Ziemlich genau vor zwölf Monaten haben wir mit dem charismatischen DJ und Produzenten unter anderem über seine Liebe zu seiner Heimat Hamburg, seine erste Solo-EP auf Adam Beyers Drumcode sowie weitere Projekte wie seine damalige Kollaborations-EP „Connection 1“ gesprochen. 365 Tage später sprechen wir erneut mit Thomas Hoffknecht. Dieser blickt auf ein äußerst erfolgreiches Jahr zurück. Sein Label #STRGHT sowie sein eigener Tour-Kalender waren auch in diesem Jahr zwei wichtige Eckpfeiler seiner Karriere. Gemeinsam mit Drumcell zelebrierte Hoffknecht im Frühjahr sein Debüt auf CLR, vor wenigen Tagen ist mit „Break Free“ ein weiterer Track von ihm auf Drumcode erschienen – in diesem Fall im Rahmen der Label-Compilation „A-Sides Vol. 11“.
Thomas, wie rekapitulierst du das Jahr 2022 für dich soweit?
Ich bin ruhig und gechillt, habe Energie getankt und neue Eindrücke gesammelt und wieder zu mir selbst gefunden. Ich denke, das sind die perfekten Stichpunkte für mein 2022.
Ziemlich genau zur selben Zeit im letzten Jahr haben wir bereits gesprochen, du erzähltest damals von der Idee, im Studio „in jedem Track den Hoffknecht raushängen zulassen“. Ist dir das in diesem Jahr wieder gelungen?
Aber sowas von! Ich habe unzählige Projekte angefangen, liegen und reifen lassen. Ich habe mich nicht auf irgendwelche Styles und Labels versteift, also in dem Sinne dass ich musikalisch hier und da reinpassen muss, wie ich es, wenn ich ehrlich bin, früher oft getan und auch gedacht habe. Das ist jetzt Geschichte, ich produziere und veröffentliche nur noch das, was ich 100 Prozent tight finde und wo ich hinter stehe. Und wenn ein Label damit Probleme hat, dann ist das eben so. Angenehmer Nebeneffekt dabei ist, die Studio-Sessions sind weniger geworden – dafür aber intensiver. Um noch einmal zu deiner anfänglichen Frage zurückzukommen, ich habe in der Pandemie und auch danach einen intensiven Prozess durchgemacht, bin dadurch gereift und nun in einer Situation, die mich musikalisch zufriedener macht. Und darum geht es ja am Ende.
Mit Drumcell hast du im März ein gefeiertes Debüt auf CLR zelebriert.
Wir, also Drumcell und ich, haben mit der EP zwei bis drei Labels angefragt, eins davon war CLR. Chris mochte die Tracks und final ist das Release dann auch zu unserer großen Freude dort gelandet. Wir sind sehr happy über das Feedback.
Die „Severance Check EP“ ist die Katalognummer 99 auf CLR. Wie verlief die Arbeit im Studio mit Moe aka Drumcell, der ja bekanntlich in Los Angeles lebt?
Die Produktion der EP verlief wie von Geisterhand. Ich glaube, ich habe noch nie so schnell eine Kollaboration hinbekommen wie mit ihm. Wir haben nach dem Ping-Pong-Modell gearbeitet. Ich habe angefangen, ihm das Projekt geschickt, er hat weiter gemacht und dann wieder zurück. Dann wieder ich, er nochmal und dann ging’s schon an den Feinschliff. Und zack, war eine brutale EP fertig, die schiebt wie Sau, wie ich finde.
Passend zur EP gab es auch einen CLR-Podcast von dir – wie bist du bei der Track-Auswahl vorgegangen?
Bei mir gibt es keine Track-Auswahl im Vorfeld, ich regle so etwas immer spontan. Heißt also, ich fange an, mixe mich 15 bis 20 Minuten warm, drücke auf den Record-Button und lasse dann dem ganzen Projekt seinen freien Lauf. Das klappt bei mir am besten. Wozu planen und Listen erstellen? Das blockiert doch nur die Ideen im Kopf. Ich bin kein Fan von Playlists, die binden dich nur und schränken dich massiv in deiner Kreativität ein.
