Romboy & Ishii – Unverhofft gen Sonne

Es gibt Momente, in denen es sinniger erscheint, sich von gewissen Plänen oder Absichten abzuwenden und seinem Herzen oder seinen Instinkten Gehör zu bieten. Raum erschaffen – nicht nur für Neues oder Kreatives, sondern auch für Zufälle oder dem altbekannten Schicksal, das ab und an um die Ecke biegt und unverhofft grüßt. So werden in mir Erinnerungen wach an den März 2011, als ein glücklicher Marc Romboy in sein Studio in seiner Heimatstadt Mönchengladbach zum Interview einlädt. Mit Stephan Bodzin hatte er gerade das riesige Projekt „Luna“ vollendet und arbeitete mit dem Bremer kurz vor Tourbeginn mit Hochdruck an der Live-Show. Er erzählte von seinen Vorhaben für die entfernte Zukunft. Ein Soloalbum wolle er nach der Tour und somit das FollowUp für das 2008 erschienene „Contrast“ angehen. Entschlossenheit und Zuversicht stand ihm im Gesicht. Nun schreiben wir 2013, und an einem zunächst unspektakulären Dienstagmorgen liegt ein anderes, ein unerwartetes Resultat auf meinem Schreibtisch. Den Rheinländer ereilte wohl genau einen jener Momente, in denen es an der Zeit ist, nicht nur nach Schema „F“ zu arbeiten und eine weitere Katalognummer vorzulegen. Gemeinsam mit der japanischen Legende Ken Ishii liefert Romboy stattdessen ein weiteres Kollaborationsalbum namens „Taiyo“ ab und überrascht damit sicherlich nicht nur mich.

Marc, dein letztes Soloalbum liegt nun schon fast fünf Jahre zurück. Was hat dich nach „Luna“ dazu bewegt, eine neue Kollaboration einzugehen?
Marc Romboy: Zunächst einmal fällt mir bei dieser Frage auf, wie gnadenlos schnell die Zeit rast. Unglaublich, aber wahr, „Contrast“ wurde 2008 releast. Dennoch kommt es mir gar nicht so lange vor. Die Zusammenarbeit mit Ken hat sich peu a peu entwickelt.Zunächst hatte er einen Mix für meine Radioshow „Systematic Session“ gemacht, der mir durch seine Andersartigkeit und Schrägheit sehr gefiel. Danach waren wir im ständigen E-Mail-Kontakt, bis auf einmal die gemeinsame Idee entstand, einen Track zusammen zu machen und sich hierfür per E-Mail und Skype auszutauschen. Auf meiner Festplatte befand sich noch ein Demo, das mir zwar gut gefiel, aber noch ohne zündende Idee in den Ordnerstrukturen herumlag. Das Demo hatte eine total abgefahrene Sequenz vom Roland Jupiter 8 und klang sehr ungewöhnlich, aber irgendetwas fehlte. So schickte ich sämtliche Files an Ken. Er setzte sich sofort in sein Studio und lud mir ein paar Tage später Spuren hoch, die es hinzuzufügen galt. Als ich die Spuren einzeln hörte, dachte ich‚naja cool‘. So richtig vorstellen konnte ich mir das aber nicht. Für mich hat es zu diesem Zeitpunkt nicht zusammengepasst. Als dann das Demo mit seinen zusätzlichen Elementen lief, fiel ich im wahrsten Sinne des Wortes fast vom Stuhl. Das Ganze hatte etwas Magisches, Frisches, Unerwartetes und gab mir – so bescheuert es auch klingt – einen richtigen Kick. Glücksgefühle der tollsten Art. Ich wusste, das ist ein besonderer Track.
Und so entstand der Titeltrack „Taiyo“.

