Tomcraft – No More Loneliness

Ende Februar erschien „Bagging Me“ von Tomcraft und Eniac auf Armada Music. Vorab konnten wir mit dem gebürtigen Münchener, der mit bürgerlichem Namen Thomas Brückner heißt, über seinen Umzug nach Italien, Mottes „Rave the Planet“ und seine anstehenden Projekte sprechen.

Du bist 2017 nach Italien gezogen. Wie kam es dazu und wie hast du dich dort eingelebt?

Nach vielen Urlauben auf Sardinien hatten meine Frau und ich den Traum, dort irgendwann zu leben. Die Lebensfreude, das Klima und die Herzlichkeit der Menschen haben uns sehr fasziniert. Unsere drei Kinder sollten eigentlich erst die Schule in München beendet haben, bevor wir diesen Plan in die Tat umsetzen wollten. Letztendlich haben wir uns dazu entschieden, diesen Schritt früher zu wagen und die Kinder auf italienische Schulen zu schicken. Mittlerweile haben sowohl wir als auch unsere Kinder einen großen Freundeskreis auf der Insel, haben uns sehr gut eingelebt und die ganze Familie ist restlos glücklich mit dieser mutigen Entscheidung. Ich kann allerdings nur absolut davon abraten, ein Auto aus Deutschland nach Italien mitzunehmen – das Ummelden ist ein wahnsinniger Akt.

Letztes Jahr hast du ja nicht nur das Label Chaos Casino zusammen mit deinem Long-time-Partner Eniac ins Leben gerufen, sondern ihr habt auch gleich noch einen Track mit Westbam an den Start gebracht. Wie kam es zu der Idee, das Label zu gründen, und zu „Come With Us“?

Nachdem Eniac und ich bis Anfang 2019 ein ganzes Album produziert hatten, war der Wunsch, dieses schnell und eigenständig zu veröffentlichen, sehr groß und meine allseits bekannte Ungeduld war voll ausgeprägt. Also haben wir Chaos Casino gegründet. „Casino“ bedeutet im Italienischen „Chaos“ – so ergibt sich ein schönes Wortspiel. Nachdem wir die beiden Releases „Infiltrator” und „Xenon The Codex” veröffentlicht und großartiges Feedback bekommen hatten, kamen wir mit Max, also Westbam, in Kontakt und hatten die Idee, einen gemeinsamen Track zu veröffentlichen. Er hat sofort zugesagt, uns die Vocals eingesprochen und „Come With Us“ war geboren.

Im Hinblick auf deine vielen Auftritte auf der Loveparade und anderen Technoparaden: Wie stehst du zu den jüngsten Ideen bezüglich „Rave The Planet“?

Diskussionen über das UNESCO-Kulturerbe hin oder her: Die Ravekultur wäre in ihrer heutigen Ausprägung ohne die Loveparade undenkbar. Dr. Motte hat uns doch allen schon mal bewiesen, dass seine Ideen und Visionen in unser aller Interesse sind und die Faszination dafür bis heute anhält. Warum also nicht abwarten, was daraus entstehen könnte, statt schon vorher wieder alles schlecht zu reden und geradezu platt zu machen? Diese negative Mentalität irritiert mich ehrlich gesagt etwas. Nur wer sich traut, erreicht auch etwas. Und das hat in der Stadt, die die einzige ist, in der dieses Event wirklich stattfinden sollte, immer wunderbar funktioniert.

Zurück nach Italien. Wie nimmst du die Szene dort wahr?

Ich kann natürlich nur von der Szene in meiner direkten Umgebung sprechen, also von der in Cagliari, der Hauptstadt Sardiniens. Am acht Kilometer langen Poetto Beach findet man etliche Clubs, Bars und eine große Eventarena. In der Arena waren im letzten Sommer zum Beispiel Sven Väth, Richie Hawtin, Fatboy Slim, Bob Sinclair, Loco Dice, Mousse T., Tiga, Paco Osuna und auch David Morales am Start. In den Clubs haben unter anderem Martin Buttrich, Matilda, Satoshi Tomiie, Tini Gessler, Rivastarr oder Deborah De Luca gespielt. Im Winter tummeln sich hier DJ-Größen aus Italien wie Mario Piu, Mauro Picotto, Cirillo und viele Locals – ich bin sehr beeindruckt, wenn ich sehe, was hier abgeht, und kann die Szene jedem, der Sardinien nicht kennt, wärmstens empfehlen!

