Sennheiser MKH 416 – Field-Recording-Booster für deinen Track

 

Producer*innen leben in einer Welt, in der man eigentlich alles mit seinem Laptop machen kann. Für die meisten bleibt es aber bei dem „eigentlich“. Eine Art, dem In-The-Box-Setup zu entfliehen, sind Field Recordings. Der Vorteil: Wir verknüpfen die aufgenommenen Klänge mit Orten, Situationen und Erinnerungen, wodurch wir eine engere Beziehung zu unseren Tracks aufbauen. In der Folge gehen Arrangements deutlich leichter von der Hand. Weitere Vorteile: deutlich mehr „Echtheit“, Organik und Dreck. Außerdem Sounds aus deiner Umgebung, die sonst niemand besitzt. Und noch viel wichtiger: Es macht ziemlich Spaß, die Welt akustisch einzufangen und in das eigene künstlerische Schaffen einzuarbeiten.

Handwerk-Basics

Deswegen fangen wir hier ganz vorne an: Was brauchen wir zum Fieldrecorden? Einen Handheld-Recorder, ein gutes Mikrofon und einen Windkorb plus einen zusätzlichen Windschutz für Außeneinsätze. Ferner mehr als genug SD-Karten.

Mikrofone

Grundsätzlich gibt es diese Regel: Das beste Mikrofon ist das, das man dabei hat. Manchmal ist es eben nicht wichtig, mit welchem Equipment man recordet, sondern eher, was man aufnimmt. ABER: Man kommt mit der Regel schnell an seine Grenzen. Deswegen stell ich hier kurz vor, auf welche Parameter man bei Mikrofonen achten kann. Und was diese für Field Recordings bedeuten können. Und außerdem gibts einen Tipp für ein Rundum-Glücklich-Mikrofon. Da ist zum einen die Empfindlichkeit des Mikrofons.

Einfach gesagt können empfindlichere Mikrofone leise Klangquellen besser aufnehmen. Es geht hier also um extrem leise Geräusche wie z.B. Vogelflattern, ASMR oder Sandrieseln. Außerdem kann man sich bei externen Mikrofonen eine Richtcharakteristik aussuchen: Will man jedes Geräusch um das Mikrofon herum, keine Geräusche von den Seiten oder nur Geräusche, die genau von vorne kommen, auf der Aufnahme dabei haben? Für manche Aufnahmen von z.B. Naturatmosphären eignet sich die Rundum-Aufnahme eines Kugelmikrofons, für manche Aufnahmen wie z.B. Sprachaufnahmen möchte man so wenig wie möglich von der Umgebung hören und wählt deswegen eine Richtrohr- oder Hypernieren-Charakteristik. Ein letzter Wert ist der Grenzschalldruck. Er sagt, ab welcher Lautstärke die Aufnahme zu verzerren beginnt. Hier geht es um die Aufnahme von extrem lauten Geräuschen wie z.B. Trommeln, Maschinen oder Menschenmassen.

“Rest Of Your Life”-Field-Recording-Mikrofon

Seit einiger Zeit nutze ich ein Sennheiser MKH 416 zum Fieldrecorden. Es ist definitiv eines der Mikrofone, die man sein ganzes Leben nutzen wird, weil man kein besseres mehr braucht. Und eines, das von Profis geschätzt wird. Das MKH 416 macht einen riesigen Unterschied zu günstigen Mikrofonen, wie den internen Mikrofonen der Fieldrecorder. Da es ein Richtrohr-Mikrofon ist, nimmt es nur Klänge, die direkt von vorne kommen, auf. Somit ist es quasi eine akustische Lupe, mit der ich sehr nah an Geräusche drankomme, während die komplette Umgebung ausgeblendet wird. Außerdem kann ich auch extrem leise Klangquellen recorden, die wiederum deutlich feiner, detaillierter und texturierter klingen. Oft ist es so, das Geld einem in der Musikproduktion Zeit und Nerven spart. Klar, man kann einzelne Geräusche auch mit den internen Mics der Fieldrecorder aufnehmen. Dann muss man sich jedoch auch ausgiebig mit der Postproduktion beschäftigen: Rauschen entfernen, Störgeräusche löschen und die Klangbalance insgesamt hochwertiger klingen lassen. Dieser Arbeitsschritt macht den Wenigsten Spaß, weil man ihn mit einem gutem Mikrofon eben nicht machen müsste. Meistens sind die Recordings mit dem MKH 416 ready to use. Damit wird die Arbeit auch deutlich inspirierender, denn ich höre pures Earcandy. Für diese Preisklasse ist es verdammt robust und somit perfekt für Außeneinsätze geeignet. Wenn Mikrofone wie das MKH 416 nicht in eurem Budget sind, findet ihr die Sennheiser-Mikrofone auch bei jedem Verleih, der was auf sich hält.

Fieldrecoder

Das Mikrofonsignal  wird im Fieldrecorder vorverstärkt und schließlich auf einer SD-Karte gespeichert. Hier kann man nicht viel falsch machen. Recorder kommen oft von Zoom oder Audio-Device. Gebt an dieser Stelle mehr Geld als 200 Euro aus, denn die Mikrofon-Vorverstärker sind in dieser Preisklasse ziemlich schlecht. Das ist kein Problem bei einer lauten Umgebung, die einen Rauschpegel deutlich übertönt. Bei leisen Klängen, wie etwa Regenrasseln auf einer Fensterscheibe oder einer Sprachaufnahme in leiser Umgebung, wird euch ein Vorverstärker-Rauschen richtig nerven, egal, wie gut euer Mikrofon ist. Achtet darauf, dass ihr alles mit 24Bit/92kHz aufnehmt. So klingen eure Field Recordings auch nach einer extremen Pitch-Transformation noch ziemlich gut. Und sucht euch ein Modell mit mehreren Mikrofoneingängen aus, dann sind auch Stereo- und Surround-Aufnahmen kein Problem.

