Seit Anfang des Jahrtausends macht der gebürtige Brite Simon Green als Bonobo Musik. Musik, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Dennoch muss man das im Rahmen eines solchen Interviews natürlich irgendwie tun. Bonobos Sound ist vielfältig und dabei immer auch leichtfüßig. Meist sehr laid back, gelegentlich auch mal mit mehr Druck ausgestattet. Green gilt schon immer als Großmeister des Samplings, aber auch der Harmonien. Er kreiert wunderbare, mit warmen Beats unterlegte Melodien, die in einer schnelllebigen Zeit wie der unseren eine temporäre Fluchtmöglichkeit bieten. Dieses Muster zieht sich durch all seine Alben, darunter „Black Sands“ von 2010 und das 2013 erschienene „The North Borders“. Am 13. Januar nun veröffentlicht er sein mittlerweile sechstes Album unter dem Titel „Migration“, das dieser Tradition folgt. Ich habe mit dem 40-Jährigen an einem kalten Berliner Dezemberabend telefoniert, während es bei ihm in Los Angeles noch recht früh am Morgen und ungefähr 20 Grad wärmer war.
Hallo, Simon, welche Idee steckt hinter dem Albumtitel „Migration“?
Über die letzten Jahre haben sich meine Freunde weit verstreut, wir alle leben an unterschiedlichen Orten auf der ganzen Welt. Doch immer, wenn wir zusammenkommen, sind wir wieder verbunden. Es ist also nicht wichtig, wohin du dich bewegst, denn du nimmst deine Kultur, deine Identität überallhin mit. Und du beeinflusst deine neue Welt auf diese Weise. So entwickeln neue Orte irgendwann auch eine neue Identität.
Du selbst hast über die Jahre auch mehrfach deinen Lebensmittelpunkt verlagert. Von Brighton über New York bis nach Los Angeles. Was hat dich dazu bewogen?
Nach Brighton war ich auch noch sieben Jahre in London, fünf Jahre in New York und jetzt bin ich, wie gesagt, in Los Angeles. Ich habe London geliebt, war aber mit jemandem in New York in einer Beziehung. Das hat damals den Ausschlag gegeben, dorthin zu ziehen. Irgendwie bin ich mit dieser Stadt aber nie so richtig warm geworden. Vielleicht war ich auch einfach zu viel unterwegs im Zuge der „The North Borders“-Tour. Danach war ich im Grunde ein Jahr nur unterwegs, in gewisser Weise heimatlos. Als die Tour abgeschlossen war, habe ich mich für Los Angeles entschieden. Es gibt hier im Bereich Musik eine tolle Bewegung, die kreative Community ist riesig. Hier sitzen Labels wie Warp und Künstler wie Grizzly Bear, Vampire Weekend und John Hopkins leben in unmittelbarer Nachbarschaft. Dadurch ergibt sich viel. Für mich gibt es mehr Gründe, hier zu sein, als Punkte, die für New York sprechen. Und es ist außerdem toll, nach drei Tagen in irgendwelchen dunklen Clubs hierher zurück zu kommen.
Ist Los Angeles zu einer neuen Heimat geworden, eben einem solchen Ort, dem du durch deine Kultur, deine Identität etwas mitgegeben hast? Oder ist der Begriff Heimat für jemanden, der so viel unterwegs ist wie du, ohnehin schwer zu definieren?
Tatsächlich weiß ich das nicht so genau. Was ist Heimat? Ich hatte eine lange Zeit keine Basis. Nun ist eben Los Angeles mein Zuhause. Ich habe meine Eltern vor fünf Jahren verloren, es gibt also nichts mehr, was mich in Großbritannien hält. Es gibt nirgendwo etwas, das mich hält. Nun bin ich kein Songwriter mit Texten zu dem Thema, sondern mache elektronische Beatmusik, aber ich versuche dennoch, darin meine Heimat zu finden und zu definieren.
Du hast mal gesagt, dass Musik etwas Therapeutisches für dich hat. Dass sie dir hilft, mit gewissen Dingen umzugehen oder auch fertig zu werden. Sie hilft dir also auf jeden Fall schon mal, dich zu Hause zu fühlen?
Musik ist die Art, mich auszudrücken. Jeder Mensch braucht irgendetwas, um manchen Dingen entfliehen zu können. Musik ist meine Form des Eskapismus. Das klingt wahnsinnig nach einem Klischee, ist aber nun mal so. Wenn ich im Studio bin, bleibt vieles andere einfach draußen. Ich erschaffe mir dort meinen eigenen Raum, auf den ich mich konzentriere. Und über diese Möglichkeit bin ich sehr froh und dankbar.
