Myk Derill – Techno und Familie

Mit Hauptstadtblut in den Adern und einem Urgestein der Technoszene an der Hand. Einmal die Spree gegen die Isar getauscht, um glücklich zu werden. Neben Kuhglocken, Dirndl und Weißwurst findet man im beschaulichen Bayern auch Künstler*innen fernab von Jodelmusik und Trompeten-Gedudel. Der Wahlmünchner Myk Derill treibt seit Jahren sein Unwesen in der Szene und veröffentlich sein nunmehr drittes Album „Touching Lie“, das Anfang Oktober auf Alex Baus Label CREDO erscheinen wird. Wir haben den Stefan Mross des Technos, Myk Derill, zum Rapport gebeten, um mit ihm über sein Leben, seine Musik und natürlich sein neues Album zu sprechen.

Hi, Maik, schön, dass du dir Zeit für uns nimmst. Wie sieht dein Alltag eigentlich so aus, bei was stören wir dich gerade?

Mein Alltag ist ziemlich durchstrukturiert. Als Familienvater ist das auch ein Muss, wenn man alles unter einen Hut bringen will, denn ich arbeite hauptberuflich als Ausbilder und Projektleiter in einer örtlichen Schreinerei. Die Arbeit mit jungen Menschen macht mir viel Spaß, sodass es für mich schon eher eine Berufung ist, die mir viel Kraft und Energie gibt. Dennoch ist es manchmal nicht ganz einfach, sich abends noch ins Studio zu setzen, weil man vom Tag schon ziemlich geschlaucht ist. Aber mein eigener musikalischer Anspruch treibt mich Abend für Abend an, Zeit im Studio zu verbringen, um an neuen Tracks zu arbeiten. Das kann dann auch mal die ganze Nacht dauern.

Woher kennt man dich, was sollte man über dich wissen?

Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen. Die Kultclubs wie der Tresor, das E-Werk und das Casino waren schon damals mein zweites Zuhause. Mit zwölf Jahren habe ich angefangen, selbst die ersten Platten zu drehen und mit 19 Jahren in Clubs aufzulegen. Das ist schon eine unvergessliche Zeit für mich. Ich bin mittlerweile froh, etwas ruhiger in der Nähe von München mit meinem Sohn und meiner Freundin wohnen und leben zu dürfen. Als Technoproduzent kennt man mich ganz klar von den Kult-Labels Knotweed Records sowie CREDO. Meine musikalische Vergangenheit hat mich sehr geprägt und inspiriert mich bis heute. Diese Erfahrung versuche ich, künstlerisch mit neuen und modernen Elementen zu kombinieren, um so meinen ganz eigenen Style, von treibendem Techno bis hin zu chilligem Ambient, zu kreieren und damit eine Art Wiedererkennungswert zu schaffen.

Was begeistert dich neben der Musik noch so?

Ich verbringe sehr viel Zeit mit meinem Sohn. Das ist mir das Wichtigste! Vater zu sein, ist ein unbeschreibliches Gefühl und gibt mir so viel Energie – auch für alles andere im Leben. Aber es ist ein Fulltime-Job. Ich spiele gerne Basketball – neben der Musik meine zweitgrößte Leidenschaft. Und das nicht erst seit der sensationell erfolgreichen EM im September. Zum Abbau des Alltagsstresses gehe ich auch gerne raus in die Natur. Die bayrische Idylle ist ideal, um den Kopf freizubekommen. Manchmal bin ich auch einfach zu müde für Outdoor-Aktivitäten. Dann gönne ich mir halt einen Abend auf dem Sofa mit guten Filmen, spannenden Serien oder Dokus.

Wenn du könntest, würdest du allein von der Musik leben wollen?

Ja, es wäre schön, nur von meiner Musik leben zu können. Heutzutage ist das aber sehr unwahrscheinlich. Da sind Auftritte enorm wichtig, weil sich damit ein bisschen Geld verdienen lässt. Da bin ich auch Ben und seiner Agentur STOCKADE Booking für die Unterstützung dankbar, weil ich auch dadurch meinem Ziel, von meiner Musik leben zu können, step by step näher komme.

