Mein schlimmster Gig: Anna Tur und das Zombie-Schiff

Mein schlimmster Gig: Anna Tur und das Zombie-Schiff / Foto: Mario Pinta

Nur wenige DJs sprechen über schlechte Gigs. Meistens ist alles super, das Publikum herausragend, die Veranstaltung überwältigend und die Stimmung nicht mehr zu toppen. Zum Glück gibt es Künstler*innen, die auch bereit sind, über die Kehrseite der Party-Medaille zu sprechen. In diesem Monat präsentieren wir die Spanierin Anna Tur. Anna ist seit ihrer Jugend mit der Musik verbunden und begann ihre künstlerische Karriere 2010. Eine Mischung aus Sounds, die von House mit mehr Groove bis hin zu melodischem Techno reichen. Als starke Verfechterin des ‚Ibiza-Sounds‘ ist Anna international stark gefragt. Anna Tur war 16 Jahren lang (bis Mai 2020) Geschäftsführerin von Ibiza Global Radio TV, einem der fortschrittlichsten Radio-TV-Sender der Welt. Ihre Facette als Unternehmerin, ihr Charisma als DJ und ihre große Energie machen die gebürtige Ibizenkerin zu einer der spannendsten Persönlichkeiten im DJ-Circuit.

„Von etwas als ‚dem schlimmsten Gig‘ zu sprechen, ist kompliziert. Ich bin ein Mensch, der ständig lernt. Selbst aus der schlimmsten Situation im Leben versuche ich immer etwas zu lernen und das Positive herauszuziehen. Egal wie schwierig es auch scheint. Aber wenn ich mich an eine wirklich schwierige Situation erinnere, fällt es mir leicht, sie als die schlimmste Erfahrung einzustufen. Als etwas, das ich nicht wiederholen möchte. Ich gehe 15 Jahre zurück. Ich wurde eingeladen, auf einem Boot (genauer gesagt, einem Katamaran) zu spielen. Es war ein schlechter Seetag, aber der Veranstalter sagte, dass diese Boote stabil seien und dass es keine Probleme gäbe. An diesem Tag war ich aus vielen Gründen sehr aufgeregt: Ich war eine DJ, die gerade erst in der Szene aufgetaucht war, ich hatte ein neues DJ-Set, viele Freunde waren dabei.

Drei Minuten nach dem Ablegen bat ich um ein Mittel gegen Seekrankheit, wie ein Schiffbrüchiger, der tagelang nichts gegessen hat. Ich habe es genommen. Auch ein paar Spritzen. Wir fuhren weiter aufs Meer hinaus und die Wellen wurden stärker. Plötzlich sah ich, wie Menschen vom Boden abhoben, schrien, litten … und ich war an der Reihe. Die Ausrüstung sprang auf den Tisch, der fast flog, und ich begann mich sehr schlecht zu fühlen, sehr schwindlig. Die Medizin und die Spritzen vertrugen sich schlecht, und die Gesichter der Menschen wurden immer grüner. Alle waren KO, ich sah einige Mädchen, die weinten und sich ins Meer stürzen wollten.

Die Veranstalter beschlossen, zurück zur Küste zu fahren, und auf dem Weg dorthin, während mein unablässiges Bemühen, Musik zu machen, immer noch latent vorhanden war, bat ich um eine Kotztüte, und man brachte mir einen Eiskübel. Ich übergab mich wie nie zuvor in meinem Leben, die Leute applaudierten mir und ich wollte es einfach hinter mich bringen. Ich hatte das Bedürfnis, um Hilfe zu bitten, denn ich konnte sehen, dass wir uns dem Hafen immer mehr näherten, aber mein Unbehagen wurde immer größer, ebenso wie das der 500 Menschen auf dem Schiff. Es war die schwierigste Situation, die ich je bei meiner Arbeit erlebt habe. Wir sahen aus wie ein Zombie-Schiff. Bei der Ankunft krabbelten die Menschen wie Babys herunter. Ich werde diesen Tag nie vergessen. Es fällt mir schwer, jetzt auf ein Schiff zu gehen, aber wenn ich eines gelernt habe, dann, dass ich eine Landratte bin.

Aus dem FAZEmag 138/08.2023
Foto: Mario Pinta
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