Platten des Monats – Oktober 2025 – Alben & Compilations

Alben & Compilations – Platte des Monats

Drumcomplex & Frank Sonic
Lost Echoes (Techno League)
Ein Meisterwerk, das Arnd Reichow und Frank Sonic da dieser Tage abliefern. Das Duo versteht es wie kaum eine andere Produktionsgemeinschaft, emotionale Tiefe mit einer analog pulsierenden Clubenergie zu verbinden. Und so startet das Album auch zunächst ungewöhnlicherweise mit breakenden, ambienten Downbeats („The First Whisper“) – schafft damit einen anderen Zugang zu ihrer Musik. Dann grollt der Bass, tief durchdringend und die Crowd pushend („Echoes Of The Abyss“) – fast schon funky Techno (man höre sich einfach noch ein paar Bläser hinzu). Dann überschlagen sich die Ereignisse, denn die Dynamik nimmt mit klöppelnden Beats zu und treibt die Crowd mit 135bpm vor sich her („Mirror Of Sound“). Das Titelstück kommt mit der Chordsequenz etwas mystisch und getragen von hintergründigen Flächen eher spannend um die Ecke. Weicher, warmer und emotionaler Techno („Chamber Of Voices“) beschließt den ersten Part. Mit wierden Sequenzen und Percussionarbeit geht „Resonance Of Hope“ ins Rennen – ebenfalls ein eher warm ausgelegter Sound. Auf nach Detroit: „Ripples Through Times“ beinhaltet Octave One und Floorplan Vibes und transportiert fette Energie, obgleich nicht voll „in-ya-face“. 90s Tribaltechno (à la Planet of Drums Releases aus NY in den 90ern) eröffnet das Schlusskapitel, druckvoll und fordernd („Call Of The Void“). Spooky Atmo mit Kicks und bouncendem Bass („Bound Of Reflection“) heben zur letzten Attacke an, bevor sich der Kreis mit cinematösen Klängbildnissen wieder in entspannenden Gefilden schließt. Danke für eine tolle Reise und ein packendes Stück Musikgeschichte. Mehr davon! 10 Cars10.Becker

Alben & Compilations – Top Ten

Blank & Jones – The Singles (Remastered)
(Soundcolours)
Schon 1996 veröffentlichten Piet Blank und Jaspa Jones ihren ersten Track, aber erstmals 1997 erschien unter ihrem Namen Blank & Jones ihre erste Single, 1999 folgte dann der Durchbruch mit der Single „Cream“, die sowohl in den deutschen als auch in den britischen Charts landete, sowie das Album „In Da Mix“, das sich ebenfalls platzieren konnte. Gestartet sind sie mit einem Uplifting-Trance-Sound, decken aber längst auch Bereiche wie Dance oder Chillout ab, wie z. B. ihre regelmäßige Reihe „Relax“. „The Singles“ kam erstmals 2006 raus, nun haben die beiden eine limitierte Version mit insgesamt 24 Tracks auf Vinyl neu aufgelegt. Für alle Fans ein Muss! Zu den Favoriten auf dem Album gehören sicherlich „Cream“, „The Nightfly“, „Heartbeat“, „Where You Belong“ feat. Bobo, “DJ Culture“ und „The Hardest Heart“ feat. Anne Clark. 9 Terence Trance D’Arby

Grandbrothers
Elsewhere (_and_others)
Vier Alben haben die Grandbrothers seit 2015 bisher veröffentlicht, dabei aus einem Flügel ein akustisches Labor gemacht, zwischen Tradition und Technologie, zwischen akustisch und digital. Dabei haben die Erol Sarp und Lukas Vogel ein ganz eigenes Sounduniversum geschaffen, dass gleichzeitig raffiniert und reduziert war. Aber ebendiese Reduktion auf den bisherigen Core, die wird nun aufgebrochen und es wird eine neue, erweiterte Geschichte erzählt. Den nun halten Drum-Samples, analoge Synthesizer und neue Rhythmen Einzug und ergänzen/erweitern den ganz eigenen Grandbrothers-Sound, der immer noch – trotz dieser Abkehr – sehr präsent und prägnant ist. Raus aus der Neoklassik-Ambient-Ecke, Richtung Beats, Kick-Drum, UK Garage, Breaks, IDM und auch mal Viervierteltakt. Voller Euphorie und Ausstrahlung in die neue Freiheit, was auch vollumfangen gelungen ist. Passend dazu, dass das Duo in Zukunft weitestgehend auf bestuhlte Venues verzichtet und mit neuer Bühnen- und Lichtshow nun ein körperliches Erlebnis mit Bewegung anbietet. Mit in doppelter Hinsicht bewegender Musik. 10 Terence Trance D’Arby

