Platten des Monats – März 2024

Das sind sie, unsere Tonträger-Favoriten aus dem März-Heft unterteilt in Alben und Compilations, Singles und EPs sowie die jeweiligen Platten des Monats. Diesmal mit Klaudia Gawlas, Chlär, BEC & KiNK, Dina Summer, der neuen Cocoon-Compilation, Chromeo, Dustin O’Halloran, Jay Tripwire und vielen mehr.

Singles & EPs – Platte des Monats

Klaudia Gawlas
Canvas (Beat Disaster)

Klaudia Gawlas, jüngst als Nummer Eins DJ National im FAZEmag-Jahrespoll gekrönt, hat sich scheinbar zur Feier eine Auszeit in Südamerika gegönnt. Zumindest scheint sie bei ihrem neusten Machwerk stark beeinflusst worden zu sein. “Canvas“ kommt mit einer erfrischenden Gesangseinlage, welche zugleich das Hauptthema bildet. Gepaart mit ihren gewohnt wummernden Kicks sorgt die Nummer für mächtig Krach auf dem Floor. Getrieben vom Beat gibt man sich der Nummer fast schon gezwungen hin. Mit lediglich zwei Minuten Länge fast schon zu kurz, um richtig in Stimmung zu kommen bleibt einem letztlich nur der Griff zum Clubmix. Hier geht es ordentlich zur Sache. Die Nummer baut sich schön auf und ist in sich stimmig. Es passt alles zusammen und macht richtig Bock. Mega starke Nummer, die einfach in die Sammlung gehört. 10 Michael S

Singles & EPs – Top Ten

Basicnoise
Symmetry (spclnch)

Ich bleib dabei: Dub House und Dub Techno – it never gets old. Für mich einfach der Inbegriff von zeitloser elektronischer Musik. Eine meiner Lieblingsanlaufstellen in diesem Genre-Kosmos ist das NL-Imprint spclnch, auf dem der Wiesbadener Peter Fanai alias Basicnoise – ein alter Bekannter des Labels – seine neue EP „Symmetry“ vorstellt. Den Auftakt markiert der Titeltrack der Scheibe, eine erhebende, durchaus freundliche Nummer mit zirpenden Percussions, klassischen Hats und Shakern und typischen Dub-Stabs. Ein netter Aperitif für das weitaus deepere „Duality“ im Anschluss – hier kommt das Spacige, was ich am Dub so liebe, so richtig zum Vorschein und lädt zum Eintauchen in fremde Galaxien voller Echos und Rauschen ein. Auch der beiliegende Remix von BDTom klingt fantastisch – schwer sich hier für einen Favoriten zu entscheiden. Die letzte Nummer auf der Platte, „Polarity“, klingt dann wieder etwas verspielter, erreicht durch das geschickte Zusammenspiel zwischen Pads, Bässen und Chords aber dennoch einen fantastischen träumerischen und melancholischen Vibe. Dubby, dreamy, und einfach großartig! 10 Laenkford

BEC x KiNK
Artificial Malfunction
(EMBARGO)

Die in Berlin lebende britische Techno-Maestro und Live-Act BEC vertritt die Philosophie, dass weniger unbestreitbar mehr ist. Ihr neues Label EMBARGO soll ein Zuhause für Künstler sein, die rohe, experimentelle und zukunftsweisende elektronische Musik erforschen, kreieren und präsentieren. Weit über Techno hinaus – über Breaks und Psy, bis hin zu D&B und Dubstep. Die Debütveröffentlichung „Artificial Malfunction“ hält dieses Versprechen bereits ein. Zusammen mit Bulgariens Live-King KiNK hat sie ein dynamisches Techno-Brett geschaffen. Energiegeladenen, roh und mit D&B inspirierten Synthesizern verwoben, die dem Ganzen eine ganze eigene Dramatik verpassen. Der Track, der nach eigener Aussage in wenigen Stunden fertig produziert wurde, lässt die Kicks nur so ballern und erinnert dabei an einige ähnlich experimentelle, raue Produktionen von T78 oder Boys Noize. 9 scharsigo