Ken, in der Szene giltst du als lebende Legende und bist seit über zwei Jahrzehnten im Geschäft. Wie entstand der Kontakt zu Marc?
Ken Ishii: Danke für die schönen Worte. Ich hatte vorher einige Sachen über bzw. von Marc gehört, allerdings nie die Möglichkeit ihn zu treffen. Eines Tages, ich schätze es war Ende 2011, hat er mich über Twitter angeschrieben. Er bat mir an, einen Mix für seine Systematic Sessions zu machen. Das war der Startschuss.
Marc: Witzigerweise lernten wir uns nach langem E-Mail-Kontakt physisch erst im Sommer 2012 in Amsterdam kennen, als wir uns zu der Fotosession verabredet hatten. An dieser Stelle übrigens ein dickes Danke an meine Frau Natascha und Patrice Bäumel, die diese Session erst in dieser Art möglich machten. Patrice hatte uns freundlicherweise als Locationscout durch Amsterdam kutschiert und meine Liebe zu dieser Stadt immens verstärkt. Zu dieser Zeit gab es jedenfalls schon die Idee, das Album zu produzieren, und es gab auch schon alle Skizzen zu den Tracks. Der Weg von der ersten Nummer zum gleichnamigen Album „Taiyo“ war kein dann auch sonderlich weiter, denn wir hatten beide tierisch Lust auf dieses Projekt. Außerdem bin ich persönlich ein riesiger Fan von Alben,die ein Konzept beinhalten und wenn dieses Konzept einmal steht, gehen die Produktion und die Ausführung relativ leicht von der Hand.

Hattest du nicht vor, die Produktion komplett alleine zu machen und dein nächstes Solo-Album zu veröffentlichen?
Marc: Das hatte ich definitiv vor, jedoch verlor dieses Vorhaben einfach an Bedeutung
im Verlaufe der Zusammenarbeit mit Ken. Ich mache mir selbst keinen Druck und stehe hinter jedem Release, auf dem mein Name steht. Und dieses ganze Projekt mit einem großartigen Künstler ergab für mich von Anfang bis Ende Sinn. Ich denke, ich habe einfach auf mein Herz gehört.

Von Anfang bis Ende habe ich mir das Album angehört – relativ schnell meine ich eine Art „Soundfusion“ zu erkennen. Typisch druckvoller Systematic Sound aus Mönchengladbach gepaart mit Straightness und Härte aus Tokio. Würdet ihr das unterschreiben?
Marc: Ja, ich denke, da liegst du goldrichtig. Ich mag es nicht, mich wiederholen zu müssen.Ich möchte das Musikmachen immer als neue Herausforderung betrachten, so als würde man ein Land bereisen, das man zuvor noch nicht besucht hat. Deshalb veröffentliche ich auch gerne eine Deep House-Nummer nach einem Technotrack, falls ich es gerade so empfinde. Bei mir gilt: Erwarte das Unerwartete. Aus diesem Aspekt heraus war die Zusammenarbeit mit Ken natürlich traumhaft für mich. Er hat alle meine Ideen mit Elementen bereichert, auf die ich niemals gekommen wäre oder bei denen ich mich einfach nicht getraut hätte und vermutlich umgekehrt. Das machte und macht die ganze Sache so speziell.
Ken: So sehe ich das auch. Wir beide haben völlig verschiedene Herangehensweisen im Studio und kommen auch aus zwei verschiedenen Ecken. Die Tatsache, dass wir das Album nicht gemeinsam im Studio produziert haben, sondern uns gegenseitig die Files hin und her geschoben haben, gab jedem von uns dieChance, sich alleine so frei wie möglich zu entfalten. Das Wichtige war – wie bauen wir welchen Part auf und wie platzieren wie die einzelnen Sounds im Track selbst an? Marc hat das ganze dirigiert und das hervorragend gemacht. Ich finde, wir haben eine perfekte Mischung aus beiden Styles.
Marc: Wenn man genau hin hört, kann man auch – denke ich – ganz gut herausfinden, welche Elemente von wem sind. So viel sei verraten, die sphärischen Einspielungen kommen zum Beispiel alle von Ken. Insgesamt haben wir für das Projekt rund ein halbes Jahr gebraucht.

