Soma Laboratory Cosmos – Aktives Zuhören

Foto: Bastian Gies

Ein Looper ist so ziemlich das letzte Studio-Tool, das ich mir zulegen würde. Man begegnet hier meistens doch nur sich selbst und ist nach spätestens drei Stunden gelangweilt. Beim Auspacken des Cosmos hatte ich genau diese Gedanken – mehr als fünf Stunden später hatten sich meine Zweifel erledigt, denn die Zeit verging wie im Flug. Das liegt daran, dass der Cosmos zwar Gemeinsamkeiten mit einem gewöhnlichen Looper hat und doch auf einer anderen Ebene funktioniert. Das eingespielte Material verändert sich ständig und wird neu kombiniert, sodass dieses Gerät eher als eine Mischung aus Mitspieler, Looper, Klangfärber und Raumsimulator daherkommt. In unserem Test geht es mehr um Anwendungen des Cosmos in der elektronischen Tanzmusik, anstatt alle technischen Details zu durchlaufen – da seid ihr in der liebevoll geschriebenen Gebrauchsanleitung schon eher richtig. Hier trotzdem ein kurzer Überblick über das Was und Wo dieses neuartigen Effektgerätes.

Cosmos erinnert stark an ein sehr großes Gitarren-Pedal, seine Schalter, Drehregler und Wahlschalter sind jedoch dafür gemacht, mit der Hand gesteuert zu werden – perfekt für Synthesizer-Liebhaber. Input-Signale, über zwei Klinken-Kabel ins Gerät gebracht, werden in mindestens zwei Delay-Lines immer wieder repliziert. Und repliziert. Und repliziert. Das kann ein normaler Looper auch. Was aber danach kommt, ist relativ neu: Mit dem Regler „Blur“ werden die Delay-Signale nochmal in die eigene Echo-Schleife gebracht – damit verschiebt sich immer wieder die Reihenfolge des Loops. Durch diese unvorhersehbaren Modulationen generiert man unzählige organisch erscheinende Transformationen seines Eingangsmaterials – perfekt für elektronische Maschinenmusik, die etwas humaner und variantenreicher klingen soll. Der Drift-Regler steuert das Panorama des Loops und verteilt die gegeneinander verschobenen Delay-Lines asynchron ins Stereofeld – und bei zwei Cosmos-Units auch in die Quadrophonie. Das erzeugt eine große Raumwirkung bei musikalischem Material oder auch mehrkanaligen Soundinstallationen. Mit „Drive“ kann man dem geloopten Signal – leider ausschließlich diesem und nicht dem trockenen Input-Signal – ordentlich Zerre mitgeben. Und das auf die Soma-Art von leicht-knusprig bis derbe schreiend mit digitalem Flair.

Dann gibt es noch die altbewährten und sinnvollen Parameter „Sub/Comp“ und „Feedback“. „Comp“ aka Compressor verdichtet den dynamischen Umfang des Signals und hebt die leiseren Geräusche des Loops im Verhältnis zum Rest an, während „Sub“ aka Supressor als eine Art Sidechain für das Input-Signal funktioniert: Auf eine sehr sanfte, aber konsequente Weise wird der Loop in den Hintergrund gedrückt, während das einkommende Input-Signal deutlich präsenter wirkt. Der Feedback-Regler bestimmt, wie lange die Delay-Lines verbleiben: Alles unter 1 wird mit der Zeit schwächer, bei 1 bleibt es immer in derselben Lautstärke – aka wie beim normalen Looper – und über dem Wert 1 schwellen die Delays immer lauter an.

Im Mittelpunkt der Oberfläche liegt der entscheidendste Schalter, nämlich die Wahl der Delay-Algorithmen. Der erste Algorithmus bietet zwei Delay-Lines an, mit jeweils Zeiten von 2,5, 9,5 und 22 Sekunden als Looping-Zeit. Zwei Delays bieten sich gerade dann an, wenn man relativ klare Pattern und Texturen erschaffen möchte, während der nächste Algorithmus vier Delays mit jeweils 2,5 oder 8,5 oder 11 Sekunden bereithält. Wenn man vier Delays mit dem Blur und den Drift-Reglern gegeneinander verschiebt, enstehen schnell relativ komplexe flächige Motive. Der nächste Algorithmus ist ein groß dimensionierter Hall, der das Input-Signal sofort in neue Sphären bringt.

Als letzten Algorithmus – zumindest in der installierten Firmware – kann man ein Grain-Delay benutzen, das wieder drei Modis bereithält: Von kleinen zu mittleren zu großen Grains bekommen jegliche Input-Signale die beliebte Grain-Textur ohne aufwendige Granular-Synthesizer. Passend dazu kann man die Loops mit dem Reverse-Schalter rückwärts abspielen und somit nochmal mehr ambiente Größe erzeugen. Darüber hinaus gibt es aber auch eine zusätzliche Firmware, mit der man synchrone Delays erzeugt für rhythmisches Material, das straight und tight sein soll.