Chlär
Modern Survival (Primal Instinct)

Dreckig und stumpf wummert “Internet Soulmate“ drauflos und baut sich solide auf. Mit dem dezenten Basssynth kommt vernünftig Groove in die Bude. Viel mehr braucht die Nummer auch nicht – Absolut grandios! Etwas experimenteller aber mindestens genauso stumpf geht es mit “Supermarket Hunting“ weiter. Im Hintergrund kommt hier und dann Dschungel-Feeling auf, der Synth schwebt irgendwo zwischen galaktisch und Kanalrohr. Mega Teil! Auch “Body Control Officer“ reiht sich hier ein. Durch die kurzen und industriellen Breaks bekommt man eine kurze Gelegenheit zum Durchatmen. Damit ist spätestens mit “Competitive Influencing“ Schluss. Die Nummer läuft unaufhaltsam voran und treibt dabei mächtig. Richtig gut, wie hier Vocals zu Synths mutieren. Am Ende wird es dann wieder experimenteller und deutlich druckvoller. “Scout My Algorithm“ geht ordentlich in die Tiefe. Die Nummer kommt super mit wenig Elementen aus. Druck ist Alles! 9 Michael S

Dina Summer
Hide & Seek (Iptamenos Discos)

Dina Summer, das gemeinsame Bandprojekt von Kalipo und dem Duo Local Suicide, ist mit seiner Mischung aus New Wave, Dark Disco und EBM-angehauchtem Techno momentan eine der tollsten Bands hierzulande. Mit ihrer neuen EP „Hide & Seek“ auf Iptamenos Discos laden sie alle dazu ein, im Exzess, Glamour und Zauber der 80er Jahre zu schwelgen. Auf vier Tracks zeigen euch die drei Künstler ihre Version von tanzbaren Sounds und werden im Vergleich zum Album „Rimini“ deutlich härter, düsterer und schneller. Das gefällt mir besonders gut und jeder Track wird durch die Vocals mit einer Message versehen die perfekt passt. Mein Favorit ist „Unter Strom“, bei dem der Text wirklich sehr gelungen ist. Uneingeschränkte Empfehlung meinerseits! 10 Transmitter

Drumcomplex & Frank Sonic
Direct Dizko (Second State)

Die nächste Zusammenarbeit der beiden Rheinländer nach ihrem Cocoon-Release legt eine Schaufel Energie und Aggressivität nach und passt damit perfekt zum Label von Pan-Pot. Die Nummer ist eine Bearbeitung des 25 Jahre alten Tracks von Samuel Onervas und liefert zeitgemäß-druckvollen Peaktime-Techno-Sound ohne Kompromisse. Die Melodie bohrt sich in den Kopf und geht von dort direkt in die Beine. Guter Track. 8 harthorst

Egyptian Empire
The Horn Track Blade Rework 2024 (Missile Vintage)

Und jetzt wirds richtig spannend: Tim Taylor aka Egyptian Empire hat Drumandbass-Senkrechtstarter Blade auf seinen Klassiker „The Horn Track“ aus dem Jahr 1991 angesetzt, der daraus ein ordentlich rasselndes Remake im 175-BPM-Bereich gezaubert hat. Euch kommen die charakteristischen Horns im Drumandbass-Kontext irgendwie bekannt vor? Back2Basics hatten die Nummer vor 20 Jahren auf ihrem Track „Horns 4 94“ recht plakativ gesampelt. Die Blade-Version jedenfalls gibt es derzeit nur auf Vinyl. Und da Schallplatten in der Regel zwei Seiten haben, wurden auch die großartige Original-Version und Micky Finns Foghorn Remix von 1992 mit draufgepackt. Absolutes Must-Have! 10 Feindsoul

Fedo
Probabilist (Innermu Wax)

