Soma Laboratories Enner – Musik zum Anfassen

Soma Laboratories Enner

Es ist zu einer netten Gewohnheit geworden: Immer wenn ich beginne, neue Soma-Instrumente auszuprobieren – und zwar immer ohne Manual oder Tutorials – warte ich ungeduldig, bis endlich der ersten Ton, Sound oder zumindest Knackser herauskommt. Und wie immer hat es auch beim Enner eine ganze Weile gedauert.

Ganz schön nervig, könnte man sagen. Aber das stimmt eigentlich nicht. Es ist eine Challenge, auf die ich mich immer freue und es liegt an der Philosophie der Instrumenten-Designer*innen von Soma. Dafür kann man nochmal kurz zurück in die Zeit der ersten elektronischen Instrumente gehen: In den späten 1920er-Jahren erzeugten Theremin, Trautonium oder Ondes Martenot einen neuen Soundscape, der alle bisher gehörten Klangerfahrungen in den Schatten stellte. Doch zusätzlich zum neuen Klang – nämlich der Klangsynthese – war es eben auch die neu gedachte Steuerung von Lautstärke, Frequenz oder Timbre, die eine Wende einläutete. Abseits vom Denken in den bis dahin gewohnten Tonleitern akustischer Instrumente wie dem Klavier konnte man nun jede kleinste Frequenz- oder Lautstärkeänderung einstellen. Und zwar durch Handgesten.
Damit war man schon vor 100 Jahren ein Vordenker von MPE oder anderen heute aktuellen Techniken. Die ersten kommerziell erhältlichen Synthesizer wie der Minimoog erweiterten die Klangmöglichkeiten zwar beträchtlich und machten sie für sehr viele Musiker*innen verfügbar – gleichzeitig nutzte man wieder die Tastatur und war damit wieder deutlich näher am Musikverständnis des vorherigen Jahrhunderts. Und dieser Trend hält bis heute an – die allermeisten gut verkauften Synthesizer werden über eine Tastatur gesteuert, welche die eigentlichen Möglichkeiten des Instruments etwas ausbremst. Und somit ist es kein Wunder, dass es erst einmal eine Herausforderung ist, aus dem Enner von Soma Laboratories einen Ton herauszubekommen – aber, hey: Die Mühe lohnt sich.

Enners Oberfläche besteht aus einer Vielzahl von Kontaktfeldern, an denen ein ganz leichter Strom anliegt. Ähnlich wie bei einem Modularsynthesizer. Nur dass bei diesem Kabel das Mittel der Wahl sind, um verschiedene Kontaktfelder miteinander zu verbinden. Beim Enner benutzt man stattdessen den eigenen Körper, um Ströme fließen zu lassen. Damit geht man deutlich Richtung Live-Performance und Intuition, im Gegensatz zu Kabeln hat man hier natürlich ein expressiveres, aber auch kurzweiligeres Vergnügen.

Quelle: SchneidersLaden GmbH

Der wichtigste Part ist die große Filtersektion in der Mitte, die direkt an den Output geroutet ist. Die Filterfelder muss man berühren, um einen Klang rauszubekommen. Die Anordnung der Filter ist so: Ganz unten ist ein Lowpass-, danach zwei unterschiedlich gestimmte Bandpass- und darüber noch ein Highpassfilter. Das Feld darüber lässt das Signal direkt und ohne Filterung zum Ausgang, während ganz oben noch – Soma-typisch – ein sehr ausschweifend-charakteristisches Delay liegt. Eine riesige Besonderheit dieser Output-Sektion ist die Stereophonie: Die Filter sind in zwei Mono-Kanäle geteilt. Berührt man nur eine Seite, kommt der Sound von hart rechts oder hart links. Da die Performance über Berührung und Körperstrom sowieso sehr organisch verläuft, bekommt man hier dann direkt ein sehr breites Stereobild, wenn man beide Kanäle berührt. Aber welche Signale werden jetzt eigentlich in der Filter/Output-Sektion verbunden? Denn nur ein Filter klingt ja noch nicht.

