U96 – auf Tauchfahrt 20.000 Meilen unter dem Meer

Das Los eines Musikjournalisten: Manchmal interviewt man Künstler, die man zwar schätzt, deren Sound aber nicht zu den persönlichen Favourites gehört. Und dann wiederum hat man die große Ehre, ins Gespräch mit Acts zu kommen, vor denen man den Hut zieht. So ist es mir in diesem Fall mit U 96 ergangen. Ein Projekt, mit dessen Musik ich aufgewachsen bin. Meine ersten Berührungspunkte mit der elektronischen Musik, Mitte der 1990er Jahre. Damals, als der Megahit „Das Boot“ auf den Markt kam und ich mir sofort die Bravo Hits Vol. 1 gekauft hatte, auf der die Nummer war. Es folgten weitere Erfolgs-Releases wie „I Wanna Be A Kennedy“, „Love Sees No Colour“, „Love Religion“, „Club Bizarre“ und viele weitere. U 96 – sie waren mal mehr, mal weniger präsent. Aber ganz weg waren sie nie. Und heute? 30 Jahre U 96 – das große Jubiläum. Das feiern die Hamburger Gründungsmitglieder Hayo Lewerentz und Ingo Hauss nicht nur mit der Veröffentlichung eines neuen Albums. Nein. Die beiden gehen sogar mit einem ganzen Musical auf Tour und haben für „20.000 Meilen unter dem Meer“ mit Claude-Oliver Rudolph einen Star auf der Bühne, der bereits im Film „Das Boot“ mit an Bord war. Ich habe mich mit Hayo und Ingo Anfang August 2022 zu einem 45-minütigen Zoom-Call „getroffen“ und über Past, Present und Future gesprochen.

Hallo ihr beiden. Super, dass ihr Zeit habt für ein Interview. Und dann auch noch face to face, großartig. Okay, let’s go – mit einer Frage, die ich natürich stellen muss: Werdet ihr nach 30 Jahren noch auf „Das Boot“ angesprochen? Und: Ist es nervig, damit immer und immer wieder konfrontiert zu werden?

Erste Frage ja, zweite Frage nein. „Das Boot“ ist Teil unserer History. Mit diesem Track begann unsere Karriere – und es ging direkt von 0 auf 100. Auf diese Single hat sich ja letzten Endes alles aufgebaut. Sie war ein so überragender Erfolg, dass es natürlich völlig legitim ist, wenn man uns darauf anspricht.

Habt ihr noch Erinnerungen an die Zeit im Studio und die Technik von damals?

Ja, natürlich wissen wir das noch. Wir haben uns eines nachts rangesetzt, und das Ding in einer einzigen Night Session aufgenommen. Es war eine spontane Idee, Elemente aus dem gleichnamigen Film zu verwenden. Allerdings war die Rechtefrage ein bisschen langwierig. Es ging ja darum, dass Klaus Doldinger diese freigibt. War ein wirklich langer Prozess. Für uns zu lang. Denn wir haben nicht lange gewartet, sondern einfach losgelegt mit der Produktion. Gut, nun kann man die damalige Produktionsweise nicht mit der von heute vergleichen. Die Effekte des Films kamen aus den Lautsprechern unseres Atari Computers. Wir haben dann ein Mikro vor die Speaker gestellt, um die Samples drei, vier Sekunden lang aufzunehmen. Es gab ja noch kein File Transfer. Alles wurde auf Floppy Disks gespeichert.

Und wie lange hat es dann gedauert, bis das Release über ein Label auf den Markt kam?

Lange. Die Nummer wollte anfangs niemand haben. Alle Plattenfirmen haben abgelehnt. Doch dann war es schließlich Polydor Progressive (eine neue Abteilung von Tim Renner), die es mit uns probieren wollten. Wir kannten das Team bereits recht gut, so hatte es sich einfach ergeben, dass der Track veröffentlicht wurde. Und der ging durch die Decke.

 

Und dann habt ihr direkt ein Album nachgelegt?

Richtig. Aber man muss auch sagen, dass wir bereits sehr viel Material hatten und auch schon einige weitere Tracks im Kasten waren. Aber du hast schon recht … Das Album musste dann wirklich ziemlich schnell fertig werden, um die Welle des Erfolges zu nutzen.

Weil der Druck des Labels da war …

Ja, aber auch, weil wir das Album so schnell wie möglich umsetzen wollten. Wir hatten ja viele Samples aus dem gleichnamigen Film und konnten uns dann dank des kommerziellen Erfolges von „Das Boot“ auch ein großes „Spielzimmer“ einrichten, mit viel neuer und hochwertiger Studiotechnik.

