Szene-Special: Frankfurt und Offenbach

Szene-Special: Frankfurt und Offenbach. Credit Foto THW: Sherko Thiel

Frankfurt und Offenbach – seit den frühen 90er-Jahren haben sich diese Städte in unmittelbarer gegenseitiger Nachbarschaft zu einem Magneten für Raver*innen, Musiker*innen und Kollektive entwickelt. Während Frankfurt mit seinem technoiden Puls und der Geschichte legendärer Clubs wie dem Omen oder dem Dorian Gray Pionierarbeit geleistet hat, brachte Offenbach mit seiner Offenheit für kreative Experimente und dem Robert Johnson stets eine frische Note in die Szene ein, die auch viele Jahre später weiterhin durch die Atmosphäre der elektronischen Musikwelt weht. In unserem Szene-Special werfen wir das Scheinwerferlicht auf die Clublandschaft zweier Städte, die zwar von Rivalität, in erster Linie aber von ihrer gemeinsamen Passion für pulsierende Rhythmen und elektronische Subkultur geprägt ist.

Im Gespräch mit Peter Wittner, dem Musical Director des Robert Johnson, tauchen wir in die Philosophie eines Clubs ein, der seit 1999 für puristische House- und Minimal-Nächte steht und seine von Ästhetik und Minimalismus gezeichnete Identität nie aus den Augen verliert. Bo Irion, Booker des Tanzhaus West, schildert die Herausforderungen moderner Clubführung in einem sich wandelnden Markt und erklärt, wie wichtig die Zusammenarbeit mit lokalen Kollektiven ist. Max Coga, Enkel des Gründers der Pik Dame, gibt Einblicke in den Balanceakt zwischen Tradition und Innovation, während Toan Nguyen vom Tokonoma über den Einfluss japanischer Architektur und das permanente Streben nach individueller Freiheit spricht. Spannende Einblicke erhalten wir außerdem von der Offenbacher DJ Luzie, die den umgekehrten Weg von Berlin nach Hessen bestritt, um dort neue kreative Impulse aufzusaugen, die sie mittlerweile regelmäßig hinter die Decks der Panorama Bar führen. Sprechen konnten wir auch mit dem Rawax- und DBH-Music-Founder Robert Drewek, der mit uns über glorreiche Zeiten der 90er-Jahre fabuliert und den Einfluss und die Entwicklung seiner gegründeten Institutionen schildert.
Zu guter Letzt findet ihr in unseren Szene-Tipps eine Auswahl an Frankfurter und Offenbacher Musik- und Kulturstätten, die ihr bei eurem nächsten Besuch definitiv berücksichtigen solltet.

 

www.tanzhaus-west.de

Tanzhaus West

Im Gespräch mit Bo Irion (Booking, Tanzhaus West)

Das Tanzhaus West – eröffnet 2003 in einer ehemaligen Druckfarbenfabrik – befindet sich im Gutleutviertel im Südwesten Frankfurts. Die Venue teilt sich das Industrie-Areal mit dem Club Dora Brilliant und besticht durch einen charmanten Warehouse-Flair, vier Floors inklusive Open-Air-Bereich sowie durch ein ausbalanciertes Booking zwischen großen Namen und engem Bezug zur lokalen Underground-Szene. Der Club zählt zu den am meisten frequentierten Spielstätten der Stadt.

Bo, du bist für das Booking der Tanzhaus-eigenen Partys zuständig. Nimm uns mit auf eine Reise durch deinen Alltag.
Jede Woche startet mit Meetings: Im Team-Meeting wird die Woche geplant, Feedback zum letzten Wochenende besprochen (Ablauf, Vorkommnisse, Schäden, Staff- und Gästerückmeldungen) und das nächste vorbereitet. Im Booking-Meeting analysieren wir Events und tauschen Ideen aus, während im Marketing-Meeting Kampagnen optimiert und Infos für Social Media und Ticketing abgestimmt werden. Außerdem kümmere ich mich um E-Mails, Verträge, Rechnungen, Absprachen mit Promoter*innen sowie die Planung von Technik und Logistik.

Man hört in letzter Zeit viel von teils horrenden DJ-Gagen. Das bekommst du als Booker an vorderster Front zu spüren. Wie gehst du damit um?
Für mich orientiert sich die Schmerzgrenze bei der Gage an der Kapazität des Clubs – solange die Kalkulation für das Event aufgeht, spiele ich mit. Booking ist zweifellos das Herzstück eines jeden Musikclubs, doch es bleibt letztendlich nur ein Teil eines größeren Gesamtsystems. Alle Elemente müssen ineinandergreifen, um nachhaltigen Erfolg zu gewährleisten.