Lass uns einen Blick auf deine anstehenden Releases werfen. Ende Februar steht das gemeinsame Release mit Eniac, „Bagging Me“, auf Armada Deep an. Was haben wir zu erwarten und auf was dürfen wir uns in Zukunft von euch freuen?

„Bagging Me“ ist eines unserer Babys und wir sind sehr froh, dass Armada den Track in die Deep-Serie aufgenommen hat. Der Sound spiegelt unser beider Geschmack wider und verbindet die bekannte Melodieverliebtheit mit treibenden Beats. Zwei weitere Releases, „Take A Breath“ und „Save My Life“, sind bereits in der Pipeline und wir können es kaum erwarten, sie euch zu präsentieren – da zeigt sich wieder die Sache mit der Ungeduld.

Auch an einem Remix für Lützenkirchens „Glitch In The Matrix“ habt ihr gearbeitet – der wird bald auf BluFin erscheinen. Wie kam es dazu?

Lütze und ich haben jahrelang zusammen im Studio gearbeitet. Dabei sind Kooperationen mit Xavier Naidoo, Jimmy Pop oder GusGus entstanden. Wir waren viele Male gemeinsam auf Tour und sind bis heute gut befreundet. Auch wenn wir inzwischen getrennte Wege gehen, schätzen wir uns gegenseitig sehr und arbeiten immer wieder gerne miteinander. So hat er vor zwei Jahren einen Remix für „Follow Me Home“ gemacht und ich war sehr happy, ihm einen Tomcraft-&-Eniac-Remix für „Glitch In The Matrix“ liefern zu dürfen.

In Sachen Remixe stehst du auch im Austausch mit Mauro Picotto. Kam es zu der Idee im Zuge deines Umzugs?

Das hat mit meinem Umzug nach Italien nichts zu tun, obwohl ich nach viel Paukerei voller Stolz behaupten kann, mit ihm nun auch auf Italienisch über unsere Projekte sprechen zu können. Als ich in den 90er-Jahren meinen Plattenladen in München hatte, habe ich Mauro Picotto Releases verkauft wie warme Semmeln. Ich bin bis heute großer Fan von ihm und so macht es umso mehr Spaß, ihn auf Festivals oder Clubevents zu treffen und gemeinsam mit ihm zu spielen. Er hat mich letztes Jahr gebeten, einen Remix für ihn zu machen, was eine große Ehre für mich war – da überschlägt sich mein altes Raverherz einfach. Nachdem Eniac und ich den Remix für „Fly Away“ fertig hatten, habe ich zwei Monate später mit Mauro auf der „Wonderful Days“ im Bootshaus in Köln aufgelegt. Ich habe nach ihm das Closing-Set gespielt und auch danach waren wir nicht tot zu kriegen. Er sprach mich auf meinen alten Track „Prosac“ an und meinte, dass er da unbedingt ran wolle, um einen Remix zu machen. Ja, da sag ich doch nicht Nein! Ende März könnt ihr das Ergebnis hören.

Kannst du uns abschließend einen Ausblick auf den Rest des Jahres geben?

Neben dem aktuellen Release auf Armada Deep und den zwei Nachfolgern haben wir einen weiteren Track produziert, „We You And I“, den ich unmittelbar vor diesem Interview getestet habe. Schon jetzt kann ich es kaum erwarten, ihn zu veröffentlichen. Außerdem gilt es, die übrigen Songs – oder sogar das ganze Album – zu präsentieren, die aus unserer Arbeit im letzten Jahr hervorgegangen sind. Meine große Herzensangelegenheit ist allerdings meine Charity-Veranstaltung im September. Vor 25 Jahren hatte ich zwei Träume: Entweder wollte ich in der Behindertenpflege arbeiten oder eben DJ werden. Den Traum, mit behinderten Menschen zu arbeiten und sie zu unterstützen, habe ich nie vergessen. Also könnt ihr euch auf ein Event zugunsten einer mir sehr wichtigen Organisation freuen.

Der Weiße Hase in Berlin ist die perfekte Location dafür und mit den Betreibern habe ich nach vielen Jahren guter Zusammenarbeit ein großartiges Konzept und Line-up ausgearbeitet. Darauf freue ich mich ganz besonders! Ich bin sehr überrascht, wie hilfsbereit meine DJ-Wunschkandidaten waren, die sich sofort und ohne Wenn und Aber dazu bereit erklärt haben, dieses Event zu unterstützen.

 

Aus dem FAZEmag 097/03.2020
Text: Felix Hartmann
www.instagram.com/tomcraftofc