HAAi
HUMANiSE (Mute)

Für mich genau die Art Album, die man am Stück hören sollte. HAAi schafft es, verschiedene Stimmungen so zu verweben, dass daraus ein klarer Spannungsbogen entsteht – von euphorischen Peaks bis zu intim-nachdenklichen Momenten. Kein bloßes Track-Bündel, sondern ein Konzept, das Club-Energie, Pop-Sensibilität und persönliche Geschichten zusammenbringt. Meine Highlights: „Shapeshift“ (feat. KAM-BU) als purer Genre-Bender, „Hey!“ für den tech-housigen Push, der live garantiert funktioniert, ohne an Tiefe zu verlieren, und „New Euphoria“ (mit Alexis Taylor, ILĀ & Trans Voices). Auch die übrigen Stücke halten die Balance zwischen Maschine und Gefühl – präzise produziert, aber nie steril. Features wie Jon Hopkins, James Massiah oder die Chöre (Trans Voices, Gospel) sind kein Namedropping, sondern sinnvoll in den Fluss eingebettet. Dadurch klingt das Album größer, reifer und zugleich näher dran. 08/10 scharsigo

Hot Chip
Joy In Repetition (Domino Records)
Anfang des Jahrtausends startete die britische Formation ihre Karriere, die im Schlafzimmer begann und die sie auf die größten Festivalbühnen führte. Dazu Kollaborationen mit Granden wie Brian Eno, Jarvis Cocker oder David Byrne, sechs Top-20-Alben – acht insgesamt –, eine DJ-Kicks, eine Mercury-Prize-Nominierung und eine Fanbase rund um den Globus. „Joy In Repetition“ fasst die bisherige Karriere der Band mit ihren bekanntesten Songs zusammen. Der Titel ist Programm, Hot Chip zelebrierten immer wieder ein rituelles Zurückkehren zu Beats, Gefühlen und Gemeinschaft. Und mit ihrem Sound irgendwo zwischen Indie. Dance … ach lassen wir das mit den Schubladen, denn sie haben irgendwie immer darüber hinaus agiert und damit auch Fans aus allen Genren rekrutiert. 15 Tracks sind an Bord, dabei natürlich Hymnen wie „Over And Over“, das leicht melancholische „Boy From School“, das pumpende „One Life Stand“ oder das sehr eigene, unverkennbare „Ready For The Floor“. Was ganz Neues ist dann doch dabei, denn zu viel Rückblick verblendet ja, dass die Band weiterhin aktiv ist und ihre Geschichte weiterschreibt – mit Hingabe. „Devotion“ ist episch, synthiegetrieben und reitet auf den Horizont zu Richtung Sonnenuntergang. 10 dr.nacht

John Tejada
The Watchline (Palette Recordings)
Nachdem die Single „Until The End Of The World“ vor kurzem bereits als Teaser veröffentlicht wurde, ist nun das dazugehörige 16. Studioalbum des in Los Angeles beheimateten Österreichers erschienen. Insgesamt elf Tracks mit eher einfacher Instrumentierung, bestehend aus Gitarren, Synthesizern und rhythmischen Fragmenten, markieren einen Wandel des elektronischen Komponisten hin zu emotionaler Fokussierung. Mit dabei ist die Sängerin March Adstrum, auf die schon im Electro-Pop-Projekt Optometry zurückgegriffen wurde. Sie verleiht den beiden wunderbaren Stücken „Static Searching“ und „Apricity“ eine subtile melodische Präsenz, während die restlichen neun Stücke instrumental gehalten sind. Tracks wie „Until The End Of The World“ oder „Where The Light Bends“ setzen auf Breakbeats, tiefe Bässe und vielschichtige Verzerrung, wohingegen „Driftreturn“, das ambient schwebende „Navigator“ und „Through The Watchline“ langsamer gehalten sind, nachdenklicher, getragen von Bandrauschen und melodischen Twists. Als Highlights gehen das verträumte „The Navigator“, das antreibende „Vaporail“ sowie das romantisch gehauchte „Apricity“ durch, die das Album nach hinten raus aufgehen lassen wie eine Blüte. „Through The Watchline“ lässt das Werk mit dem Thema des Openers sodann introspektiv ausklingen. 08 Master J

