Thomas Lizzara – 25 Jahre

Foto: Marie Staggat

1997 war sicherlich eines der prägendsten der glorreichen 90er-Jahre. Nicht nur musikalisch, sondern generell ereigneten sich in diesem Jahr zahlreiche heute bemerkenswerte Geschehnisse. Berühmte Persönlichkeiten wie Lady Diana, Mutter Theresa und Notorious B.I.G. versterben, der Tamagotchi geht an den Start. Das Motto der in dem Jahr stattfindenden Loveparade lautet „Let the sun shine in your heart“. Für Thomas Lizzara, seines Zeichens 1981 in Brandenburg geboren, ging in eben jenem Jahr ein Traum in Erfüllung – er startete seine bis heute anhaltende Karriere als Musiker. Während er sich in den ersten Jahren noch einen Namen in der Hardtechno-Szene machte, changiert sein Sound heute zwischen House und Techno. 2012 erschien mit „Dopamine Puzzle“ der erste Langspieler Lizzaras, ehe vier Jahre später der Nachfolger „ahoi:Berlin“ rauskam. In den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten bespielte Lizzara den gesamten Globus und stand dabei auf bedeutenden Stages namhafter Festivals wie Nature One, Ruhr-In-Love und vieler anderer. Seine Diskografie weist Labels wie etwa Universal, Wanderlust sowie sein eigenes Imprint a.life auf. Die Festlichkeiten zu seinem 25-jährigen Jubiläum feiert der heute in Berlin lebende DJ und Produzent mit zahlreichen Singles. „Libertas“ macht dazu den Auftakt – eine melodische Hymne voller Energie und kraftvoller Aufbauten. Eine treibende Momentaufnahme aus dem Club und eine Ode an das Wichtigste im Leben: Freiheit.

Thomas – 25 Jahre, ein Vierteljahrhundert. Woran denkst du spontan, wenn du das hörst?

Da frage ich mich zunächst: Wo ist die Zeit geblieben? Ich bin ja selbst gerade 40 geworden, im Kopf aber bin ich noch Mitte 20 oder zumindest gefühlt maximal 30. Aber ich denke auch daran, auf wie vielen tollen Events und Festivals ich gespielt habe und wie ich dadurch schon auf der Welt rumgekommen bin. Ich bin unheimlich dankbar, als Künstler unterwegs sein zu dürfen, nicht zuletzt auch weil ich dadurch unheimlich viele sympathische und offene Menschen kennengelernt habe. Diese Verbindung zu den Menschen durch die Musik ist etwas, das mich auch heute noch so an unserer Szene fasziniert.

Erinnerst du dich noch an explizite Momente aus deinen Anfängen bzw. was dich dazu gebracht hat, Musiker zu werden?

Ja, natürlich, daran erinnere ich mich sehr gut. Meine erste Loveparade mit 13 oder 14 Jahren hat mich schier überwältigt. Ich wusste sofort, als ich die DJs auf den Trucks und auf der Goldelse beobachtete, da will ich auch mal stehen und Musik machen. Diese Energie und die damalige Stimmung waren einfach der Wahnsinn. Ich wuchs auch in einer Zeit auf, in der viele illegale Raves in Bunkern, Kasernen und ehemaligen Militärgeländen gemacht wurden. Das hat mich extrem geprägt und ebenso fasziniert, was außerhalb von den normalen Discos so abging. Auf Radio Fritz lief jeden Samstag „Rave Satelite“ mit Marusha – die Show habe ich mir, so oft es ging, angehört, weil mich der Sound fasziniert hat. Da dauerte es nicht lange, und ich begann, mit meinem Amiga 500 und passendem Keyboard die ersten Techno-Tracks zu produzieren, soweit es eben mit den damaligen Mitteln möglich war. Ich erinnere mich gerne an diese noch so unerschlossene Zeit zurück, in der man noch vieles einfach selbst ausprobieren musste und sich Wege erst einmal erschließen mussten.