Enner hat ganze vier Arten der Klangerzeugung. Die herkömmlichste ist ein fünfstimmiger FM-Synthesizer auf der linken Seite, der eigentlich auch ein kleinerer Soma Lyra-8 sein könnte. Seine fünf Stimmen lassen sich einzeln stimmen und können mit Ringmodulation oder FM noch transformiert werden. Außerdem gibt es noch einen Masterpitch-Regler für alle Stimmen gleichzeitig – klingt sehr drastisch und erinnert einmal mehr an Lyra. Denn hier sind alle Arten von spannungsgeladenen synthetischen Drones möglich – mal harmonisch, mal sehr noisy.

Auf der anderen Seite der Oberfläche findet sich ein komplexer Clock-Divider, dessen Prinzip man schon aus dem Pulsar-23 kennt: Verschiedene Felder unterteilen den Takt in verschiedene Zeitabschnitte. Wenn man die verschiedenen Felder kombiniert, kommen dabei sehr komplexe und gute Rhythmen heraus. Klanglich bewegt man sich hier im Bereich der Clicks, Glitche, Bässe und experimenteller Percussions. Wenn man beim Jammen dann noch die Tuning-Knobs des Dorne-Synthesizer auf der anderen Seite berührt, bekommen die Rhythmen eine tonale Komponente – und schon kann man die Drones quasi sequenzen.

Einen weiteren Schritt Richtung experimentelle Klangerzeugung macht Enner mit dem eingebauten Kontaktmikrofon, das Schwingungen und Berührungen auf der Frontseite aufnimmt. Hier kann man erstens zusammen mit den Filtern ein exzellentes Fingerdrumming entwickeln – oder mittels schwingender Materialen wie Federn, Gummibänder oder Haargummi ein eigenes Effektinstrument à la Springmaschine entwickeln. Da eine Feder und mehrere Gummibänder mitgeliefert waren, habe ich gemerkt, wie gut die damit erzeugten Soundeffekte live zum Auflegen gepasst haben – nicht zuletzt, weil es auch visuell eine gute Performance abgibt. Beim internen Kontaktmikrofon sollte man auf jeden Fall auf eine geringe Vorverstärkung achten, da sonst schnell Feedbackschleifen entstehen, die man nicht haben möchte.

Es gibt beim Enner jedoch auch Feedbackschleifen, die sehr gewollt sind: Verbindet man den Ein- und den Ausgang des internen Delays, entstehen sich hochschaukelnde Echo-Kaskaden, perfekt für den Übergang eines Tracks in den anderen. An der rechten unteren Seite findet man die passenden Regler für die Delay-Zeit, das Feedback und eine Modulation – passend „Bizarre“ genannt. Ganz ehrlich: An diesem Part hatte ich den meisten Spaß – man kann hier von ganz subtilen wabernden Texturen bis zu kreischenden Risern gehen. Und mit dem externen Input kann man das mit jedem Signal aus der DAW machen und diesem den gewissen Touch geben. Das Delay klingt wie so oft von Soma nicht analog, sondern eher charakteristisch-digital – damit passt es sehr gut zur aktuellen Ästhetik.

Jetzt sind wir durch alle Funktionen gegangen und nach mehreren Wochen im Test wird es nun Zeit zu reflektieren, wann Producer*innen so einen experimentellen Performance-Synthesizer brauchen. Denn Enner ist ein recht einfaches Gerät, das für einen bestimmten Sound steht und keine gefällig klingende Brot-und-Butter-Lösung. Er klingt rough, wild und brodelnd – aber ohne analoge Klischees. Alles, was man in seinen Input schickt, transportiert er in diese Soundwelt. Experimentelle Performances könnte man allein mit Enner performen – hier hat man erstens alle Hände voll zu tun und kann sowohl rhythmische als auch harmonische Elemente steuern. Aber vor allem kann man eigenen Grooves aus der DAW nochmal einen variationsreichen und trippigen Touch geben, wenn man Enner hier nochmal als Effektgerät benutzt.

Bei langen Jamsessions sind immer wieder Sounds rausgepurzelt, die ich vorher nie so gehört habe – inzwischen gibt es bei mir eine eigene Library mit zischenden Glitches, pulsierenden Atmosphären oder schreienden Echos. Definitiv ist Enner kein Tool für jeden – doch der faszinierende Aspekt, elektronische Musik per Berührung zu performen, überwiegt bei mir gerade doch sehr.

Aus dem FAZEmag 150/08.2024
Text: Bastian Gies
www.somasynths.com