Hallo lieber FAZEmag-Leser,
schön, dass du auch dieses Mal wieder eine Ausgabe in den Händen hältst – eine ziemlich bedeutsame sogar – denn diesen Monat ist es die einhundertste!
Deswegen schauen wir uns dieses Mal nicht nur technische Aspekte an, sondern werfen auch einen Blick auf die Entwicklung elektronischer Musik seit Gründung des Magazins Anfang 2012.
Wo warst du damals? Nimm dir einen Moment Zeit, schließe deine Augen und versetze dich zurück. Welche Musik lief bei dir zu dieser Zeit? Welche Releases bekommst du bis heute nicht mehr aus dem Kopf und welchen Künstlern bist du seit damals treu geblieben? Frischen wir unsere Erinnerungen doch gemeinsam auf.
Die Beliebtheit und Menge von Festivals und Open Airs steigt jährlich. 2012 hatte das Airbeat One Festival beispielsweise noch rund 15.000 Besucher, im letzten Jahr waren es bereits 65.000 Feierbegeisterte. Ein Jahr später kam mit dem BigCityBeats World Club Dome in Frankfurt ein weiteres Großevent hinzu, dessen Besucherzahlen sich bis heute sogar versechsfacht haben. Zu den verschiedenen Ausläufern von BigCityBeats werdet ihr hier im FAZEmag ja ohnehin auf dem Laufenden gehalten.
In einem ähnlichen Tempo entwickelten sich übrigens auch das Parookaville und auch das New Horizons Festival. Seit ihrer Entstehung halten sie mit der Kapazität etablierter Events, wie das Nature One-Festival, problemlos mit.
Das damals schon gehypte Tomorrowland feierte 2019 mit dem Motto „The Book of Wisdom, The Return“ die Wiederkehr des Mottos 2012 – diesmal jedoch auf zwei Wochenenden erweitert! Ein weiterer Trend, der den Festivalsommer vieler Raver zumindest im Jahr 2012 bestimmte, waren die erstmals veranstalteten Holi Festivals of Colours.
Und obwohl die Welt 2012 nicht – wie vom Maya-Kalender prognostiziert – untergegangen war, gab es in der Musikwelt trotzdem traurige Neuigkeiten: Die amerikanischen Gesangsikonen Whitney Houston und Etta James verließen uns für immer. Der 2011 erschienene Hit „Levels“ von Avicii enthält ein Sample von Etta James, das sich, fast wie eine Hommage an die Gospel-, Soul-, und Jazzsängerin, durch das ganze Jahr 2012 zieht.
Viele von euch möchten es vielleicht nicht wahrhaben: der glattgebügelte Sound von EDM war vor acht Jahren noch en vogue. Schweden gewinnt beim Eurovision Song Contest mit Loreens „Euphoria“, einer Synth-Hymne, die als Fortsetzung von „Levels“ herhalten könnte. Spätestens mit Hardwells „Spaceman“ erreichte EDM seine goldene Stunde.
Auch fernab des Mainstreams hatte sich in dieser Zeit einiges gewandelt. Bereits vor dem EDM-Hype wuchs Minimal vor allem in Deutschland als eigenes Genre heran. Minimalistische, klickernde bis blubbernde Sounds, groovige House-Vocals — gesampelt oder per Computer imitiert — sowie Tech-House-Sets, die an jene aus der Bar25 erinnern, bestimmen die Clubnächte und Festivals.
Abseits des großen EDM-Hypes stehen um 2012 also auch Erfolgsgeschichten aus den Bereichen House und Tech-House. Doch wo sich in der Popkultur Strömungen entwickeln, steht eine Gegenströmung bereits in den Startlöchern.
So ließ sich in den letzten Jahren beobachten, dass sich der Techno in Europa noch schneller und düsterer als zu seinen Anfangsjahren entwickelte — vermutlich, um eine klare und offensichtliche Abgrenzung innerhalb der elektronischen Musikszene zu schaffen. Es muss jetzt eben schocken im Club! Wo 2012 noch 120 bis 130 BPM normal waren und alles darüber hinaus schon fast als zu hart und zu derb empfunden wurde, sind wir heute bei 130-150 BPM angelangt. Die Kultur der 90er Jahre lebt wieder auf und so auch der Sound mit seinem starken Tempo. Rave is back! Dieser Unterschied von rund 10 BPM macht schon einiges her in der Musikproduktion. Aber am ehesten soll das Tempo zum Gefühl der Nummer passen.
In dieser Ausgabe unserer SINEE-Tipps wollen wir dir zeigen, wie sich der Spirit von 2012 produktionstechnisch vom modernem Techno unterscheidet.