Während der Aufnahme

Bewegt euch so wenig wie möglich. Zieht Baumwoll-Kleidung an, denn Polyester ist deutlich lauter, wenn ihr euch bewegt. Und hört die Aufnahme mit geschlossenen Kopfhörern ab. In-Ear-Kopfhörer gehen auch, und ihr bleibt dabei etwas anonymer unter anderen Menschen. Nur durch das Abhören erkennt ihr Störgeräusche. Und durch eine falsche Bewegung kann eine wunderschöne Aufnahme unbrauchbar werden. Also Kopfhörer auf!

Archivierung

Am Ende könnt ihr eure Aufnahme an diesen Parametern bewerten:

  1. Schnittfehler: Wie habe ich die Aufnahme im Anschluss editiert? Hört man eventuell Fades, Cuts oder abgeschnittene Hallfahnen?
  2. Technisches Rauschen, Brummen, Störgeräusche: no comments
  3. Isolation: Ist nur das Geräusch zu hören, das ich auch aufnehmen wollte?
  4. Pegel: Wie weit ist die Aufnahme über dem Grundrauschen? Gab es genügend Headroom, um Verzerrungen zu vermeiden?
  5. Perspektive und Räumlichkeit: Spannt die Aufnahme einen Raum auf?
  6. Performance: Passiert etwas Spannendes mit dem Klangobjekt?
  7. Detailgrad: Wie nuanciert klingt die Aufnahme? Vor allem hier macht das MKH 416 einen Unterschied.
  8. Bauchgefühl: Stimmt das Feeling?

Benennt eure Files bei der Archivierung ordentlich, indem ihr genau beschreibt, was zu hören ist.

Field Recordings und elektronische Musik

Stellt euch euren Track mal als Location vor. Oft könnten das bei elektronischer Musik Industriegebäude sein. Also ab dahin: Hämmert auf alten Rohren in verschiedenen Lautstärken. Lasst Dutzende Schrauben aus zehn Metern Höhe in einem alten Warehouse fallen. Experimentiert mit verschiedenen Materialien, die ihr schleift, zerstört, trommelt, werft, dreht oder rollt. Benutzt alte Lagerhallen und Industriekomplexe als echten Hallraum: Spielt einzelne Elemente aus euren Tracks durch Lautsprecher und nehmt diese Elemente am anderen Ende der Halle, angereichert durch den Raum, nochmals auf. Spielt Instrumente in Bunkern, Höhlen oder Kirchen und nutzt den immensen Reverb dieser Orte. Denkt groß: Was ist das lautmöglichste Klangereignis, das an diesem Ort möglich ist?

Und denkt auch klein: Was ist das leiseste und feinste Geräusch, das ihr produzieren könnt? Welches Geräusch gibt es nur an diesem einen bestimmten Ort? Und welches Geräusch könnte ein guter Riser für euren Track sein? Sucht euch bewusst Sounds aus, aus denen ihr bestimmte Percussion-Elemente machen könnt. Dann zieht euch Kopfhörer an, lasst euren Track darauf laufen und klopft einen Groove auf dem Material, das wie eine Snare, eine Hi-Hat oder Ähnliches klingt. Erstellt „schmutzige“, durchgehende Geräuschtexturen, indem ihr mit einem Stab durch Anhäufungen von verschiedenen Materialien geht. Kieselsteine, Glasscherben, Blätter oder Metallschrott geben euren Tracks jede Menge Organik. Überlegt auch, welche Ästhetik euer Track haben soll: Wie hart oder sanft  rege ich die Klangobjekte an, damit sie zu meinem Stil passen? Manchmal ist es auch spannend, zu unüblichen Zeiten zu recorden: Nachts ist es auch in Städten manchmal so still, dass man mit den Klängen von Baustellen experimentieren kann, ohne den gewohnten Lärm auf der Aufnahme zu haben.

Sucht aber auch in eurem eigenen Haushalt nach Klängen, die sich für elektronische Musik eignen: Es klingt oft sehr gut, einfach auf einen Tisch zu klopfen und das Ergebnis unter die Snare zu schichten. Versucht schon bei der Aufnahme, den Groove ein paar Takte lang richtig mitzutrommeln, sodass ihr die Aufnahme nicht aufwendig auseinanderschneiden müsst. Ein Geheimtipp sind Musikläden. An diesem Ort klingt es überall. Außerdem liegen fast immer kleine Percussions bereit, um sie zu testen. Mit dem Sennheiser MKH 416 blendet sich hier die gesamte Umgebung des Ladens aus und man hört nur das gespielte Instrument. Fragt auch gerne einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin, ob er/sie Zeit hat, euch ein Instrument vorzustellen, das ihr noch nicht beherrscht.

In dieselbe Kategorie gehören definitiv auch Straßenmusiker*innen. Interessante Ergebnisse liefern auch Sprachaufnahmen, wobei mein Richtmikrofon wieder Hauptverdienste leistet und den Hintergrund ausblendet. Wenn ihr Klänge gefunden habt, geht‘s ab ins Studio. Ab jetzt heißt es pitchen, reversen, verzerren, filtern, verhallen, rhythmisieren, schichten oder stretchen. FAZEmag und Sennheiser wünschen dir viel Spaß dabei!

 

Aus dem FAZEmag 122/04.2022
Text: Bastian Gies
www.sennheiser.de