Ein weiteres heiß diskutiertes und überaus sensibles Thema ist die Chancengleichheit und die zunehmende Sichtbarkeit von nicht-männlichen Künstlerinnen und Künstlern im Sektor. Wie viel Einfluss hat das auf deine Arbeit als Booker?
Die aktuelle Entwicklung in Richtung Diversität ist längst überfällig und bei uns im Headliner-Bereich schon lange integriert. Kommentare wie „Die spielt doch nur, weil …“ zeigen jedoch, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema bei vielen fehlt. Der Druck auf eine diverse Line-up-Aufteilung ist gestiegen, keine Frage. Trotz mehr FLINTA-Acts gelingt das allerdings nicht immer – etwa, wenn Anfragen ins Leere laufen und Deadlines näher rücken. Wichtig ist, aus Rückschlägen zu lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen.

Gibt es weitere wesentliche Veränderungen im Booking-Geschäft, die du festmachst?
Die Anzahl der Bewerbungen, die von Acts direkt an den Club gehen, hat sich deutlich erhöht. Auffällig ist dabei, dass es sich nicht nur um Newcomer handelt. Auch bereits etablierte Artists mit respektabler Historie und Veröffentlichungen auf renommierten Labels befinden sich vermehrt darunter.

Der Booker eines Dortmunder Clubs erklärte kürzlich in einem Interview, dass er DJs buche, keine Influencer*innen. Wie bewertest du diese Aussage? Ist heutzutage nicht jeder DJ auch ein Influencer?
An erster Stelle sollte die Musik stehen. Wenn ich neue Acts auswähle, höre ich zuerst zu, dann prüfe ich Social-Media-Kanäle und tausche mich über Erfahrungen aus. Social Media haben heute einen großen Einfluss, daher schaue ich es mir immer zuletzt an, um die Entscheidung möglichst ehrlich zu halten. Ich denke nicht, dass jeder DJ ein Influencer ist. Im Vergleich zu früher, als DJs wie Chris Liebing Trends setzten, hat ihr meinungsbildender Einfluss abgenommen. Die schnelle Veröffentlichungsfrequenz und kurze Halbwertzeit von Musik lassen dafür heute kaum noch Raum.

Club-interne Veranstaltungen sind dafür bekannt, eng mit der lokalen Szene zusammenzuarbeiten. Inwiefern bindet ihr die Frankfurter Subkultur in den Club mit ein?
Wir arbeiten je nach Event mit verschiedenen Kollektiven in Frankfurt zusammen. Wir fragen an oder erhalten Anfragen, ob Interesse besteht. Ich mag Floor-Hostings oder Showcases, bei denen sich das Kollektiv präsentiert – oft ergänzt durch einen Headliner.

Kurz und knapp: Was fehlt der Frankfurter Clubkultur am meisten und welche positiven Entwicklungen nimmst du wahr?
Der Frankfurter Clubkultur fehlt vor allem Unterstützung durch die Stadt im Rahmen der subkulturellen Entwicklung – das war mal anders. Positiv hervorzuheben sind die zahlreichen neuen Kollektive, besonders FLINTA-Kollektive wie „clubcherry“, die das Momentum nutzen, sowie queere Kollektive, die politische Impulse zurück in die Szene bringen.

 

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Luzie

Nach drei Jahren in Berlin hat sich die in Frankfurt geborene DJ Luzie 2017 in die kreative Atmosphäre Offenbachs verliebt. 2020 wagte sie den Schritt in die Clubkultur und spielt seither regelmäßig im Berghain in der Panorama Bar, in der Galerie Kurzweil in Darmstadt, im Kölner fi und in weiteren Venues in ganz Deutschland. Mit ihren Residencies beim queeren Kollektiv „Mitte der Gesellschaft“ und der FLINTA-Plattform „clubcherry“ setzt sie sich aktiv für die LGBTQIA+-Community in Frankfurt ein.

Luzie, du bist in Frankfurt geboren, hast dann drei Jahre in Berlin gelebt und bist schließlich nach Offenbach gezogen. Normalerweise würde man diese Stationen eher in einer anderen Reihenfolge erwarten – was fasziniert dich an Offenbach und warum war Berlin nicht die richtige Wahl für dich?