Um es vorwegzunehmen: Bei der 16. Ausgabe von Inermu Wax handelt es sich um die beste Produktion, die auf diesem Label bislang erschienen ist. Fedo versteht es extrem gekonnt, einen wundervollen Bass in einen Kontext mit Drum und toller Schlagwerkarbeit, stimmlichen Anteilen und kleinen Spielereien zu setzen. Extrem harmonisch und wunderbar konzipiert – ein Meisterwerk der deepen Housekunst! Ebenfalls extrem gekonnt schwingt das deep klöppelnde „Teleporte“ – auch hier machen der fantastische Bass und die Claps im Zusammenspiel mit den Flächen die großartige Wirkung aus. Mit einem prominenten Basskonstrukt, angedeuteten Afrovocals und hochfrequenten Percussions verabschiedet „Africano“ eine der besten Housescheiben der letzten Zeit. Word! 10 Cars10.Becker

Greg Gow
Soul Seek EP (Rekids Special Projects)

House Meets Techno! Der Mann aus Toronto mischt maschinellen Funk und Soul unter harte Techbeats, wenn “35 Fanthoms” Rekids Special No. 61 startet. Warme Flächen, zischelnde HiHats und eine prominente Synthieline durchziehen den Titel. Es folgt mit dem Titelstück, der beste Track: Knackige Beatstruktur und eine fantastische Dub-Chord-Line, die bei geboosteten Drums bestens platziert ist – geiles Teil! Weiter mit dreamy Synthiework („Sleeping Prophet“) und reichhaltigen Melodien, Vocals und shaking Drums („Pocket Lighter“). Wegen des hervorragenden „Soul Seek“ hier die volle Punktzahl. 10 Cars10.Becker

Krasa Rosa / M.o.s. / Ranta / Miroshin
Solnce (Melody Of the Soul 003 / Deejay.de)

Ich kann guten Gewissens von mir behaupten, nicht der größte Neotrance-Fan zu sein. Aber, wie so oft im Leben, soll man nie nie sagen. Die vorliegende Four-Track-EP des großartigen, tschechischen MOTS-Imprints versprüht eine unwiderstehliche Euphorie und sonnige Vibes, dass ich sogar die tschechischen/russischen (?) Vocals akzeptiere. Allerdings muss das Surrounding stimmen. Ich stelle mir einen Beachclub mit feinem Sand und untergehender Sonne vor. Dann ist diese 12“ perfekt. Vinyl only. 9 points tseb

PETER PAHN
Go (Legend)

Der Frankfurter DJ und Producer PETER PAHN wird ein zweites Mal auf dem Label der Cosmic-Boys vorstellig und präsentiert uns „Go“. Wer mit den Produktionen der Franzosen vertraut ist, wird sich schnell an einige ihrer älteren Tracks erinnert fühlen, deren Markenzeichen einst jene düster-knarzenden Sounds waren, die nun auch PETER PAHN mitsamt eigener Handschrift ertönen lässt. Zusammen mit der treibenden Bassline, der dumpfen Kick und dem ikonischen Sirenen-Sound ergibt sich auf diese Weise eine energiegeladene Peak-Time-Bombe. 8 Tenorali

Alben & Compilations – Platte des Monats

Dots And Pearls 8
(Cocoon Recordings CORLP056)

