Zug der Liebe: Der Erfinder im Interview

Zug der Liebe: Der Erfinder im Interview

Am kommenden Samstag findet der Zug der Liebe statt. Wir haben hier darüber berichtet. Ein Pflichttermin für alle Paradengänger. Aus diesem Grund haben wir mit dem Head Of ZDL, Jens Schwan, ein Interview geführt.

FAZEmag: Für alle, die noch nicht bei einem Zug der Liebe gewesen sind, hätten wir gerne einige Hintergrundinformationen. Was machst du beruflich, wie alt bist du und wann und wieso hast du den Zug der Liebe ins Leben gerufen?

 

Jens Schwan: Ich bin ich 50 Jahre alt (sic) und im echten Leben Senior Executive Manager Content / Editorial bei SIXT. (Früher hieß das übrigens einfach Redaktionsleiter.) Nebenbei mache ich das Magazine THE CLUBMAP, das über die Clubszene berichtet. Tja, der Zug der Liebe. Die Ehre der Idee gebührt allein Martin Hüttmann. Er kam auf mich zu und wir sprachen das erste Mal 2013 über das Thema. Angesichts meines Hobbies wenig verwunderlich, sollte ich mich um die Pressearbeit, PR und Marketing kümmern. Die Grundidee war simpel. Martin war fünf Jahre als Wagenmacher am Start bei der Fuckparade am Start, hatte aber keinen Bock mehr auf die Antihaltung. Es sollte eine Demo FÜR etwas werden. Als er mit dem Namen raus rückte, fiel ich erstmal vor Lachen vom Stuhl, aber sagte trotzdem zu. Dann war zwei Jahre Ruhe im Karton. Wir waren voll mit unserem OPEN AIR TO GO Projekt beschäftigt, bis sich das Böse in Dresden regte und Mordor, sorry, Pegida plötzlich Thema in der Tagesschau war. Es war Zeit, etwas zu unternehmen. Und seien wir ehrlich. Die erste DEMO war ein großes Fuck you in deren Richtung und sollte ein Signal sein, dass Liebe immer noch mehr Leute auf die Straße bringt als stupider Hass. Hat sogar geklappt. Es kamen knapp 30.000 Leute. Und eigentlich war das auch nur als einmalige Sache geplant.

 

FAZEmag: Der Zug der Liebe strahlt eine besondere Motivation der Teilnehmer aus. Wie beschreibst du diese besondere Atmosphäre bei Zug der Liebe?

 

Jens Schwan: Entgegen der landläufigen Meinung, dass unsere Jugend geschichtsvergessen und unpolitisch ist, und den ganzen Tag nur auf TikTok abhängt, glaube ich, dass sich viele engagieren und einiges aufm Kasten haben, wenn es darum geht, gesellschaftlich Dinge in Schwung zu bringen. Die Alten regen sich immer über die Jungen auf, weil sie unbequem sind, denn jede neue Generation stellt die Denkweise der Älteren in Frage. Seit 2015 hat sich sogar die Clubszene massiv politisiert. Das ist gut und nötig. Die Atmosphäre beim Zug der Liebe spiegelt das wider. Auch kein Wunder, wenn die Schirmherren der Wagen soziale Vereine sind, die ihre Mitglieder zur Demo aufrufen. Klar haste auch die Kloppis, die schon bei der ersten Kundgebung ihre erste 1 Liter Flasche Cola/Wodka Mische fast leer haben, sich das Shirt um den Kopf wickeln und sich eher grölend artikulieren. Aber du hast eben auch den ganzen Rest, der das ernst nimmt, und sich selbst Transparente bastelt, unsere Aktionen neben der Demo unterstützt, wie zum Beispiel die Winterhilfe für Obdachlose.

 

 

FAZEmag: Für reine Paradengänger: Was unterscheidet den Zug der Liebe von der ‚alten‘ Loveparade bzw. Rave The Planet?

 

Jens Schwan: Die Loveparade bestand aus vielen Musiktrucks, auf denen Leute feierten. Es gab immer ein lustiges Motto. Es gab viel Werbung. Es floss viel Geld. Es gab viele Superstars und es gab…. Duisburg. Es gibt nichts davon beim Zug der Liebe. Sogar das Tanzen auf den Trucks ist nicht erlaubt. Sponsoring und Promo Teams sind verboten, selbst als Refinanzierungsmöglichkeit für die Wagenbetreiber, die zudem noch 80% ihrer Wagenfläche an die NGOs und sozialen Vereine abtreten müssen. Dass die teilweise seit 2015 mitmachen… ganz großes Danke und Hut ab! Es gibt keine Anmeldegebühren, die Vereine sind auch frei von finanziellen Verpflichtungen. Wir werben nicht mit DJ Line-ups. Das würde die Demo in die Nähe der Loveparade rücken, wo Namedropping als Zugpferd diente. Wir bestimmen als Demoleitung auch nicht, wer auf den Wagen Musik macht, das liegt in der Hand der teilnehmenden Wagen. Getränkeverkauf erweckt bei der Versammlungsbehörde den Anschein eines Straßenfestes, also verkaufen wir keine Getränke, um unseren Status einer politischen Demonstration zu schützen. Jedes Wagenkollektiv muss sich mit einem politischen Statement bei uns bewerben und möglichst einen Verein im Schlepptau haben, für den es sich einsetzt. Eine Bewerbung à la „Wir haben 20k FB Follower und nen 40 Tonner plus Tanzcrew aus 18jährigen Cheerleaderinnen. Wir rocken Berlin YAY!“ funktioniert nicht. Wir sind eine so straff durchorganisierte Demo mit so vielen Regeln, dass wir als spaßtötende DIN Norm Blaupause herhalten könnten. Fröhlicher Hedonismus sieht anders aus. Aber ja klar es macht schon Spaß, wenn die Musik angeht, wenn die Redner die Menschen mitreißen, wenn später die Fotos der Demos ins Pressepostfach eintrudeln, wenn die Zeitungen nicht nur die Feierei, sondern auch die Vereine und die Ziele der Demo in den Artikeln haben.