In Offenbach herrscht für mich ein gutes Gleichgewicht zwischen Kreativität und Gemeinschaft, was sich etwa anhand der Hochschule für Gestaltung, den Zollamt-Studios und dem Logic-Records-Gebäude messen lässt. Die Rivalität mit Frankfurt ist von vielen Vorurteilen geprägt, aber genau das macht Offenbach interessant für mich. Diese Polarität sorgt für einen einzigartigen Charakter. In Berlin hingegen fühlte ich mich mit der Zeit etwas verloren, gefangen in der Überdimensionierung und Unverbindlichkeit der Menschen.

In der elektronischen Szene ist die Stadt natürlich insbesondere für das Robert Johnson und das MTW bekannt. Wir nehmen an, dass du zu beiden Venues eine innige Verbindung pflegst – erzähl uns etwas zur Magie und zum Vibe der beiden Clubs.

Das Robert Johnson ist wie ein Wohnzimmer für mich, mit dem berühmten Holzboden und der perfekt dimensionierten Tanzfläche. An guten Abenden spürt man dort die Energie wie elektrische Funken in der Luft, wird eins mit den Tanzenden, und bei einer Pause bietet die Terrasse einen Blick in den Hafen – manchmal sogar mit Sonnenaufgang. Das MTW ist dagegen höher, dunkler und rauer im Vibe, hat aber ebenfalls eine hervorragende Anlage.

Was kann man in Offenbach abseits der Clubkultur erleben?

Wir haben ein sehr schönes Hafengebiet und ein langes Mainufer, das im Sommer wunderbar zum Verweilen einlädt. Es gibt einige coole Cafés und dreimal in der Woche einen Wochenmarkt mit Altbaukulisse. Auch das Hafen 2 ist ein toller Ort, an dem es Open-Air-Kino-Abende und Konzerte gibt. Oder man geht samstagsmorgens nach dem Club direkt auf den Flohmarkt.

In Frankfurt bist du maßgeblich beim queeren Kollektiv „Mitte der Gesellschaft“ und der FLINTA-Plattform „clubcherry“ involviert. Welchen Stand hat die LGBTQIA+-Szene in der Stadt? Welche Entwicklung(-en) nimmst du wahr?

Durch das Clubsterben gehen in Frankfurt wichtige Orte für die Community verloren, wie zuletzt der Freud Club, wo die Club Bizarre Party ein wichtiger Anker war. Das Gay-Viertel rund um den Regenbogenkreisel ist stark männlich dominiert, mit wenig Space für die FLINTA-Community. Beim CSD wird deutlich, dass junge queere Menschen nach Orten suchen, die ihnen Zugehörigkeit bieten, doch im allgemeinen Nachtleben und der Barszene sind sie meiner Beobachtung nach weniger präsent – auch, weil es an Unterstützung durch die Behörden mangelt.

Deine Steckenpferde sind House und Minimal – Genres, die auch der Philosophie des Robert Johnson entsprechen. Wir haben den Eindruck, dass diese Stile in Frankfurt zurzeit weniger präsent sind. Stimmt das? Welche Trends fallen dir auf?

Es ist eher so, dass sich House- und Minimal-Partys in den letzten Jahren wieder mehr von den Clubs weg zu Off- und Pop-up-Locations verschoben haben. Es sind einige neue Kollektive und Partyreihen entstanden, die für qualitativen House- und Minimalsound stehen. Aber es gibt keinen wirklichen Nährboden dafür, dass sie Veranstaltungen in Clubs machen können. Das liegt auch daran, dass es allgemein zu wenige Clubs in der Stadt gibt.

Robert-Johnson- oder Berghain-Verbot?

Sehr fiese Frage. Ich kann weder auf den einen noch den anderen Club wirklich verzichten.

 

www.robert-johnson.de

Robert Johnson

Im Gespräch mit Peter Wittner (Musical Director, Robert Johnson)

Seit 1999 zählt das von Ata Macias und Sebastian Kahrs eröffnete Robert Johnson in Offenbach zu den einflussreichsten House- und Minimal-Clubs Europas. Gelegen im Stadtteil Kaiserlei und direkt am Mainufer erbaut, besticht die intime Venue durch minimalistisches Design, exzellenten Sound und die ikonische Terrasse mit Blick auf den Fluss. Mit einem akribisch-sorgfältig kuratierten Booking, das internationale Größen mit lokalen Talenten vereint, bleibt das Robert Johnson auch nach 25 Jahren ein zentraler Ort für puristische Clubnächte und elektronische Klänge.