Habt ihr das Equipment von damals noch?

Ja, einiges haben wir tatsächlich noch verwahrt, wie alte Moogs und viele analoge Sachen, wie Synthesizer und so. Und: Ein paar Sachen benutzen wir noch heute, wenn’s ein bisschen retro zugehen soll in Sachen Sound.

30 Jahre U 96 mit vielen Releases, die die Clubwelt eroberten. „Das Boot“ würde ich aus damaliger Sicht in die Schublade mit der Aufschrift „Techno“ legen. „Love Religion“ in die mit „Eurodance“. „Nightride“, eine recht junge Produktion, passt ganz gut in die Kategorie „Elektronik und Chill-out“. Wie würdet ihr die musikalische Reise in den letzten 30 Jahren beschreiben?

Ein bisschen so, wie sich auch Techno verändert hat im Laufe der Zeit. Techno in den 90ern war hart und undergroundig. Was heute Techno ist, existierte damals nicht in dieser Form. Wir hören extrem viel neue Musik und sind nicht in den 90ern steckengeblieben. Wir hören neue Künstler, finden Sachen von Richie Hawtin klasse. „Nightride“, weil du es erwähnt hattest, hätte aber auch auf dem zweiten Album sein können. Die Nummer ist absolut radio- und club-unabhängig, generiert eine tolle Stimmung während des Lockdowns. War schon eine krasse Sache auf der Reeperbahn, die noch nie dunkel war, seit sie existiert. Als Hamburger waren wir da sehr ergriffen beim Videodreh.

 

 

Also keine musikalische Schublade? Auch nicht seitens des Labels?

Wir können unser Ding machen, wie wir wollen. Sind ja wieder zurück bei Motor. Und das läuft super, wie eine gut geölte Maschine. Klar wählen wir zusammen die Singles aus, aber das ist alles sehr einvernehmlich. Dennoch haben wir schon unsere Vorstellungen und wir lassen uns auch von neuer Musik inspirieren. Wir sind ja kein 90er Act, der mit alten Playbacks auffährt.

Wie ist „20.000 Meilen unter dem Meer“ entstanden? Der Sound hat mich beim ersten Hören direkt an Schiller erinnert, den ich auch schon öfters interviewt habe und dessen Musik ich großartig finde. Also, Chill-out …

Witzigerweise haben wir 2020, kurz vor der Pandemie, mit Schiller zwei Auftritte gepsielt. In Mombasa und in Nairobi. Wir kennen Christopher schon sehr lange. Und das war klasse, ein tolles Event.

Entstanden ist das Projekt …

… nachdem wir das Album „Transhuman“ mit Wolfgang Flür von Kraftwerk gemacht hatten. Wir wollten ausbrechen und in Richtung „out of the box“ denken und in Richtung Theater gehen. Was völlig Neues. Und ich sehe bei dir im Office gerade die Vinyl-Box von Pink Floyd im Hintergrund … ein großes Vorbild, die Band. Hintergrund war auch, ein Konzeptalbum zu entwerfen – wie das Pink Floyd fast eh und je gemacht haben – und eine Geschichte erzählen. Nautilus, das legendäres U-Boot, passt ja auch thematisch zu unserem ersten Track. Dann dachten wir direkt an unseren Freund Claude-Oliver Rudolph, den wir seit 20 Jahren kennen, und wir so: „Hey, der war ja auch im Film ‚Das Boot‘. Ob er wohl Bock hat, die Rolle des Nemo auf der Bühne darzustellen?“ Die Idee wurde groß und größer und schließlich entstand ein Musical-Projekt mit zwölf Schauspielern, plus uns beiden als Soundmachern. Wir hatten letztlich so viel Musik, dass wir gesagt haben, wir machen ein neues Album. Untypisch für uns, aber gerade das Atlantis-Thema war super spannend.

War die Überlegung, das Projekt nicht U 96 zu nennen?

Das Album geht gar nicht so extrem in andere Schienen. Es ist eine Mixtur aus dem Musical und aus anderer Musik, die im Musical gar nicht vorkommt. Also nein, die Überlegung gab es eigentlich nicht, weil unser Sound ohnehin recht „flexibel“ ist und wir uns nur ungern einen musikalischen Stempel aufdrücken lassen wollen.

Mit dem Muscial geht ihr auf Tour. Dann gibt es aber noch das U 96-Projekt im Planetarium Hamburg.

Genau, das ist eine 360-Grad-Full-Dome-Show mit bombastischer Soundanlage. Der ganze Mischvorgang ist in einem Cube, in dem die einzelnen Tracks objektversiert positioniert und verteilt werden. Das geht im Musical-Theater natürlich nicht. Unsere Show im Planetarium ist komplett vorproduziert und läuft stetig.