Das Feeling in den Drums
Kick, Bass, Hihats, Percussion, Synth und Instrumente sollten immer nach dem gewünschten Grundgefühl bearbeitet werden. So offensichtlich das vielleicht klingen mag, aber tatsächlich vergisst man ab und zu das große Ganze, wenn man sich mal wieder im Kompressor verzettelt hat o. Ä. Dabei ist es so einfach:
ruhig = Lowpass-Filter, Hall
unruhig = Verzerrung
schnell = hoch
langsam = tief
sauber = kurze Samples, viel EQing
dreckig = weniger Bearbeitung, mehr Verzerrung
Kick, Bass, Hihats, Percussion, Synth und Instrumente sind die Grundbausteine eines Instrumental-Tracks. Um 2012 waren Drums innerhalb eines Genres klanglich oft identisch und mit wenig Aufwand sequenziert. Im modernen Techno finden wir abwechslungsreiche Hihats und Snare-Rolls, Grooves, die schwer zu imitieren sind. Wer schon mal versucht hat, Kobosil oder Joyhauser nachzubauen, weiß genau, wovon wir sprechen.
Aber wie macht man aus einer Skizze ein dramatisches Unterwelt-Gewitter oder hypnotische Traumtänze?
Atmosphäre schaffen
Für düstere, epische Atmosphären kannst du wilde Delays und krasse Verzerrung nutzen sowie einen Hall mit weniger Höhen. Dazu vielleicht einen Bitcrusher. Für hypnotische Traumtänze empfehlen wir einen Tape-Delay mit Input-Übersteuerung und ein wenig Band-Leiern. Dahinter eventuell einen Chorus oder Filter mit Modulation, der Bewegung ins Spiel bringt. Das Ganze mit Reverb und EQ abschmecken.
Wichtig ist lediglich, dass die Return-Spuren unterschiedliche Frequenzbereiche bedienen, also Höhen, Mitten, Tiefen oder unterschiedliche Aspekte wie Dynamik, Verzerrung, Atmosphäre usw. erfüllen.
Ear Candy
Ear Candy nennen wir manchmal die extra Effektsamples, die neben unserer unendlichen Palette an Effekten die Gesamtstimmung verstärken und den Zuhörer lenken können.
Dazu zählen zum Beispiel Impacts. Wie der Name schon sagt, ist dies ein Geräuschimpuls jeglicher Art mit langem Abklang. Die herkömmlichsten Ear-Candy-Samples sind zeitlich umgekehrte Crash-Cymbals, also Schlagzeugbecken. Das geht auch mit jedem anderen hohen Geräusch, dass eingefadet wird. 2012 war es eben sehr üblich, White Noises zu benutzen. Heutzutage ist das wieder weniger zu finden. Bei umgedrehten Samples geht es hauptsächlich darum, dass der dafür benutzte Sound sehr lange ausklingt. Besonders üblich sind da auch Stimmschnipsel mit langer Hallfahne: Bevor eine zauberhafte Stimme erklingt, haben wir bei einem umgedrehten Sample diesen aufatmenden Effekt – unbedingt ausprobieren!
Selbstverständlich sind Field-Recordings auch Teil des Arsenals und eine gut gewählte Waffe bei komplexen, verspielten Nummern. Nun gut! Mit diesen Mitteln sind wir jetzt schon mal Meilenweit von dem klinischen Klang der 2010er-Jahre entfernt. Da wir jetzt schon mal ein bisschen Grundstimmung haben, können wir’s ja so richtig krachen lassen!
Wichtige Bestandteile des Rise-up
Die Steigerung in elektronischer Musik zum Drop nennen wir Rise-up, oder explizit in den Drums Build-up. Jeder weiß genau, was damit gemeint ist, der Rhythmus wird schneller (oder voller) und die Energie steigt an. Hier bietet es sich an, einen Hall mit vielen Höhen dazu zu mischen, um den Mix zu füllen. Ob man Snare-Roll-Fan ist oder nicht, jeder muss für sein Lieblingsgenre die Art des Aufbaus ausfindig machen. Entweder geht man einfach mit dem Flow, zockt Sequenzen live ein oder man hört ganz genau hin, wie die Vorbilder es machen. Eins ist sicher: Je mehr Kicks im Build-up, desto kitschiger wird die Nummer. Nein, im Ernst. Ein häufiger Fehler ist es, in den Rise-up so viel reinzustecken, weil da immer noch was geht und dann wirkt der Drop klitzeklein dagegen.
Go with the flow, weniger ist im Build Up meistens mehr – es sei denn, man möchte wirklich einen gewissen Kitsch erzeugen. Ear Candy ist hier immer gerne gesehen!
Noise und Cymbals, die den Rhythmus verdoppeln oder die längere Decay-Zeiten bekommen, sind das gängigste Aufputschmittel, genau wie Filterfahrten oder Hall-Effekte. Der beschleunigte Sound – egal ob Snare, Cymbal oder Percs – klingt wesentlich besser, wenn die MIDI-Noten abwechselnde Velocity-Werte haben. Dadurch verhindert man, dass der Sound bei schneller Wiederholung rattert wie aus einer Maschinenpistole.
Das Jahr 2012 hatte musikalisch viel zu bieten und ist darüber hinaus auch stilprägend für die Genres der elektronischen Musik der darauffolgenden Jahre gewesen.
Kreativität und Hingabe in Sounderforschungen sind zeitlos und zeigen sich immer in neuem Gewand. Sie sind Leidenschaft, die eine Faszination in den Zuhörern erweckt und sie lebenslang an die Musik fesselt.
Mehr Tipps & Tricks zum Mucke machen findest du auf unserem SINEE-YouTube-Kanal.
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Text: Johann Köhnen