NHOAH – Risikobereitschaft

Foto: Carola Schmidt / BiPopularity Media

Es gibt nur wenige internationale Medien, die noch nicht über Nhoah Hoena aka NHOAH berichtet haben. Vom Cover-Act im Mixmag Brasilien bis hin zu Features bei Resident Advisor, Quietus, TRAX Mag, Clash Magazine, PopMatters, Magnetic Magazine, Data Transmission, The Art Desk, MTV London, Electronic Groove bis hin zu unzähligen Radioplays, darunter bei BBC Radio. Kein Wunder, ist seine bisherige Vita doch eine äußerst beeindruckende. Für diverse Werke, u.a. mit früheren Projekten, erhielt er Gold- sowie Platinauszeichnungen. 2018 veröffentlichte er mit „West Berlin“ das Debütalbum seines aktuellen Alias. Es folgten Live-Konzerte bei Be At TV, so z.B. „Stairway To Nothingness – Glacier Concert“ (2019) auf der hängenden Glastreppe auf dem höchsten Berg der Steiermark in 3.000 Meter Höhe, dem Dachstein-Gletscher. Nun kommt mit „TUNE“ am 28. Oktober der nächste Langspieler, von dem zuletzt die dritte Single-Auskopplung „Rave 22“ erschienen ist.

NHOAH, du bist in Berlin geboren und aufgewachsen. Wie bist du zur Musik gekommen und was hat dich maßgeblich beeinflusst?

Seit ich sechs Jahre alt war, habe ich Musik gemacht und in der Schule Freistunden bekommen, weil ich am besten Xylophon gespielt habe. So simpel kann Verführung sein (lacht). Mit zehn bin ich aufs Headbangen abgegangen, das hieß damals „Undergroundtanzen“, einfach dastehen und den Kopf von links nach rechts reißen, ohne umzufallen. Schnell hatte ich eine kleine 7“-Sammlung meiner Lieblingssongs und habe auf Geburtstagsfeiern die anderen nicht an den Plattenspieler gelassen, aber Tatsache war: Zu meiner Auswahl konnten alle am besten tanzen. Nur das von mir angestiftete Vorhängezuziehen, da die Feiern natürlich am Nachmittag stattfanden, wurde von den Eltern immer verhindert. Schon Tage nach dem Abitur bin ich in die vibrierende Musikszene West-Berlins abgetaucht, wurde Drummer bei Janyne County und Romy Haag. Janyne Countys Punk-Hit war „If you don‘t wanna fuck me baby, fuck off“, und Romy hatte wohl den glamourösesten Club in der Stadt. Da gingen David Bowie und Freddy Mercury ein und aus. Berlin war sicher der prägendste Einfluss zu Beginn meiner Musikkarriere.

Deine Vita ist eindrucksvoll. Wie ging es dann weiter?

Selbst in meinen Schülerbands habe ich mich geweigert, bekannte Hits nachzuspielen. Ich wollte immer eigene machen. Da das schwer war, bin ich oft nicht über drei Stücke hinausgekommen. Da habe ich aber gelernt, dass drei Knallersongs der Schlüssel zum Erfolg sind. Hast du die, kannst du weit kommen. Bald habe ich gemerkt, dass ich den anderen in der Band immer vorgesungen habe, was sie spielen sollen. Oft hatten sie es bei der nächsten Probe vergessen. Das war mühsam und nährte in mir das Gefühl, das Tollste wieder verloren zu haben. Dann kamen die ersten Computer, die man sich leisten konnte. Mit meinem C64 habe ich viele Platten produziert und meine erste goldene Schallplatte bekommen. Aber es gab auch peinliche Momente mit der „modernen Technik“. Einmal fragte Westbam telefonisch an, ob er „The Police Can‘t Stop Us“ von Jan Lankwitz und mir remixen darf. Was für eine Ehre! Aber wir hatten auf unserem Vier-Spur-Kassettenrekorder beim Hin-und-her-Überspielen immer wieder Spuren löschen müssen, um noch ein weiteres Instrument aufzunehmen. Wir konnten ihm also nicht alle Spuren geben. Wir sind dann aus Scham wochenlang nicht ans Telefon gegangen, weil wir nicht wussten, wie wir das erklären sollten. Später habe ich für Plattenfirmen oft eine Stunde lang das größte Studio gemietet. Die haben 2.000 Mark am Tag gekostet. Nur um ihnen Produktionen vorzuspielen. Hätte ich ihnen gesagt, dass der Song von meinem Kassettenrekorder kommt, hätten sie mich wohl gefeuert.

In deiner Karriere hast du schon einige Highlights erlebt, vom „Playback Gate“, der im Inlay deines ersten Albums ausführlich beschrieben wird, bei dem das Publikum eines Konzerts von einer deiner frühen Bands recht schnell merkte, dass ihr nicht live singt, bis hin zu Shows auf einem Gletscher sowie Kooperationen mit Bronski Beat, David Hasselhoff, den Produzenten von Depeche Mode und Co.

Gerade die Anstrengungen, die jede Künstler*in gut kennt, bringen die späten Lacher und größten Überraschungen. Das „Glaciere Concert“ zum Beispiel haben wir auf 3.000 Metern Höhe auf einer gläsernen Treppe gefilmt. In der wenigen Drehzeit zwischen dem letzten Besucher, der ins Tal abfährt und dem Sonnenuntergang, der Drehschluss bedeutet hat, habe ich es wegen Sauerstoffmangels und des Gewichts des Equipments nur mit Mühe zur Schlucht geschafft. Schwindelig stand ich dann in der untergehenden Sonne, die so hell war, dass weder auf meinem APC noch dem Laptop irgendetwas zu erkennen war, und der Sound war wegen des extrem lauten Windes kaum zu hören. Immer wenn ich den Bildschirm mit den Händen abgeschattet hatte, konnte ich sehen, dass viel mehr und andere Loops liefen als geplant. Anhalten war aber unmöglich, wir hatten nur zwei Stunden. Mittendrin ist mir in den Kopf geschossen, an welchem unglaublichen Platz ich da mit meinen Musikern stehe und habe mich umgedreht, um für Sekunden wirklich hinzuschauen. Da habe ich mir vor Glück fast in die Hosen gemacht und mich erinnert, dass ich den Videodreh mit einer feuchten Hose gefährde und mich wieder meinen Instrumenten zugewandt. Das ist dann ein ganzes Album geworden, das war nicht geplant.