Reservierst du dir feste Zeiten unter der Woche ausschließlich für Musik?

Meine Familie und auch mein Job nehmen sehr viel Zeit in Anspruch. Deshalb gibt es bei mir keine festen Tage oder Zeiten, die ich für meine Studioarbeit geblockt habe. Meistens lockt mich dann eine spontane Idee, die ich dann versuche, produktiv umzusetzen. Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, dass sowohl die Leerlauf-Phasen als auch die Phasen extrem hoher Produktivität dazu gehören und man diese auch so annehmen muss, wie sie gerade kommen. „Go with the flow“ ist hier mein persönliches Geheimnis.

Arbeitest du in einem professionellen Studio oder sitzt du dabei lieber auf der Couch und wie schaut der Entstehungsprozess deiner Produktionen aus?

Mittlerweile habe ich mir ein kleines, aber feines Studio daheim eingerichtet und kann so jederzeit loslegen, um meine spontanen Eingebungen auch direkt umzusetzen. Ich brauche schon eine gewisse Stimmung, Ideen oder Anreize, um mich hinzusetzen und loszulegen. Und dann kommt es, wie es kommt. Mal muss ich mehr, mal weniger experimentieren. Damit fahre ich eigentlich ganz gut.

Wie stehst du zu Social Media? Wichtig oder nicht?

Die Frage stelle ich mir selbst sehr oft. Ich persönlich möchte mit meiner Musik Zuspruch finden und nicht mit Fotos. Das kann man natürlich auf den sozialen Netzwerken kombinieren. Aber der Reiz fehlt mir da doch etwas. Ich bin ja ein Musikkünstler der alten Schule. Als ich anfing, waren Social Media in diesem Ausmaß noch kein Thema. Damals gab es eine Platte, die man gehört hat und eine Zeitschrift namens Raveline, die man gelesen hat. Aber ich sehe schon die Möglichkeiten, die uns Social-Media-Kanäle als Künstler bieten. Es war noch nie so einfach, seine eigenen Ideen und Kreationen so vielen Menschen näher zu bringen. Wie bei allem gibt es hier auch zwei Seiten der Medaille. Ich versuche einfach, die Möglichkeiten und Tools der Zeit für mich zu nutzen, um mich so als Künstler zu präsentieren und so auch möglichst viele Menschen erreichen zu können, die ich davor nie erreicht hätte. Natürlich alles im Rahmen meiner persönlichen und künstlerischen Möglichkeiten. Ich verbiege mich da nicht und bleibe authentisch. Das ist mir auch enorm wichtig.

Kommen wir mal zu deinem Album „Touching Lie“, das ja am 7. Oktober auf CREDO erscheinen wird. Seit wann kennst du Alex und wie kam es zur Zusammenarbeit?

Alex kenne ich persönlich seit 2016. Seine Musik verfolge ich schon, seitdem er ein Release bei CLR hatte. Sein Stil hat mich schon immer fasziniert. Ich hatte großes Interesse, auf CREDO zu releasen, darum habe ich mich mit ihm einfach in Verbindung gesetzt. Die Sympathie war sofort da und schnell kam es zu einer Zusammenarbeit, worauf ich sehr stolz bin. Alex ist zu einem guten Kollegen – und was viel wichtiger ist – zu einem guten Freund geworden.

Wie lange hast du am Album gearbeitet und wie kamen selbiges sowie die Tracks zu ihren Namen?

