The Blessed Madonna – Zwischen Rave und Religion


Als Marea Stamper, besser bekannt als The Blessed Madonna, vor einiger Zeit ihr Debütalbum „Godspeed“ ankündigte, war klar, dass die Erwartungen hoch sein würden. Über Jahre hinweg hatte sich die in Kentucky geborene DJ und Produzentin, die heute in London lebt, als eine der zentralen Figuren der elektronischen Musikszene etabliert, zahlreiche Auszeichnungen gesammelt und 2021 mit „Marea (We’ve Lost Dancing)“ gar Platin eingeheimst. Doch statt sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen, geht ihr 24-Track starkes Debütalbum nun weit über die Grenzen ihrer bisherigen Arbeiten hinaus – sowohl musikalisch als auch emotional.

Die Stücke, darunter zahllose Features mit Sänger*innen wie Kylie Minogue, Joy Crookes oder Jamie Principle, offenbaren nicht nur Stampers technische Finesse, sondern auch die tiefen Verbindungen zu ihren musikalischen Wurzeln. „Godspeed“ ist durchzogen von Einflüssen aus verschiedensten Genres, von House über Pop bis hin zu Soul und Gospel, ist von zahlreichen Kollaborateur*innen geprägt und gleichzeitig eine schier endlose persönliche Reise, gezeichnet von Verlust und Neuanfängen. Der Tod ihres Vaters kurz vor den ersten Aufnahmesessions verlieh dem Projekt eine emotionale Tiefe, die sich in jedem Song widerspiegelt. Es ist ein Werk, das sowohl Abschiede als auch Neuanfänge feiert – ein Konzept, das in The Blessed Madonnas eigener Aussage, der Titel des Albums stehe für „den Beginn einer Reise und manchmal auch für ihr Ende“, eindrucksvoll zusammengefasst wird.

Geboren im ländlichen Kentucky und aufgewachsen in einer Umgebung, in der Musik eine Rettungsleine und Ausdrucksform war, entwickelte Stamper früh eine enge Beziehung zu Genres wie Gospel, R&B und zum rohen Sound der US-amerikanischen Underground-Szene. Doch erst als sie sich in Chicago niederließ, der Heimat des House, fand sie ihren Weg in die Clubmusik – eine Verbindung, die ihr Schaffen bis heute prägt. Bekannt wurde sie zunächst unter dem Namen „The Black Madonna“, der eine Referenz an die ikonischen Marienfiguren und ihre eigene Faszination für Religion war. Der Wechsel zu The Blessed Madonna 2020 markierte schließlich nicht nur einen symbolischen Neuanfang, sondern reflektierte auch ihre ständige Transformation als Künstlerin. Diese Offenheit und Bereitschaft zur Veränderung sind auch charakteristisch für ihren musikalischen Ansatz. Sie ist eine Künstlerin, die keine Angst hat, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten und den Sound ständig neu zu erfinden – immer mit einem Fuß in den Clubs, aber mit einem Herzen, das in vielen Genres schlägt und nun auf „Godspeed“ pocht wie nie zuvor.

Tausende Arbeitsstunden stecken in diesem Album, dessen Songs über einen Zeit- raum von drei Jahren geschrieben wurden. Tausende Arbeitsstunden, die sich wie zehntausende angefühlt haben müssen: Unmittelbar bevor Stamper mit der Produktion des Albums begann, verstarb ihr Vater, zu dem sie kein immer einfaches, aber doch ein inniges Verhältnis hatte. Seine Stimme hat die 47-Jährige, die während ihrer Karriere auch im Berghain spielte, auf „Somebody’s Daughter“, einem der wenigen technoiden Stücke auf „Godspeed“ verewigt. Am Ende des Tracks spricht er darüber, wie stolz er auf seine Tochter ist. Die Nummer ist eines von sieben Interludes, in denen Familienmitglieder, aber auch Stamper selbst – etwa im Gespräch mit Fred again… – zu hören sind. Die Interludes sind es auch, die die einzelnen Kapitel des Albums zusammenhalten. Oft sind sie besonders emotional.

Doch „Godspeed“ kann auch anders. Anpeitschender Disco-Sound, Techno und House sowie Einflüsse aus Gospel, R ’n‘ B und Folk-Pop strahlen Freude aus und laden zum Stürmen des Dancefloors ein. In „Edge of Saturday Night“, eine der herausragendsten Nummern, singt die australische Pop-Ikone Kylie Minogue zu den quirligen Blessed-Madonna-Beats davon, wie die Party niemals aufhört. Ähnlich positive Vibes versprüht beispielsweise auch „Serotonin Sunbeams“ mit frohlockenden Pfeiftönen und tollem Gesang der Sängerin Uffie. Von Pop-Megastars wie Kylie Minogue über Instanzen des US-Underground wie Jamie Principle und A-Trak und Durchstarter wie Joy Anonymous bis hin zu Sänger*innen aus dem klassischen Soul (Danielle Ponder), dem New-Age-Gospel (Jacob Lusk) und dem britischen R&B (Joy Crookes) – „Godspeed“ ist ein Spiegelbild der unzähligen Sounds, Phasen und Berührungspunkte, die The Blessed Madonna zu der Künstlerin gemacht haben, die sie heute ist.

Für Stamper geht es nun vorerst nach Süd- und Nordamerika, wo Auftritte in San Francisco, Chicago, Peru, Chile und Brasilien auf sie warten. Im Januar will sie sich eine Auszeit gönnen und das Album seinen Weg gehen lassen. Sie hat es sich verdient.
„Godspeed“ ist am 11. Oktober via Warner Music erschienen

Aus dem FAZE 153
Text: M.T.
Foto: Eva Pentel