Christian Löffler – Zeitgeist klassischer Meisterwerke

 

Bereits im November vergangenen Jahres veröffentlichte der Greifswälder unter dem Titel „Parallels (Beethoven)“ – auf Einladung des legendären Gelblabels Deutsche Grammophon – ein Electronica-Tribute anlässlich des 250. Geburtstags von Beethoven. Dazu stellte ihm das seines Zeichens älteste Klassiklabel der Welt, 1898 vom Erfinder der Schallplatte sowie des Grammophons, Emil Berliner, in Hannover gegründet, historische Tonaufnahmen aus dem Archiv zur Verfügung, von denen Löffler anschließend eigene Bearbeitungen erstellte. Zu hören sind insgesamt zehn Tracks, in denen Material von sechs Komponisten verarbeitet wurde. Neben Beethoven sind dies zudem Wagner, Bach, Smetana, Bizet und Chopin. Damit führt Löffler ihre Musik in den gegenwärtigen Diskurs und erreicht eine Audienz, die sich im ersten Moment nicht zwangsläufig „alte Meister“ zu Gemüte führen würde. Dabei ist „so viel Kraft, Jugend und Wildheit in dieser zeitlosen Musik“, wie Löffler selbst sagt. Das „Shellac Project“ hat seine Wurzeln in der Vergangenheit – im über 100 Jahre alten Tonarchiv der Deutschen Grammophon. In einem Gemeinschaftsprojekt mit Google Arts & Culture wurden Schellackplatten, das vorherrschende Aufnahmeformat bis zu den 1930er-Jahren, digitalisiert und die Aufnahmen in ihrer einstigen Qualität wiederhergestellt. Das Resultat ist dabei eine Neugestaltung klassischer Meisterwerke, verwoben mit Löfflers elektronischen Klanglandschaften und Rhythmen. Wir haben Christian zum Interview gebten.

 

Christian, du hast verschiedene Meisterwerke zu einem neuen Meisterwerk erschaffen.

Dankeschön! Ich bin sehr happy mit dem Ergebnis. Es ist richtig schön, jetzt fast ein Jahr nach „Lys“ ein neues Album draußen zu haben, das in eine etwas andere Richtung geht. Ehrlich gesagt war es eine ziemliche Herausforderung, auch vom Timing her, und ich bin froh, dass eine richtig schöne Platte dabei herausgekommen ist.

Wie lange hast du denn am Projekt gearbeitet und wie verlief die Umsetzung im Detail?

Die Anfrage von der Deutschen Grammophon kam ziemlich zeitnah zum Release von „Lys“ Ende März 2020. Zu dem Zeitpunkt war klar, dass alle Live-Dates bis auf Weiteres verschoben werden und ich viel Zeit im Studio haben werde. Unter normalen Bedingungen, also mit vollem Tour-Kalender, wäre so ein Projekt eigentlich nicht denkbar gewesen. Insgesamt habe ich ungefähr sechs bis sieben Monate daran gearbeitet. Am Anfang verging viel Zeit mit dem Sichten der Shellack-Aufnahmen und Reinhören und Einfühlen in das Material. Insgesamt standen 35 bis 40 Stücke von neun Komponisten zur Auswahl, also jede Menge Musik. Ich habe mir dann alles mehrfach und in random Reihenfolge mit Kopfhörern angehört und nach Passagen und Elementen gesucht, die gut mit meiner Musik zusammengehen könnten.

Welche waren die größten Herausforderungen dabei, sowohl technisch als auch in der Idee selbst?

Technisch war es in dem Sinne herausfordernd, dass mir keine Einzelspuren vorlagen. Es spielt alles jeweils immer ein volles Orchester. Hinzu kommt, dass die Shellackplatten teilweise sehr wellig sind und das auch in den Digitalisierungen stark zu hören ist. Rauschen ist ebenfalls keine Mangelware. Das führt dazu, dass sich gerade beim Sampeln und Schichten der Samples das Rauschen addiert. Es ging also darum, nicht nur musikalisch passende Stellen und Melodien zu finden, sondern diese auch mehr oder weniger zu entstören. Die wahrscheinlich größere Herausforderung war die musikalische, da die Stücke eine unglaubliche Dichte an Themen, Melodien und Variationen beinhalten. In eine Symphonie von Beethoven passiert so viel, dass es schwerfällt, den Überblick zu behalten.

Wie war diese Zeitreise mit den Originalaufnahmen aus den 20er- und 30er-Jahren generell für dich?

Als ich anfing, das Material zu sichten, habe ich mich auch über die Orte, an denen es aufgenommen wurde, informiert. Ich wollte mir auch ein visuelles Bild der Zeit, der Konzertsäle und Musiker machen. Dabei habe ich einige sehr schöne Aufnahmen gefunden und kam auch auf die Idee für das Artwork der LP, die Staatsoper in Berlin fotografieren zu wollen.

Die damalige Ära wurde, wie bereits erwähnt, geprägt von Schellack. Inwieweit hat dich dieses Medium beeindruckt?

Zuerst einmal ist schlicht das Gewicht der Platten beeindruckend. Auch die Optik ist wirklich toll mit goldenen, bronzefarbenen Rückseiten, die wirklich schön schimmern auf dem Plattenspieler. Hinzu kommt, dass auf den Hüllen vermerkt ist, in welchen Studios die Platten im Laufe der Jahrzehnte waren.

Bei deinem Remix zu „Babylon Berlin Vol. 2“ im vergangenen Jahr hast du dich mit dem Zeitalter der 20er auseinandergesetzt und gesagt, dass dich vor allem die Aufbruchstimmung und die Ausgelassenheit faszinierten.