Ken, deine ersten Releases liegen mittlerweile über 20 Jahre zurück. Was hat sich deiner Meinung nach in der Szene verändert – was ist noch genau so?
Ken: Ich schätze, der Wert eines einzelnen Tracks hat sich definitiv verändert. Leider zum Negativen. War es früher noch viel aufwendiger, teurer und auch zeitintensiver, Musik zu produzieren, geht das heute schon mit wenigen Mausklicks. Auch die Veröffentlichung auf einem professionellen Label war damals nicht so einfach, wie es heute der Fall ist. Heute gibt es fast mehr Labels als Künstler,wodurch der Wert der Musik rapide nach unten gegangen ist. Ich gehe definitiv mit der Zeit und bin kein Gegner der Digitalisierung. Eine mp3 ist allerdings nur eine mp3 in einem Ordner auf einer meist riesigen Festplatte. Eine feste Konstante in unserer Szene hingegen ist in jedem Fall die Passion, die die Leute zu dieser Musik haben. Denn im Grunde genommen interessiert es den Großteil des Dancefloors nicht, von welchem Medium die Musik abgespielt wird, sondern ob sie dich berührt.

Marc, du hast im letzten Jahr zahlreiche Singles veröffentlicht – von housig groovig bis hin zu treibendem Techno war dein Sound sehr vielfältig. Man könnte meinen, du machst mehr denn je, wonach dir gerade ist. Deinen Sound pauschal zu kategorisieren scheint unmöglich. Wo meinst du, geht deine persönliche Reise hin?
Marc: Da gebe ich dir Recht. Ich sehe Techno manchmal als Baum an, an dem ich jeden einzelnen Ast so sehr mag, dass ich mich nicht auf eine Richtung festlegen möchte. Josh Wink hat mal gesagt „When A Banana Was Just Banana!“ – damit meinte er nichts anderes als die Tatsache, dass Anfang der 90er-Jahre, als Techno groß wurde, alles unter diesem Namen betitelt wurde. Egal ob Breakbeat, House, Jungle oder Acid, alles war Techno und soempfinde ich bis heute. Wenn die Leute offenherzig sind – und das ist Gott sei Dank meistens so – dann kann das eine sehr spannende Reise werden, von der ich anfangs selbst gar nicht weiß, wo und wie sie verlaufen wird. Eine spannende Sache, die mich jedes Wochenende aufs Neue begeistert. Unser Album würde ich jedenfalls in Kurzform auch als Techno, aber mit viel Melodie und Atmosphäre bezeichnen. Unser Ziel war es, den Hörer mit auf eine Soundreise zu nehmen. Ich kann nur jedem empfehlen,das Album in einem durchzuhören, es passt immer, lässt einen gut abschalten, egal ob im Auto, beim Joggen, im Flugzeug oder auch zu Hause.

Gibt ein für dich noch unerforschtes Genre, in dem du dich gerne mal austoben würdest?
Marc: Jazz und Klassik. Zwei Musikrichtungen, die ich sehr mag und die für uns alle sehr beeinflussend waren und sind, auch wenn man das vielleicht auf den ersten Blick nicht realisiert. Gerade Jazz war ja am Anfang seiner Entstehung sehr spannend, da dort musikalische Regeln gebrochen wurden und viel experimentiert wurde. Und generell würde ich es als sehr interessant empfinden, mal mehr in die Musikgeschichte einzutauchen, da gibt es mit Sicherheit viel zu entdecken, gerade auch mit meinem Wissen über die Technogeschichte im Vergleich.

Bei dir zuhause ist aktuell eine Menge los, wie ich gehört habe. Familie Romboy wurde um ein Mitglied erweitert und ihr überlegt, irgendwann nach Amsterdam zu ziehen?
Marc: Ja, kurz vor Silvester wurde ich zum zweiten Mal Papa und bin natürlich stolz wie Oskar. Gemeinsam mit dem Albumrelease bedeutet das gerade natürlich jede Menge Action. Glücklicherweise habe ich da den vollen Support meiner Frau, sodass wir gemeinsam doch alles unter einen Hut bekommen. Amsterdam ist eine Stadt, die mich schon immer fasziniert hat. Sie hat etwas Niedliches und Gemütliches. Wir haben viele Freunde dort – vielleicht wagen wir es eines Tages tatsächlich.