Welche Meilensteine sind dir aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben?

Rückblickend gibt es unheimlich viele Momente, die für mich einen bleibenden Eindruck hinterlassen und sicherlich eine essenzielle Bedeutung haben. Mein erster Auftritt im Tresor in Berlin ist auf jeden Fall einer dieser persönlichen Meilensteine. Damals habe ich noch mit Vinyl aufgelegt und lag soundtechnisch eher bei 144 bpm. Ich habe die Bilder aus dieser unvergesslichen Nacht noch vor Augen und muss sagen, dass mir dieser Gig nochmal einen weiteren Kick gegeben hat. Die Energie aus dieser Nacht steckte mir noch Tage im Kopf. Ein eher zufälliger Meilenstein ist der Remix und das dazugehörige Video meines Löwenzahn-Remixes, das einfach nur ein Witz sein sollte und dann 2008 auf YouTube viral ging und auf über eine Million Views schoss. Auf einmal kannten auch Leute außerhalb von Berlin meinen Namen, wobei ich das nie beabsichtigt hatte. Sicherlich ist ein weiterer wichtiger Moment, als ich das erste Mal im Radio live gespielt habe. Diese Premiere hatte ich 2002 auf sunshine live – ein aufregendes Erlebnis. Besonders stolz bin ich auf meine erste Vinyl-Veröffentlichung, die auf Platz 1 der Vinyl-Charts ging und sich dort auch einige Wochen halten konnte. Mittlerweile freue mich immer wieder über Beatport-Chart-Platzierungen oder auch über die Aufnahme meiner Tracks in die großen Playlists bei Spotify.

Ich bin sicher, in 25 Jahren gab es auch einige Herausforderungen bzw. weniger leichte Momente.

Ganz sicher sogar, Herausforderungen gab es immer wieder. Die härteste davon war, nicht auf meine Eltern und Freunde zu hören. Obwohl sie es nur gut meinten, wenn es darum ging, Musiker bzw. DJ als Beruf zu wählen. Da gab es eher gut gemeinten Gegenwind und stets die Empfehlung, eher einen soliden Beruf zu wählen. Man muss dazu sagen, niemand aus meiner Familie war hauptberuflich Künstler*in, Musiker*in oder Schauspieler*in, sodass es natürlich für alle schwer vorstellbar war, wie man überhaupt davon leben kann bzw. soll. Aus diesem Setting musste ich gedanklich erstmal ausbrechen, das kennen bestimmt viele. Ich musste da oft sehr stark sein, wenn es mal finanziell nicht so lief und stand daher früh auf eigenen Beinen. Doch gerade diese Zeit, in der ich mich durchbeißen musste, hat mir auch viel gezeigt und mir die Kraft gegeben, auf mich zu vertrauen und meinen eigenen Weg zu gehen. Und das habe ich bis heute niemals bereut.

Zu Recht. Mittlerweile bist du nämlich nicht nur DJ und Produzent, sondern auch Veranstalter und Label-Betreiber. Wie hat sich deine Karriere in den 25 Jahren verändert bzw. entwickelt?