Ja, das war auch ein wirklich tolles Projekt. Als Fan der Serie und auch speziell der Musik war es eine Ehre, daran zu arbeiten, aber auch eine Herausforderung, inwiefern ich die Stimmung mit meiner Welt verknüpfen könnte. Das war aber viel zu kompliziert gedacht, denn im eigentlichen Sinne liegt das viel näher beieinander als ich dachte. Die ausgelassene und entfesselte Stimmung der 20er stelle ich mir eigentlich ziemlich ähnlich zu einer guten Party morgens um vier Uhr im Club vor. Im Prinzip war die Brücke eigentlich schon geschlagen. Dieses Ausgelassene und Euphorische deckt sich ziemlich gut mit elektronischer Musik. Auch die sehr einprägsamen Themen sind ähnlich.

Was hat dich bei einem solch intensiven Hören der ganzen Stücke besonders fasziniert?

Grundsätzlich hat mich überrascht, wie wenig sich wiederholt. Es gibt eigentlich ständige Variationen, und immer passiert etwas Neues. Nichts ist so wirklich vorhersehbar, und für mich als jemand, der hauptsächlich elektronische Musik macht und es liebt, mit Loops und Schleifen zu arbeiten, war das eine schöne Abwechslung. Ich habe aber auch viel für die eigene Musik mitgenommen, wie eben zu versuchen, noch mehr Überraschungen zum Beispiel in das Arrangement einzubauen und Elemente auf untypische Weise zu verfremden und ungewöhnlich einzusetzen. Beim Hören der Aufnahmen bekam ich den Eindruck, dass Beethovens Musik eigentlich sehr human ist, durch das Jahrzehnte währende Wiederholen und Überdenken aber irgendwie überirdisch geworden ist. Ich wollte sie zu den zugrundeliegenden Gefühlen zurückbringen.

Ein Ziel des Projektes ist, Stücke von damals, gepaart mit modernen Deutungen, der heutigen Generation ein stückweit „zugänglicher“ zu machen. Warum ist das in deinen Augen so wichtig?

Ja. Alle Originale, die ich ausgewählt habe, sind so wunderbar, dass sie es verdienen, viel mehr gehört zu werden. Ich denke, dort ist sehr viel schöne Musik, die bei vielen Menschen kaum oder zu wenig Beachtung findet. Ein schöner Nebeneffekt von meinem Album ist hoffentlich, dass Leute zum Beispiel Beethovens 6. Symphonie auch im Original hören und die Elemente entdecken, die ich meiner Version verwendet habe.

Neben Beethoven hast du dich auch für Bach, Chopin, Wagner, Smetana und Bizet entschieden. Wie unterschiedlich waren dabei für dich die jeweiligen musikalischen Welten, wo gab es Berührungspunkte?

Bei so einer Vielzahl an Musik war es mir sehr wichtig, dass die fertigen Songs und Tracks homogen sind und als Album funktionieren. Ich wollte die Originale nicht verbiegen, aber auch meine Musik sollte nicht im Schatten stehen. Grundsätzlich wollte ich mich als Künstler so ausdrücken, wie ich es auch mit meinen anderen Stücken tue. Es sollte also keine Interpretation werden, sondern etwas Neues, das auch berechtigt ist, eigenständig für sich zu stehen. Ich habe also die einzelnen Komponisten gar nicht so stark in den Fokus genommen, sondern vielmehr das Material abstrakt betrachtet und inwieweit es mit meiner musikalischen Welt funktioniert. Und es gab einige Berührungspunkte. Smetanas „Má Vlast“ zum Beispiel hat sich im Studio fast wie eine frühe, klassische Version meines Tracks „York“ angefühlt.

Du stehst dem Genre mit deinem Schaffen recht nahe. Wie würdest du deine Verbindung zu Klassik beschreiben?

Ich würde mich nicht als versierten Klassikhörer bezeichnen, aber man streift das Genre schon öfter, vor allem moderne neoklassische Composer. In meiner eigenen Musik gibt es ja oft klassische Momente, und nachdem ich bei einem Klassikfestival zum ersten Mal live mit einem Streichquartett gespielt hatte, ging ich auf Tour mit Stopps unter anderem in der Elbphilharmonie in Hamburg, der Volksbühne in Berlin und der Queen Elizabeth Hall in London. Von daher ist diese Welt schon recht nahe, ja.

Das Projekt der Deutschen Grammophon ist in Zusammenarbeit mit Google Arts & Culture entstanden, sie haben quasi die Grundlage dafür gelegt.

Ich finde es toll, dass die Aufnahmen nun digital vorliegen. Anders wäre ich vermutlich nie in den Genuss gekommen, mich damit auseinanderzusetzen. Und im Sinne der Archivierung kann es auch nur von Vorteil sein.

Generell gehörst du zur Generation äußerst produktiver Musiker. Was steht für die kommenden Wochen und Monate auf deiner Agenda?

Mein nächstes großes Projekt ist das Remix-Album zu „Lys“. Viele tolle Musiker und Freunde haben eigene Versionen aufgenommen, und auf dem Album wird auch ein eigenes Rework von mir vertreten sein. Außerdem planen wir voller Hoffnung, alle Tour-Termine ab September spielen zu können. Wenn alles gut läuft, wird es auch einige Tour-Dates mit dem „Parallels“-Album geben. Davon ab genieße ich gerade den ruhigen Winter und bin viel draußen unterwegs.

 

 

Aus dem FAZE 108/02.2021
Text: Triple P
Foto: Christian Löffler
www,facebook.com/christianloefflerofficial