Andre Crom – Kurswechsel

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Vor mehr als sieben Jahren launchte der in Berlin-Kreuzberg lebende Andre Crom sein Imprint OFF Recordings. Nun, im achten Jahr, kann das Label mit weit über 100 Veröffentlichungen auf eine äußerst erfolgreiche Geschichte zurückschauen. Auf Resident Advisor landete OFF auf Platz acht, neun sowie 24 der meistgechartesten Labels in den Jahren 2012, 2013 sowie 2014. Nicht selten waren zeitgleich zehn Tracks aus dem Hause OFF Rec. in den Beatport Top 100 positioniert. Als eins der beliebtesten Labels des elektronischen Kosmos der letzten Zeit – unterstützt durch zahlreiche Label-Showcases in Clubs wie Watergate, EGG London, Sankeys Ibiza, Cafe d‘Anvers oder auf Festivals wie ADE, BPM oder Sónar – setzt Label-Chef Andre Crom nun aber auf eine neue Ausrichtung der Marke OFF Recordings. Das hat sein aktuellstes Release „Freedom Call” feat. Jinadu, das er gemeinsam mit Chi Thanh produziert und von dubspeeka, Musumeci und Melokollektiv hat remixen lassen, eindeutig bewiesen. Warum und wieso das so ist, erzählt er uns im persönlichen Gespräch. Den offiziellen FAZEmag Download-Mix dieser Ausgabe hat Andre Crom darüber hinaus ebenfalls zu veranworten.

Wie geht es dir und wo befindest du dich aktuell?

Bestens. Ich sitze gerade in meinem Heimstudio und arbeite an neuer Musik. Ich kam gestern vom Sónar Festival zurück. Das ist ja immer ein großes Familientreffen und man kann hervorragend Meetings mit Spaß verbinden. Außerdem habe ich auch eine Menge Partys besucht und mir dabei viele meiner Lieblings-Acts wie Mano Le Tough, Jamie xx, Barnt, John Talabot, Carl Craig und Art Department angehört. Außerdem habe mir Stadt und Umgebung mit dem Motorrad angesehen.

Der Sommer geht auf seinen Höhepunkt zu. Wie war das Jahr 2015 bislang für dich?

Turbulent. Ich hatte vier längere Touren in Asien, Südafrika, Australien und Südamerika. Ich liebe es zu reisen, und auf solchen Touren lernt man immer viele neue Freunde kennen und gewinnt viele neue Fans. Außerdem kann man zwischendurch noch ein paar Tage Urlaub machen, zum Beispiel eine Motorradtour rund um Sydney, oder surfen gehen in Panama und Ecuador … das hilft, um das graue Berliner Wetter zu überstehen.

Und du warst fleißig im Studio, habe ich mir sagen lassen.

Definitiv. In der Zeit zuhause habe ich intensiv an meinen Skills als Musiker gearbeitet. Früher habe ich einfach losgejamt, ohne jemals Musiktheorie gelernt zu haben. Daher war ich meiner eigenen Produktionen nie so wirklich sicher und habe es meist vorgezogen, mit oft wechselnden und erfahrenen Produzenten zusammenzuarbeiten. Aber so schafft man sich nur schwer einen wirklich eigenen Sound, und auch wenn dabei vielleicht mal ein Hit herauskommt, ist der Erfolg daraus wenig nachhaltig. Deshalb habe ich Anfang 2015 mit einem Online-Keyboard-Kurs namens „Playground“ begonnen und ebenfalls online einen „Electronic Music Composition“-Kurs bei Pointblank gemacht. Beim Musizieren im Studio setzt man sich mit sich selbst auseinander, muss akzeptieren immer wieder an seine Grenzen zu kommen. Aber mit Geduld und Übung wird man jeden Tag ein Stückchen besser, und das ist eine großartige Erfahrung. Die ersten Stücke aus dieser Zeit wird es schon in den nächsten Wochen zu hören geben.

Bevor wir zu deinen neuen Produktionen zu sprechen kommen – mit OFF hast gerade Siebenjähriges gefeiert. Wie rekapitulierst du diese Zeit?