Mike Parker
Epilogue (Field Records)
Geophone Labelhead und Kunstprofessor Mike Parker ist seit den 90ern im Musikgewerbe tätig, erst als Teil von P. Children, dann als eine Hälfte von Trybet und letztlich als Solokünstler. Labels wie Semantica, Prologue, Mote-Evolver, Tresor, Edit Select Records oder auch Token zieren seine Diskografie. Mit Epilogue präsentiert Mike Parker uns nun einen Überblick über seine wegweisenden und einflussreichen Veröffentlichungen auf dem Label Prologue und somit eine Zusammenfassung einer herausragenden Zeit des Labels und des Technos. Treibend, hypnotisch und stark reduziert. Mike Parkers Sound wirkt psychedelisch und strotzt vor sich wiederholenden Elementen. Minimalismus in seiner Perfektion, subtile Details, welche den Unterschied machen und scheinbar unendlichen Loops. Gerade Tracks wie “Subterranean Liquid“, “Pulse Trader“ oder “Lustration Twelve“ gehen tief zwischen die Synapsen und verdeutlichen, auf was Techno reduziert werden kann und trotzdem den Floor in Schwingung bringt. Progressiv und absolut makellos. Ein Sound, welchen man heutzutage vergeblich sucht. Epilogue erscheint als 3fach 12“ Vinyl und dürfte vor Allem für Sammler und Klangliebhaber ein grandioser Ohrenschmaus sein. Für alle anderen ist es eine Lektion in Sachen wahrhaften und echten Techno. So muss das! Ein absoluter Tipp für all Jene, die gut und gerne auf überflüssige Breaks mit Up- und Downlifter verzichten können. 10 Michael S

Modeselektor
DJ-Kicks (!K7 Records)
Doppeltes Jubiläum! Das Berliner Label !K7 Records ist in diesem Jahre 40 Jahre alt geworden, das wohl bekannteste Produkt aus dem Haus, die DJ-Mix-Reihe „DJ-Kicks“, feiert ihren 30. Geburtstag. Wie kaum eine andere Mixreihe hat sie die elektronische Szene weltweit geprägt. Anfangs noch auf Techno ausgerichtet – los ging es im September 95 mit CJ Bolland –, wurde mit der vierten Ausgabe von Kruder & Dorfmeister – sicherlich eine für die Geschichtsbücher, aber das ist eine andere Geschichte – das musikalische Spektrum erweitert. Die Ausgabe zum Jubiläum, die 86. insgesamt, kommt nun aus Berlin, von Modeselektor. Gernot Bronsert und Sebastian Szary starteten ihr Projekt Modeselektor übrigens ein Jahr nach dem „DJ-Kicks“-Start und gehören längst dem Olymp für elektronische Musik an, was auch an ihrem Projekt Moderat liegt, das sie gemeinsam mit Apparat alias Sascha Ring betreiben. Der Mix umfasst 22 Tracks, davon mehrere von Modeselektor selbst, inkl. einer Kollab mit Kitschkrieg unter dem Namen Kitschselektor. Während Szary hier eher auf beatlose Tracks setzt, ist Bronsert für die Club-Tracks zuständig. Eine Mischung, die dadurch oft zwischendurch Klang und Stimmung ändert, sehr abwechslungsreich und genreübergreifend ist. Das können die beiden auch wirklich ausgezeichnet, diese unterschiedlichen Sounds so zu kombinieren, dass man den Wechsel als sehr natürlich empfindet und nicht außer Tritt kommt. Ein Menü, das aus Techno, Dubstep, Bass, HipHop, Indie Folk besteht und bei dem jeder Track anders klingt. „Wenn man Modeselektor bittet, einen Mix zu machen, ist das kein normaler Prozess“, erklärt Sebastian Szary. Und auch das Ergebnis ist weit entfernt von normal, es ist überragend. 10 Dieter Horny

