einem Major-Deal in der Tasche, direkt in das Pandemie-Loch, da ich im Januar und Februar 2020 mein erstes eigenes professionelles Studio gebaut und eine Studiopause eingelegt habe. Dann hatte ich zwei Shows und bin von da direkt in den ersten Lockdown. Das konnte ich zu dem Zeitpunkt gar nicht verarbeiten. Am Anfang dachte ich noch, „Ach, das geht nur ein paar Wochen“. Als ich dann aber gemerkt habe, dass sich alles immer weiterzieht, habe ich mich irgendwann mit meinem Management hingesetzt und wir haben lange besprochen, wie wir damit umgehen. Das war für mich ein komplettes Chaos an Gefühlen. Von Traurigkeit zu Unverständnis und Wut, als auch Erleichterung, dass man mal Zeit hat, an anderen Dingen zu arbeiten. Letztlich betrachte ich die Pandemie mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ohne die Pandemie hätte ich mein Album, dieses wunderschöne Lebenswerk, niemals so produziert, wie es jetzt klingt, und vermutlich wegen des vollen Tourplans auch niemals so „schnell“ fertiggestellt. Ich habe so viel Zeit im Studio verbracht wie noch nie. Ich vergleiche das immer mit einem Führerschein-Crashkurs. Ich habe in diesen zwei Jahren wahrscheinlich mehr gelernt als in den vergangenen zehn Jahren, das ist absolut crazy. Aber ich weiß auch, dass ich heute schon viel weiter in meiner Karriere wäre, wenn das Live-Geschäft stattgefunden hätte. Auftritte befeuern die Karriere ungemein und man kann seine Musik ganz anders ausdrücken. Das einzige Feedback, das ich in der Zeit hatte, waren ja nur Klickzahlen und keine echten Emotionen.

In deinem Prolog-Video zur Album-Ankündigung geht es am Anfang um „Struggle“ und Einsamkeit, zwei während der Pandemie omnipräsente Themen für viele. Wie sehr betrifft dich dieses Thema?

Mental Health ist ja gerade ein Thema, das sehr präsent ist, was ich sehr gut und wichtig finde. Immer mehr Künstler*innen sprechen offen über ihre Probleme oder nehmen sich eine Auszeit. Die Musikindustrie ist ein knallhartes Haifischbecken und man steht so oft unter Druck, muss in den seltsamsten Momenten 100-prozentige Leistung abrufen und alles, wirklich alles, was man tut, wird bewertet. Das ist oft nicht leicht und kann dazu führen, dass man an allem, was man tut und für was man einsteht, zweifelt. Ich bin da auch sehr sensibel. Ein bescheuerter YouTube-Kommentar von irgendeinem Internet-Rambo trifft mich viel mehr, als er sollte. Den Absender*innen ist oft nicht klar, was sie damit auslösen. Ich habe wirklich häufig mit meinen Gefühlen und Selbstzweifeln zu kämpfen. Wenn man die Festivalsaison als Beispiel nimmt, spiele ich dort vor über 10.000 feiernden und liebevollen Menschen. Die Energie ist unglaublich, wenn du siehst, wie viele Menschen du mit deiner Musik glücklich machen kannst. Das überträgt sich in diesem Moment komplett auf mich selbst und macht auch mich wunschlos glücklich. Allerdings hab ich dann auch oft diese Momente, meistens noch am selben Abend im Hotel, wenn ich im Bett liege, dass ich mich dann einfach wahnsinnig schlecht und einsam fühle, weil alles von mir abfällt. Ich habe das Gefühl, dass alles scheiße ist, und zweifle echt krass an mir. Obwohl ich ja alles habe, was ich immer wollte. Eine glückliche Beziehung zu meiner Partnerin, ein tolles, unverzichtbares Team, auf das ich mich zu 100 Prozent verlassen kann, ich kann von meiner Passion leben und habe echte Fans meiner Musik. Dafür bin ich so unfassbar dankbar. Ich würde trotzdem so oft am liebsten in diesen Situationen meinen Koffer packen und einfach nur noch diesen negativen Gefühlen entkommen. Diese extremen Kontraste zwischen beiden Empfindungen bekommt mein Verstand häufig nicht richtig verarbeitet.

Würdest du sagen, dass das neue Album das persönlichste und emotionalste Werk von dir bis dato ist?

Ein Album ist für mich immer ein Lebenswerk. Es bildet das Schaffen eines kompletten Lebensabschnitts ab und somit sind dort sämtliche Emotionen verarbeitet. Gute, aber auch traurige. Musik ist meine Möglichkeit, mich auszudrücken, und wenn ich dann ein ganzes Album über einen langen Zeitraum produziere und der ganze Prozess einen so lange begleitet hat, dann möchte ich auch, dass die Hörer*innen am Ende das Gefühl haben, mich dadurch ein bisschen besser zu kennen. Aber gerade dieses Album, was ja nicht umsonst den Titel unCENSORED trägt, zeigt mich auch genau so. Raw, real und uncensored.

Erzähle uns von dem Prozess während der Produktion.

