
Die Techno-Szene in der georgischen Hauptstadt Tiflis zählt zu den spannendsten in ganz Europa. Clubs wie das Bassiani oder KHIDI genießen eine hohe internationale Reputation und sind für ihren rohen, industriellen Charme berühmt. Bekannt ist Tiflis jedoch nicht nur für eine einzigartige Techno-Kultur, sondern auch für seine jahrhundertealte Geschichte und ein transkulturelles Flair, das orientalische, sowjetische und westliche Einflüsse vereint. Für eine neue „Städetrip“-Edition haben wir mit Ana Marjanidze alias 3AM gesprochen, die als Resident-DJ im Bassiani aktiv ist und dort ihre eigene Partyreihe unterhält. Im Interview gewährt sie einen authentischen Blick auf die Stadt und schildert die Sorgen der Szene, die durch den Paradigmenwechsel in der georgischen Politik geschürt werden.
Ana, was machst du gerade? Bist du in Tiflis oder unterwegs?
Ich bin aktuell zurück in Tiflis, nachdem ich ein paar Tage in Berlin verbracht habe. So ein kleiner Tapetenwechsel ist manchmal genau das, was man braucht, um neue Kraft zu schöpfen. Aber nun heißt es wieder: Zurück zur Realität – die besteht momentan aus ununterbrochener Arbeit und ebenso ununterbrochenem Protest. Es ist eine intensive Zeit.
Protest ist ein gutes Stichwort. Wie ergeht es der Club-Szene, seit die repressive und populistische Partei Georgischer Traum an der Macht ist?
Die Lage hat sich dramatisch zugespitzt. Über 100 Tage anhaltende Proteste gegen die repressive Politik, gegen willkürliche Verhaftungen und gegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit erschüttern das Land. Die Clubkultur ist besonders betroffen – sie steht traditionell für Freiheit, Vielfalt und queere Sichtbarkeit. Viele Clubs in Tiflis gingen über einen Monat lang in den Streik, ein starkes Signal der Solidarität mit der Bevölkerung. Trotz der Bedrohung durch neue Gesetze, etwa gegen LGBTQ+-Rechte, bleibt die Devise: Widerstand ist alternativlos. Die Szene lebt weiter – laut, entschlossen und unnachgiebig.
Die Szene in Tiflis ist einzigartig und mysteriös. Gibt es einen musikalischen Schwerpunkt?
Sie ist nicht nur musikalisch spannend, sondern auch politisch aufgeladen. Seit Jahren formt sie eine eigene Identität, die eng mit den gesellschaftlichen Umbrüchen im Land verbunden ist. Clubs sind in Tiflis mehr als Orte zum Tanzen – sie sind Schutzräume, Ausdrucksorte und Treffpunkte für Gleichgesinnte. Von Techno bis Experimental reicht das Spektrum, aber wichtiger als das Genre ist oft die Haltung: progressiv, wach, unbequem.
Der beste Club in Tiflis, und warum?
Für mich ist Bassiani der Club schlechthin. Nicht nur wegen seines Soundsystems oder der internationalen Acts, sondern weil der Ort eine Seele hat. Diese Mischung aus rohem Beton, tiefer Emotionalität und kollektivem Freiheitsdrang ist einzigartig. Wenn man dort mitten in der Nacht auf dem Dancefloor steht, fühlt man sich gleichzeitig ganz bei sich und vollkommen mit anderen verbunden – ein fast magisches Gefühl.

Drei Must-Dos in Tiflis?
- Ein traditionelles georgisches „Supra“ – ein Festessen mit unzähligen Gängen, Trinksprüchen und gelebter Gastfreundschaft.
- Die Clubs und Musik-Locations der Stadt – sie gehören zur kulturellen DNA Tiflis’.
- Ein Besuch in den berühmten Schwefelbädern, die nicht nur wohltuend sind, sondern auch tief in der Geschichte der Stadt verwurzelt.
Ein paar Worte zur georgischen Küche?
Georgisches Essen ist pure Leidenschaft. Khachapuri (Käsebrot) und Khinkali (gefüllte Teigtaschen) sind die Klassiker. Aber auch Gerichte wie Chakapuli – ein würziges Schmorgericht – oder Lobio, ein Bohneneintopf, zeigen die Vielfalt der Küche. Wer nachfragt, erfährt spannende Geschichten über Herkunft und Bedeutung einzelner Speisen.
Abschließend: dein persönlicher Geheimtipp für Tiflis?
Lasst Google Maps aus und geht einfach los. Besonders in der Altstadt entfaltet Tiflis seinen ganzen Charme, wenn man sich treiben lässt – vorbei an alten Holzbalkonen, verborgenen Innenhöfen und kleinen Cafés. Oft entdeckt man so die schönsten Ecken der Stadt ganz zufällig.
Aus dem FAZEmag 159/05.2025
Web: www.instagram.com/ana_3am