Peter, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch nachträglich zum 25. Geburtstag! Welches Ereignis ist dir in diesen 25 Jahren besonders in Erinnerung geblieben?
Merci für die Glückwünsche! Rückblickend gab es sicherlich zahlreiche besondere Momente im Robert Johnson, wie die legendären Ricardo-Nächte, Sven-Sets oder Pressure-Traxx-Abende – je nachdem, wen man fragt. Mir persönlich bleibt aber ein Abend mit Tiga und DJ Hell besonders im Gedächtnis, deren überragende Sets bald veröffentlicht werden. In Kürze gibt es dazu mehr Infos. Abschließend noch ein kurioser Moment, der schon oft erzählt wurde: Während eines Sets von Andrew Weatherall fing eine Bassbox auf der Terrasse Feuer und musste gelöscht werden – die Party ging ungeachtet dessen einfach weiter.

Das benachbarte Tanzhaus West hat uns kürzlich äußerst transparente Einblicke in die aktuelle Situation des Clubs gegeben. Magst auch du mit offenen Karten spielen?
Erst die Corona-Pandemie, dann Inflation, eine angespannte Konjunktur und Krieg in Europa – die letzten fünf Jahre waren für niemanden einfach, besonders nicht für die Clublandschaft und das Robert Johnson. Hinzu kommen die Effekte des post-pandemischen Generationswechsels: Durch Corona haben wir eine ganze Generation Feiernder verloren. Dennoch blicken wir optimistisch auf 2025, bleiben unseren Wurzeln treu und sind weiterhin ein fester Bestandteil der elektronischen Musikszene.

Auch nach 25 Jahren steht das Robert Johnson noch immer für einen konsequenten Purismus – konzeptionell und musikalisch. Die RJ-Philosophie auf den Punkt gebracht?
Unsere Philosophie basiert auf einem Minimalismus und klarem Fokus auf das Wesentliche: die Musik und das Tanzerlebnis. Der Club ist wie ein Atelier gestaltet – ursprünglich mit weißen Wänden, die jedes Jahr neu gestaltet werden. Aktuell trägt der Raum den Farbton RAL 4001 (ein gedecktes Rotlila). Der Holzboden und die reduzierte Beleuchtung lenken die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, den Sound.
Mit einem flexiblen Raumteiler ist der Club modular aufgebaut und kann je nach Veranstaltung angepasst werden. Der Purismus schafft eine Konzentration auf das Wesentliche: die Interaktion zwischen DJ und Publikum. Dazu die Terrasse mit dem Blick auf den Main, die mit Sicherheit auch zur Atmosphäre beiträgt, allem voran die Sonnenaufgänge.

Was waren in jüngster Zeit die größten Veränderungen, die der Club durchlaufen hat? Anders gefragt: Wie geht man als Club, der viel Wert auf seine originäre Philosophie legt, mit Trends und markanten Veränderungen in der Szene um?
Der bereits angesprochene Generationswechsel bringt zweifellos Herausforderungen mit sich, doch auch hier lautet das Motto: „Don’t forget where you’re coming from!“. Programmatisch versuche ich natürlich, dem musikalischen Erbe und den bisherigen RJ-Generationen gerecht zu bleiben, während ich gleichzeitig die jüngste Generation mit an Bord holen möchte.

Der Ansatz ist, gezielt Schnittmengen zu suchen – beispielsweise im Bereich House: Upliftender, schnellerer House, wie er in jüngster Zeit regelmäßig im Robert Johnson zu hören war, spricht nicht nur die Generationen an, die seit über 15 Jahren die Abende mit Gerd Janson und Thomas Hammann schätzen, sondern erreicht auch die post-pandemische Generation. So schaffen wir eine Brücke zwischen den Generationen.

Der Club ist auch ein Aushängeschild der Stadt Offenbach. Die Stadt führt das Robert Johnson sogar auf der offiziellen Website auf. Spiegelt sich das auch in der Unterstützung wider?
Wir pflegen ein gutes Verhältnis zur Stadt Offenbach und zum Kulturamt und kooperieren regelmäßig, zum Beispiel beim Riviera-Festival.

Drei Tracks, die das Robert Johnson deiner Meinung nach geprägt haben?

