Orchestral Manoeuvres In The Dark – Melancholie zwischen Mensch und Maschine

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Es gibt Melodien, die zum Setup unseres kollektiven Popkulturbewusstseins gehören, die jeder kennt, summen kann, selbst wenn wir nicht wissen, welcher Künstler sie komponiert hat. So ein Song ist „Maid Of Orleans“, mit dem der britischen Band Orchestral Manoeuvres In The Dark 1982 der europaweite Durchbruch gelang.

Die beiden Kraftwerk-Fans George Andrew „Andy“ McCluskey und Paul David Humphreys, Freunde seit ihrem siebten Lebensjahr, taten sich vor rund 40 Jahren in Wirral vor den Toren Liverpools zusammen, um als OMD ihre ganz persönliche Vision von elektronischer Popmusik anzupacken. Mit Alben wie „Architecture And Morality“ (1981) und „Dazzle Ships“ (1983) formten sie den Sound der frühen Achtziger entscheidend mit und schufen mit dem Anti-Kriegssong „Enola Gay“, „Electricity“ und „Souvenir“ Pop-Klassiker. Nun erscheint am 1. September ihr sage und schreibe 13. Studio-Album. „The Punishment Of Luxury“ ist gesellschaftskritisch wie eh und je. Schon der Titel lässt erahnen, was Andy und Paul unter anderem umtreibt: „Den meisten Menschen in der westlichen Welt geht es heute wirtschaftlich sehr viel besser als ihren Vorfahren und doch sind wir nicht glücklicher als sie, weil wir die illusorische Ordnung der Religion und der königlichen Verordnungen durch die illusorische Ordnung des Marketings und die Propaganda der Werbung ersetzt haben“, führt Andy aus. „Jeder denkt, er habe noch nicht genug, und so haben wir jetzt haufenweise Dinge, die wir nicht brauchen.“

Was sie zu sagen haben, haben OMD in zwölf Tracks gepackt, in denen sie sich nach ihrer langen, wechselhaften Bandgeschichte erneut dem Dilemma stellen, einerseits etwas Neues zu kreieren, andererseits aber so zu klingen wie sie selbst. „Das Musikbusiness ist sehr selbstsüchtig. Wenn man mit einer Band erfolgreich ist, kann man schnell sein ganzes Leben damit verbringen. Aber wenn man auch andere Dinge tut, erweitert man seinen Geist. Man muss ihn mit guten Ideen auffüllen.“ Das taten Andy und Paul nicht nur gemeinsam, zwischendurch in verschiedenen Konstellationen der Band, sondern auch während der kompletten Trennung zwischen 1996 und 2006. Andy schrieb unter anderem Hits für die Band Atomic Kitten, Paul war eine Hälfte des Duos Onetwo. Man glaubt ihm, als er sagt, dass er sich mit 20 nicht hätte vorstellen können, dass er heute noch Musik machen würde. „Als ich jung war, dachte ich, dass Musik für junge Leute sein sollte, voller Energie, und alte Leute aus dem Weg gehen sollten. Aber heute in unserer Post-Talkshow-Ära laufen die Dinge nicht mehr in den Kategorien ,Jung’ und ,Alt’ ab. Die Popkultur ist ihre eigene Geschichte.“ Paul und er seien sehr verschieden, aber ergänzten sich gut, sagt Andy. Oft sind das eben die besten und langlebigsten kreativen Matches.
„Natürlich geht es in 40 Jahren rauf und runter und es gibt Veränderungen. Manchmal ist es echt lustig, daran zu denken, wie es war, als wir jung waren. Man hat so kraftvolle Emotionen und Ideen. Wir dachten irgendwie, wir könnten tatsächlich die Welt verändern, indem wir etwas Interessantes und anderes machen. Wir haben keinen Krieg aufgehalten. Wir haben keine Krankheit besiegt. Wir haben die Welt zwar nicht massiv verändert. Aber wenn wir etwas Schönes geschaffen haben, das für andere Menschen wichtig war, vielleicht mit persönlichen Erinnerungen verbunden, und sei es nur für die drei Minuten eines Songs, dann haben wir die Welt einiger Menschen verändert, wenigstens für kurze Zeit.“

Andys Worte lassen die Melancholie erkennen, die dem Sound der Band schon immer eigen war und deren Ursprung vielleicht in OMDs musikalischer Inspiration liegt. „Wir haben unsere Bewunderung für Kraftwerk nie verheimlicht. Sie haben uns sehr stark beeinflusst.“ Sein erstes Kraftwerk-Konzert erlebte Andy vor 42 Jahren in Liverpool, mit 16 Jahren. „Es veränderte mein Leben.“ Noch eine deutsche Band war stilprägend für die Briten: „Eine Band, die vergessen wird, wenn es um unsere deutsche Inspiration geht, ist die Band Neu aus Düsseldorf. Es ist quasi, als sei OMD eine Kombination aus beiden Bands – mit der Intellektualität und Maschinerie von Kraftwerk und der Energie und dem Emotionalen von Neu. Wir haben Technik immer in einer rigiden und simplen Art und Weise verwendet, sodass man das Muster und die Maschinerie heraushören kann. Das ist das Fundament und das Framework. Darauf kommt das Emotionale, Menschliche. Aus dem Kontrast entsteht eine Spannung. Das Technische unterstreicht das Menschliche, macht es intensiver, stärker und schöner.“

Apropos Technologie: Andy McClusky gerät wie ein Teenager ins Schwärmen, wenn es um die Evolution von Hard- und Software geht. „Unsere Ausrüstung war anfangs bescheiden, secondhand. Immer wenn wir neue Instrumente hatten, haben wir mit ihnen dann alles ausprobiert. Es war sehr aufregend. Der Unterschied heute ist nur, dass wir alles ausschließlich mit Software und Computern machen, bis auf die Vocals beispielsweise. Und es ist schon witzig, dass einige junge Synth-Musiker nicht gutheißen, was wir tun, weil sie der Meinung sind, dass wir die alten, großen Analog-Synthesizer der 70er und 80er benutzen sollten. Wir aber denken: Die haben wir doch alle benutzt, da waren wir schon, sie sind alt und schwerfällig und nervig. Es geht auch heute immer noch darum, wie man die Maschinen benutzt. Es ist immer noch der Mensch, der die Musik macht, nicht der Computer.“

Aus dem FAZEmag 066/08.2017
Text: Csilla Letay
Foto: Mark McNulty
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