Als Produzent entwickelt man sich ja ständig weiter und probiert immer mal wieder neue Ideen aus. Nicht zuletzt auch weil die Technik sich ständig entwickelt und man immer mehr Möglichkeiten im Studio bekommt. Auch lernt man ständig neue Leute kennen, die mal etwas singen oder ein Instrument einspielen. Diese Zusammenarbeit mit anderen Musiker*innen gibt mir persönlich enorm viel Inspiration und hat zu meiner Entwicklung beigetragen. Ich reise für mein Leben gerne und nehme die Energie von den Orten und der Kultur der Region oder des Landes auf und lasse sie ganz bewusst in meine Produktionen einfließen. Für mich ist das ist ein fortlaufender Prozess, der nie langweilig wird. Unter der Woche schraubt man an neuen Tracks, am Wochenende testet man sie im Club oder auf dem Festival. Und schon weiß man, ob es funktioniert oder man vielleicht doch noch etwas verändert. Und dann geht es wieder von vorne los. Dieser Wechsel aus Live-Gigs am Wochenende und kreativer Arbeit im Studio unter der Woche ist mittlerweile fest mit mir verwachsen, ich kann es mir gar nicht mehr anders vorstellen. Mein eigenes Label a.life hilft mir dabei, die Tracks wann immer ich will zu veröffentlichen. Nur eigene Events mache ich zurzeit nicht, was vor allem mit der Corona-Situation in den letzten Jahren zu tun hat. Aber ich plane langsam wieder eine a.life-Dampfer-Party auf der Spree und in diesem Jahr natürlich auch noch meine Birthday-Party in Berlin.

In besagtem Vierteljahrhundert fand auch eine unheimliche Digitalisierung statt. Vom allwöchentlichen Plattenladen-Gang bis hin zu TikTok und Co. ist eine Menge passiert. Wie hat sich dieser Wandel auf dich als Künstler bemerkbar gemacht?

Ich komme zwar noch aus der Zeit, in der ich wöchentlich im Plattenladen war, aber ich finde Fortschritt und Entwicklung enorm wichtig. Damals lernte ich viel neue Musik auf mySpace kennen. YouTube war und ist ebenfalls bis heute mein Favorit, wenn es um neue Musik geht. Aber auch für andere Inhalte wie Tutorials oder News rund um neue Software, Synths usw. Während für mich Instagram und Facebook wie kleine Szene-Newsfeeds sind, nutze ich TikTok fast gar nicht. Mittlerweile ist man über diese Channels unheimlich nah an allem dran, sieht direkt vom Wochenende die Raves aus Clubs von der ganzen Welt. Das wäre vor Jahren noch undenkbar gewesen. Für mich als Künstler ist das ein enormer Vorteil, denn so kann ich Fans rund um den Globus erreichen. Das finde ich großartig.

Dein erstes Album „Dopamin Puzzle“ ist 2012 auf Ostfunk erschienen. 2016 folgte „ahoi:Berlin“. Wie haben diese zwei Werke deine Karriere beeinflusst und denkst du unter Umständen an ein neues Album?

Stimmt, mein erstes Album „Dopamin Puzzle“ wurde sogar zum „Album des Monats“ in der Raveline gewählt. Ein Album ist grundsätzlich etwas Schönes, bedeutet aber auch sehr viel Arbeit und Zeit. Ich plane allerdings nicht nur deswegen gerade kein neues. Ich mag es momentan sehr, einzelne Tracks zu produzieren mit Einflüssen aus dem Alltag und vom Reisen. Bei einem Album habe ich den Anspruch, alles wie aus einem Guss zu produzieren und einen roten Faden zu spinnen. Die Freiheit, etwas Spontanes und Unabhängiges zu machen, habe ich mit einzelnen Singles mehr und genieße das auch. Es passt einfach auch gerade viel besser zu mir als Mensch und meiner Lebensausrichtung.

2018 ist mit „a:life“ dein eigenes Label an den Start gegangen. Wie hat sich das Imprint deiner Meinung nach entwickelt in den letzten vier Jahren?

Ich stecke gar nicht so viel Arbeit in das Label oder signe andere Künstler*innen. Der Grund dafür ist recht simpel, mir fehlt schlichtweg die Zeit, um Demos zu hören. Es ist mehr wie meine eigene Plattform, auf der ich mich selbst zu jeder Zeit verwirklichen kann. Das hat mir in der Vergangenheit manchmal gefehlt. Mein Fokus liegt immer darauf, Musik zu machen und sie den Leuten auch kurzfristig auf Spotify und Co. zum Hören verfügbar zu machen. Ich bin kein Fan davon, dass, wenn ich einen Track in einem Set spiele, die Leute ihn mögen und fragen, wann er rauskommt – dann würde ich anfangen, ihn zu Labels zu schicken und zu warten. Wenn dann eins zusagt, dauert es meistens noch Monate, bis es rauskommt, deshalb habe ich mein Baby a.life.

