Boris Dlugosch und die goldenen Töne

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Wir geben es ja zu – im heutigen Musikjournalismus wird mit Superlativen oft ziemlich leichtfertig um sich geworfen. Schnell wird ein Album zum besten aller Zeiten, ein Künstler zum gehyptesten der Jetztzeit, und ein einziger Track verursacht binnen Stunden eine ganze Massenbewegung. Umso erfreulicher die Nachricht, dass man einem Künstler begegnet, der im Laufe seiner Karriere schon mit allen erdenklichen Bezeichnungen positivster Art konfrontiert wurde und als einer der wenigen auch in diesen äußerst breiten Anzug passt. Boris Dlugosch prägte die Szene wie nur wenig andere. Er spielt seit Jahrzehnten in einer Liga, in die sich die meisten aufzusteigen wünschen. Hits wie „Sing It Back“ oder „Never Enough“ gingen um die Welt und revolutionierten in äußerst credibilem Gewand die Danceszene. Nun gründet der Hanseate mit zwei Kumpanen ein neues Label. Gleich das erste Release schlägt bereits hohe Wellen – und das nicht nur durch die Kooperation mit einer der wohl meist geschätzten Sängerinnen des Pop-Business.

Es war im Alter von 16 Jahren, als der Hamburger im Club FRONT seine Karriere begann. Von Acid House bis zu Techno, Deep- und Garage House war Dlugosch in einigen Genres versiert. Im Laufe seiner Karriere arbeitete er mit Leuten wie 2raumwohnung, Jamiroquai, Mary J. Blige oder Mariah Carey zusammen. „Ich werde nie meinen ersten Gig vor Publikum im FRONT vergessen. Nach ungefähr zwei Stunden habe ich endlich verstanden, dass man bei den THORENS TD-524 Plattenspielern erst einmal per Knopfdruck den Pitch (+/- 25%) überhaupt aktivieren muss, damit sich etwas tut. Bis dahin dachte ich, ich hätte über Nacht das Mixen verlernt. Auch unvergesslich bleibt der Sommer 1999, als ich nichts ahnend in London durch die Oxford St. lief und bei HMV das gesamte Schaufenster mit ‚meiner‘ Moloko-Platte – dem Remix von ‚Sing It Back‘ – ausgehängt war. Ein absolutes Highlight war das.“
Zu letzteren Highlights zählt sicherlich das Remix-Paket von „Never Enough“, das kürzlich auf Mousse T.s Imprint Peppermint Jam die Öffentlichkeit erreichte. Darauf vertreten sind Versionen u.a. von Jesse Rose, Ian Pooley und natürlich dem Label-Boss selbst. „Mousse T. und ich kennen uns schon ewig. Wir hatten einfach Lust, diese Nummer nochmals neu aufleben zu lassen – sie allerdings auch in neuem Gewand zu präsentieren. Das Resultat kann sich meiner Meinung nach sehen und hören lassen. Es war eine interessante Erfahrung, zu sehen, was versierte Künstler aus einem solchen Hit nochmals rausholen bzw. wie sie die Nummer interpretieren.“
Mit Ismail Tüfekci von Digitalism und Raik Krause wurde nun das neue Label Golden City Sounds gegründet. Mit Raik arbeitete Dlugosch bereits 2009 zusammen. „Wir haben damals ‚Bangkok‘ produziert und sofort gemerkt, dass die Zusammenarbeit super funktioniert. Da sein Studio quasi direkt in dem von Digitalism steht und wir direkte Nachbarn von Jence und Isi sind, haben wir in der letzten Zeit sehr viel gemeinsam unternommen. Durch diese Nähe und vielen Gesprächen entstand dann irgendwann die Idee, gemeinsam ein kleines Label zu gründen. Und da sind wir!“ Am 17. Mai erschien mit „Look Around You“ Katalognummer 001 des neuen Imprints. Federführend war – natürlich – Boris Dlugosch, gemeinsam mit Róisín Murphy – vielen besser bekannt als Frontfrau von Moloko. „Es ist natürlich ein besonderer Moment, ein neues Label ins Leben zu rufen und dann auch gleich für das erste Release verantwortlich zu sein – vor allem, wenn die Scheinwerfer noch greller auf einen scheinen als sonst. Ich neige sehr dazu, überkritisch mit mir selbst und meiner Arbeit zu sein. Alles was dann nicht funktioniert, nehme ich doppelt schwer. Aber es lief soweit eigentlich alles ganz gut bisher, wir können zufrieden sein. Mal sehen, wie es weiter geht. Es ist spannend, aber auch sehr viel Arbeit. Der Fokus bzw. die Philosophie des Labels liegt darin, dass wir – erst mal – nur eigenes Material veröffentlichen möchten. Der Kern besteht aus uns dreien, in welcher Konstellation die einzelnen Sachen gemacht werden, da möchten wir uns keine Grenzen stecken. Sicher werden wir uns irgendwann auch anderen Produzenten öffnen, allerdings möchten wir diesen Spielplatz bis dahin alleine erkunden und nutzen. Für uns war es wichtig, dass wir nach den vielen Jahren des Musikmachens etwas sehr Persönliches und Eigenes entwerfen. Ein Zuhause, einen Ort, einen Planeten namens Golden City, auf dem wir uns austoben können. Es ist für uns ein schönes Gefühl, gleichzeitig Künstler und Labelbesitzer zu sein. Als nächstes steht ein Release von Raik in den Startlöchern, anschließend ist Isi an der Reihe. Mehr wird zu diesem Zeitpunkt noch nicht verraten.“