Bei unserem Gespräch letztes Jahr hast du von deiner Routine berichtet, jeden Morgen zwischen fünf und sechs Uhr aufzustehen, „pinkeln zu gehen, das Gesicht zu waschen und loszulegen“. Hast du diese Routine beibehalten, verändert oder gar weiterentwickelt?
Nicht viel, wenn ich darüber nachdenke (lacht). Um diese Uhrzeit bin ich am kreativsten und habe den Kopf frei von den alltäglichen Dingen des Lebens, die nur deinen Kopf blockieren mit Gedanken, die in der Zukunft oder der Vergangenheit liegen. Ich hasse solche Blockaden und habe damit einen für mich optimalen Weg gefunden, sie zu umgehen.
Was ist in Sachen Studio-Gear in diesem Jahr bei dir passiert?
Ich hab mich ein bisschen mehr auf VSTs gestürzt und bin recht überrascht, was die für tolle Klänge erzeugen können. Aber nichts geht über meine beiden Babys Pioneer Toraiz SP-16 und Roland TR-8S. Ansonsten teste ich auch gerade die Hardware von Behringer aus und bin da auch recht positiv überrascht, was die Dinger so hervorbringen können. Ich tobe mich aus wie Bolle, es gibt also vieeeele Samples aus den verschiedensten VSTs und Geräten. Mein Tipp als Synth-VST: DUNE.
Im Februar 2021 hattest du mit „Antaris“ dein Debüt auf Drumcode, nun folgt ein Track auf der „A-Sides“-Compilation. Erzähle uns mehr zum Track und zur Geschichte dahinter.
Das sind Tracks, die definitiv auf die Big Stages gehören oder im Auto auf voller Lautstärke gespielt werden sollten. Die Geschichte hinter dem Track? Es war einmal … (lacht). Nein, es gibt keine wirkliche Geschichte hinter den Tracks, die einzige ist: Morgens aufstehen, Studio und zack, gibt es ein Ergebnis. Simple as that (lacht). Ein 100 Prozent funktionierender Track für die breite Masse, wie ich finde. So etwas geschieht ab und an mal. Und wenn so etwas passiert, geht die Demo zuerst zu Adam Beyer, der die Tracks dann testet und wie z.B. bei „Break Free“ sofort für Drumcode signt. Ich freue mich sehr darüber.
2022 war das erste halbwegs normale Jahr nach der Corona-Pandemie. Hast du persönlich eine Veränderung in der Szene und vielleicht sogar in der Feierkultur festgestellt?
Definitiv. Das Publikum ändert sich, die Feierkultur auch etwas. Auch wenn ich leider die Meinung vertrete, heißt das per se aber nicht, dass es sich grundsätzlich nur zum Negativen entwickelt. Es ist einfach ein jüngeres Publikum, das doller und härter bespielt werden will. Dazu schießen unendlich viele Artists aus dem Boden wie Pilze, die dann plötzlich mit Hilfe von Social-Media-Kampagnen von 0 auf 199 durchstarten. Das Feiern von damals ist auch nicht mehr das von heute. Das ist wohl der klassische Spruch von Leuten, die älter werden (lacht).
Was meinst du genau?
Was mir persönlich nicht gefällt, ist, dass diese Influencer-Thematik immer wichtiger wird und meist schon 80 Prozent der Daseinsberechtigung eine*r Künstler*in einnimmt. Das wiederum bedeutet leider, dass die Musik bald komplett scheißegal ist. Hauptsache, das richtige Video bzw. Bild, Story oder Reel posten und damit ein Brand kreieren, das oftmals nichts mehr mit dem zu tun hat, was mal wichtig war. Für mich ist immer noch der musikalische Output eines Künstlers wichtig und ob er bzw. sie mich als DJ, also als Künstler mitnimmt und nicht, was für schöne Videos er posten kann.