Die Single „Libertas“ macht den Auftakt zu den Festlichkeiten deines 25-jährigen Jubiläums.

Korrekt. Libertas bedeutet auf „Freiheit“ auf Latein. Gerade in der Pandemie und durch den Krieg in der Ukraine und anderen Ländern auf der Welt habe ich verstärkt festgestellt, wie wichtig Freiheit ist und dass leider nicht jede und nicht jeder ebendiese hat. Ich bin unendlich dankbar dafür, fast die ganze Welt bereisen zu dürfen und auch grundsätzlich keine Angst haben zu müssen, in Deutschland nachts auf die Straße zu gehen. Das ist ja keine Selbstverständlichkeit. Daher hat der Begriff Freiheit für mich eine besondere und persönliche Bedeutung. Aus diesem Grund habe ich Libertas gewählt.

Die letzten zwei Jahre waren in der Tat, besonders für den Kultursektor, keine einfachen. Wie war diese Zeit für dich?

Diese Zeit hat mich sehr zum Nachdenken angeregt: Welche Dinge sind wirklich wichtig im Leben, was möchte ich als Musiker und Künstler erreichen? Solche Fragen habe ich versucht, für mich zu beantworten. Es war keine schöne Zeit, da mir die Leute und Events sehr gefehlt haben. Auch die Kreativität lässt nach, wenn man mehr oder weniger nur noch zu Hause ist. Die Inspiration und die Energie, die man von den Gigs mit ins Studio nimmt, fehlen einfach. Diese Lücke muss man erst einmal schließen. Ich habe trotz allem sehr viel aus dieser Zeit mitgenommen und gelernt. Ich habe ein paar Tracks produziert, Videos gedreht, Live-Videos gemacht und meine wöchentliche Radioshow auf JAM FM umgesetzt. Durch die Radioshow konnte ich in der Pandemie meinen Fans auf andere Weise nahe sein und habe mich über das positive Feedback auf die Show sehr gefreut. Auch habe ich zwei Titel über Instagram und Facebook mit meinen Fans gemeinsam produziert. Letzten Endes musste man einfach in Bewegung bleiben, um diese Zeit der Einschränkungen zu überstehen.

Die Szene erwacht aktuell wieder zum Leben. Was steht für 2022 noch auf deiner Agenda – sowohl Show- als auch Release-technisch?

Für 2022 sind noch einige Releases, Musikvideos und mindestens zwei weitere Live-Video-Sessions geplant. Einige Shows werden gerade vom letzten Jahr nachgeholt und ich spiele wieder jedes Wochenende und bin damit wieder von Freitag bis Sonntag unterwegs. Besonders freue ich mich aber auf die Streetparade in Zürich, die Loveparade in Berlin, wenn alles klappt, und die vielen kleinen Open-Airs und Partys. Während der Pandemie habe ich das schon sehr vermisst und merke jetzt bei jedem Gig – ob Club oder Festival – wie sehr ich damit verwachsen bin und wie viel mir das als Mensch bedeutet.

Welche Ziele und Träume hast du für die nächsten Jahre?

Ich möchte meinen künstlerischen Fokus noch mehr auf das Ausland verlegen, dort mehr spielen und somit noch mehr reisen als ohnehin schon. Ich liebe es, in fremde Kulturen einzutauchen und Menschen und ihre Geschichten kennenzulernen. Daher freue ich mich auf die nächsten 25 Jahre, in denen ich mit meiner Musik Menschen hoffentlich weiterhin glücklich machen kann.

 

Aus dem FAZEmag 125/07.2022
Text: Lisa Bonn
Foto: Marie Staggat
www.instagram.com/thomaslizzara