Drei Jahre nach dem Überraschungserfolg von „The English Riviera“ legt Joseph Mount ein Album vor, mit dem er sich komplett neu erfindet: Als Experte für analoge elektronische Musik, Vintage-Keyboards, Astronomie, Space Travel und „micro brewed music“.
Dabei wirkt der 31-Jährige wie ein Dozent für Philosophie, Geschichte oder Germanistik: Er trägt einen knallroten Sweater zu Blue Jeans, buntem Schal, schwarzem Vollbart und wild wuchernden Locken, ist höf lich und spricht sauberes Oxford-Englisch. Soll heißen: Den Musiker merkt man ihm so gar nicht an. Und das ist durchaus gewollt. Denn Metronomy verstehen sich nicht als klassische Band, sondern als loses Kollektiv, das Mounts Vorstellungen und Ideen umsetzt und irgendwie – ebenfalls ganz bewusst – zwischen allen Stühlen steht: Man ist weder Indierock, noch beschränkt man sich auf lupenreine Electronica, und man bekommt wahrscheinlich gerade deshalb so viel Aufmerksamkeit von allen Seiten. Was nach zwei experimentellen Electroalben, die von Autechre und Funkstörung geprägt waren, in dem massenkompatiblen „The English Riviera“ kulminierte. Ein Werk, das die britischen Top 30 knackte und globale Aufmerksamkeit erzielte. Ganz zur Überraschung seines Schöpfers, für den kommerzieller Erfolg immer noch etwas Unerklärliches ist, der sich von so viel Interesse aber auch extrem geschmeichelt fühlt. „Ich würde nie behaupten, dass ich meine Songs einzig und allein für mich schreibe. Das ist nicht der Fall, und jeder Musiker, der das sagt, lügt. Nur: Ich komponiere nicht, um einen Hit zu landen. Mir reicht es, etwas zu machen, das mir gefällt und von dem ich denke, dass es anderen genau so gehen könnte. Weshalb ich sehr glücklich bin, dass meine Sachen mittlerweile im Radio laufen. Das ist eine wunderbare Selbstbestätigung.“ Die sich mit „Love Letters“ fortsetzt. Ein Album, auf dem Mount wieder ganz anders klingt, als beim letzten Mal. Nämlich mit „micro brewed music“. Worunter der Mann aus Brighton handgemachte, anspruchsvolle Klänge für ein nicht minder anspruchsvolles Publikum versteht. Und die aus spartanischem Lo-Fi nebst einem Hauch von Kraftwerk, ein bisschen 70s Disco und jeder Menge Space-Referenzen bestehen. Wobei letztere nicht von ungefähr kommen. Denn Mount ist begeisterter Astronom, hat einen eigenen Raumfahreranzug, den er im Video zu „I’m Aquarius“ zur Schau stellt, und träumt davon, an einem bemannten Raumf lug teilzunehmen. „Ich würde wahnsinnig gerne auf dem Mond spazieren gehen. Aber alles, was bislang angeboten wird, sind Flüge, bei denen man knapp 30 Sekunden im All ist, also die Gravitation der Erde nur kurz verlässt. Das ist mir für den Preis einfach zu wenig.“
Weshalb er sein Geld lieber für witzige Gimmicks wie die „Night Sky App“ ausgibt, mit der sich „I’m Aquarius“ per Mobiltelefon hören lässt – sofern man es auf eine bestimmte Himmelskörper-Konstellation ausrichtet. „Eine wunderbare Idee“, schwärmt Mount. „Sie ist so skurril, dass ich das einfach machen musste. Gleichzeitig fand ich es aber auch wichtig, nicht nur Themen aus meinem Privatleben aufzugreifen, das gerade sehr glücklich ist. Einfach, weil ich mit meiner Familie in Paris lebe und es so easy wäre, darüber zu singen. Nur: Wer will das hören? Es gibt schon zu viele langweilige Lieder über Babys. Da schreibe ich lieber über Rennautos oder ikonenhafte Frisuren. Nicht, dass ich eine hätte, aber ich bewundere Menschen, deren Haarpracht man sofort wieder erkennt, die sich von allen anderen unterscheidet. Wie Tim Burgess von den Charlatans. Nicht, dass ich eifersüchtig wäre, aber ich stehe halt darauf. Genau wie ich aus irgendeinem Grund zur Melancholie tendiere – egal, wie erfolgreich ich bin oder wie toll das Leben ist.“
Was seine Spuren auf „Love Letters“ hinterlässt. Angefangen bei einem Titel, der sich als Hommage an die gefühlsduseligen EMails versteht, die er auf der letzten Tour in einem Anfall von Heimweh und Liebeskummer verfasst hat, aber auch in einer Produktion, die eben nicht zu modern und glatt geraten ist. Im Gegenteil: Mount hat die legendären Londoner Toe Rag-Studios von Liam Watson gewählt, in dem sämtliches Equipment pre-1960s datiert. „Ich liebe die Idee, dass Musik, die auf einem antiken 8-Spur-Gerät aufgenommen wurde, im heutigen Digitalradio läuft. Das istein herrlicher Widerspruch. Und ich wollte eine ähnliche Produktion haben, wie auf den Alben, die ich momentan höre. Nämlich von Sly & The Family Stone und den Zombies, die sehr funky und extrem psychedelisch sind. Leider denken die Leute bei Psychedelia immer an „Sgt. Pepper´s“ und an Bläser oder einen Singsang über Liebe. Dabei geht es auch anders. Und genau das demonstriere ich mit einem spacigen, souligen Sound, der im wahrsten Sinne des Wortes handgemacht ist, und der ohne Hightech auskommt. Man muss nur ein bisschen Mut haben. Wenn es nicht funktioniert, auch egal. Dann hatte man zumindest seinen Spaß.“
Ein Ansatz, den Mount auch als Produzent beherzigt. Etwa für durchgestylte Pop-Produkte von Sophie Ellis-Bextor oder Girls Aloud-Schnuckelchen Nicola Roberts, die ihm keineswegs peinlich sind. Oder als nicht minder gefragter Remixer von Air, Charlotte Gainsbourg, Franz Ferdinand bzw. Lady Gaga. Wobei der Liste an tatsächlich veröffentlichten Tracks eine ebenso lange mit unveröffentlichten oder abgelehnten gegenübersteht. „Das gehört zum Berufsrisiko. Eben dass der Künstler oder sein Label nicht glücklich mit einem Remix sind. Richtig geärgert hat mich das nur bei „City Of Blinding Lights“ von U2. Einfach, weil ich dachte, dass ich sie vielleicht falsch eingeschätzt hätte und sie doch nicht diese langweiligen, alten Säcke wären. Doch als es fertig war, haben sie einen Rückzieher gemacht, und ich fühlte mich in meinen Vorbehalten bestätigt. Nach dem Motto: ‚Warum hast du dir bloß so viel Mühe gegeben, wenn von vornherein klar war, dass das nichts wird?‘ Der Witz ist, dass The Edge überall erzählt, wie sehr er „The English Riviera“ mag. Da kann ich nur sagen: Das hättet ihr auch haben können – wenn ihr denn Eier besitzen würdet.“ Brav gebrüllt, Löwe!
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