Niereich – Streben nach künstlerischer Freiheit

Niereich ist wieder da – mit frischem Album im Gepäck! Was auf seiner beinahe nicht mehr endenden Tour entstanden ist, wird nun auch mit Sicherheit dazu beitragen, dass er so schnell nicht zur Ruhe kommen wird. Wir haben mit dem Österreicher über sein neuestes Werk „Insomnia“ gesprochen und erfahren, dass man auch in der Südsee zu Techno feiern kann.

niereich by hans schrotthofer

In unserem letzten gemeinsamen Interview hatten wir das Thema Album bereits angesprochen. „Man weiß nie, wann einen die Muse küsst“, sagtest du vergangenen Sommer. Nun wurdest du geküsst – während schlafloser Nächte in Australien. Ein Hoch auf den Jetlag?

Ja, so schnell kann es gehen und plötzlich hat man ungeplant ein Album fertig. Aber fassen wir mal alles kurz zusammen. Ende September bin ich um 6:00 Uhr morgens in Sydney angekommen, konnte aber erst um 11:00 Uhr in mein Zimmer einchecken. Ich war total geschlaucht von gut 25 Stunden Anreise, aber da man eine solche Möglichkeit ja nicht so oft bekommt, nutzte ich die Zeit für eine kleine Sightseeingtour. Im Anschluss konnte ich endlich einchecken, duschen und in einem richtigen Bett schlafen. Viel Zeit blieb mir allerdings nicht, denn am Abend stand schon der erste Gig an. So nahm alles seinen Lauf. Unregelmäßiger bzw. schlechter Schlaf, kein Rhythmus. Und die 10 Stunden Zeitdifferenz zu Europa muss man erst mal verarbeiten.

Welche Idee steckt hinter deinem vierten Album „Insomnia“? Wie oder wonach wolltest du klingen?

Also, der Album-Name war diesmal am einfachsten. Ich bin jede Nacht gegen Mitternacht australischer Zeit wach geworden und konnte einfach nicht mehr einschlafen. Also habe ich mein Laptop rausgeholt und Musik produziert. Das Album sollte abwechslungsreich sein und meiner momentanen „technoiden Reife“ entsprechend klingen. Es gibt keine Intros oder Outros. Jeder Track ist 4/4 und clubtauglich. Allerdings weniger Peaktime als meine früheren Werke.

Die Tracks entstanden auf Tour, also alle auf deinem Laptop und rein „in the box“ – oder hattest du noch andere Dinge mit im Gepäck?

Alles rein „in the box“ mit Ableton ohne jegliche externen Geräte, abgesehen von meinen DJ-Kopfhörern. Sechs Tracks sind so entstanden und die restlichen vier hatte ich schon zu Hause auf meiner Festplatte. Nachdem ich wieder zurück war, setzte ich mich im Studio an den Mixdown und schickte dann alles zu Sven.

Was macht Svens Label zur idealen Plattform für „Insomnia“?

Mein letztes Album „Sequences“ lief supergut auf nonlinear systems. Ich war mit der Frequenz und dem Feedback total happy. Wir haben sogar limitierte CDs gemacht, worüber sich viele Leute sehr gefreut haben. Die wird es zu „Insomnia“ ebenfalls geben. Es gab für mich auch nicht viele Labels, die infrage gekommen wären. Ich mag es relativ unkompliziert, zeitnah und vor allem so, wie ich es möchte. Andere Labels wollen manche Tracks nicht oder meckern wegen irgendwas rum. Das kann ich als Künstler absolut gar nicht leiden. Das soll mein Album sein, so, wie ich es mir vorstelle, und nicht, wie es das Imprint gerne hätte.

Für deine Australien-Tour hast du dir mehrere Wochen Zeit gegeben, um auch Land und Leute kennenzulernen. Welchen Eindruck hast du von der dortigen Kultur gewonnen und hatten diese Erfahrungen Einfluss auf deinen Sound?

