Björn Torwellen – Vom Raver zum Gründer

Bedingt durch die Corona-Pause haben vor allem DJs gerade viel Zeit. Alle, die sich ihrer Gesundheit erfreuen dürfen, entdecken nun vielleicht sogar die Natur oder Sport wieder für sich – anstatt stundenlang in verrauchten stickigen Kellern abzuhängen. Andere nutzen die Zeit im Studio und arbeiten an neuer Musik. Wiederum andere konnten endlich mal wieder runterfahren, den Tour-Stress hinter sich lassen und die freien Momente wieder intensiver mit ihren Familien genießen. Einiges davon trifft auch auf Björn Torwellen zu, der bis zum Lockdown von Club zu Club reiste. Jedoch hat er noch ein ganz anderes Riesenprojekt gestartet, das mittlerweile beachtliche Wellen schlägt. Wir haben uns mit Björn Torwellen getroffen und über Techno sowie seine Online-Plattform SINEE unterhalten.

 

Du bist vor nicht allzu langer Zeit raus aus Köln und hierher, in eine doch deutlich ruhigere, ich sage mal „entschleunigte“ Gegend gezogen. Von wilden Technopartys will man hier vermutlich eher weniger wissen, aber die Frage „Und, was machen Sie so?“ wird kommen. Ob am Gartenzaun oder beim Bäcker. Damit du dann nicht in Erklärungsnot kommst oder lange überlegen musst, lass uns doch hier einmal für den Ernstfall proben. Wie erklärt man jemandem die Technoszene, der damit bisher gar nichts am Hut hatte?

Diese Situation kenne ich, sollte das schon so manchem älteren Familienmitglied erklären, was man da eigentlich so alles macht, nachts, in der Disco. Aber wirklich verstehen tun sie das, glaube ich zumindest, bis heute noch nicht. Wenn ich das ernst und ehrlich beantworten möchte, dann sage ich, dass es laut und dreckig ist. Dass es wild zugeht – und dass die Möglichkeit besteht, Dinge zu sehen und zu erleben, die einem unter „normalen“ oder konventionellen Umständen verborgen bleiben.

Da springt bei dem ein oder anderen Leser jetzt bestimmt das Kopfkino an.

Im Backstage allerdings, was ja von vielen für den wildesten Ort einer Location gehalten wird, bekam man zuletzt nicht mehr und nicht weniger als das durchstrukturierte Business der heutigen Szene zu spüren. Nichtsdestotrotz lebt das Genre von seinem Ruf und auch von der Exklusivität der Clubs, wo nicht jeder einfach reinspazieren kann. Wobei das in den letzten Jahren vielerorts auf der Strecke blieb, da Techno deutlich mehr in den Mainstream gerückt ist. Es gibt zwar, gerade durch die Festivals, deutlich mehr Orte, wo es laut und wild zugeht, aber die dreckigen, verruchten Aspekte werden da ausgeklammert.

In deinen 20 Jahren als aktiver DJ hat sich da mit Sicherheit so einiges verändert. Und mit der Szene bist du ja auch selbst mitgewachsen. Hast einen Live-Act auf die Beine gestellt, ein Label gegründet und jede Menge eigene Partys veranstaltet. Wieso macht in der Technoszene eigentlich jeder sein eigenes Ding?

Eine mögliche Erklärung dafür könnte Folgendes sein: Es gibt diese Cliquen oder sagen wir kleine Inseln, bestehend aus Veranstaltern und ihren Residents. Die gibt es, verteilt, in jeder Stadt. Auf diese Inseln kommt man aber nur sehr schwer drauf. Wenn ich als Künstler also loslegen will, dann dauert es womöglich deutlich länger, an ein bestehendes System anzuknüpfen und Kompromisse einzugehen, als die Entscheidung zu treffen, selbst etwas auf die Beine stellen zu wollen.

Was dann eine weitere abgeschottete Insel zur Folge hätte.

Und die ersten Schritte sind ja mittlerweile auch total einfach geworden. Ein Label zu gründen, ist keine große Sache mehr, Gleiches gilt für eine Veranstaltung. Das gut und erfolgreich über eine gewisse Zeit zu bringen, das ist dann eine ganz andere Frage. Ich glaube, viele sehen das als eine Art Abkürzung zum Erfolg. Vielleicht hat es aber auch einfach etwas mit der Komfortzone zu tun. Sich nach den Vorstellungen und Wünschen anderer zu richten, ist nun mal anstrengender, birgt aber mit Sicherheit auch genauso viele Vorteile.

Bei dir hat es auf jeden Fall dahingehend funktioniert, dass du von deinem Künstlerdasein leben kannst. Wie lautet also dein Rat an all die, die denselben Weg einschlagen wollen wie du?

