Yulia Niko – Seelenverwandtschaft

Foto: Ice Cream Media

Bereits mit 15 Jahren widmete sich Yulia Niko der Musik, nur wenige Monate später folgten erste DJ-Gigs in der Heimat. In ihren frühen Zwanzigern zog es sie nach New York, wo sie Musikproduktion studierte und ihrer Passion intensiv nachging. Mittlerweile gehört sie zu den aufstrebendsten Künstlerinnen der Szene, hat auf renommierten Labeln wie Crosstown Rebels und Watergate veröffentlicht und einen vollgepackten Tourkalender, der sie regelmäßig um den Erdball schickt. Nun lanciert die mittlerweile in Deutschland lebende DJ und Produzentin ihr erstes Studioalbum mit dem Titel „TWINSOUL“, das ihrem verstorbenen Vater gewidmet ist.
Das Artwork des Albums spiegelt diese Vision und zeigt zwei Seelen, die untrennbar miteinander verbunden sind. „Mein Vater stellte meine Musikkarriere in Frage und wollte, dass ich einen anderen, traditionelleren Weg einschlage“, erzählt Yulia Niko. „Gerade als ich begann, erfolgreich zu werden, starb er. Dieses Album ist meinem Vater gewidmet, denn ich möchte ihm zeigen, dass ich eine echte, engagierte Künstlerin bin.“ Das sehr intime 10-Titel-Werk offenbart einen rohen und experimentellen Klangansatz, verbunden mit ausgeprägten Deep-House-Klanglandschaften und gewährt intime Einblicke. Veröffentlicht wird das Album am 8. März auf Armada.

Yulia, Glückwunsch zu deinem Debütalbum. Wie fühlst du dich, jetzt wo das Produkt fertig im Kasten ist?

Hey, danke euch! Ich bin megaaufgeregt über dieses Interview. Ich bin schon eine ganze Weile Fan von eurem Magazin. Als ich auf mal auf einen verspäteten Zug wartete, was bei der Deutschen Bahn ja recht häufig vorkommen kann, habe ich im Bahnhofskiosk das Magazin entdeckt. Es war sehr lustig, viele meiner Freunde darin zu sehen. Um auf die Frage zurückzukommen: Ich bin sehr froh, die letzten zwei Jahre waren eine lange und intensive Reise, die ich so in dieser Form nicht erwartet hätte. Ein Album zu machen, ist eine Sache, aber die unzähligen Dinge drumherum eine gänzlich andere. Seitdem ich beschlossen hatte, dieses Album umzusetzen, habe ich mich noch nie so beschäftigt gefühlt. Bisher gab es nur superpositive Reaktionen und das freut mich sehr.

Du widmest das Album deinem verstorbenen Vater. Erzähle uns mehr darüber.

Ich wusste immer schon, dass ich ein Album machen möchte und habe tatsächlich schon zwei gemacht. Aus irgendeinem Grund habe ich diese aber in separate EPs aufgeteilt und die Tracks gingen zwischen verschiedenen Labeln verloren. Als mein Vater starb, habe ich sehr getrauert, bis eines Nachts etwas in mir einen Schalter umlegte. Ich hatte beschlossen, die volle Verantwortung für all meine Träume zu übernehmen, denn das Leben ist zu kurz, um es nicht zu tun. Wenn ich also etwas machen will, muss ich aufhören, auf andere zu hören, die mir sagen, es sei nicht der richtige Zeitpunkt. Ich musste meinen Ängsten und Gedanken, die ich nach dem unglaublichen Stress des Verlusts meines Vaters hatte, entfliehen, also hatte ich mich quasi im Studio eingeschlossen und angefangen, am Album zu arbeiten. Und das hat mir sehr geholfen zu heilen. Die Wahl des Titels war auch nicht einfach und hat eine Weile gedauert. Am Tag nach dem Tod meines Vaters sind meine Mama und ich alte Fotos durchgegangen und ich habe gemerkt, dass mein Dad mir echt ähnlich sah, als er jung war. Das hat mir die Augen für so vieles geöffnet, und auch wenn wir nicht supereng waren oder unglaublich viel geredet haben, waren wir immer irgendwie als physische Kopien verbunden. Also habe ich gesagt: „Sieht aus, als hätten wir eine Seele geteilt.“ Das hat mich dazu inspiriert, das Album „TWINSOUL“ zu nennen.