Ja, ich wollte unbedingt Australien genießen und nicht wieder direkt nach dem Auflegen zurückfliegen müssen. So hatte ich einige Tage Zeit, um Sydney und Melbourne zu erkunden, und hatte eine gute Zeit mit meinem langjährigen Freund Simon Nielson. Er leitet die Elektrax-Music-Labels und ist als Advanced Human in der Szene bekannt. Er hat mich auch dem Promoter empfohlen, wodurch die ganze Tour eigentlich erst zustande kam. Die Jugendkultur und das Nachtleben sind dem, was wir in Europa kennen, sehr ähnlich. Deutliche Unterschiede gibt es vor allem bei den Wohngebäuden; bei uns wird viel massiver gebaut, als es dort der Fall ist. Das Klima war für mich zu der Jahreszeit um Welten angenehmer als in Österreich oder Deutschland. Nicht zu heiß, aber auch nicht zu kalt. Die Schlaflosigkeit hatte zwar zeitlich gesehen einen großen Einfluss auf das Album, aber mein Sound hat sich dadurch nicht verändert. Es ist genauso geworden, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Neben den Gigs im weit entfernten Australien hast du im letzten Jahr auch auf Mauritius gespielt. Auf den Inseln wohnen weniger Menschen als in München. Gibt es dort tatsächlich eine Szene für Techno? Und wenn ja, wie sieht die dort aus?

Die Anfrage hat mich selbst am meisten verblüfft. Mauritius? Kannte ich auch nur als beliebtes Hochzeitsreise-Domizil. Dass es dort eine Technoszene gibt, hätte ich mir nicht erträumt. Ich bin daher auch erst mal ganz offen an die Sache rangegangen und habe es auf mich zukommen lassen. Doch zu meiner Überraschung sind dort sehr erfahrene Promoter am Werk, die regelmäßig größere Electro-Events veranstalten und eine ganz tolle Partyszene mitentwickelt haben. Eine richtig tolle Erfahrung – und der Kurzurlaub war auch ein Traum. (lacht)

An welche Orte, in welche Länder und Clubs wird es dich 2018 verschlagen? Gib uns doch schon mal einen kleinen, aber feinen Überblick, auf welchen Festivals, Open Airs und an welchen Sandstränden dein Sound zu hören sein wird.

Ich bin dieses Jahr eigentlich wieder in ganz Europa unterwegs. Einige Events und Festivals darf ich auch jetzt schon verraten: Von mir bespielt werden unter anderem NATURE ONE, Ruhr-in-Love, Summer Visions, Uebel & Gefährlich, Kesselhaus, Dom im Berg Graz (eine der coolsten Locations in Österreich) und das Burning Beach Festival.

Sind bereits weitere Releases oder vielleicht sogar ein Remix-Album geplant?

Die erste Single-Auskopplung ist schon seit dem 12. März erhältlich. Für den Track „Sentry’c Call“ haben wir zwei Remixe von Developer bekommen. Weitere Remixe können sehr wahrscheinlich folgen, aber da haben wir uns noch nicht final festgelegt. Von mir kommen außerdem noch ein Remix für DJ Emerson auf 100% Pure, eine EP auf dem spanischen Label CODE mit einem Remix von Christian Wunsch, eine weitere EP mit Linus Quick auf Sians Octopus Recordings Black Label, ein Track für Suara und dann ist dieses Jahr noch eine erneute Zusammenarbeit mit Hackler & Kuch geplant.

Letztes Mal hast du mir außerdem erzählt, dass du an Side-Projects arbeitest, bei denen du dich auf ruhigere und melodischere Rhythmen konzentrierst. Gibt es hier Neuigkeiten oder vielleicht sogar geplante Veröffentlichungen unter neuem Namen?

Um diese Projekte ist es ehrlich gesagt wieder ruhiger geworden. Nachdem alles etwas „open minded“ geworden ist, konnte ich auch für mich die einzelnen Stile miteinander verbinden. So kamen zwei Nummern von meinem HYSH-Alias mit aufs Album. Ich denke, dass sind zwei starke Nummern, die damals viel zu wenig Gehör gefunden haben. Im Rahmen des Albums passt das jetzt aber perfekt und ich kann mich als Niereich total frei entfalten.

Aus dem FAZEmag 074/04.2018
Text: Gutkind
Bild: Hans Schrotthofer
www.niereich.com

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