Es war eine Achterbahnfahrt. Schon ganz am Anfang des Labels hatten wir einige große Hits, die von aller Welt rauf und runter gespielt wurden. Dann war‘s ein Jahr etwas ruhiger, bevor es wieder steil bergauf ging, und OFF für etwa zwei Jahre zu den Top 5 Deep House-Labels der Welt gehörte. Wir hatten oftmals zehn Tracks gleichzeitig in den Beatport Top 100, und waren auch bei Resident Advisor oft unter den 10 meistgecharteten Labels. Eine Künstlerfamilie aufzubauen, die regelmäßig bei uns veröffentlicht und weltweit unsere Labelnächte gespielt haben, war einer der wichtigsten Gründe für diesen Erfolg.

Warum dennoch Achterbahnfahrt? Viele Labels wünschen sich so einen Status.

Sicher, allerdings hat sich In 2014 und 2015 mein Musikgeschmack radikal geändert. Die „poppige Seite“ von Deep House, wurde mir zu formelhaft und ich hatte das Gefühl, mich grundlegend entscheiden zu müssen, welchen Weg ich in den nächsten Jahren mit dem Label und meiner eigenen DJ- Karriere gehen möchte – Kommerz oder Underground?

Deinen aktuellsten Veröffentlichungen nach zu deuten, hast du dich für Zweiteres entschieden. Der Sound klingt reifer und erwachsener als noch vor einigen Monaten.

Richtig. Catchy Samples sind eine einfache Möglichkeit, einen Hit zu landen, und eine Zeitlang waren wir damit sehr erfolgreich. Aber dieses Rezept läuft sich irgendwann tot. Du machst deine Karriere davon abhängig, den nächsten Hit zu finden. Man landet in einer Sackgasse, wo viel künstlerische Freiheit verloren geht und man nach System arbeitet. 2014 habe ich realisiert, dass das nicht meine Zukunft sein würde. Diese Art von Business fühlte sich für mich seelenlos und zu programmiert an, und ich habe mich entschieden, für mein Label, meine Sets und meine Produktionen mehr in Richtung Underground zu gehen, nur noch mit komplett original produzierter Musik zu arbeiten, und danach zu streben, zeitlose Musik zu schaffen, zu releasen und zu spielen.

Wie genau klingt zeitlose Musik für dich?

Ich meine damit Musik, die nicht zu sehr nach einem aktuellen Trend klingt, und damit in einem Jahr schon wieder out sein wird, sondern die auch in zehn Jahren noch relevant ist. Carl Craig ist ein tolles Beispiel dafür, oder auch Künstler wie Âme, Tale Of Us, Mano Le Tough, Barnt oder Alan Fitzpatrick, um nur mal ein paar meiner Lieblings- Acts zu nennen, die in meinen Augen etwas Neues mit Tiefe geschafft haben und dies nach wie vor tun. Gerade wenn man wie ich aus dem DJing kommt, und erst in zweiter Linie Produzent ist, tendiert man dazu, referenzbasiert zu arbeiten. Aber das gilt es sich bewusst zu machen, und dann zu versuchen Sachen zu kombinieren, die in dem Moment unerwartet klingen, die nicht in den letzten Monaten schon ein Dutzend Leute vor dir gemacht haben. Wenn du das schaffst, hast du eine Chance als originell wahrgenommen zu werden, und deinen eigenen Stil zu entwickeln.

Welche Hürden bzw. Herausforderungen bringt eine derartige Neuausrichtung in deinen Augen mit sich?

Sehr große! Ehrlich gesagt dachte ich vor einem halben Jahr darüber nach, das Label zu schließen und etwas ganz Neues zu starten. Auf der einen Seite haben wir eine weltweit bekannte Marke mit kombiniert über 150.000 Facebook- und Soundcloud-Fans – es dauert Jahre so etwas aufzubauen, und verschafft allen unseren Releases eine große Aufmerksamkeit. Andererseits kann das „alte“ Image aber auch ein Problem sein, wenn es etwa darum geht, Künstler aus dem Underground für uns als Remixer oder eine Originale EP zu gewinnen, oder in Clubs gebucht zu werden, die ein konsistentes Underground- Booking haben. Am Ende habe ich beschlossen, die bestehende Marke zu behalten und unser Image behutsam und mit einer konsistenten musikalischen Vision in eine neue Richtung zu lenken, denn ich dachte mir, wenn sich mein Geschmack auf diese Weise weiterentwickeln kann, dann wird das auch für viele unserer alten Fans möglich sein.