Hotel Lauer – QD (Live at Robert Johnson)

Losou l – Open Door (Running Back)

Damiano von Erckert – Let’s Hide Away (Live at Robert Johnson)

 

www.instagram.com/robertdrewek

Robert Drewek

Als Schlüsselfigur hinter dem Distributor DBH-Music und dem Recordlabel RAWAX leitet der Frankfurter Robert Drewek die Geschicke zweier essenzieller Institutionen im internationalen House- und Minimal-Bereich. Der 50-Jährige erlebte die Anfänge der elektronischen Musik im Rhein-Main-Gebiet hautnah mit und förderte die Entwicklung der lokalen Szene gleichermaßen musikalisch und visionär durch Eigenproduktionen, Residencies und Label-Showcases. Von 2000 bis 2007 arbeitete er für den Vertrieb ELP Medien in Offenbach und managt die Karrieren von Künstlern wie Marco Carola, Adam Beyer, The Advent und Eric Prydz.

Robert, beginnen wir mit einer kleinen Zeitreise. Du hast die glorreichen 90er-Jahre in Frankfurt im besten Alter erlebt. Konnte man sich dem Techno-Phänomen in der Stadt als junger Mann in seinen 20ern überhaupt entziehen?
Können schon, nur nicht wollen. Es waren tolle Zeiten voller Euphorie und Aufbruchstimmung, mit der täglichen Möglichkeit, großartige Musik und DJs zu erleben. Am wohlsten fühlte ich mich im XS und im Omen. Im XS gab es mittwochs die Reihe „Masters of European Noise Control“, wo ich zum ersten Mal Laurent Garnier hörte. Freitags war ich dann bei Sven Väth im Omen – „in meinem Wohnzimmer“, wie Boris Becker sagen würde.

Wie und wann bist du erstmals selbst in der Szene aktiv geworden? Was waren die ersten großen Meilensteine? DBH-Music und RAWAX kamen ja erst einige Jahre später.
Aktiv wurde ich 1994, als in meiner Heimatstadt Bensheim ein Club eröffnet wurde. Im Auerbachs Keller gab es von Mittwoch bis Sonntag Programm, unter anderem mit Ricardo Villalobos. Besonders die Afterhours an den Sonntagen waren wild und euphorisch, mit Gästen aus Mannheim, Heidelberg, Darmstadt und Frankfurt. Ich war dort Teil des Resident-DJ-Teams. Im selben Jahr durfte ich bei „Sounds of Life“ im MS Connexion in Mannheim den Floor für Dave Clarke eröffnen – ein besonderes Erlebnis.

Der Einfluss von DBH und RAWAX auf die House- und Minimalszene ist unverkennbar. Welchen Impact hatte der Erfolg auf die Frankfurter Szene, und wie viel ist heute noch davon übrig, wenn man sich die Frankfurter Clubkultur einmal anschaut?
Wir sind der einzige Vinylvertrieb und Labelpool in Frankfurt – vielen anderen ist über die Jahre die Puste ausgegangen. Von Anfang an haben wir neben etablierten Artists auch Talente aus Frankfurt, Offenbach und dem Rhein-Main-Gebiet gefördert. Ein aktuelles Beispiel ist David Böning, der seine erste Platte auf Chiwax veröffentlicht hat – von ihm wird man noch mehr hören. Es lohnt sich also, uns Demos zu schicken.

Wie bewertest du die Entwicklung der Frankfurter Clubszene im Jahr 2025? Blickt man nostalgisch den alten Zeiten hinterher oder gibt es Entwicklungen, die dich optimistisch in die Zukunft schauen lassen?
Ich bin froh, dass ich noch die goldenen Zeiten erleben durfte. Aktuell sieht es sehr unspannend aus. Es fehlen gute Clubs in der Stadt. Vieles, was ambitioniert anfängt, scheitert recht schnell an Unzulänglichkeiten, Naivität oder den Auflagen der Stadt. Auch das Ausgehverhalten hat sich nach der Corona-Pandemie stark verändert. Die einzigen Lichtblicke sind für mich das Silbergold in Frankfurt und das Robert Johnson in Offenbach.

In unregelmäßigen Abständen veranstaltet ihr nach wie vor RAWAX-Partys in der Stadt. Wie sieht die Schedule für 2025 aus? Habt ihr nach wie vor das Bestreben und die Ambition, in der Stadt etwas zu bewegen oder zu verändern?

