Roger Eno – The Turning Year (Deutsche Grammophon)

Der britische Komponist und Pianist Roger Eno hat Ende April sein Solodebüt bei Deutsche Grammophon veröffentlicht: „The Turning Year“ – sein erster Langspieler bei dem Label eröffnet mit 14 Tracks einen Blick durch das musikalische Kaleidoskop des britischen Komponisten und Klangkünstlers mit leisem Kultstatus. In einem Mix aus neuen Werken und Favoriten seines Konzertrepertoires schaffen sich frei entfaltende und berührende Kompositionen immer wieder intensive Bilder, mit einer latenten pastoralen Stimmung und Melancholie. Eno spielt die Stücke selbst am Klavier, bei manchen begleitet ihn das deutsche Streicherensemble Scoring Berlin. »,The Turning Year‘ ist wie eine Sammlung von Kurzgeschichten oder von Fotografien vereinzelter Szenen, jede für sich hat einen eigenen Charakter, und doch hängen sie eng miteinander zusammen«, sagt Roger Eno selbst über das Album. »Die Musik erinnert mich daran, dass wir unser Leben in Facetten leben, nur flüchtige Blicke erhaschen, durch unser Leben streifen, den Wechsel des Jahres registrieren.« Beim Hören kann man diese Eindrücke förmlich sehen, die Szenen eines Filmes, die Passagen eines Buches, Zeilen eines Gedichtes. Hier wird Roger Enos Virtuosität als begnadeter Komponist von Filmmusik deutlich. Das Album erzeugt eine Stimmung, der man sich nicht entziehen kann, die die eigene Welt mit einem unaufdringlichen Soundtrack begleitet, und auch wenn die Stücke schon längst verklungen sind, nachhallt und einen fortträgt in Landschaften, die mit ihrer Schönheit und schroffen Unvermitteltheit direkt ins Innerste treffen.
Die Arbeit an dem Album habe ihn veranlasst, »darüber das nachzudenken, was Musik für mich bedeutet, und auch die Gegend, in der ich lebe. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie Großbritannien heute ist – ein Ort der Spaltung und wachsenden Ungleichheit – und wie es war, als ich hier aufwuchs. Es gibt in mir eine Sehnsucht nach einem besseren Ort, der nicht mehr existiert oder vielleicht nie existierte.« Schon in der ältesten Komposition von „The Turning Year“ spiegeln sich diese Gedanken. Bereits am 14. Januar wurde der Titeltrack des Albums als Single veröffentlicht. Enos Klavierpart findet darin ein wiegendes, sowohl unterstützendes als auch Fragmente der Melodie ausdeutendes Echo der Streicher – den Einklang dokumentiert ein Livevideo, das im Berliner Teldex-Studio aufgenommen wurde. »Stars and Wheels« entstand vor 20 Jahren als Improvisation. Eno spielte sie einst auf einer einmanualigen Orgel in der verwaisten mittelalterlichen Kirche von St. Gregory im dünn besiedelten britischen Landstrich Norfolk. Bald darauf nahm er sie in seinem Studio auf und schuf durch die Überschneidung der Spielgeschwindigkeiten eine klangliche Metapher für einen Zustand, den er als »glorreichen Verfall« bezeichnet, gleich jenem, den er im alten Gemäuer der Kirche sah. »Stars and Wheels« wurde im letzten Sommer überarbeitet, als Eno mit Christian Badzura zusammenarbeitete, DGs Vice President A&R New Repertoire und Produzent dieses Albums. Zu hören ist auf „The Turning Year“ auch der langsame Lobgesang »Hymn«, der sich ebenfalls aus einer Soloimprovisation entwickelte. Oder »A Place We Once Walked«, ein Stück, das das Album eröffnet und dessen emotionalen Herzschlag mit einem wohlig befremdlichen Gefühl vorgibt – fortgeführt in »Slow Motion«, »An Intimate Distance«, »Stars and Wheels«, und das seinen ,Abspann‘ in »Low Cloud, Dark Skies« findet.

Wie ein Mantra erscheint »Innocence«, während sich »On the Horizon« als Meditation über Ungewissheit und Zweideutigkeit entfaltet, was nachhallt und doch beruhigend wirkt im Widerstreit der Halbtöne von »Something Made Out of Nothing«. In »Hope (The Kindness of Strangers)« schließlich geht es um äußerste Zärtlichkeit und Mitgefühl. »The Turning Year« enthält einen Booklettext von Roger Eno und Grafiken seiner Tochter Cecily Loris Eno. 10/10 Csilla Letay