Denkst du dabei an einen radikalen Schnitt?

Musikalisch ist es schon ein radikaler Schnitt. Aber bis der „da draußen“ ankommt, braucht es Zeit, du musst dir über Jahre hinweg Glaubwürdigkeit aufbauen. Wenn man sich ein Label wie Innervisions ansieht, die machen seit zehn Jahren sehr ähnliche Musik auf sehr hohem Niveau, verwurzelt im Underground aber auch zugänglich zugleich. Sie haben sich damit ganz langsam eine extrem loyale Fangemeinde aufgebaut. Das dauert länger, als mal einen Radiohit zu landen, hat aber viel mehr Substanz. Ganz ähnlich arbeiten die meisten anderen großen Techno-Labels, und das ist auch der Weg, den ich für OFF nun sehe.

Inwieweit verändert sich die bislang bestehende Aufstellung des Labels?

Von unseren früheren Stamm-Acts sind eigentlich nur noch Kruse & Nürnberg und ich selbst dabei, mit allen anderen passte es musikalisch nicht mehr. Das war kein einfacher Schritt, einerseits sind das Label und unsere früheren Stamm-Acts ja miteinander gewachsen, man hat viel zusammen aufgelegt und sich angefreundet. Aber bei unserer Labelnacht beim ADE 2014 in Amsterdam kam es an den Punkt, an dem wir sechs Acts mit sechs unterschiedlichen Styles in einer Nacht hatten und es musikalisch wirklich schizophren wurde. Da habe ich beschlossen eine radikale Änderung zu machen und unseren Künstlerstamm neu aufzubauen. Zum Glück war das für alle Beteiligten nachvollziehbar, so dass es keine negativen Vibes gibt.

Wie genau sehen somit die kommenden Wochen und Monate für OFF aus?

Es wird eine ganze Reihe neuer Acts auf dem Label geben. Neben einigen sehr talentierten Newcomern, die teilweise ihr erstes oder zweites Release bei uns haben werden, konnten wir tolle Remixer wie Johannes Brecht, Musumeci, Dubspeeka oder Maher Daniel gewinnen – um nur ein paar zu nennen. Auch von unseren neueren, aber bereits etablierten Acts wie Me&her, Ed Ed, Kyodai, Melokolektiv oder Konvex & The Shadow sind neue Releases in Arbeit, ebenso von Kruse & Nürnberg.

Und dann hätten wir da noch dich mit neuen Fähigkeiten …

Genau! Ab Juni wird es eine Reihe neuer Originale und Remixe von mir auf OFF geben, Solo- und Koproduktionen. Unser Musikspektrum öffnet sich dabei, von Indie-Electronica-Nummern bis hin zu House und Techno. Ich finde es besonders spannend, wenn eine Nummer die als Song entstanden ist, die auf einem alternativen Radiosender lau- fen oder die man sich tagsüber auf Spotify anhören würde, mit einem Clubmix für die Tanzfläche spielbar wird. Das ist ein Releaseformat, mit dem wir in Zukunft verstärkt arbeiten werden.

Was steht außerdem für dich in nächster Zeit an?

Das aufregendste für mich ist gerade tatsächlich, ins Studio zu gehen, und mehr in die Lage zu kommen, die Art Musik zu schaffen, die ich gern auflegen und herausbringen möchte. Darauf werde ich mich in den nächsten Monaten konzentrieren. Aber natürlich werde ich auch den Sommer genießen, ich habe einige Festival- und Club-Auftritte in Europa und außerhalb, dazu eine Menge Gigs in Berlin. Im August/September ist auch eine Asien-Tour in Planung und Freunde aus der ganzen Welt kommen im Juli und August nach Berlin, mit denen werde ich mir immer wieder mal einen Tag Kurzurlaub gönnen. Das größte Highlight ist aber für mich potentiell jeder einzelne DJ-Gig den ich spiele. Ich habe das Gefühl, heute so authentisch, konsistent und leidenschaftlich wie nie zuvor zu spielen, habe mehr Spaß am Auflegen als je zuvor, und bin froh und dankbar, einen Job zu haben, der mir auch nach über zehn Jahren noch immer soviel Spaß macht. / Rafael Da Cruz

 

FAZEmag DJ-Set #41: Andre Crom – exklusiv bei iTunes:

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Interview aus dem FAZEmag #041/07.2015