Letztes Jahr wurde ich 50 (…!). Das nahm ich zum Anlass, schön durchzudrehen, weshalb es verhältnismäßig viele Veranstaltungen gab. Generell mag ich intime, familiäre Partys mit maximal 200 Gästen. Wir haben in der Pandemie (aus der Not geboren) mit diesen Veranstaltungen angefangen und uns über die Jahre eine treue Community aufgebaut, mit der wir auch 2025 Spaß haben werden. Es lohnt sich, ab und an unsere Instagram-Seite (rawaxmusic) zu besuchen, um mehr zu erfahren.

Mal im MOMEM gewesen? Ein gelungenes Museum deiner Meinung nach?
Ich durfte letztes Jahr mit Ian Pooley und Chris Wood eine RAWAX-Nacht im MOMEM veranstalten. Das Museum tut der Stadt gut, denn durch den Mangel an Clubs und Plattenläden fehlen Begegnungsstätten zum Austausch in der Szene. Das MOMEM bringt Menschen zusammen. Neben den Dauerausstellungen finden dort unter anderem Partys, DJ-Workshops und Lesungen statt. Es ist wichtig, die neue Generation für unsere Kultur zu begeistern, und das passiert im MOMEM, da es ein gelebtes Museum ist.

Frankfurt braucht …

… mehr gute Clubs und weniger Missgunst.



www.pikdamefrankfurt.com

Pik Dame

Im Gespräch mit Max Coga (Geschäftsführer, Pik Dame)

Die Pik Dame wurde 1959 in der Elbestraße 31 im Frankfurter Bahnhofsviertel von Hermann Gauß als Kabaretthaus eröffnet und ist der älteste Nachtclub der Stadt. Ende der 80er-Jahre wandelte sein Sohn das Lokal in einen Stripclub um, der Kultstatus in Frankfurt erlangte. Nach der Schließung 2018 und der darauffolgenden Corona-Pandemie wurde die Pik Dame Mitte 2021 in dritter Generation und mit neuem Konzept wiedereröffnet. Heute führt Max Coga, der Enkel des Gründers und professioneller MMA-Kämpfer, den Club, der neben elektronischen Partys auch als Bühne für Shows, Comedy und Kabarett fungiert.

Max, es ist noch gar nicht so lange her, dass wir miteinander gesprochen haben – im Herbst 2023. Wie ist es dem Club seither ergangen?
Seit 2023 hat sich in der Pik Dame viel getan. Der Clubbetrieb hat sich auf vielen Ebenen weiterentwickelt, von unserem Team über die DJs bis hin zu neuen Konzepten wie dem Club-im-Club „Hermanns“, benannt nach meinem Großvater, als Bereich für elektronische Musik. Wir sind glücklich über die Entwicklungen auf unseren Floors. Im oberen Bereich hat sich der Dompteur als Main-Artist heimlich zum Star der Pik Dame gemausert. Sein Einfluss prägt die Atmosphäre nachhaltig.

Die Pik Dame ist keine reine Musikspielstätte – auch u.a. Comedy und Kabarett stehen auf dem Programm. Ist diese Flexibilität in Zeiten einer Clubkrise ein Lebensretter?
Die Pik Dame ist mehr als ein Musikclub – die Kleinkunstbühne für Shows, Comedy und Kabarett war schon immer ein fester Bestandteil unseres Konzepts. Auch wenn sich solche Events finanziell kaum lohnen, mache ich das aus Liebe zur Sache und zur Geschichte des Viertels. Die Pik Dame spiegelt meine Familie und unsere Vergangenheit wider, während wir uns stets weiterentwickeln. Die letzten Jahre haben gezeigt, worauf es ankommt: einfaches feiern, eine klare Türpolitik, Verständnis für die Gäste und natürlich gute Musik.

Was sind die größten Herausforderungen, mit denen die Pik Dame derzeit zu kämpfen hat?
Die größte Herausforderung bleibt die Aufwertung des Frankfurter Bahnhofsviertels, das lange mit denselben Problemen und einem schlechten Image durch die Boulevardpresse zu kämpfen hatte. Dabei ist es ein lebendiges Amüsierviertel mit fantastischen Restaurants, Bars und Clubs. Wir möchten den positiven Charakter des Viertels sichtbar machen und fördern.