Ich rate dringend, sich der Frage zu stellen, ob man die DNA dafür hat. Die haben nur ganz wenige. Die meisten fangen dann trotzdem damit an, merken jedoch relativ schnell, dass das nichts wird und springen rechtzeitig ab. Es gibt aber auch die, die ein Leben lang probieren und ohne Erfolg bleiben. Da droht die Gefahr zu verkümmern, nicht nur finanziell. Die sind auf diesem Film, auf diesem früheren Erfolgswunsch hängengeblieben – meistens dann mit all den Lastern, die Techno ohnehin anhängen. Also – macht euch Gedanken, ob ihr der Typ für diese Arbeit seid. Ob ihr nicht nur kreativ, sondern auch zuverlässig arbeiten könnt. Ob ihr nicht nur stundenlang in Ableton hängen, sondern viel Zeit in Marketing und Buchhaltung stecken wollt. Und vor allem, ob ihr mit eurer Idee auf einer Bühne funktioniert. Falls nicht, dann ist das absolut nichts Schlechtes. Es gibt so viele tolle Berufe. Und da braucht man oft Fähigkeiten, die ich selbst zum Beispiel nicht mitbringen könnte. Ich rate also außerdem zur Selbstreflexion, zur sachlichen Analyse der eigenen Ideen und Fähigkeiten.

Und selbst mit der von dir angesprochenen DNA ist das noch längst kein Selbstläufer.

Von außen sieht man natürlich hauptsächlich die aufpolierten Social-Media-Kanäle. Aber es gehört auch viel Unsicherheit und Leid zu diesem Business, gerade wenn mal eine Platte nicht so ankommt wie erhofft oder sich der Kalender mal wieder eher leert als füllt. Der Vergleich mit anderen findet nicht nur bei der Anzahl der Likes oder der Follower statt – es kann dich auch mal kalt erwischen, wenn beim DJ vor oder nach dir deutlich krassere Stimmung herrscht – und sie/er viel mehr bejubelt wird als man selbst. Man muss schnell lernen, mit diesen Situationen umzugehen.

Lernen ist ein gutes Stichwort, denn trotz all dieser angesprochenen Widrigkeiten vermittelst du seit Jahren Wissen an Leute, die tiefer in die elektronische Welt eintauchen wollen.

In diese ganze Education-Sparte bin ich tatsächlich komplett zufällig geraten. In meinem Umfeld haben zu meiner Anfangszeit alle mit Pro Tools gearbeitet, der einzige Ableton-Nutzer war jedoch ich. Einige der Kollegen baten mich darum, ihnen Ableton näherzubringen, und ich durfte feststellen, dass mir solche Workshops großen Spaß machen. Damit ich das nochmal machen kann, habe ich im United-Schranz-Board einen Ableton-Workshop angekündigt, mit Preis und Datum. Da haben sich dann auch direkt fünf oder sechs Leute angemeldet. Das war so um 2008 und für mich damals ein sehr cooler Nebenverdienst. Ich habe das dann weitergedacht und wollte den Teilnehmern meiner Workshops zusätzlichen Content bieten, Gutscheine für weiterführende Literatur zum Beispiel. So kam ich nicht nur in Kontakt mit dem Verlag PPV-Medien, sondern war auch kurz darauf damit beauftragt, ein Buch über Ableton zu schreiben.

Wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.

Also für mich klang das zunächst nach einer niemals lösbaren Herausforderung.

Die du dann doch gelöst hast.

Die Leute vom Verlag dachten, ich schreibe das in drei Monaten. Nach zwei Jahren war ich dann endlich damit fertig. Aber auch das war ein weiterer tiefer Schritt hinein in die Branche. Im weiteren Verlauf habe ich für Roland Synthesizer präsentiert oder ein Lernvideo zu Native Instruments Massive gemacht. Man kennt sich dann doch recht schnell untereinander.

Danach ging es für dich dann vor allem als DJ und Produzent richtig los, was zahlreiche Gigs in ganz Deutschland nach sich zog. Aber auch die Workshops wurden größer.

Genau, mit dem Erfolg und der wachsenden Reichweite meines musikalischen Projekts stieg auch die Anzahl der Workshops und Teilnehmer.

War da die Idee, eine Plattform wie SINEE zu erschaffen, auch schon geboren?

Diese Idee trug ich wirklich lange mit mir herum. Gerade die Tutorial-Videos haben mich schon früh gereizt, aber waren damals noch mit zu vielen Fragezeichen verbunden.

Vor zwei Jahren war es dann aber wirklich so weit – Björn Torwellen wurde 2018 vom Raver zum Rektor. Das SINEE Institut öffnete in Köln-Mühlheim und bot Musikunterricht und Workshops rund um die Produktion elektronischer Musik an.

Worauf wir zunächst auch alle sehr stolz waren! Jedoch mussten wir uns relativ schnell einigen kritischen Fragen stellen. Selbstreflexion und eine Fehleranalyse, wie wir sie vorher schon besprochen hatten, waren auch in diesem Fall gefordert. Vor allem durch den Unterricht ausschließlich vor Ort hatten wir unsere Zielgruppe selbst massiv verkleinert. Im Frühjahr 2019 waren wir uns dann sicher, dass es so nicht weitergehen kann, wenn wir große finanzielle Schwierigkeiten vermeiden wollen. Allerdings, und darüber sind wir heute sehr froh, hatten wir kurz zuvor unser allererstes Online-Tutorial fertiggestellt. Das war „How To Make A Track: Melodic Techno“. Ein extrem wichtiger Meilenstein und auch eine Art Wendepunkt für uns, denn die Nachfrage nach solchem Content ist riesig.

