Vor 30 Jahren erschien mit „Tripomatic Fairtytales 2001“ der erste Teil einer der bahnbrechendsten Alben-Reihen der elektronischen Musikgeschichte. Die im April 1993 von Jam & Spoon veröffentlichte LP trug maßgeblich dazu bei, das Phänomen der Trance-Musik in Gang zu setzen und gilt auch drei Dekaden später weiterhin als unerreichter Meilenstein. Anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums der Alben-Trilogie ist im vergangenen Frühjahr ein Buch erschienen, das dem Meisterwerk seinen verdienten Tribut zollt und spannende Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Albums bietet. Die Veröffentlichung wird begleitet von einer vierfach remasterten Ausgabe der „Tripomatic Fairytales“-LPs sowie einer Remix-CD mit Beiträgen von Paul Daley (Leftfield), Pig & Dan, Jerome Isma-Ae, M.I.K.E Push, Whebba und vielen mehr. Autor Tim Stark, Rolf Ellmer alias Jam El Mar und „Tripomatic“-Designer Klaus Mai haben uns Rede und Antwort gestanden.
Die Idee, das 30-jährige Jubiläum von „Tripomatic Fairytales“ zu feiern, geht allerdings weder auf Tim Stark, noch auf Rolf Ellmer oder Klaus Mai zurück. Initiiert wurde das Projekt von Arny Bink, dem Besitzer des niederländischen Labels Black Hole Recordings. Das Album wurde in den 90er-Jahren täglich in seinem und Tiëstos Plattenladen Magik Muzik gespielt und übte einen großen Einfluss auf die beiden aus. Doch erst 25 Jahre später (beim Amsterdam Dance Event 2018) gaben sich Jam El Mar und Arny zum ersten Mal die Hand. Rolf Ellmer erinnert sich: Ein guter Kumpel von mir, Mr. Sam, ein belgischer Trance-DJ, sagte zu mir: ‚Ich muss dir mal den freundlichsten Mann im Business vorstellen‘ und wir sind zusammen nach Breda zu Black Hole Recordings gefahren. Arny zeigte mir die gerade anstehenden Projekte und meinte: ‚Ich habe einen großen Traum: Ich möchte mal jeden einzelnen Titel auf den Jam-&-Spoon Alben remixen lassen und veröffentlichen.‘“
Dass sich die Remixer letztendlich doch nur auf die populärsten Titel gestürzt haben, ist für Rolf Ellmer kein Grund zur Wehmut. „Aus einem Album wurde ein Buch – mit fantastischen Grafiken von Klaus Mai und Texten von Tim Stark, über hundert Seiten dick und ein echtes Stück Kunst“, schwärmt der 62-Jährige über das Projekt, das an die wohl größte Sternstunde des damals zwei Jahre alten Duos Jam & Spoon erinnert. Jam El Mar steigt mit uns in die Zeitmaschine und versucht den Erfolg des Albums zu rekapitulieren: „Das war damals einfach ein großartiges Zeitgefühl. Die elektronische Tanzmusik war gerade dabei, den 80er-Pop abzulösen und der Sound war absolut neu, wenngleich das Produktionsniveau eher lächerlich war im Vergleich zu den großen 80er-Pop-Produktionen. Aber wir waren eben experimentierfreudig und haben uns einfach ausprobiert. Ich glaube, wir waren einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Es war auch viel Glück dabei.“ Mitgewirkt hatte an „Tripomatic Fairytales“ damals auch der Designer Klaus Mai, der mit seinem KM7-Büro das ikonische Artwork zum Album entworfen hatte. Den 2006 verstorbenen Mark Spoon kannte Klaus Mai schon lange vor der Produktion der LP. „Als er noch im A&R bei Logic Music arbeitete, habe ich für ihn Cover gestaltet. Später, als Clubbesitzer des Frankfurter XS, kamen dann noch Flyer dazu“, erinnert er sich. Für die Arbeit zu „Tripomatic Fairytales“ genoss der Grafiker schließlich „völlige Freiheit und das Vertrauen, den avantgardistischen Sound in psychedelische Bilder umzusetzen.“
Kein Wunder also, dass das nun veröffentlichte Prestige-Projekt eine extrem emotionale Angelegenheit für ihn war. „Dreißig Jahre haben viel verändert – das Märchen und die Leichtigkeit der damaligen Zeit. Das Gute daran ist, dass vieles davon dank der Musik immer weiterleben wird. Danke für ‚Stella‘“, resümiert Mai die Zusammenarbeit mit Tim Stark und seinem langjährigen Weggefährten Rolf Ellmer. Und auch der Autor des Buches meldet sich abschließend noch einmal zu Wort: „Die Produktion von ‚Tripomatic Fairytales‘ ist besonders faszinierend, wenn man sie aus dem Blickwinkel der damaligen Ereignisse betrachtet. Die Arbeit im Studio begann unmittelbar nach der Wiedervereinigung Deutschlands, dem Ende des Kalten Krieges und dem dadurch plötzlich entstandenen angstfreien Klima. Die Love Parade hatte gerade begonnen und mit ihr ein neues Jahrzehnt, in dem die Relevanz der elektronischen Musik immer stärker wurde. In gewisser Weise spiegeln sich diese Hoffnungen, Freuden und Freiheiten in Jam & Spoons frei denkendem und regellosen Ansatz für diese äußerst eklektische Produktion wider.“
Der Bildband „Jam & Spoon’s Tripomatic Fairytales“ ist im Oktober erschienen. HIER könnt ihr den Bildband erwerben.
Aus dem FAZEmag 140/10.2023
Text: Milan Trame
Foto: Universal Music