Es wird gefeiert im Hause Booka Shade. Walter Merziger und Arno Kammermeier haben vor zehn Jahren ihr bahnbrechendes Album „Movements“ veröffentlicht, einfach so. Sie haben einen Nerv getroffen – es herrschte genreübergreifende Begeisterung. Songs wie „Mandarine Girl“, „Body Language“ oder „Night Falls“ wurden zu Hymnen und fanden einen breiten Konsens im elektronischen Musikzirkus. Nun wird dieser Meilenstein gefeiert, der sich zum Jubiläum auch noch hübscher machen darf – besser geht es eigentlich eh kaum. „Movements“ wird neu gemastert und bekommt ein ordentliches Remix-Kleid spendiert. Aber Vorsicht, es wird nicht nur einfach ein Blick zurück geworfen und die Vergangenheit abgefeiert, der Blick richtet sich auch in die Zukunft, wie uns das Berliner Duo im Interview verraten hat.
Wie seid ihr eigentlich auf die Idee gekommen, „Movements“ neu zu veröffentlichen?
Arno: Die Idee gab es schon eine ganze Weile. „Movements“ ist ja unser erfolgreichstes Album mit sehr vielen bekannten Nummern, von denen wir viele ja auch noch in unseren Live-Shows spielen. „Body Language“ beispielsweise war ein weltweiter Underground-Hit, die Nummer wurde dennoch nie totgespielt in Charts und man hört sie immer gern. Wir wollten das nun einfach mal zelebrieren, weil uns das wichtig war und ist. Und dann eben auch mit einem schönen Package, das noch etwas mehr zu bieten hat als nur das Album. Wir haben es also regemastert, Remixe machen lassen und es gibt eine Vinylbox inkl. T-Shirt und Poster. Und wir haben dazu auch noch eine spezielle Live-Show entwickelt, bei der wir auch die Songs des Albums spielen, die wir schon vor längerer Zeit aus unserem Set genommen haben, wie „Wasting Time“ oder „Darko“, oder die wir noch nie gespielt haben, wie das langsame „Hallelujah USA“.
Wenn man sich mit den Tracks dann wieder beschäftigt, was fällt einem auf? Oder denkt man auch, dass man etwas eigentlich hätte anders machen können?
Walter: Ein Album wird eigentlich nie fertig, es spiegelt eigentlich nur den Moment zur Zeit der Veröffentlichung wider. Live spielt man die Songs eh auch anders. Das war ja auch eine komplett andere Zeit und daher muss man das auch immer im Gesamtzusammenhang sehen. „Movements“ ist eine wahnsinnig runde Sache, ein guter Wurf – das kann man nicht anders sagen. Es verkörpert die zeitlose Art, Musik zu machen, und läuft keinem Trend hinterher. Es ist ziemlich eigen und man muss das eben auch im Kontext mit der damaligen Musikszene sehen. Wir haben da was losgetreten mit wenigen anderen. Das war auch noch die Zeit vor Facebook, Beatport etc., die Songs konnten sich noch mehr entfalten, heute ist das viel schnelllebiger. In den Clubs haben damals vor allem Minimal und Schranz stattgefunden und dann kamen wir genau zur richtigen Zeit und haben Harmonie, Emotionen und die Melody-Bassline auf den Floor gebracht – was dann nachher allerdings zu dem grauenhaften Begriff „Electrohouse“ mutierte. Aber wir haben auch ein Stück weit die Sexyness in den Club gebracht. Wenn man das alles zusammenrechnet, dann sieht man, dass „Movements“ schon ein Blueprint und ein Zeitdokument ist. Vom tiefsten Undergrounder bis hin zum Kommerzradio-DJ konnte jeder was mit der Musik anfangen. Es kam damals einfach alles zusammen, das war eine Punktlandung – und das hört man auch.
Eine eigene Neuinterpretation scheint da ja nicht nötig zu sein. Daher dann die Idee mit den Remixern?
Arno: Ja, wir selbst wollten da gar nicht rangehen, weil das eben unser Statement ist – das steht noch, da kann man nichts besser machen. Wir wollten das nicht anfassen bzw. haben das nur getan, um die Parts für die Remixer zusammenzusuchen und unsere „Movements 10“-Live-Show vorzubereiten. Dafür haben wir dann die Originalproduktionen auf unseren alten Apple-G4-Rechnern ausgegraben. Wir haben damals natürlich alles gesichert, aber im Laufe der Jahre geht irgendwie doch immer etwas verloren. Wir haben tief gegraben und als wir uns dann mit den Sounds beschäftigt haben, waren wir schon überrascht von den Feinheiten, die wir wiederentdeckt haben.
Wie erfolgte denn die Auswahl der Remixer?
