Es war im Jahr 2000, als Phoenix erstmals die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Damals lief ihre Single „If I Ever Feel Better“ aus dem Debütalbum „United“ im Remix von Buffalo Bunch in den Clubs rauf und runter, so dass nicht wenig später auch die vier Franzosen selbst einen enormen Fanzuwachs verzeichneten. Diese Fans sind ihnen bis heute und über die Studioalben „Alphabetical“, „It’s Never Been Like That“ und das zuletzt 2009 erschienene „Wolfgang Amadeus Phoenix“ so treu geblieben, wie die Band selbst ihrem gitarrenlastigen Indie-Pop. Singles wie „Everything Is Everything“, „1901“ und „Lisztomania“ avancierten zu Radiodauerbrennern. Es folgten zahlreiche Auftritte auf den ganz großen Festivals und ein Grammy für das beste Alternative Album in 2010. Frontman Thomas Mars wurde zudem durch seine bisher zwei Töchter hervorgebrachte Beziehung zu Regisseurin Sofia Coppola zum Teil des Jetsets. Die Phoenix-Nummer „Too Young“ fand Verwendung in ihrem Film „Lost in Translation“, die Band hatte einen Gastauftritt in „Marie Antoinette“ und schrieb schließlich den Soundtrack für „Somewhere“. Viel mehr geht nicht … Oder?
Aktuell ist ihre Single „Entertainment“ auf dem besten Weg, die Charts und Airplay-Listen zu erobern und damit die Weichen für das dazugehörige, soeben via Warner erschienene fünfte Album „Bankrupt!“ zu stellen. Dabei ist diesmal doch einiges anders, nämlich die Auswahl der verwendeten Instrumente. Die Gitarren wurden beiseite gelegt und durch Keyboards, Flöten, Harfen und noch mehr experimentelles Zeug ersetzt. Ist es der Versuch einer erfolgsmüden Band, sich neu zu erfinden? Bis heute haben Thomas und seine Kollegen Probleme damit, ihre Erfolgssituation als real zu begreifen. „Es war, als ob wir im falschen Film wären“, beschreibt er das alle vier begleitende Gefühl über die letzten Jahre. Und so versteht sich auch die aktuelle Single als eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Erfolg. „Wir spielen damit. Oder besser: Wir versuchen es. Eben, weil das wie ein Traum oder eine Fantasie ist. Also definitiv nicht echt. Du versuchst, gute Musik zu machen und plötzlich findest du dich in irgendwelchen Sporthallen wieder – auch, wenn du gar kein Sportler bist. Eigentlich gehören wir da nicht hin. Und wir fragen uns: Wollen wir wie große, öffentliche Kunstwerke sein oder lieber in einer schicken, kleinen Galerie hängen? Ich tendiere zu letzterem.“ Mit dem neuen Album dürfte ihnen die Rückkehr in die kleinen Galerien sprich Konzertlocations eher nicht gelingen. Schon jetzt stehen Auftritte bei den großen Festivals fest. „Bei Rock Am Ring treten wir seit Jahren auf. Und wir sind da immer wie Underdogs. Aber es macht allein deshalb Spaß, dabei zu sein, weil es mich an meine Jugend in Versailles erinnert. Eben an die Touristenströme – die Busse voller Menschen, die da regelrecht einfallen (lacht). Und bei dir für eine Mischung aus Amüsement und Verwirrung sorgen. Es ist definitiv ein Festival, das für Konfusion und Faszination steht.“
Ein waschechtes Rockfestival also, auf dem Phoenix trotz ihrer musikalischen Neuorientierung gern gesehen sind. Drohende Langeweile nennt Thomas als Grund für den Wandel. „Wer braucht noch ein Album in der Art von ‚Wolfgang Amadeus Phoenix‘? Nicht, dass es schlecht gewesen wäre, aber es existiert bereits – warum es also noch einmal aufnehmen? Und da wir mittlerweile die Mittel und die Freiheit haben, einfach zu tun, was uns gefällt, haben wir uns halt gedacht: Probieren wir mal etwas Neues. Etwas, das wir in der Form noch nicht gemacht haben. Das fanden wir aufregend, und wir hoffen, dass es den Leuten genauso geht. Dass sie bereit für eine andere Seite von Phoenix sind.