Das war ein komplett dynamischer Prozess. Er startete in dem oben angesprochenen Lockdown 2020 und hat sich dann immer weiterentwickelt. Ich wusste ja nicht einmal, dass ich ein Album produziere, als ich es produziert habe. Auf einmal hatte ich dann zehn, zwölf, 14 Songideen und habe sie Stück für Stück ausgearbeitet. Plötzlich habe ich gesagt „Yo, ich weiß gar nicht, wann ich all diese geilen Songs rausbringen soll, ich will ein richtig cooles Album machen“. Mit richtig coolem Konzept und junge Künstler*innen dazu ermutigen, einfach ihr Ding zu machen und das zu tun, was einem Spaß macht. Ich meine zum Beispiel, welcher Künstler fliegt für eine Woche nach Island, um da seinen Albumtrailer zu drehen? Alles sollte zum Thema passen, alles sollte nicht nur auditiv schön sein, sondern eben auch visuell. Vorfreude aufs Album schaffen eben und was ganz Besonderes werden. Die Musikindustrie ist heutzutage ein riesengroßer Haufen an Datenmengen geworden, wenn man bedenkt, dass alleine 60.000 Songs täglich auf Spotify geladen werden. Da ist ja wirklich alles dabei. Ich wollte, dass mein Album etwas Bedeutendes wird und kein einfaches Konsumgut, angepasst an irgendwelche Algorithmen.

Was waren dabei deine Favoriten in Sachen Soft- und Hardware?

FL Studio hat sehr dabei geholfen, mein Album umzusetzen. Ich habe auch während dieser Zeit nach und nach viel an Soft- und Hardware aufgerüstet. Mein 17-jähriges Ich hätte niemals gedacht, dass alles mal „so professionell“ werden kann. In Sachen Software liebe ich ANA2, Repro5, Spire, Kontakt, Neutron/Ozone, vieles von Slatedigital und Soundtoys. Bei der Hardware habe ich Folgendes benutzt: Macbook Pro M1 Ultra, Apollo x8, U87 + UA6176, eine für mich perfekte Kombi für Vocals und die Neumann-KH310-Studiomonitore.

Deine Streaming-Zahlen bei Plattformen wie Spotify und Co. sind unglaublich. Wie gehst du mit solchen Zahlen und Erfolgen um?

Ich bin überhaupt kein Zahlenmensch und schaue nur ab und zu in die Apps, die einem die Zahlen der Streams anzeigen. Das ist nicht die Intention, mit der ich Musik mache. Ich habe aber jetzt gerade für euch mal reingeschaut. Ich stehe jetzt bei Spotify bei knapp 85 Millionen Streams auf allen Songs. Das ist absolut unvorstellbar. Ich habe angefangen, Musik in meinem Kinderzimmer zu machen, und jetzt hören über 500.000 Menschen im Monat meine Songs. Das macht mir fast Angst. Die Bühne wäre echt groß, wenn man diese Menschen alle gleichzeitig davorstellen würde.

Ein gutes Stichwort – dein Tour-Kalender in diesem Sommer sah, besonders nach nach solch einer langen Pause, beeindruckend aus. Was waren deine Highlights?

Die Festivalsaison war komplett verrückt. Ich habe noch nie auf so vielen Mainstages zu so unglaublichen Uhrzeiten gespielt, da muss ich mich heute oft noch kneifen. Highlights gab es wirklich viel zu viele, um sie hier aufzuzählen. Die Saison startete schon mit einer unglaublichen Show auf dem Ikarus und jedes Mal dachte ich, es kann nicht krasser werden. Plötzlich stand ich im Moshpit auf dem Parookaville, weil die Show so intensiv war, dass ich gefühlt meinen Verstand verloren habe, bis dann meine letzte Show auf dem Echelon nochmal alles getoppt hat. Aber grundsätzlich war jede Show für sich etwas Besonderes und hatte ihren ganz eigenen Charakter. Jede Show hatte ihre eigene Energie und die Liebe, die meine Fans mir in diesen Momenten gegeben haben, war unglaublich. Teilweise hatten sie Schilder dabei, die so groß waren wie ein Bauzaunbanner. Sowas haut mich immer komplett um und macht mir, wenn ich daran zurückdenke, bis heute noch eine Freude.

Wie sehen deine kommenden Wochen und Monate aus?

Mein Album ist der absolute Fokus aktuell. Das ist so ein großes Projekt, dass der ganze Herbst und Winter noch im Zeichen des Albums stehen. Ich bin ja schon in meiner Album-Tour, die noch mindestens bis Ende Dezember geht und freue mich, das Album mit allen Fans zu feiern. Zudem arbeite ich gerade an einem besonderen Projekt, das wahrscheinlich im Frühjahr 2023 ausgestrahlt wird. Aber dazu kann ich noch nicht viel sagen. Vielleicht mach ich dann erst einmal eine Pause, mal schauen.

 

Aus dem FAZEmag 128/10.2022
Text: Triple P
Foto: Marcel Carstens
www.instagram.com/mausio