Erfordert die Lage im Bahnhofsviertel ein aufwendigeres Sicherheitskonzept im Vergleich zu anderen Clubs?
Das Bahnhofsviertel hat seine Probleme, doch die Zusammenarbeit von Gewerbetreibenden, Polizei und Anwohnern funktioniert gut. Als lebhaftes Viertel bringt es meiner Meinung nach ein hohes Maß an Sicherheit mit sich. Wichtig ist, dass Gäste mit Respekt kommen. Unser Konzept ohne Eintritt erfordert mehr Kommunikation, ermöglicht aber eine persönliche Türpolitik. In der Pik Dame feiern Menschen miteinander, nicht gegeneinander – das symbolisiert auch unser „Heiliger Boden“ im hinteren Bereich.

Die Pik Dame ist kein klassischer Technoclub. Wie wirkt sich euer Konzept auf eure Booking-Politik aus?
Internationale Bookings lohnen sich finanziell oft nicht, aber ich investiere bewusst in größere Acts, um unserem Publikum neuen und hochwertigen musikalischen Input zu bieten. Die Bookings stimme ich mit Bachi ab, basierend auf guter Zusammenarbeit und passendem Sound. Unser Ziel ist es, mit inspirierenden Line-ups einen ernstzunehmenden Raum für elektronische Musik zu schaffen, der überrascht, inspiriert und verbindet.

Ihr hattet schon einige hochkarätige DJs bei euch zu Gast – andhim, Anna Tur, Moonbootica und Lovra, um mal ein paar Namen zu nennen. Auch in diesem Jahr wieder?
Für das kommende Jahr haben wir großartige Line-ups und spektakuläre Events geplant. Ich will nicht zu viel verraten, aber ich werde tief in die Tasche greifen, um den musikalischen Input auf ein neues Level zu heben. Es wird ein spannendes Jahr, und ich freue mich darauf, was kommt.

 

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Tokonoma

Im Gespräch mit Toan Nguyen (Vorstand, Tokonoma Club)

Das Tokonoma war an der Kaiserstraße 39 im Frankfurter Bahnhofsviertel und zählte zu den spannendsten Venues der Main-Metropole. Die sogenannten „Micro-Floors“ erstreckten sich über rund 500 m² und boten Raum für interne sowie externe Veranstaltungen mit Fokus auf House, Minimal und Techno. Inspiriert vom japanischen „Tokonoma“-Stil, verband das Interieur minimalistische Ästhetik mit einer besonderen Wertschätzung für Kunst und Atmosphäre. Doch ein neues Kapitel steht bevor: Tokonoma verlässt die Kaiserstraße und zieht Ende des Jahres in eine neue Location, um seine Vision weiterzuentwickeln.

Toan, das Tokonoma beherbergte ein Clubkonzept, das sich über mehrere Micro-Floors auf rund 500 m² definierte. Inspirieren lassen habt ihr euch hierfür von der japanischen Architektur. Erzähl uns etwas über diesen Hintergrund und die Raffinessen der Venue.
„Tokonoma“ bezeichnet in der japanischen Architektur einen minimalistischen Raum für Kunst. Diese Philosophie spiegelt sich in den drei Floors wider, die unterschiedliche Stile und Atmosphären bieten, aber eine harmonische Einheit bilden. Jeder Raum hat seinen eigenen Charakter und schafft ein immersives Erlebnis für Musikliebhaber*innen.

Trotz der architektonischen Einzigartigkeit des Clubs habt ihr euch dazu entschieden, das Kapitel in der aktuellen Location vorzeitig zu beenden. Warum?
Unsere Vision hat sich weiterentwickelt, und die Rahmenbedingungen in der aktuellen Location boten uns nicht mehr die Flexibilität, die wir brauchen. Ende des Jahres ziehen wir in eine neue Location, die uns mehr Freiheit gibt, Tokonoma neu zu definieren – intimer, kreativer und mit noch mehr Möglichkeiten, unser Konzept weiterzuentwickeln. Dort wollen wir eine Plattform schaffen, die Musik und Kultur auf eine ganz neue Weise erlebbar macht. Wir freuen uns darauf, diesen neuen Abschnitt gemeinsam mit unserer Community zu gestalten.