Eine schöne Geschichte. Über das Leben, Pläne und Erwartungen waren dein Vater und du nicht immer einer Meinung. Lass uns ein bisschen an deiner Kindheit teilhaben und wie du erstmals mit Musik in Kontakt gekommen bist.

Ich hatte eine ganz normale Schulbildung und nebenbei habe ich Tanzkurse gemacht. Nach der Schule musste ich quasi ein Jurastudium machen, wovon meine Eltern geträumt hatten. Also habe ich die Schule beendet und sogar wirklich versucht, als Anwältin zu arbeiten. Aber es war so stressig, dass ich nach drei Monaten aufgehört und versucht habe, die Musik zum Hauptberuf zu machen, einfach um zu sehen, was passiert. Ich habe schon mit 15 Jahren angefangen aufzulegen. Musik war mein Ausweg aus enormem Stress in meinem Leben: Als ich 15 war, hatte ich einen recht schlimmen Autounfall. Während der Genesung habe ich viel House-Musik gehört und den hypnotischen Rhythmus gespürt, der mich inspirierte und stärker machte. Sobald ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, habe ich Vinyl gesammelt und hatte innerhalb von sechs Monaten meinen ersten Gig. Lustigerweise hatte ich mit 16 Jahren meinen ersten Auftritt auf einem Festival mit rund 1.000 Leuten. Ich habe ein echt lustiges Bild von dem Tag, ich wog 48 Kilo und meine Haare waren um die Ohren herum rasiert, aber natürlich dachte ich damals, ich sähe aus wie jeder andere Erwachsene (lacht).

Wie lange hast du an „TWINSOUL“ gearbeitet und welche Phasen hast du während des Prozesses durchlebt?

Einige Ideen für das Album hatte ich schon lange. Zum Beispiel war der Track „Higher“ schon seit über vier Jahren fertig. Wenn ihr euch das Set im Watergate an Silvester 2020 bei Soundcloud anhört, hört ihr quasi eine Rohversion davon. Während der Corona-Pandemie hat mich Yotam Avni gefragt, ob ich offen für eine Zusammenarbeit sei, und ich dachte: „That’s it.“ Er hat den Groove verbessert und eine asiatisch inspirierte Melodie hinzugefügt. Es hat mich umgehauen. Einige weitere Stücke habe ich zu einem zusammenhängenden Track zusammengesetzt, quasi verschiedene Momente und Zeitspannen aus meinem Leben vereint. Jeder Song hat eine Geschichte. Dementsprechend gab es während der Produktion sehr viele Höhen und Tiefen. Ein paar Mal wollte ich aufgeben, weil es z.B. nach Corona so aussah, als wäre es eine wichtige Zeit in meiner Karriere, Singles einfach als „Dancefloor-Banger“ zu veröffentlichen. Es war superriskant und ich habe viel nachgedacht. Aber als Armada mich kontaktierte, weil irgendwie meine Album-Demos in ihre Hände gelangten und sie total begeistert waren, habe ich einfach durchgeatmet und angefangen, das Projekt zu finalisieren.
Eine ebenfalls wichtige Phase bei der Produktion des Albums war das Mixen und Mastern. Wenn ihr es hört, werdet ihr feststellen, dass der Sound sehr anders ist als die meisten elektronischen Musikstücke, die derzeit auf dem Markt sind. Es hat eine Weile gedauert, dorthin zu kommen. Ich hatte den Wunsch, mit Tobi Neumann zu arbeiten. Er hat ein erstaunliches Analog-Studio in Berlin und die meisten legendären Alben vieler großer Acts seit den 80er-Jahren gemischt. Einmal sagte er zu mir: „Heutzutage ist die meiste Musik digital, aber mein Album ist absolut analog. Für unsere Generation mag es anders klingen.“ Aber ich wollte etwas Zeitloses machen. Beim Videodreh für „Satisfaction“ ist der Titel mindestens 100-mal gelaufen, dennoch wurde ich nicht müde, ihn zu hören. Also denke ich, dass wir das Ziel erreicht haben, den Sound so analog wie möglich klingen zu lassen.