Und so kam der Umschwung vom Unterricht vor Ort zum rein digitalen Campus mit Shop? Klingt zeitgemäß.

Wir haben Stück für Stück mehr Videos dieser Art umgesetzt, darunter auch die Masterclass mit Robert Babicz. Dieser interne Umbau war jedoch nicht nur nötig, sondern auch eine viel größere Aufgabe, als zunächst gedacht. Gefühlt mussten wir das ganze Haus abreißen und neu aufbauen. Das war unfassbar kompliziert.

Es scheint funktioniert zu haben.

Im Herbst 2019 war dann wieder Land in Sicht, der digitale Umbau hatte funktioniert und unser YouTube-Kanal ging sogar durch die Decke. Mehrere tausend Views in kürzester Zeit, die Subscriber-Zahl wuchs ununterbrochen. Da passierte plötzlich richtig was um SINEE. Man hat gemerkt, dass die Leute unseren Content richtig gut finden. Auch das Team wuchs dann wieder, Ausilio und Johann waren jetzt mit im Boot, die regelmäßig vor der Kamera zu sehen sind – oder sich auch bei euch im FAZEmag um den SINEE-Tipp-des-Monats kümmern.

Wie ist der Stand heute?

Tatsächlich ist SINEE heute schon da, wo ich uns in fünf Jahren gern gesehen hätte. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man das so sagen kann, aber ich glaube, wir sind jetzt schon die bekannteste Producer-Community in Deutschland, wenn es um Techno geht. Und weil es so läuft wie es läuft, eröffnen sich uns tolle neue Möglichkeiten, für die Community Content und Video-Ideen umzusetzen. Zum Beispiel „Johann vs. Björn“, wo wir ja zuletzt mit einem ganzen Kamerateam und Regisseur auf einem Schrottplatz gedreht haben, um dort Fieldrecordings zu sammeln. Sowas macht natürlich megaviel Spaß. Ich glaube, wir können hier noch viele Sachen liefern, die in Deutschland so bisher noch nicht stattgefunden haben.

Und ist SINEE jetzt nur für Producer-Nerds gedacht oder lohnt es sich auch für andere, SINEE-Inhalte auszuchecken?

In der SINEE-Community tummeln sich ganz verschiedene Leute, unter anderem viele DJs, die sich nun tiefer in die Materie der Musikproduktion vorarbeiten möchten. Aber SINEE ist für alle gedacht, die sich für elektronische Musik begeistern. Natürlich liegt der Fokus auf vielen technischen Dingen wie DAWs, Plug-ins oder Synthesizern, aber das sind ja Dinge, wie für manch andere die Eisenbahn im Keller. Es geht um Spaß, um Unterhaltung, um Musik auch einfach als Hobby. Natürlich gibt es die Möglichkeit, sich so sehr in die Produktion reinzuarbeiten, dass man hinterher eigene Musikstücke hat, womöglich sogar die ein oder andere Veröffentlichung vorweisen kann. Aber wir wollen für alle Situationen Content liefern und alle bedienen, die von elektronischer Musik nicht genug bekommen können.

Lernst du bei den Inhalten auch selbst noch Neues dazu, für dich im Studio?

Es ist wirklich erstaunlich, wie viel ich mir da bereits mitnehmen konnte. Ich erlebe Musik auf einer neuen Ebene. Und ich lerne nicht nur innerhalb der Musikproduktion dazu, sondern auch darüber hinaus. Wer sich zum Beispiel die Masterclass mit Dominik Eulberg ansieht, der wird feststellen, dass da noch mehr vermittelt wird als reines Producing-Know-how. Diese ganzen Inhalte sauge ich natürlich auf wie ein Schwamm. Ehrlich gesagt gibt mir diese ganze SINEE-Idee hier aber auch die Möglichkeit, viel über mich selbst zu lernen. Ob und wie sehr sich diese Entwicklung in meinen eigenen Produktionen niederschlagen wird, bleibt abzuwarten, da ich gerade kaum Musik mache – aber ich muss sagen, dass es die bisher angenehmste und freieste Kreativpause meiner Zeit ist. Ich bin mir aber sicher – und darauf freue ich mich bereits – dass ich schon bald wieder komplett in die Studio- und Produktionsphase eintauchen kann. Bis es soweit ist, stecke ich alle meine Energie weiter in SINEE und hoffe, auch euch bald in der Community begrüßen zu dürfen.

 

 

Aus dem FAZEmag 100/06.2020
Text: Julian Haußmann
Foto: Timea Toro
www.soundcloud.com/b-t