Monolink
The Beauty Of It All (Embassy One)
Vier Jahre nach seinem letzten Album „Under Darkening Skies“ erscheint nun das neue Werk des Wahlberliners Monolink. „The Beauty Of It All“ erweitert die Grenzen des ohnehin schon Fusions-lastigen Schaffens des Produzenten, Songwriters, Sängers und Instrumentalisten. Wie der Titel schon erahnen lässt, zeigt Steffen Linck, so der bürgerliche Name des Musikers, hier unterschiedliche musikalische und emotionale Seiten. Mal geht es ruhiger zu, mal lauter. Mal überwiegen elektronische Elemente, mal rockige, mal gesangliche. Eckig und kantig, fröhlich und traurig, stets mit einer Geschichte dahinter, entdeckt Monolink viele verschiedene Facetten. Diese Reise mit ihm zu gehen, ist nicht wirklich geradlinig, dafür aber umso spannender. Fans von elektronischem Fusions-Sound mit einer Mischung aus instrumentalen Tracks und Songs mit Singer-Songwriting-Elementen oder einfach anspruchsvollen Musikliebhaber dürfte das Album abholen – nicht für den schnellen Konsum, aber dafür umso mehr zum Genuss. (9/10) Davy D.

Pendulum
Inertia (Mushroom Music / Virgin Music Group / Integral)

15 Jahre nach „Immersion“ melden sich Pendulum zurück – und zwar nicht als Nostalgie-Act, sondern mit einem Statement. Was mich am meisten überzeugt: Die neue LP denkt die DNA der Band breiter. Von jump-up-getriebenem Drum’n’Bass über industriallastige Härte bis hin zu modernen, fast hyperpop-artigen Spielereien – Inertia sprengt eigene Grenzen, ohne die klare Handschrift zu verlieren. Die Produktion ist bis in die Details geschärft, die Gastfeatures werden nicht als Name-Dropping verheizt, sondern setzen gezielte Farbtupfer. Dass große Teile der Tracklist bereits vorher erschienen sind, nimmt dem Gesamterlebnis für mich nichts – im Gegenteil: Im Kontext entfalten die Stücke mehr Gewicht. Vom NIN-Depeche-Mode’schen „Silent Spinner“ über das hymnische „Cartagena“ bis hin zu Festival-Bangern wie „Driver“ oder „Cannibal“ – eine Bestandsaufnahme mit Blick nach vorn: persönlich, wuchtig, überraschend vielseitig. 09/10 scharsigo

Weval
CHOROPHOBIA (Technicolour)

So klingt musikalische Weiterentwicklung eines Sounds, bei der der Dancefloor trotzdem eindeutig im Mittelpunkt stehen kann. Statt ausschweifender Bauten setzen die beiden auf kompakte, treibende Tracks: „Moving On“ und „Movement“ reißen mich sofort mit ihrem energetischen Puls mit, während „Just Friends“ eine luftigere, fast psychedelisch-poppige Note einbringt, die an Tame Impala erinnert. Besonders hängen geblieben sind mir „Head First“ mit seinen markanten Vocals und der düstere Banger „Dopamine“, der wie gemacht ist für den Peak einer Clubnacht. „Open Up That Door“ hat für mich das Zeug zum subtilen Party-Hymnus, und „Better“ groovt sich zwischen House und Disco mühelos in meine Favoritenliste. Mit „Mercator“ blitzt dann wieder die vertraute emotionale Wärme durch, bevor „Free“ das Album hymnisch und befreiend abschließt. Ein Album, das beweist, wie vielseitig Weval klingen können. 08/10 scharsigo


Aus dem FAZEmag 164/10.2025