Du hast einige der Features schon angesprochen, die Liste an Kollaborateuren auf dem Album ist beeindruckend.

Neben den bereits Erwähnten steht „Soul of the World“ mit Illinois für mich ganz oben. Sie ist eine Sängerin aus München und Teil von Deutschlands „The Voice“. Der Song ist vom Buch „Der Alchimist“ von Paulo Coelho inspiriert und repräsentiert definitiv das gesamte Thema des Albums. Außerdem enthält der Track ein Solo auf Bulgarisch von ihr. Sie singt: „Ich bin nicht mehr dieselbe. Ich muss es wissen. Ich hatte einen Traum. Ich muss gehen. Zur Seele der Welt.“ Als Nächstes kommen die Vocals von Paul Brenning aus Berlin. Wir haben schon zwei echt tolle Tracks zusammen auf Scenarios und Realm Records gemacht. Bisher waren alle Tracks, die wir gemacht haben, sehr erfolgreich.
Und „Come Too Far“ ist natürlich ein führender Song auf dem Album und wahrscheinlich auch der poppigste Song von allen zehn Stücken. „Fire in My Soul“ enthält Vocals von Carn Crua, einer musikalischen Performerin und Maya-Frau aus Tulum. „Love the Rain Days“ ist mit Ost & Kjex aus Oslo entstanden, die ein Jazzquartett namens „Sex Judas“ haben und vor einer Weile auch ein Album veröffentlicht haben, das ich zufällig gefunden habe. Genau in jenes habe ich mich verliebt und die Band auf allen sozialen Kanälen gejagt, bis ich eine Antwort bekommen habe. Ost hat mir geantwortet und gesagt, er sei der führende Teil von „Sex Judas“, und ich habe dann realisiert, dass ich seine Stimme von meinem Remix von Eelke Kleijns „Lost Souls“ von 2019 kenne, bei dem Ost die Vocals gesungen hat. Deshalb klang die Stimme so vertraut! „Sand“, die Zusammenarbeit mit Moullinex, war eine Last-Minute-Idee. Ich habe einen Remix von seinem Song „See Me Burn“ gemacht und im Gegenzug habe ich um eine Zusammenarbeit für mein Album gebeten. Das war die beste Idee überhaupt (lacht).

Das Album wird auf Armada veröffentlicht. Wie ist die Zusammenarbeit entstanden?

Armada und ich sind seit dem Anfang meiner ersten Releases verbunden. 2016 habe ich „Let Love In“ mit Shawnee Taylor auf Armada Deep veröffentlicht, danach haben wir eine Weile nicht gesprochen. Selbst das Armada-Team war überrascht, als ich diesen alten Track erwähnte. Ich liebe wirklich jede Person, die ich bei Armada getroffen habe. Wir hatten eine so tolle Zeit beim ADE 2023 in Amsterdam. Jedes Mal, wenn ich in New York bin, besuche ich auch ihr Büro. Es ist eine große Familie, und ich fühle mich wie ein adoptiertes Kind. Sie sind äußerst hilfsbereit, professionell, freundlich und glauben so sehr an mich. Das gibt mir immer mehr das Gefühl, dass ich das Richtige tue. Übrigens, wenn ihr irgendwie jemals in das Hauptbüro bzw. Studio von Armada in Amsterdam eingeladen werdet: Sie haben das beste Essen zum Mittagessen und man trifft superviele bekannte Künstler*innen.

Das ist gut zu wissen. Lass uns nerdig werden. Wie können wir uns deinen Workflow im Studio vorstellen?

Es ist für mich viel einfacher, damit zu beginnen, einen Song um eine bereits fertige Vocal-Top-Line herum zu bauen. Aber natürlich ist das nicht immer möglich. Jetzt habe ich einen Raum in einem Studiohaus, nicht wie früher, als das Studio noch im Flur meiner Wohnung war. Ich habe jetzt Lautsprecher von Focal, die für mich die besten Lautsprecher sind und genauso klingen wie Musik in einem Club. Ich arbeite mit Ableton, ohne eine bestimmte Formel. Ich suche einfach zuerst nach einer kleinen Idee und fange an, etwas darauf aufzubauen und zu jammen. Es kann alles sein, ein kleiner Klang oder ein Satz, den ich am Abend zuvor in einem Film gehört habe. Snacks sind übrigens wichtig (lacht).