2018 ist dein erstes Soloalbum „WEST BERLIN“ erschienen, nun erscheint dein zweites Werk mit dem Titel „TUNE“. Wo liegen in deinen Augen die Unterschiede beider LPs?

Der Titel ist mir zwischen anderen Tänzer*innen im Club gekommen. Wie man sich auf ein gemeinsames Level verständigt, bei dem Seele und Körper im Einklang, „in Tune”, mit dem Umfeld sind? Wenn man diesen Gefühlszustand erreicht, kommen die Glücksgefühle, dann ist alles möglich. Mit dieser Einstellung habe ich mich mehr dem Techno zugewandt. Techno, der Harmonien hat und trotzdem cool bleibt, gibt es gar nicht so oft, aber immer mehr. Ich spreche hier nicht von „Melodic Techno“, sondern von Techno. Ein paar Tracks kann man jetzt schon auf den üblichen Kanälen hören.

Was hat dich beim Album besonders beeinflusst und wie verlief der Prozess?

Die Raves! Um vorn anzufangen: Zuerst war da das Innehalten während der Corona-Zeit. Das Herunterbrechen des ganzen Clublebens, der fehlende Austausch mit Menschen. Die Leichtigkeit war für eine ganze Weile dahin. Dann starb mein Vater an Corona und mein innerlicher Druck wuchs. Trotzdem war ich voll von Musik, ich fing an, intensiv zu produzieren. Nach einem halben Jahr hatte ich sechs Stücke fertig und sie klangen alle scheiße. Dann war ich leer, es war wie das Abschließen einer Epoche. Ich spürte das Heraufkommen einer ganz neuen Zeitrechnung und wusste noch nicht, wo es hingehen würde. Anschließend kamen mir meine Tracks zu langsam vor, selbst meine Lieblingstracks hatten nicht den Drive, den ich gerade brauchte. Erst als ich meine Stücke 20 Beats schneller machte, fühlte ich mich gut aufgehoben. 20 Beats sind eine Menge, so etwas spaltet Genres. Kurzzeitig fragte ich mich, ob ich mich hier verrenne, dann dachte ich „Fuck it“ und da war der erste Song geboren: „Don’t Get High“. Sogar ein Gitarrensound gesellte sich dazu. Plötzlich fühlte sich der Punk in mir in der Revolte im Tempo und in der Härte des Sounds gut aufgehoben. Schon immer bin ich gegen den Strom geschwommen, das hat mir nicht immer gut getan, mich aber im besten Fall zu ganz neuer Musik geführt. Und dann kamen die Raves. Coole Leute haben das einfach gemacht: Gute Anlage hinstellen, feiern, tanzen, easy und frei – das ist wichtig. Rave ist Freiheit. So klingt meine Musik auf dem neuen Album. Positive, aber kraftvolle Revolte für Freiheit ohne Dogma.

Unser aufrichtiges Beileid für den Verlust deines Vaters. Die Entwicklung des Albums klingt, als seist du durch einige Täler gegangen. Wie sieht deine Agenda für die kommenden Monate aus?

Im Oktober habe ich eine Menge Gigs und werde die neuen Tracks spielen. Wer mir auf Social Media folgt, bekommt das mit. Unter uns? Ich bin total heiß darauf zu beginnen. Es war eine lange Entwicklungsphase und nun darf das Baby loslaufen.

Deine Risikobereitschaft scheint eines deiner Markenzeichen zu sein. Ist das ein Attribut, das du jüngeren Künstler*innen ans Herz legen würdest?

Eigentlich bin ich eher feige, wenn es darum geht, sich körperlich etwas zuzutrauen. Mache ich dabei allerdings Musik, geht alles. Das Live-Set, das ich mit Lulu Schmidt und Ina Viola im 13. Stock eines Hochhauses ohne Außenwände gespielt habe, obendrein während eines Sturms, war so etwas. Wir hätten eigentlich die Baustelle verlassen sollen, es gab Windböen, die mich von meinen Instrumenten weggeblasen haben, einige Tänzer*innen haben dann auf dem Boden gehockt und alles festgehalten. Sogar die Polizei wollte uns entfernen, aber versuche das mal mit Künstler*innen und Freund*innen, die vollgepumpt mit Endorphinen vom Tanzen und dem Wahnsinn einem Sturm trotzen. Polizei? What? Egal! Zum Glück hat der Eigner, ein sehr cooler Typ, die Polizei und nicht uns gestoppt. Er hat selber mit seiner Freundin getanzt. Respekt! Und ein großes „Yeah“ an Wien, meine augenblickliche Wahlheimat. Und da wäre ich schon beim Ratschlag, den ich aufstrebenden Künstler*innen mitgeben kann: Verbiege dich nicht, wage alles, selbst wenn du denkst, du bist der oder die Einzige auf der Welt, die das mag. Die krassesten Sachen tragen Früchte. Wer dem Publikum hinterherläuft, sieht es die meiste Zeit von hinten.

 

Aus dem FAZEmag 128/10.2022
Text: Triple P
Foto: Carola Schmidt / BiPopularity Media
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