Erklären diese nicht erfüllten Rahmenbedingungen auch die unregelmäßig stattfindenden Events? Zu beobachten ist außerdem, dass neben House und Minimal auch Techno und Hard-Techno im Tokonoma an Präsenz gewinnen. Das war ursprünglich anders geplant, oder?
Das stimmt, nach dem Opening fanden zunächst Fremdveranstaltungen statt, die unter anderem auch Hard-Techno-Programme anboten. Diese Events waren jedoch nicht Teil unseres eigenen Konzepts. Ein entscheidender Faktor war das komplizierte Konstrukt mit dem Hauptpächter, das uns nicht die volle Freiheit gab, unser eigenes Programm kontinuierlich umzusetzen. Parallel dazu haben wir an den Details gearbeitet und langfristige Planungen vorangetrieben, um sicherzustellen, dass das Tokonoma eine klare Identität erhält. Unser Fokus lag darauf, die Rahmenbedingungen zu optimieren und eine solide Basis zu schaffen, bevor wir mit unserem eigenen regelmäßigen Programm gestartet sind.
House und Minimal prägen nach wie vor unseren Sound, aber wir haben uns bewusst für eine breitere musikalische Vielfalt geöffnet. Techno hat sich organisch in unser Booking integriert, da es zur Entwicklung der Szene und der Nachfrage unseres Publikums passt. Dennoch bleibt die Qualität im Fokus, unabhängig vom Genre.

Und die Clubkrise?
Die spüren natürlich auch wir – sei es durch steigende Kosten oder ein verändertes Ausgehverhalten. Wir wollen uns deshalb klar positionieren: hochwertige Events, ein starkes Konzept und der Fokus auf langfristige Bindung zu unseren Gästen und Acts. Kooperationen mit der lokalen Szene und eine flexiblere Nutzung des Raums – zum Beispiel für kulturelle Projekte – sind Teil unserer Strategie, um nachhaltig zu bleiben.

Ihr legt großen Wert auf einen puristischen Ausdruck. Der DJ und die Musik sollen eindeutig im Mittelpunkt stehen. Ist das etwas, das Frankfurt gefehlt hat?
Frankfurt hatte schon immer eine starke Clubkultur, doch oft fehlte ein Ort, der den Fokus auf das Wesentliche lenkt: die Verbindung von Menschen durch Musik. Genau das wollen wir mit Tokonoma schaffen. Wir möchten mehr sein als eine Venue – wir wollen eine Plattform bieten, die Menschen zusammenbringt, Gemeinschaft formt und kulturellen Austausch fördert. Dieses Zusammenspiel hat der Stadt aus unserer Sicht gefehlt, und wir freuen uns, unseren Beitrag dazu zu leisten.

 

Szene-Tipps

MOMEM

Mit dem MOMEM (Museum of Modern Electronic Music) befindet sich in Frankfurt ein weltweit einzigartiges Museum, das sich der elektronischen Musikkultur widmet. Das MOMEM vereint interaktive Ausstellungen, Workshops, Partys sowie ein vielseitiges Veranstaltungsprogramm und dient gleichzeitig als lebendiger Treffpunkt für Künstler*innen und Musikliebhaber*innen. Die Dauerausstellungen beleuchten die Entstehung und Evolution der elektronischen Musik, von den Pionier*innen der 80er- und 90er-Jahre bis hin zu aktuellen Strömungen.

Nach vergangenen Sonderausstellungen zu Sven Väth und Italo-Disco ist ab dem 6. April eine Exhibition zu Tangerine Dream geplant.

www.momem.org

An der Hauptwache 13, 60313 Frankfurt am Main

Clubs

  • Tanzhaus West, Gutleutstraße 294, 60327 Frankfurt am Main
  • Tokonoma, Kaiserstraße 39, 60329 Frankfurt am Main
  • Pik Dame, Elbestraße 31, 60329 Frankfurt am Main
  • Silbergold, Heiligkreuzgasse 22, 60313 Frankfurt am Main
  • Zoom Club, Carl-Benz-Straße 21, 60386 Frankfurt am Main
  • Robert Johnson, Nordring 131, 63067 Offenbach am Main
  • MTW Club, Nordring 131, 63067 Offenbach am Main

Bars

  • AMP Bar, Gallusanlage 2, 60329 Frankfurt am Main
  • PRACHT, Niddastraße 54, 60329 Frankfurt am Main
  • Bar Shuka, Niddastraße 56, 60329 Frankfurt am Main

Aus dem FAZEmag 156/02.2025
Text: M.T.
Web: www.tanzhaus-west.de, www.instagram.com/luzieoffenbach, www.robert-johnson.de, www.instagram.com/robertdrewek, www.pikdamefrankfurt.com, www.instagram.com/tokonoma_ffm