Ohne euch live on Stage.

Richtig. Ähnlich wie diese Shows von/über Queen und Pink Floyd im Planetarium Hamburg. Die Show läuft auch noch in anderen Städten, künftig eventuell auch in Frankreich, und in weiteren Ländern in der jeweiligen Landessprache. Das ist zumindest der momentane Plan. Wir konnten sehr spannende neue Technologien ausprobieren und verwenden, arbeiten hierzu auch mit einem holländischen Constructor und Designer zusammen, der coole Stage-Outfits kreiert. Aber diese Geschichte ist ausschließlich für Planetarien gedacht.

Und wie muss man sich das Musical vorstellen?

Zwölf Schauspieler auf der Bühne. Mit uns. Und wir spielen unsere Songs, live. Wir sind quasi der Orchestergraben, wenn man so will. Aber wir spielen keine Rollen im Musical, sondern stehen mit dem Studio-Equipment dort und performen live.

 

Idee, Drehbuch & Co. kommen von euch?

Das hangelt sich hauptsächlich am Original entlang, aber Claude-Oliver Rudolph hat das alles sehr en detail verfasst. Das Ganze entstand musikalisch dann im Studio in Hamburg. Wir wohnen ja auch nur acht Minuten vom Studio entfernt und haben uns 2021 jeden Tag um elf Uhr getroffen.

War das Musical von vornherein geplant oder nur die Album-Geschichte?

Nein, ausschließlich die Shows im Planetarium waren geplant. Damit fing alles an. Als uns Claude-Oliver dann zugesagt hatte, schlugen wir ihm „20.0000 Meilen“ vor. Und er war sofort dabei. Das war der Ausschlag, um es als Musical auf die Bühne zu bringen. Die zusätzliche Initialzündung war das Kennenlernen von Thomas Kraupe, dem Leiter des Planetarium Hamburg. Er war sofort begeistert von der Show-Idee im Planetarium. Musst mal auf YouTube gehen. Da ist die Show auf dem Balkon, 80 Meter über Hamburg, online. Beim Konzert, das ohne Publikum stattfand, performt Claude-Oliver auch zwei Songs, im Lockdown.

Der Sound des Albums ist ja sehr sphärisch und bombastisch. Da bietet sich doch glatt ein upcoming Remix-Album mit technoiden und abgespaceten Elementen an …

Ja, definitiv, das hast du gut erfasst. Wir arbeiten ja auch intensiv mit Remixern zusammen, die wir seit vielen Jahren kennen und schätzen. Zuletzt unter anderem mit DJ Dean. Also viele der Tracks, die remixbar sind, werden wir aufbereiten und verändern lassen. Das ist ja mitunter auch unser Kerngeschäft. Aus dem „Transhuman“-Album gab es einen Remix von Carl Cox – und bei „20.000 Meilen“ eignen sich vorwiegend Trance-Versionen mit technoidem „Einschlag“.

Denkt man eigentlich wehmütig an damals zurück und sagt sich „Wir bräuchten noch mal so eine Erfolgsnummer wie ‚Das Boot‘?“

Nein, nein, gar nicht. Das kannst du nicht wiederholen. Wir freuen uns natürlich, wenn ein Track eine gute Akzeptanz bekommt, wie „Let Yourself Go“ letztes Jahr. Der lief extrem gut, auch in den Clubs. Da waren wir super glücklich und wir freuen uns über Feedback. Aber so etwas wie „Das Boot“ schaffst du nur einmal in deiner Karriere.

 

Hier eine Übersicht der bisherigen Tour-Termine:

08.10.2022: Alte Oper, Frankfurt
10.10.2022: Amo Kulturhaus, Magdeburg
13.10.2022: Alte Oper, Erfurt
17.10.2022: Stadthalle, Rostock
23.10.2022: Admiralspalast, Berlin

Das Routing für die in den May kommenden Jahres verlegten Shows sieht dann bitte folgendermaßen aus:
04.05.2023: Wunderino Arena Theater, Kiel
06.05.2023: Metropol Theater, Bremen
07.05.2023: Zelt Philharmonie, Hamburg
09.05.2023: Westfalenhalle 2, Dortmund
10.05.2023: Theater am Tanzbrunnen, Köln
12.05.2023: Theater am Aegi, Hannover
14.05.2023: EmslandArena Theater, Lingen
16.05.2023: Theaterhaus, Stuttgart

Karten bekommt ihr bei allen üblichen, seriösen Ticketbörsen.

 

(C) Foto: Anja Behrens