Zu einem Zeitpunkt, an dem viele Künstler Produktionen ausschließlich als Werbezwecke betrachten und ein Minusgeschäft förmlich vorprogrammiert ist, geht man in Hamburg in die Vollen. Qualität setzt sich durch, dies haben sie solo oder in ihren eigenen Projekten bewiesen. Für Dlugosch verändert sich die Szene zunehmend positiv. „Musikalisch gesehen, verändert sich die Szene scheinbar alle paar Monate und wird weiterentwickelt. Ein stetiger Wandel der Styles und Genres. Alles wird miteinander vermischt und zu Neuem verwoben. Dazu kommt dann noch die technische Entwicklung: Keiner von uns muss mehr Platten schleppen – auch wenn es einige noch immer nicht sein lassen können. Da wir alle Liebhaber des schwarzen Golds sind, haben wir unser erstes Release natürlich auch auf Vinyl pressen lassen. So oldskool es auch klingen mag – das Medium ist nach wie vor etwas ganz Besonderes. Und seine eigene Platte im Regal stehen zu haben, ist einfach ein unvergleichliches Gefühl. Dennoch muss man anerkennen, dass sich alles sehr viel schneller dreht als früher. Man verpasst sehr schnell den einen oder anderen Track, wenn man sich nicht tagtäglich durch die Promoflut kämpft. Aber das ist okay. Nach guter Musik muss man nämlich genau so suchen, wie vor 20 Jahren. Schrott fällt einem immer direkt vor die Füße.“
Für die kommenden Wochen steht einiges auf der Agenda. Besonders der Sputnik Spring Break bereitet Dlugosch immense Vorfreude. „Seit einer halben Ewigkeit bespiele ich das Festival und frage mich immer wieder, ob die Leute mich überhaupt noch hören wollen bzw. ob mein Floor voll wird. Glücklicherweise läuft es aber immer hervorragend. Neben dem alltäglichen Wahnsinn am Wochenende auf Reisen und unter der Woche im Studio steht für Juni ein weiteres Release von mir an, dass ich mit Joe Goddard von Hot Chip produziert habe und auf seinem Label erscheinen wird.“

Hier könnt ihr euch den Juni-Mix von Boris Dlugosch anhören!

www.borisduglosch.de

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