Dann bleiben wir einfach mal im Studio. Du bist bekannt dafür, in erster Linie mit Samples zu arbeiten. Hat sich an diesem Prozess für das neue Album etwas geändert?
Ich arbeite nach wie vor mit Samples, nur die Art und Weise, wie ich es tue, hat sich verändert. Ich komme ursprünglich aus dem Hip-Hop und habe lange – wie dort üblich – verschiedenste vorprogrammierte Sounds gesampelt, das mache ich nicht mehr. Heute setze ich auf Abstraktes, mache eigene Field Recordings, die ich dann verarbeite. Ich sammle überall Klänge, um sie irgendwann dann mal zu sampeln. Und natürlich ändert auch die sich ständig weiterentwickelnde Technologie immer etwas am Arbeitsprozess. Pre-Sets kommen mir zum Beispiel nicht mehr ins Haus.
Wo findest du die Sounds, die es für dich wert sind, gesammelt und verarbeitet zu werden?
Das ist tatsächlich sehr unterschiedlich und kann wiederum auch überall sein. Ich versuche in erster Linie, gute Rhythmen und abstraktere Melodien zu finden. Manchmal entdecke ich etwas und habe nur eine ungefähre Ahnung, was ich damit machen könnte. Und irgendwann passt es dann.
Alles in allem klingt das fast nach einem meditativen Prozess. Demnach arbeitest du nach wie vor am liebsten völlig allein?
Ja, zu 99 Prozent ist alles, was man auf meinen Alben hört, allein mein Werk. Abgesehen von Sängerinnen und Sängern verzichte ich so gut wie komplett auf Unterstützung von außen. Auf „Migration“ gibt es lediglich ein paar Streicher-Arrangements, die zugeliefert wurden. Für mich geht es nur so. Ich muss allein arbeiten, mit anderen in der Gemeinschaft funktioniert das nicht. In meinem Fall und angesichts der Musik, die ich produziere, macht das aber auch einfach Sinn. Ich brauche keine Band, beziehungsweise brauche ich die nur auf der Bühne. Im Studio, wenn die Musik entsteht, arbeite ich am Computer und habe Kopfhörer auf. Das ist ja nun wirklich kein sehr kommunikativer Prozess. Man kann es mit einem Maler und seiner Leinwand vergleichen. Oft arbeite ich sehr detailliert, an mikroskopisch kleinen Parts – also ist das mit dem meditativen Prozess völlig richtig.
Wie bereits angesprochen, gibt es aber zumindest einige Vocal-Gäste auf „Migration“. Unter anderem dabei ist Nick Murphy, den man bisher als Chet Faker kannte und der nun unter seinem Taufnamen weitermacht. Oder Nicole Miglis von Hundred Waters. Ergeben sich bei dir solche Kollaborationen aus persönlichen Verbindungen?
Absolut. Nick habe ich kennengelernt, als er im Rahmen meiner „The North Borders“-Tour einige Gigs mit mir in den USA gespielt hat. Seither sind wir supergute Freunde. Wir pflegen sogar mehr den persönlichen Kontakt, als dass wir Musik zusammen machen. Er kommt mich oft besuchen und wir unternehmen dann Dinge miteinander. Ganz ähnlich ist es auch mit Nicole. Ich liebe Hundred Waters und irgendwann habe ich sie zu mir ins Studio eingeladen. Wir haben dann eine Akustikversion des Songs aufgenommen, der nun unter dem Titel „Surface“ auf dem Album ist. Ich mag die Idee nicht, mit jemandem zu arbeiten, den ich nicht kenne, den ich noch nie getroffen habe. Wir müssen schon auf einem Level sein, damit es im Studio funktioniert.
Wenn man das Internet durchforstet, stellt man immer wieder fest, dass es für die Art der Musik, die du machst, kein passendes Genre zu geben scheint. In ihrer Verzweiflung haben dir Leute immer wieder mal das Label „Downtempo“ verpasst. So steht es sogar bei Wikipedia. Wie sehr ärgert dich das?
Massiv. Ich hasse es. Was soll das auch sein? Das ist doch kein Genre. Das sagt nur was über die Schnelligkeit des Beats aus, sonst nichts. Ich mache keine Slow Speed Music. Ich habe das mal unter einem YouTube-Video gesehen, das ich eingestellt habe. Es war ein vom UK Garage beeinflusster Track mit 130 bpm. Irgendwer fragte, was das für ein Genre sei, und jemand anderes antwortete: „Downtempo.“ 130 bpm. Ernsthaft? Es ist aber auch nicht meine Aufgabe, meiner Musik ein Genre zu verpassen. Das überlasse ich euch Musikjournalisten, wenn es denn unbedingt sein muss. Ich möchte das nicht.