Es ist doch immer wieder beruhigend zu wissen, dass es konstante Größen im elektronischen Leben gibt. Die Releases auf Sven Väths Label Cocoon Recordings zählen definitiv dazu. Die achte Dots And Pearls-Zusammenstellung besticht durch ein gewohnt breites Spektrum elektronischer Grooves. Melodiös-minimal oder tracky-technoid, auch House und sogar poppige Elemente gibt es zu entdecken. Nach dem hypnotischen Beginn des ukrainischen Produzenten Joss mit „Assessing“ – wahrscheinlich nicht nur für mich ein Highlight der Compilation -, geht es weiter mit Emanuel Satie. Dessen Beitrag „When I First Met You (I Knew You Were The One)“ hat mich zuerst ein wenig verstört, da er a) ein Liebeslied und b) süßlich-klebrig ist. Aber die Nummer wächst. Also am besten mehrmals hören. Schneller ins Ohr geht der housig-minimale Track „Triii“ von Denis Horvat und Skarn, dessen Synthies mich ein wenig an The Human League erinnern. Interessant auch die slawischen Vocals. AÖCRAM und Ramsey Neville entführen uns in ihrem Track „Brooklyn Structure“ in eine Techno-U-Bahn mit dem Fahrziel ‚Underground‘. Ein richtiger Track – fragt Robert Armani, was ich meine. Wir bleiben technoid bei „Antidot“ Alex Bau, der nichts andere als ein Peaktime-Techno-Monster abgeliefert hat. Dagegen klingt „Ghost Story“ von Redshape erstaunlich zahm und erweckt mit seiner Synthesizermelodie und der Bassline EBM-Assoziationen à la Nitzer Ebb. Ein Track, der durch seinen großartigen Aufbau besticht und begeistert. Der in Spanien lebende Ägypter Ahmed Dawoud aka Raxon überrascht mich bei „Year Zero“ mit einem fünfminütigen Intro-Track, der interessant und neu für Raxon ist, mich aber nicht abholt. Leider der einzige Track auf der Compilation, den ich für verzichtbar halte. Zum Glück beschließt Harald Björk „Dots And Pearls 8“ mit dem atmosphärischen Melodic-Tune „Aluco“, der uns in ein positives Morgen entlässt und ein absolutes Monster-Break bereit hält. Alles in Allem – sechs Titel sind richtige Knaller, ein Track wächst nach mehrmaligem Hören und eine Nummer ist ein gutes Intro. Keine schlechte Quote. 9 svenman

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Alben & Compilations – Top Ten

Chromeo
Adult Contemporary (BMG)

Sie sind wieder da! Knapp sechs Jahre nach dem letzten Longplayer „Head Over Heels“ meldet sich das kanadische Duo mit seinem fünften Album „Adult Contemporary“ zurück. Und sie können es natürlich immer noch, wie kaum andere. Ihren typischen chromglänzenden Electro-Funk-Sound geben Dave 1 (Dave Macklovitch) und P-Thugg (Patrick Gemayel) auch hier wieder zum Besten. wenn nicht sogar zum Allerbesten. „Adult Contemporary“ markiert eine Rückkehr zur ursprünglichen Formel des Duos, indem sie ihre Intimität als Duo in den Vordergrund stellten und auf den 14 Tracks durch erwachsene Beziehungen in einer modernen Welt navigieren. Ein sehr konzentriertes, reifes und abwechslungsreiches Werk, das vor allem mit fokussierten Texten, Synthesizersounds, üppigen Streicherarrangements und raffinierten Bläsern auftrumpft, dabei aber auch sehr vergnüglich und authentisch klingt. Wunderbar! 10 Funk Farian

COMA
Fuzzy Fantasy (City Slang)

Das Kölner Electronic-Pop-Duo COMA ist zurück mit einer neuen Indie-Electronica-Mixtur auf City Slang. Gut? Nein. Großartig? Ja! Das Vorgängeralbum „Voyage, Voyage“ ist schließlich fünf Jahre her und so wurde es höchste Zeit, mal wieder eine Full-LP von COMA zu Ohren zu bekommen. „Fuzzy Fantasy“ ist geprägt von einer sukzessiven Entwicklung COMAs, hin zur Popmusik und zum Songwriting, weg vom reinen Dancefloor-Sound. Das Album ist geprägt von reichhaltigen Melodien und einer teils überschwänglichen Melancholie, die beim Hören sowohl positive als auch negative Emotionen hervorrufen kann. Und das ist gut so, Musik soll schließlich berühren. Ohnehin ist „Fuzzy Fantasy“ Musik zum Anfassen. Die Songs sind unfassbar lebendig, pulsieren und ziehen uns in ihren Bann mit tollen Synthie-Arrangements und mindestens genauso fantastischen Vocal-Einlagen (Dillon!). 8 Montisanto