ABER

Die Loveparade hat die Straße erobert und dem Hedonismus Raum geschaffen. Sie war Ausdruck einer Zeit, in der alles möglich schien. Damals war das genug. Und es war großartig. Eins von Berlins wichtigsten Kulturgütern. Hätten wir das aber so wiederholt, wäre es nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Duisburg Hinterbliebenen gewesen, sondern als Signal gegen die Pegida Aufmärsche auch komplett unglaubhaft. Zu Recht. 2015 waren die Zweifel auch noch groß. Es hat funktioniert, aber der Unterschied zur LP war nicht allen klar geworden, trotz der ca. 90 Interviews, in denen ich erklärte, was uns unterscheidet. Wir setzten 2016 nicht auf Wachstum durch cleveres Marketing und Slow Motion Videos mit Seifenblasen zu Elektro Pop, sondern machten es den „Fans“ noch schwerer und ließen „Berlin Nazifrei“ vorneweg marschieren. Damit reduzierten wir zwar die Teilnehmerzahl, aber machten klar, wohin die Reise mit uns geht. Nicht zu vergessen die Anti AfD Plakat Kampagne mit den Berliner Clubs. Die Vereine sind die größte Bestätigung für das, was wir machen. Einzelne Hater sind nicht relevant mit ihren Meinungen, wenn der Deutschland Chef von Reporter ohne Grenzen zusagt oder der Sea Watch Gründer bei dir eine Rede hält. Warum dann die Musik, wenn nur ums Protestieren geht? Eine reine Demo ist schwierig, wenn man die Leute hinterm Ofen hervorholen will. Musik läuft bei uns einfach als Mittel zum Zweck. Mediaspree hatte es ja bereits vorgemacht. Und der CSD ohne Musik wäre wohl auch weitaus kleiner. Diese Demonstrationsform „Berliner Art“ ist schon etwas Besonderes, das einfach so zu dieser Stadt passt, die alles immer ein bisschen anders machen muss.

 

FAZEmag: Medial war Rave The Planet auf jeden Fall ein Erfolg. Inwiefern kann dieses enorme Medien-Echo auch dem Zug der Liebe helfen oder denkst du nicht in solchen Dimensionen?

 

Jens Schwan: Joaaah, dieses Jahr waren wohl alle Paraden ein voller Erfolg. Von Streetparade in Zürich, über CSD bis Rave the Planet. Was ich gemerkt habe: Als wirklich allen Medien damals klar wurde, dass wir nicht „die neue Loveparade“ sind, nahm das Interesse extrem ab. Ohne Buzzword kein Clickbait. Außerdem gibt es bei uns auch kein künstlich konstruierendes Aufreger Potential wie bei Fridays for Future, dass Deutschlands Dieselfahrer auf die Palme brachte und plumpes Greta-Thunberg-Bashing zur Folge hatte. Das große Medienecho färbt also wahrscheinlich nicht auf uns ab. Auf dem ZDL sind auch andere Teilnehmer am Start. Und da steckt bei anderen ein weitaus größeres Marketingbudget hinter, als wir uns leisten wollen. Ich stecke lieber Spendengelder in die Sicherheit der Demo und Booklets, die über die Arbeit der Vereine informieren. Aber ich kann hier auch nur für mich reden. Umso mehr Besucher, umso höher mein Stresspegel. Die Auflagen der Versammlungsbehörde werden von Jahr zu Jahr rigoroser und wenn du statt 30.000 dann auf einmal 70.000 Leute am Start hast wie 2018, ist die Gefahr eines Abbruchs durch die Polizei auch immer gegeben. Sowas schwirrt mir eher im Kopf rum…

FAZEmag: Was ist das Ziel von Zug der Liebe für dieses Jahr und für die kommenden Jahre?

 

Jens Schwan: Das Ziel dieses Jahr… Ich muss zugeben, es wurden dafür keine OKRs definiert 🙂 Unser Ziel ist, dass alles klappt, dass sich die teilnehmenden Vereine wohlfühlen und einen guten Tag haben. Dass sie dadurch neue Mitglieder akquirieren und Spenden sammeln können. Dass die Wagen Kollektive stolz auf ihre geleistete Arbeit sind, die sie viel Geld und Zeit kostet. Was bringen die kommenden Jahre? Puh, wir gehen alle echt auf dem Zahnfleisch. Eine solche Demo neben unseren 8 Stunden Jobs zu stemmen, ist extrem fordernd und nach sieben Jahren treten auch ordentliche Ermüdungserscheinungen auf. Wichtige Leute verlassen uns, weil sie Kinder bekommen, Häuser bauen, ins Nirgendwo ziehen oder einfach keine Lust mehr haben. Ich verkneife mir inzwischen, ab und zu vom letzten Zug der Liebe zu reden, aber naja. Für mich ist dieses Jahr aber auch enorm wichtig, weil ich 2021, aufgrund eines schweren Unfalls einen Tag vor der Demo, nicht dabei sein konnte. Aber Fakt ist auch: Der ZDL muss sich weiterentwickeln, vielleicht hin zu einem Festival mit Einbindung von Tagen der offenen Tür bei den Vereinen, einer Netzwerkplattform für gegenseitigen sozialen Support… da gibt es schon einige Ideen. So wie bisher können wir nicht weitermachen.