Ein klassischer Berliner Hinterhof in Kreuzberg, Treffpunkt Fotoshooting. 18 Menschen trudeln nach und nach ein, unterhalten sich und nehmen den frühlingsdurchfluteten Ort samt angrenzenden Räumlichkeiten ein. Es ist die Stil vor Talent-Crew, die sich hier zwar nicht vollständig, aber in großer Mannschaftsstärke versammelt, um sich ihm Rahmen unserer Coverstory über das Label und die beiden neuen Alben „Grippin’ World“ von Niko Schwind und „I Am OK“ von Labelhead Oliver Koletzki (via Universal) abbilden zu lassen. Nach dem Shooting folgt das Interview mit den beiden Protagonisten in einer nahegelegenen Burgerbude. Neben den Alben sind auch das Label und zukünftige Projekte ein Thema.
Das Cover Artwork von Niko Schwinds Album greift Motive von „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry auf. Es zeigt ihn auf der Erdkugel mit diversen weltweiten Sehenswürdigkeiten. Zusammen mit dem Titel spiegelt sich hier die Begeisterung wider, die der 36-Jährige für die DJReiserei hegt. Die Idee kam von seiner Freundin, umgesetzt hat es Slapeter, einer der beiden Hausgrafiker von Stil vor Talent.
Niko, was genau reizt dich am Reisen?
Der Job bietet die unglaubliche Möglichkeit Orte zu sehen, die man wahrscheinlich sonst nie sehen würde. Und dann kann man auch dort noch auflegen und eine gute Zeit verbringen, das ist ein Geschenk.
Das klingt nicht nach der typischen Flughafen-Hotel-Club-und-zurück-Nummer…
Ich habe mittlerweile eine Art Netzwerk geknüpft und Freunde in Australien oder Brasilien, die ich dann besuche, wenn der Gig es ermöglicht. Das ist manchmal wie nach Hause zu kommen, weil ich mich einfach wohlfühle. Ich versuche dann auch bei ihnen zu schlafen und nicht im Hotel, wo man eh kaum vor die Tür kommt. Außerdem bin ich auch sehr froh, dadurch mit einer anderen Perspektive auf das Land zu schauen.
„Grippin‘ World“ ist dein drittes Album, das zweite auf Stil vor Talent – und der erste Track z.B. ist eher untypisch für das, was du bisher geliefert hast.
(lacht) Ich wollte schon immer mal einen HipHop-Track machen. Mir war es wichtig, etwas vielseitiger zu klingen als auf dem Vorgänger „Good Morning Midnight“, das ja schon ein sehr straightes Dancefloor-Album war. Natürlich darf zu „Grippin‘ World“ getanzt werden, aber es sind auch ruhigere Tracks dabei, und man kann sich vielfältiger mit der Musik auseinandersetzen.
Auch in der Wahl der Kollaborateure bist du neue Wege gegangen, keiner von den aktuellen war beim letzten Album dabei und umgekehrt ebenso.
Das liegt vor allem daran, dass ich dieses Mal Vokalisten an Bord habe. Produktionstechnisch kommt das aber dieses mal alles aus meiner Hand, während ich bei „Good Morning Midnight“ auf dieser Ebene auch viel mit anderen zusammengearbeitet habe. Heartbeat sind zwei Mädels aus Köln, die habe ich bei MySpace mal entdeckt, nur hat es sich vorher einfach nicht ergeben etwas zusammen zu machen. Mit Lil’ Magdalene habe ich schon vor zwei Jahren den Track „We Are The Future gemacht“. Ich habe sie mal in Melbourne kennengelernt, wo wir auch die Tracks für dieses Album aufgenommen haben. Serge Erége (alias Sergi) lebt in Sao Paolo, ebenso wie Dunwich, der allerdings Franzose ist. Und es sind natürlich die Früchte meines Netzwerkes, meiner Freundschaften, die ich geschlossen habe.
Um mal zum Anfang deiner Karriere zu gehen, wie würdest du rückblickend deine Anfänge bei Autist Records bewerten?
Das war sehr sehr wichtig für mich! Autist Records war das erste Label, das es mir ermöglicht hat, meine eigenen Tracks und mein Debütalbum zu veröffentlichen. Dafür bin ich sehr dankbar. Das Releasen auf dem Berliner Label war dann der letzte Anstoß, um nach auch dorthin zu ziehen und mich beruflich ganz der Musik zu widmen.
Dein Sound hat sich seit damals ziemlich verändert…
Damals klang ich böse und technoid (lacht). Da habe ich nicht konkret drauf hingearbeitet, das war eher ein schleichender Prozess. Handwerklich habe ich auch viel dazugelernt und mein Studio aufgerüstet, da ist das neue Album schon deutlich besser als seine Vorgänger. Ich habe im letzten Jahr auch mit Klavierunterricht angefangen. Es ist wirklich sauschwer als Erwachsener. Kinder lernen das so spielerisch. Natürlich habe ich es mir sehr schnell abgeschminkt, Konzertpianist zu werden (lacht), aber für die Harmonielehre war das schon sehr gut. Anfangs hat mich der Unterricht allerdings etwas gebremst, weil ich dann zu schematisch an die Sache ging, doch dann habe ich eine gute Balance gefunden.
Oliver, du gehst dieses Mal eher einen umgekehrten Weg. Dein letztes Album „Großstadtmärchen 2“ war sehr poplastig, „I Am OK“ hat hingegen mehr Tanzmusik zu bieten.