Aber du hast zumindest mal gesagt, dass du Probleme hast, deine eigenen Tracks in deine DJ-Sets einzubauen. Wohl ob des Tempos, würde ich da mal vermuten. Wie löst du dieses „Problem“? Spielst du Sachen aus deinem Repertoire, fertigst du zu diesem Zweck Edits an?
Ja klar. Auf der einen Seite gibt es die Live-Shows, auf der anderen das Auflegen – und das ist dann was komplett anderes. Nur ist das DJing das, woher ich komme, und so sehe ich vieles aus der Clubperspektive. Als DJ spiele ich ähnlich wie Jamie xx, Caribou und Four Tet, diese Art von Sound. Aber die Leute wollen schon auch, dass ich meine eigenen Sachen spiele, nur sind die tatsächlich für diesen Rahmen schlicht zu sanft, nicht treibend und nicht beatlastig genug für den Dancefloor. Also suche ich zum einen die Sachen von mir raus, die ein bisschen mehr Druck haben, und erstelle natürlich auch noch spezielle Edits, um meine Musik der Clubumgebung anzupassen. Live sieht das dann ganz anders aus, da spielen wir auch die ruhigen Sachen – im Bandkontext.
Und wo wir schon mal beim Thema sind – du bist wahnsinnig viel unterwegs. Allein die „The North Borders“-Tour lief 20 Monate. Und auch die Liste für die „Migration“-Tour ist bereits ziemlich lang. Planst du wieder, eine so lange Zeit unterwegs zu sein?
Die Termine, die jetzt auf meiner Website stehen, sind erst der Anfang. Das ist nur die Hälfte der kompletten Tour. Ich mache das, weil ich es liebe. Ich mache einfach eine tolle Show und möglichst viele Leute sollen die Chance bekommen, sie zu sehen. Ich bin wahnsinnig stolz darauf. Also zeige ich die Show, so oft es geht. (lacht)
Das bringt es allerdings mit, dass man viel Zeit auf Flughäfen, in Hotels und überhaupt an fremden Orten verbringt, immer fernab der Heimat. Ist das etwas, das du brauchst oder woran du dich gewöhnt hast über die Jahre? Wie lange kann man diesen Lifestyle in der Form pflegen?
Klar, man muss sich darauf einlassen und irgendwann wird das Touren selbst zu einer Art Heimat. Ich werde das so lange machen, wie es einigermaßen bequem ist. Die Zeiten, in denen man zu fünft in einem alten, klapprigen Bus über Stunden von einem Gig zum nächsten gefahren ist, sind ja gottlob vorbei. Mit Anfang 20 ist das okay, heute mit 40 würde ich es so nicht mehr machen wollen. Aber muss ich ja auch nicht. Ich reise heute bequem, spiele in guten Clubs … und solange das so ist, bleibe ich dabei.
Die Live-Tour startet in Kürze, doch hast du auch die letzten Monate nicht etwa Däumchen drehend daheim rumgesessen. Die Zeit zwischen zwei Tourneen vertreibst du dir dann also mit DJ-Gigs?
Ja, richtig. Aktuell spiele ich DJ-Sets, da die Live-Show auch noch nicht ganz steht. Aber bald geht es los. Der erste Termin ist Ende Dezember in Brooklyn, im Februar geht es dann nach Europa.
Mit Hamburg, Berlin, Köln und Frankfurt sind auch vier deutsche Städte dabei. Und alle vier Konzerte sind bereits ausverkauft – lange vor dem Release deines Albums.
Das ist tatsächlich toll. Viele der Termine in Europa sind bereits ausverkauft. Wie kann man auch nicht darüber froh sein, dass Leute Karten für ein Konzert zu einem Album kaufen, das sie noch nicht mal gehört haben?
Setzt einen das aber nicht irgendwie auch massiv unter Druck?
Doch, das tut es. So viel muss ich zugeben. Ich will, dass die Show großartig wird. Wir werden zu fünft auf der Bühne sein und auch für Vocals haben wir jemanden dabei. Ich bin zuversichtlich, wir haben schon einige tolle Konzerte in Europa gespielt. Und dieses Mal wissen weder die Leute, was sie bekommen, noch wissen wir, was da auf uns zukommt. Das ist auf jeden Fall spannend.
Aus dem FAZEmag 059/01.2017
Review: Bonobo – Migration (Ninja Tune)
Text: Nicole Ankelmann
Foto: Neil Krug
www.bonobomusic.com