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Dark Techno 2024: Mixed By Sebastian Groth
(ZYX)

Ob man es jetzt ‚hard‘ oder ‚dark‘ nennen möchte, ist mir eigentlich egal. Fakt ist, es muss ballern. Und wenn es einen DJ gibt, der sich mit Ballern auskennt, dann ja wohl Sebastian Groth. Der beliebte deutsche DJ und Produzent setzt auf schonungslosen Techno mit hohem Tempo, rohem Sounddesign und viel Druck. Bei der vorliegenden Doppel-CD hat der gute Sebastian nahezu alles in einen Mix gepackt, was gerade Rang, Nahmen und Relevanz hat. Neben ‚großen Namen‘ wie T78 aka Activator, Ramiro Lopez, CARV, dem Hardtechno-Ehepaar PETDuo oder der Oldschool-Ikone Lenny Dee – hier im Niereich Remix – gibt es auch viele aufstrebende Künstler, die hier mit starken Tracks vertreten sind. Wer auf kompromisslosen Techno steht, wird hier bestens bedient. 9 points harthorst

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Dustin O’Halloran
1 0 0 1 (Deutsche Grammophon)

Der Arizona geborene Musiker und Komponist Dustin O’Halloran präsentiert mit „1 0 0 1“ seinen neuen Longplayer, der seinem Ursprung in einem Gemeinschaftsprojekt mit der Tänzerin und Choreografin Fukiko Takase hat. Das Tanzstück feierte 2019 seine Premiere, doch wegen der Pandemie konnte es nicht weiter aufgeführt werden. Später dann beschäftige sich O’Halloran wieder mit dem Stück und baute es als reines Hörerlebnis um, ließ sich vor allem durch Natur, Bewusstsein, Technologie und die umwälzenden Folgen künstlicher Intelligenz inspirieren und hat das Album als immersives Hörerlebnis konzipiert, aufgenommen in den RRO Studios in Reykjavík in seiner Wahlheimat Island, zusammen mit dem Violinisten Bryan Senti, einem achtstimmigen Chor und dem Budapest Art Orchestra. „Spiritus Naturae Aeternus“ ist der erste Teil der Komposition, der mit einem sanften Piano- und Violinklängen beginnt, bevor fast überirdisch klingende Frauenstimmen einsetzen, die sich dann nach and nich wieder verlieren zwischen den Streicherwellen und dem Piano.“Cymatic Love Spiral“ startet als zurückhaltendes Geigensolo, wird dann aber auch sehr lebhaft eingefangen von tänzelnden und aufsteigenden Streichern. Ebendiese Streicher und das Piano werden auf „Harmonic Dream Sequence“ von bedrohlich wirkenden Ambient- und Electronica-Sequenzen eingeholt und dominiert. Schließlich setzt „Transfigural Syntax Eclipse“ ein, schwere Drone-Geschütze, Dark-Ambient, wortloser Gesang und Synthetische Energiestöße stehen für die Entfremdung von der Natur. „1 0 0 1“ ist ein sehr intensives und epischen Werk, das einen sehr vereinnahmen kann. 10 Ludwig van Beathooven

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Future Sounds Of Kraut Vol. 2
Compiled by Fred und Luna (Compost Records)