Apropos jammen. Die Termine für deine Albumtour sind wahnsinnig. Auf welche Stopps freust du dich besonders?

Normalerweise freue ich mich natürlich auf jede Show. Man kann nie wissen, welche die beste Show deines Lebens werden könnte. Also versuche ich, meine Erwartungshaltung zu kontrollieren und mich einfach überraschen zu lassen. Das einzige, das ich also auf meinen Reisen plane und genieße, ist das Essen. Haha, Spaß! Aber im Ernst, ich freue mich super darauf, am 13. April wieder im Berliner Ritter Butzke zu sein, weil es letztes Mal einfach wahnsinnig war. Es hatte tatsächlich Vibes der „besten Show aller Zeiten“. Die Energie war großartig und man kann das komplette Set auf YouTube sehen. Auf mein Debüt in Kanada freue ich mich auch sehr und ich bin wahnsinnig neugierig, was mich dort erwartet. Ich habe zwei Shows bei Tomorrowland Winter, was unglaublich aufregend ist. Das Gleiche gilt für das Festival „Lighting in a Bottle“ in Kalifornien. Ich habe Videos und Dekos dort gesehen, und es sieht wie auf einem trippigen Planeten aus. Beim Extrema Festival in Belgien werde ich das zweite Mal sein, bei dieser Ausgabe werde ich allerdings auf einer größeren Bühne als Support für Dixon und Âme spielen. Ich bin auf jeden Fall bereit für dieses Jahr, und dieser Sommer scheint bereits unvergesslich zu sein. Hoffentlich sehe ich einen von euch!

Welche weiteren Pläne hast du für den Rest des Jahres?

Ich dachte, jetzt, wo das Album fertig ist, würde ich mich ausruhen, aber nachdem ich ständig so busy war, hat mich diese Routine eingeholt und ich kann nicht aufhören zu arbeiten. Ich habe große Pläne für dieses Jahr. Einige Tracks werden auf Crosstown Rebels veröffentlicht, es ist eine Compilation bei Tomorrowland geplant und auch eine wunderschöne Kollaboration mit JOPLYN. Ich werde auch mein eigenes Label starten, dessen Namen ich jetzt noch geheim halten werde, aber glaubt mir, es wird großartig. Es hat eine Weile gedauert, bis ich den richtigen Namen gefunden habe, aber jetzt ist alles im Kasten. Übrigens bin ich offen für Demo-Einsendungen, schickt sie mir gerne über meinen Trackstack-Link in meiner Instagram-Bio. Ansonsten würde ich wirklich gerne nach dem Sommer einen langen Urlaub machen. Davor werde ich wohl ununterbrochen unterwegs sein. Ein anderer Club, ein anderer Flug, kein Schlaf. Ich stecke immer noch im B1-Deutsch fest, also ist es ein Traum, die Prüfung dieses Jahr zu bestehen. Ich werde weiterhin mein Leben lieben und versuchen, mit meiner Musik mehr Freude in das Leben anderer Menschen zu bringen. Danke für das Interview!

Hier könnt ihr das neue Album von Yulia Niko streamen:

Yulia Niko Europa-Tourdates 2024

16.03. – Barcelona, NOM

19.03. – Alpe D’Huez, Tomorrowland Winter

21.03. –  Alpe D’Huez, Tomorrowland Winter

13.04. – Berlin, Ritter Butzke

04.05. – Mannheim, Hafen 49

04.05. – Genf, Audio Club

07.05. – Straßburg, TBA

10.05. – Marseille, Baby Club

11.05. – Montpellier, Dimension

18.05. – Houthalen, Extrema Festival

Aus dem FAZEmag 145/03.2024
Text: Triple P
Foto: Ice Cream Media
www.instagram.com/yulianiko