Arno: Es gab da schon ein paar Leute, die wir auf unserer Wunschliste hatten. Und wie es natürlich immer ist bei so einer Produktion: Die Hälfte hat keine Zeit, schafft es nicht in dem Zeitrahmen. Deetron gehört zu diesen persönlichen Favoriten, den fanden wir schon immer toll. Dem haben wir auch „Mandarine Girl“ ans Herz gelegt, weil wir dachten, das würde wirklich sehr gut passen – und es kam dann auch was sehr Gutes raus. Den anderen haben wir aber freie Wahl gelassen. Dennis Ferrer war auch ganz oben auf der Liste, der hat sich dann „Lost High“ vorgenommen. Eine eher ruhige Nummer, die er dann in einen Dance-Track verwandelt hat. Natürlich dann auch viele aus dem Umfeld, mit denen wir immer wieder arbeiten, wie M.A.N.D.Y. oder Chi Thanh.
Walter: Der Ritterschlag war dann Nils Frahm. Aus dieser Leftfield-Richtung hätten wir auch gerne noch mehr gehabt, das hat sich allerdings nicht ergeben. Aber letztlich sind wir sehr zufrieden mit der Auswahl.
Habt ihr auch die Remixe in die Show integriert?
Walter: Es gibt zwei Interpretationen, die uns so gut gefallen, dass sie nun Teil unserer „Movements 10“-Show sind. Das ist zum einen „Body Language“ von Chi Thanh und zum anderen „Lost High“ von Dennis Ferrer. Das hat einfach gut gepasst, da beide schon recht viel von den Originalen übernommen haben, was auch ein Kriterium dafür war, sie ins Set aufzunehmen. Es soll ja das Album zelebriert werden, da ist es schon wichtig, dass wir soundtechnisch bei uns bleiben und nicht freiere Versionen nehmen, die letztlich in eine andere Richtung führen.
Könnt ihr noch was über die Show erzählen?
Arno: Die Premiere war im Juni auf dem Sonar. Es gibt eine sehr begrenzte Anzahl von Shows. Anfangs wollten wir nur zehn machen, jetzt sind es doch ein paar mehr, weil noch eine USA-Tour dazukommt und wir übers neue Jahr auch nach Australien gehen werden. Die einzigen Headline-Shows werden in London und in Berlin stattfinden, also gibt es nur da die Möglichkeit, die Show außerhalb von Festivals zu sehen. Es ist eine sehr spezielle Show mit neuen Visuals, die sich mit der „Movements“-Zeit beschäftigt und z. B. auch das Artwork übernimmt. Eher keine normale Show, die ja eigentlich sehr energetisch ist, sondern mehr mellow, weil eben auch die ruhigen Albumstücke dabei sind.
Was wird denn nach der großen Feierei passieren?
Walter: Da kommen wir zur Ausgangsfrage mit dem „Warum“ zurück. Wir schließen jetzt mit der Geschichte dieser wahnwitzigen zehn Jahre ein Kapitel. Das ist jetzt für uns auch ein mentaler Abschluss. Wir sitzen auch schon am neuen Album, das schon fast fertig ist und was ganz anderes werden wird. Das wird nicht mehr so sein, wie das vorher war. Wir fangen im Grunde genommen neu an und schließen die Akte. Das fühlt sich gerade auch so an, wie wenn man einen Club schließt – einfach noch mal eine große Party, dann ist Feierabend.
Arno: Es kommen andere Sounds, wir wollen uns weiterentwickeln und nicht wiederholen. Wir haben in den letzten zehn Jahren einiges gesagt und jetzt versuchen wir, uns neu auszudrücken. Seit dem letzten Album „Eve“ vor drei Jahren haben wir lange Soundforschung betrieben, haben uns die Köpfe heiß diskutiert und viele Song-Demos geschrieben. In den letzten Monaten sind wir endlich an den Punkt gekommen, an dem wir was gefunden haben, was wir wirklich sehr geil finden, und dann wussten wir, wohin wir gehen wollen. Und nächstes Jahr wird das auch schon rauskommen.
Wann habt ihr euch denn das erste Mal über den Neustart Gedanken gemacht?
Walter: Wir haben uns schon vor dem letzten Album „Eve“ im Jahr 2013 Gedanken darüber gemacht. Aber wir haben es leider nicht so hinbekommen, wie wir wollten. Jetzt hat es endlich funktioniert und wir konnten diese Akte „Movements“ schließen, was auch mental sehr wichtig war. Ganz egal was wir machen, es darf nicht nach uns und den „good old times“ klingen. Das ist ein schmerzhafter Prozess, weil man ja auch nicht auf bestehende Formeln zurückgreifen darf. Du sitzt vor einem leeren Blatt Papier, du musst dich neu erfinden. Daher hat das auch so lange gedauert.
Headline-Shows „Movements 10“:
04.11. | Berlin, Heimathafen
22.11. | London, Royal Albert Hall
Aus dem FAZEmag 056/10.2016
Text: Tassilo Dicke
Fotos: Believe
www.bookashade.com