Techno ist aktuell größer denn je, die Outfits im Publikum werden extravaganter, der Leder-Anteil steigt exorbitant. Wie nimmst du aktuell die Entwicklung in der Szene wahr?
Haha, das sehe ich genauso. Darüber habe ich letztens noch mit einem Kollegen gesprochen. Damals wurde sich so auf Fetisch-Partys angezogen, das hatte sexuelle Hintergründe wie z.B. in der Gay-Szene. Zu dieser Zeit gab es aber keine Smartphones, die das alles festgehalten haben. Heute ist es eine Art Uniform, es wird sich so angezogen und als Techno betitelt. Und warum? Weil man irgendwelche Videos von Warehouse-Raves aus Paris gesehen hat, wo krasse Stimmung und mega Atmosphäre herrscht. Das versucht man jetzt natürlich überall. Dieses Lack-und-Leder plus Netzhemd, Ketten, dies, das, Ananas. Alles Uniformierung und wenig Bezug zur Musik. Respekt an alle Promoter*innen, die solch eine Reichweite erzielen konnten. Dennoch finde ich, man sollte jede*n so feiern lassen, wie er bzw. sie es möchte, meinetwegen auch in einem Faschingsdress. Wer es mit Techno verbinden möchte, soll es tun. Aber lasst diese scheiß Posterei sein, macht es für euch und nicht für irgendwelche Likes! Be real!
Apropos Posterei. In Sachen Social Media hast du es in diesem Jahr gefühlt etwas ruhiger angehen lassen. Was waren die Gründe dafür?
Erstens wollte ich mich wieder mehr auf meine Musik konzentrieren und nicht als Social-Media-Kasperle wahrgenommen werden. Ich möchte mich auf die wichtigen Dinge fokussieren, weil es letztendlich doch um die Musik geht, zumindest bei mir. Ich kann mir das nicht geben, meine Fresse zu filmen, während ich mir meinen Track im Studio oder auf der Couch sitzend anhöre und dabei mit meinen Händen eine imaginäre Klaviatur, die in der Luft hängt, spiele, nur um Content zu generieren. Was soll der Scheiß? Ich will kein Fake-Azz sein. Ab und an nehme ich auf, wie ich arbeite oder jamme, lustige Captures, wenn ich auf Tour bin oder mit Kolleg*innen und der Familie unterwegs bin. Aber das ist nicht gestellt, es ist aus dem Leben gegriffen und Realität. Ich wollte dieses Gefühl loswerden, anderen Leuten gefallen zu müssen. Entweder man mag mich oder eben nicht, letztendlich ist es mir egal. Am Ende knalle ich mit meinem Sound eh jeden auf dem Floor weg, und das meine ich nicht mal arrogant (lacht).
In diesem Monat haust du auch die Leser*innen zu Hause weg. Du mixt den offiziellen FAZEmag-Download-Mix. Worauf dürfen sich die Leser*innen freuen?
Es gibt treibenden Techno! Aus freier Laufbahn. Tools, Vocals, Tops, Percussions, alles. Hört es euch an und gebt mir euer Feedback.
Weihnachten und Silvester stehen vor der Tür, was ist im Hause Hoffknecht in diesem Jahr und auch für 2023 geplant?
Das Jahr zunächst ruhig zu Ende gehen lassen und die letzten Projekte in die Pipeline schieben. Dazu mein aktuelles Release auf Drumcode und auf meinem Label #STRGHT feiern (lacht). Und definitiv nach vorne schauen. Einige Dates für 2023 sind bereits bestätigt. Es ist sowohl Großes als auch Kleineres dabei. Außerdem möchten wir weiterhin Artists wie Adhill, Re-Set auf STRGHTX featuren und entwickeln. Ich spiele mit dem Gedanken, in 2023 ein Album zu veröffentlichen, bin mir aber noch nicht zu 100 Prozent sicher. Es ist eine Menge los, es bleibt spannend.
Aus dem FAZEmag 130/12.2022
Text: Triple P
Foto: Joanna Witek
www.instagram.com/thomas_hoffknecht