“ Für die Produktion wurde tief in die Tasche gegriffen, hat man doch extra ein Mischpult aus dem Nachlass des Michael Jackson ergattert. Das Mischpult, auf dem einst „Thriller“ entstand. „Es hat 17.000 Dollar gekostet – auf eBay. Was uns schon fast zu günstig vorkam. Und der Verkäufer, ein Prediger, der damit christliche Alben aufgenommen hat, erschien uns ebenfalls suspekt. Doch es ist ein tolles Board. Und das ist der dekadente Teil unserer Arbeitsweise. Der billige besteht aus einer Panflöte, die ich irgendwo geschenkt bekommen habe. Wobei die meisten Sounds auf diesem Album von einem Spielzeugkeyboard stammen, das wir ganz am Anfang der Aufnahmen in einem Secondhandladen gekauft haben – für 30 Euro. Darauf sind 60 Prozent der Songs entstanden. Wobei wir anschließend aber auch sehr teures Equipment verwendet haben. Wie richtig edle Synthesizer, die wir allerdings ganz billig aufgenommen haben.“ Enstanden ist das Ganze in „Oscilloscope“, dem in New York City beheimateten Studio des jüngst verstorbenen Beastie Boys Adam Yauch. „Das war sehr nett. Ein kleines Studio, aber mit einem wirklich tollen Vibe. Adam Yauch hatte uns dahin eingeladen. Und es war das exakte Gegenteil von den meisten Studios, die sehr deprimierend sind. Im Sinne von klinisch und steril – wie ein Krankenhaus. Aber seins war ein wunderbarer Ort in einer alten Fabrikhalle in Chinatown.Also nicht luxuriös, aber sehr gemütlich und ungemein kreativ.“
Zu wilden Spekulationen regte bei den ersten Ankündigungen des Albums der Titel „Bankrupt!“ an, den Thomas wie folgt erklärt: „Der Titel hat etwas von einem Pop Art-Slogan, wie man ihn von Warhol oder Rauschenberg kennt. Und damit wollen wir zum Ausdruck bringen, wie wir unsere Musik sehen. Nämlich als Kunst. Sie soll kein Konsumobjekt sein, das irgendwo im Hintergrund läuft, sondern uns geht es um etwas, mit dem sich die Leute etwas länger und intensiver beschäftigen. In das sie Mühe und Zeit investieren, um es zu verstehen. Keine Ahnung, ob das zuviel verlangt ist. Aber zumindest ist es ein schöner Gedanke.“ Neben Festival-Gigs steht für Phoenix natürlich auch wieder eine klassische Tour an, und noch ist die Live-Umsetzung von „Bankrupt!“ nicht ganz geklärt. Wie bringt man den neuen Sound am besten auf die Bühne? „Das ist die Frage, die uns Kopfschmerzen bereitet. Schließlich sitzen wir schon ein Jahr daran, um das irgendwie hinzukriegen. Also um all die Instrumente, die wir da auffahren, live umzusetzen. Denn im Gegensatz zu anderen Künstlern weigern wir uns, das vom Band abzufahren. Wir wollen nicht auf der Bühne stehen und wissen, dass nichts schief gehen kann, dass es immer gut klingt, weil ja alles im Vorfeld aufgenommen wurde. Für mich ist das, als ob man zum Psychiater geht und falsche Träume erzählt, die man aus irgendwelchen Büchern hat. Das funktioniert nicht. Sondern man muss das schon selbst träumen. Und im übertragenen Sinne: Wir müssen alles selbst spielen bzw. wir brauchen die Gefahr, dass etwas schief gehen kann. Und das Publikum muss das ebenfalls spüren. Eben dass es die schlechteste Show aller Zeiten werden kann. Oder aber eine richtig gute.“ Am 11. Juni können sich die Hamburger als erstes ein Bild davon machen, wenn Phoenix auf der Freilichtbühne im Stadtpark auftreten. Und dass das nicht die schlechteste Show aller Zeiten wird, davon bin ich überzeugt … / Interview: Marcel Anders / Text: Nicole Ankelmann
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