Nach einem langen Krebsleiden ist Anfang Februar Rainer Buchmüller – alias Fred und Luna – verstorben, kurz vor Veröffentlichung seiner zweiten Ausgabe von „Future Sounds Of Kraut“. Fred und Luna, die Kuratoren dieses Albums, sind zwei Schaufensterpuppen, die der Musiker, Künstler und Compiler als seine Musen bezeichnete. Nach dem erfolgreichen ersten Teil nun also die Nachfolger, der auch dieses Mal alle Register des breit gefassten Begriffs Kraut zieht und eine spannende und moderne Mischung des Genres serviert, inkl. illustrer Gäste und neun bisher unveröffentlichter Tracks. Fred und Luna selbst sind mit drei Tracks dabei, herausragend dabei der schon 2016 veröffentlichte, aber neu editierte Track „Monotonikum“, der schnurgerade und fresh fiepsend durch die Nacht übers Asphaltband gleitet. Roman Flügel präsentiert mit „Rules“ ein Stück, das zwischen Dancefloor und krautkosmischer Strahlung oszilliert, während I:Cube mit seinem exklusiven Beitrag „Basso“ die futuristische Krautvariante des Franzosen zeigt – très charmant! Ebenfalls sehr besonders – und sehr rar – ist der Beitrag von Kosmischer Läufer. Dahinter steckt Martin Zeichnete, der in den 70ern als Tonmeister der DEFA in Ostdeutschland gearbeitet hat. „Spargelspiegel“ stammt aus dem Jahr 1982 und ist ein episch-krautastischer und märchenhafter Trip. Insgesamt sind es 17 Tracks – u. a. noch von Thomas Fehlmann, Schlammpeitziger oder Sankt Otten – , die diese Compilation zu einem runden Vergnügen machen, dem Vermächtnis von Rainer Buchmüller. 10 Dieter Horny


Jay Tripwire
My Live With The Machines Vol. 4 (Repeat / Deejay.de)

Das Leben mit Maschinen Teil vier in sieben Episoden: Rhythmisch startet Jay in den 80ern (ähnlich Blackbox “Ride On Time”), addiert dubbige Parts und HiHats, Flächen, sowie sanfte Frauenstimmen – tolle Komposition! Die Flip lässt stärkeren Einsatz von diversen Schlagwerkzeugen zu, Sax und Echos inclu. (B1) – Hr. Villalobos wird es lieben. Detroit’iges HiHatzischeln inmitten eines Bassloops und gleißende Dubflächen (B2) schließen den ersten Teil. Schlagfertig perkussiv setzt sich die Reise auf dem zweiten Vinyl fort; C1 klöppelt sich n‘en guten Wolf und räumt gehörig ab. In den endlosen Weiten des Universums vergnügt sich das spacige C2 – dubbige Vocalechos und unentwegt zischelnde HiHats setzen markante Highlights. Energetisch drummend läutet D2 das Finale ein: Auch hier gibt sich Jay keine Blöße und setzt den bekannten Kurs auf konstant hohem Niveau fort. Mit D2 schält sich ein letzter Höhepunkt heraus, der Chordy Deepness in einem coolen Dubsetting positioniert. Hut ab, das geht ja gut ab – Gratulation zu einem begeisternden Longplayer! 9 Cars10.Becker

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Ratier
Ritual (D Edge)

Renato Ratier mischt die südamerikanische Houseszene seit zwei Jahrzehnten auf. Er ist die treibende Kraft hinter dem D-Edge-Club in Sao Paulo mit sechs Dancefloors! In Rio hat er kürzlich einen Clubableger aufgebaut. Nach VÖ#s auf Kompakt, Gigolo, Get Physical u.a., legt er auf dem eigenen Label sein Debutalbum vor. Und das beatet harten, straighten Clubhouse, der mit politischen Botschaften unterfüttert sein kann („Abencoado“). Es fällt auf, dass Renato großen Wert auf einen fetten Groove legt, der in jedem Titel hörbar und präsent ist. Best Beispiele: Das ultrafett groovende „Bamboo“ und das Geigen und Vocal-geprägte „Ritual“. All das gibt e in Dolby Atoms, einer Audi Technologie, die von Dolby Laboratories entwickelt wurde. Extrem starkes Gesamtpaket. 10 Cars10.Becker

Techhouse 2024
(ZYX)