Mir fällt es total leicht solche poppigen Tracks zu machen, das fliegt mir einfach zu. Dieses Mal habe ich eben versucht einen Spagat zu machen, so dass ich mir selbst gerecht werde. Ein reines Dancealbum mit lauter tooligen oder monotonen Tracks kann ich einfach nicht schreiben. Das ist mir tatsächlich zu langweilig. Habe ich auch noch nie geschrieben. Selbst der „Mückenschwarm“ ist ein sehr melodiöser Track. Mir war es aber diesmal wirklich wichtig, dass mit „Streetknowledge“, „Bones“, „Parachute“ und „This Love“ vier Tracks auf dem Album sind, die man sehr gut im Club spielen kann. Es gibt natürlich immer einige Leute die sagen: ‘Uhh, der macht ein Popstück für Unversal‘, aber ich bin da ganz locker. Ich mache einfach gerne Musik und der eine Track geht eben mehr die Richtung, ein anderer in die andere Richtung. Das macht mich ja auch schließlich aus, ich kann eben beides und versuche beiden Seiten gerecht zu werden. Das bin ich, „I Am OK“.
An so einem Tag, wo sich hier ein großer Teil der Stil vor Talent-Crew trifft, hat man schon den Eindruck, dass ihr ein eingeschworener und zusammengewachsener Haufen seid.
Wir arbeiten gerne und lang mit unseren Künstlern zusammen, halten an ihnen fest und glauben an sie, auch wenn sie mal eine Flaute haben. Das ist unsere Philosophie. Heutzutage gibt es viele Labels, die hauen ein Release nach dem anderen raus, mit immer neuen Leuten. Das wird immer schnelllebiger. Mir persönlich ist es wichtig, dass ich mich mit den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite, auch gute verstehe. Ich hänge viel mit denen ab, ich fahre auf Tour mit ihnen, und wir hocken dann auch gemeinsam in Hotels. So etwas mache ich natürlich viel lieber mit Künstlern, die ich mag.
Fast alle Acts kommen aus Berlin.
Ja, außer Animal Trainer, Kellerkind, die beide aus der Schweiz kommen und HVOB, die aus Wien kommen. Aber die buchen wir dann
auch regelmäßig ins Watergate zu unseren Labelnächten oder in die Rummelsburg zu unseren Openairs. Ich glaube auch, dass es für unser Publikum sehr wichtig ist, dass es sich um eine offizielle Stil vor Talent-Labelparty handelt. Die wissen, dass das auf jeden Fall eine gute Party wird und dass man dort nette Menschen trifft.
Wie ist Niko bei Stil vor Talent gelandet?
Durch eine Empfehlung von Channel X. Die wiederum haben mir mal eine Demo-CD gegeben, die dann damals in meiner WG über ein halbes Jahr unterm Sofa lag (lacht). Schließlich fand ich sie wieder, hörte rein, und Channel X waren an Bord.
Niko und Oliver, was steht denn für die zweite Jahreshälfte an?
Niko: Ich habe mir noch vorgenommen, erstmals live zu spielen. Aber unabhängig vom Album und mit einem überschaubaren Setup. Waldorf Rocket, Laptop, Controller und Drum Machine. Und darüber hinaus wird es auch ein Live-Projekt mit Oliver zusammen geben. Im Sommer fangen wir damit an.
Oliver: Koletzki & Schwind wird das heißen, und wir werden uns dem Dancefloor widmen. Gegen Jahresende wollen wir die ersten Tracks veröffentlichen und im kommenden Jahr als Live-Act auftreten, Ich glaube, dass das eine gute Symbiose ist aus den Elementen, die wir mitbringen. Nikos Drum-Programmierung sagt mir privat auch sehr zu und ich bin überzeugt, dass aus dem Projekt gute Sachen entstehen werden.
Oliver, welche Releases dürfen wir außerdem noch auf Stil vor Talent erwarten?
Ganz frisch dabei ist Betnoname der im Juli seine erste EP bei uns veröffentlicht und im August folgt mit Klangkünstler ein weiterer Neuzugang. Ende September wird dann Fran ein Album veröffentlichen, auf dem sie House- und Technoklassiker der letzten zehn Jahre covern wird. Sie mit Gesang plus Pianist. Unter anderem könnt ihr etwas von Moderat erwarten, und „Sky And Sand“ ist auch mit dabei. Ebenfalls im September kommt die vierte Ausgabe der „Schneeweiss“-Compilation, und für kommendes Jahr sind Alben von Dan Caster und HVOB geplant.
Niko, das Schlusswort. Wirf doch mal einen Blick in eine etwas fernere Zukunft…
Ich werde auf jeden Fall immer im Studio sitzen und produzieren – bis ich tot umfalle. Gerne auch jemand anderes produzieren. Aber dafür bin ich noch nicht wirklich bereit, dafür muss ich noch zufriedener mit den eigenen Sachen sein, bevor ich das umsetze, was Auftraggeber von mir verlangen. Und es müssten auch Leute sein, die ich kenne, wie z.B. Heartbeat. Ich kann mir aber momentan nicht wirklich vorstellen, dass ich noch mit 55, 60 Jahren noch auflegen werde. Dennoch möchte ich das gerne machen, so lange es geht. Und wenn man sich wie wir in dieser Szene bewegt, dann hält das ja auch jung.
HIER geht es zum zweiten Teil des Interviews:
> Kurz & Knapp mit Oliver & Niko
> Friedrich Szendzielorz – In der Stil vor Talent-Schaltzentrale