So viel Basis-Knowledge musste sein, doch jetzt geht‘s langsam Richtung Anwendung der „Drifting Memorie Station“ im Techno-Business:

01

Organic Shaking Forever

Shaker und Hi-Hats sind die Elemente, die unseren Beats Textur und Groove geben. Durch ihre bloße Klangfarbe erscheinen Grooves in einem anderen Licht. Mit dem Cosmos kann man ziemlich einfach interessante, durchgehende Klangbetten erzeugen: Mit organischen Materialien wie Reis, Sand, Papier, Münzgeld oder Kaugummi-Packungen erzeugen wir eine durchgehende Fläche, indem wir mehrere Durchgänge mit zufälligen Bewegungen des Materials im zweiten Delay-Algorithmus des Cosmos aufnehmen. Dabei ist alles erlaubt: schütteln, reiben oder rieseln lassen. Heraus kommt eben eine sich stetig verändernde Klangschicht voller britzelnder, organischer  Soundevents. Um daraus Shaker zu formen, kommen nun Plug-ins wie die Shaperbox oder das kostenlose LFO-Tools in Spiel, die die Fläche zu typischen Shaker-Rhythmen formen können.

Für eine unglaubliche Stereo-Breite kann man zwei Versionen dieser Klangfläche erzeugen und beide hart auf die jeweils andere Seite des Stereo-Panoramas legen – somit entstehen zwei leicht verschiedene Versionen aus dem gleichen Ausgangsmaterial. Damit entsteht in den Hi-Hat/Shaker-Parts ein großer Variantenreichtum mit einem starken eigenen Touch.

02

Synthapella

Producer*innen verschiedenster Couleur sind sich meistens in einem Fakt einig: Tracks brauchen einen roten Faden im Sound. Um nicht auseinanderzufallen und aus zu vielen unzusammenhängenden Elementen zu bestehen, ist es oft wichtig, einen Großteil des Sounddesigns aus den bestehenden Elementen zu kreieren. Mit dem Cosmos können wir dort nachhelfen. Nehmen wir an, der Track besitzt eine melodische Synthesizer-Melodie, die einen großen Moment bekommt, um zu glänzen und ihr Earcandy in der Crowd zu verteilen – so wie wir das von Musikern wie Stephan Bodzin kennen. Doch wenn diese Melodie im Vordergrund ist, wie kreiert man einen interessanten Mittel- und Hintergrund? Nun, wenn du die Synthesizer-Linie in den Cosmos fütterst, zum Beispiel wieder im zweiten Delay-Algorithmus, erzeugst du automatisch einen passenden und sinnvollen Backing-Track deines Synthesizers, der sich zudem ständig leicht verändert. Somit ist die umgebende Klangfläche in engem Bezug zum herausstechenden Synthesizer-Lead. Hier kann man stark mit Feedback, den Delay-Zeiten und dem Algorithmus spielen, um die Raumgröße des Pads zu verändern. Das Zusammenspiel mit starken Lead-Synthesizern klappt so gut, dass man auf diese Weise auch minutenlange, cineastische Synthappellas erzeugen kann – ganz ohne Beats.

03

Hidden Sampling

Der dänische DJ und Producer Axel Boman erzählte uns einmal im Interview, wie er die charmante und wundervolle Randomness seiner sample-basierten House-Grooves erzeugt: „Nimm eine alte Platte – starte sie und dann lege die Nadel an zufällig ausgewählten Stellen drauf, aber nur ganz kurz jeweils. Am Ende hast du eine Aufnahme mit all diesen Mikro-Samples und in der Regel klingen fünf oder sechs davon ziemlich cool und sehr unerwartet, sodass sie sich als Percussion-Elemente oder Effekte sehr gut eignen.”
Was bei seinem Club-Hit „Purple Drank“ funktionierte, geht noch kreativer mit dem Cosmos – dabei müssen wir sogar noch weniger auf Copyright-Angelegenheiten achten als der Studio-Barnhus-Gründer.  Cosmos versteckt den Ursprung des Samples in einem neuen sphärischen Klangerlebnis. Perfekt für deepe Atmoshpären und hypnotische Patterns ist es also, seine Jazz-Library durchzugehen und kleine Schnipsel daraus mit dem Cosmos aufzunehmen. Benutzen wir den Blur- und Drif-Regler können aus kleinen Saxophon-, Klavier- oder Stimmsamples lebhafte organische Elemente für eure Tracks werden. Gerade für balearisch-deepe Arrangements eignet es sich, den Cosmos aus kurzen Samples pulsierende Flächen kreieren zu lassen. Dabei hilft einem wieder der Blur-Regler: Wenn er aufgedreht ist, driften die Delays immer weiter auseinander. Wenn man irgendwann den perfekten Loop gefunden hat, darf man nicht zögern, den Blur sofort wieder auf die Nullstellung zu drehen. Damit bleibt der Loop gespeichert und wird immer weiter wiederholt.

Soma Laboratory schaffen es immer wieder, ihre digitalen Effekt-Algorithmen unter der Haube in ein organisches Instrument zu entwickeln – analoger als analog. Der ersten Test-Session sind jetzt nun ein paar weitere schöne Sonntagnachmittage gefolgt, in denen man alleine, zu zweit oder mit mehreren Personen schöne Musik mit nur einer „Drifting Memory Station“ erzeugen kann. Ich glaube, Looper sind immer noch nicht meine Favoriten, aber Cosmos ist ja sowieso keiner von ihnen.

Aus dem FAZEmag 145/03.2024
Text: Bastian Gies
Fotos: Bastian Gies
www.somasynths.com