An diesem Genre scheiden sich die Geister. Viele lieben es und andere hassen es. Als Mischung aus Techno und House, was der Name impliziert, ist Techhouse natürlich nicht zu verstehen. Eher als ein House-Grundgerüst, was mit technoiden Einflüssen aufgepeppt wird. Aber natürlich ist auch das falsch. Ziehen wir als Beispiel mal den Über-Hit von AKA AKA – „Let Me Show You“ – heran. Diese Cover-Version des Camisra-Klassikers besticht durch eine zeitgemäße Instrumentierung mit der Fokussierung auf Club-Tauglichkeit. Und diese Attribute treffen auf alle Stücke zu, die Tom Franke hier auf zwei CDs gemixt hat. Wenn ihr also nicht wisst, was Techohouse ist, dann hört hier mal rein. 8 points felix hauser

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To Be Discovered II
(Amaeo)

Das Berliner Label Amaeo bringt eine weitere „To Be Discovered“-Compilation heraus. Insgesamt zehn Tracks befinden sich auf der Compilation mit einer musikalischen Bandbreite, die von verträumten Tracks bis zu Peak-Time-Nummern alles beinhaltet. So machen zum Beispiel Aaaron & Deckert den Auftakt mit einem kontemplativ-dynamischen Track, der mit den gefühlvollen Vocals von Like Lovers gespickt ist. Aber bereits die zweite Nummere „Conjure“ von Samantha Loveridge kommt schon deutlich kraftvoller mit den Breakbeats und den erzählerischen Vocals, die fast spirituell wirken, daher. Kraftvoller und auch dunkler geht es dann innerhalb der Compilation weiter. Mein persönliches Highlight ist hierbei „Usual Suspects“ von MANTi – ein fesselndes Peak-Time-Monster mit metallischen und glitchy Sounds, die sich wie ein Donnerwetter durch die Nummer ziehen. Wer mehr auf groovige Feel-Good-Vibes steht, aber es dennoch druckvoll und energetisch mag, für den ist mit Sicherheit der Track „Hear You“ von magic.made.by.R etwas. Den Schluss macht Paul Schmidpeter mit „Afraid of Love“, der von der Energie her den Bogen zum ersten Track spannt und besonders von den dynamischen und organischen Drums lebt. Eine rundum gelungene und facettenreiche Compilation! 10 B. Laudien

„To Be Discovered II“ erscheint am 15. März.

Yulia Niko
Twinsoul (Armada)

Dass „Twinsoul“ Yulia Nikos Debütalbum ist, ist dem 10-Track-starken Album zu keiner Sekunde anzumerken. Dafür ist es schlichtweg zu reif, in sich konsistent und behutsam durchproduziert. Und obwohl das Gesamtwerk ihrem verstorbenen Vater gewidmet ist, entscheidet sich Niko gegen Melodramatik und Melancholie. Viel mehr ziehen sich ausgeprägte Deep-House-Klanglandschaften undorganisch-melodische Pads durch Elemente aus Chill Out, Downtempo, Trip Hop und Melodic Techno. Egal ob jazzy Funk in „Satisfaction“ oder Piano und Marching Drums in „Love The Rain Day“ (mit Ost & Kjex) – die Wahl-Berlinerin experimentiert stellenweise, bleibt ihrem roten Faden dabei aber immer treu. Hinzu gesellen sich spannende Kollabos, u.a. mit dem portugiesischen Produzenten, DJ und Multiinstrumentalist Moullinex, Sil Romoero, Gründerin der kinky Partyreihe Seven Sins und Tel Avivs Top-Produzent Yotam Avni. Highlights sind das groovige „You Knew“ mit seiner an 303 erinnernden Bassline, authentischen Percussions und einer stimmlichen Präsenz, die an Heppner oder Gahan erinnert und „Fire In My Soul“, das mit hypnotischen Vocals von Carn Crua und futuristischen Synth-Spielereien besticht. Yulia Nikos Vater wäre stolz. 9 scharsigo


Aus dem FAZEmag 145/03.2024