Das gesamte Album mit all seinen Phasen hat von seiner Entstehung bis zur Fertigstellung etwa sieben Monate in Anspruch genommen. Der Name ist durch meine ganz persönlichen Lebenserfahrungen der letzten drei Jahre entstanden. Er kommt also aus meinem tiefsten Inneren und drückt so ein bisschen mich als Mensch und Künstler aus. Grundsätzlich tue ich mich schon schwer, was die Namensfindung für meine Tracks angeht. Das liegt aber auch daran, dass es mir extrem wichtig ist, dass alles, was ich mache, eine Bedeutung und einen Sinn ausdrücken und rüberbringen soll. Auch hier ist mir Authentizität ganz wichtig.

Hattest du ein Konzept fürs Album?

Ziel für mich war es, meine Vielseitigkeit zeigen zu können. Natürlich sammeln sich auch mit der Zeit diverse Projekte an, die in Betracht gezogen und auch in solch einem Album verarbeitet werden. Schwierig wird es dann erst bei der Zusammenstellung der einzelnen Tracks zu einem in sich geschlossenen Album. Deshalb ist ein Album für mich auch eher weniger ein Konzept, sondern ein kompositorischer Prozess, an dem am Ende ein rundes Album steht, das sich letztlich auch in sich harmonisch anhören soll.

Was liegt dir mehr? „Four to the floor“ oder ruhige und entspannte Klänge, die sich vom Stil her stark abheben?

Ich bin da immer etwas zwiegespalten, da ich beide Seiten in mir trage und in solch einem Albumprojekt auch beides ausdrücken will. Die letzten Monate haben mir aber gezeigt, dass ich dann doch eher in die schnellere und „straightere“ Richtung tendiere. Ich denke, das ist mir mit „Touching Lie“ auch ganz gut gelungen.

Mein persönlicher Favorit deines Albums ist „Hidden Syndrom“. Wie ist der Track entstanden?

Danke! Das freut mich. Der Track ist tatsächlich aus einer guten Laune und einem guten Glas Wein heraus entstanden. Anfangs habe ich lange überlegt, ob ich das Stück überhaupt mit in das Album packen soll. Irgendwas an und in ihm hat mich nachdenklich und auch etwas unsicher gemacht. Diese Zweifel gehören aber auch zu jedem Entstehungsprozesses dazu. Das kann dir wohl jeder leidenschaftliche Musiker bestätigen. Später aber hat er dann doch super ins Gesamtbild gepasst. Manchmal braucht es einfach ein wenig Zeit, Muse und vielleicht noch ein Glas Wein für eine Entscheidungsfindung.

Was inspiriert dich bei deinen Produktionen?

Witzigerweise kommen die Ideen und Eingebungen meistens in den unmöglichsten Situationen. Nachts im Bett, beim Autofahren bzw. immer dann, wenn man gerade nicht am Produzieren ist. Inspirationen dagegen aus dem direkten Umfeld, wie Menschen, Tiere oder Umgebungen kommen eher unbewusst und bei mir eher seltener vor.

Was steht bei dir zuerst – die Kick oder der Synth?

Eine gute Kick ist einfach unschlagbar. Musik muss man fühlen. Und daher steht eindeutig die Kick als Fundament, auf dem sich dann mein Track aufbaut.

Wie hoch ist deine Ausschussrate? Produzierst du alles bis zum Ende oder fliegt bei dir auch mal etwas in den Müll?

Zwei von fünf Produktionen sortiere ich meist aus und sie landen im Mülleimer. Mein Ausschlussverfahren gibt keinen Spielraum für zweitrangige Produktionen, die mich dann selbst doch nicht voll und ganz überzeugen. Da bin ich konsequent und kompromisslos. Ich will den Leuten Qualität bieten.

Ein paar letzte Worte an unser Publikum?

Wenn ich daran denke, was ich persönlich aus der Musik für mein Leben gelernt habe, dann ist das wahrscheinlich mehr als umgekehrt.

Weise Worte! Vielen Dank, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Wir wünschen dir alles Gute und viel Erfolg! Grüße gehen auch raus an Alex …

 

Aus dem FAZEmag 128/10.2022
Text: Michael Schwarz
www.soundcloud.com/mykderill