Ken, auch du hast in deiner Karriere schon eine große Bandbreite an Genres abgedeckt und dafür eine Menge Alias benutzt. Im letzten Jahr hast du das Jazz-Thema aufgegriffen und erst kürzlich zu einem Remix-Contest auf Facebook aufgerufen.
Ken: Richtig, der ist erst sein ein paar Tagen zu Ende. Im letzten Jahr habe ich mit Metropolitan Harmonic Formulas das Debütalbum „Music for Daydreams“ veröffentlicht.Dabei geht es nicht um elektronische Dance-Musik, sondern vielmehr um Listening-Zeug mit Hang zum Jazz. Anschließend habe ich bei Facebook aufgerufen, die Tracks nach Lust und Laune zu remixen, sie dabei DJ-tauglich zu machen und sie zu posten. Es war also kein gewöhnlicher Remix-Contest mit strikten Vorgaben. Die Resultate lassen sich in jedem Fall hören.

Kommen wir zurück zum Album. Der Titeltrack „Taiyo“ ist bereits veröffentlicht,was kommt nun? Eine Tour?
Marc: Es wird eine Menge Remixes von den Tracks geben. Dabei sind Leute wie Dave Clarke, Peter von Hoesen, die von mir äußerst geschätzten Jungs von Skudge aus Schweden und sogar Max Cooper. Alle Remixes sind gratis zum Download auf jeder CD und beim Digitalrelease dabei. Gemeinsame Shows mit Ken sind definitiv geplant. Wir sind gerade dabei, ein paar ausgesuchte Dates zu fixieren. Wir sitzen gerade auch an einem exklusiven Mix für einen Podcast, der in Kürze erscheinen wird und auch der ist alles andere als normal. (lacht)

Was dürfen wir auf Systematic in 2013 erwarten?
Marc: Jede Menge. Vor dem Sommer werden noch zwei weitere Alben kommen. Einmal das jetzt schon dritte Werk meines Freundes Robert Babicz, das mal wieder – und ich kann es einfach nicht anders sagen – genial ist und voller Emotion und Leidenschaft steckt. Außerdem habe ich die große Ehre, das erste Album von David Pezzner aus Seattle zu veröffentlichen, der in meinen Augen neben KiNK der Shootingstar dieses Jahres werden wird. In Deutschland ist David zur Zeit eher noch ein Geheimtipp, aber: ‚Augen auf bei diesem Namen‘, da kommt noch einiges Geniales. Leute wie Catz ’n Dogz oder Joris Voorn lieben seinen Sound. Und natürlich werde ich auch mein ‚Baby‘, die Reihe „Lost Treasures“,weiterführen. Nachdem jetzt gerade „Nothing Stays The Same“ von Mike Dunn raus ist, wird vor dem Sommer von NY House-Legende Victor Simonelli aka ZAM „Africa Freedom“ mit neuen Remixes erscheinen.Ich sagte ja, jede Menge. (lacht)

Und bei dir, Ken?
Ken: Ich überlege, mein Label 70 Drums zu reaktivieren,auf dem seit 2002 lediglich ein paar meiner Alben erschienen sind. Das wird, denke ich, mein Fokus in 2013 sein. Bereits in den Startlöchern stehen Nummern wie Ken Ishi „The Buddha’s Ear – Impact Mechanics“ (mit Remixes von Ben Sims und Markantonio Roberto Capuano etc.), Ken Ishii „Serial Puncher – Rhythm Converted“, Mauro Picotto „Launchpad“ (Ken Ishii Remix), ein Remix für Jeff Mills. Zu meinem 20-jährigen Jubiläum in diesem Jahr ist also eine Menge geplant.

www.marcromboy.de / www.systematic-recordings.de