„Kölle, mer han dich jähn!“ Mit ihrer herzlichen, offenen und gelegentlich auch etwas schrägen Kultur gibt die Rheinmetropole einen freundlich-warmen Kontrast zum elitären Szenegehabe Berlins ab und weiß ihre positiven Charakteristika bestens auf die lokale Club- und Musikszene zu übertragen. Mit Venues wie dem Odonien, Gewölbe, Artheater, Schrotty, Helios37, Jaki oder dem kürzlich eröffneten Fi zentriert sich eine ganze Reihe an hochfrequentierten Electronic-Clubs im Westen der Stadt, die mit einem bunten Publikum und namhaften Line-up-Kurationen lockt. Für unser Szeneportrait haben wir mit vier essenziellen Figuren aus der Clubkultur gesprochen, um eine Momentaufnahme des Kölner House- und Techno-Metiers zu schaffen. Vertreten sind Marcel Janovsky, der seit vielen Jahren die etablierte Veranstaltungsreihe Treibstoff Klub betreibt, Nils Boshüsen vom House-Kollektiv rheinrhythmik, Daniel, der für die Event-Instanzen Lichtblick und Ehrenfeld XL verantwortlich ist, sowie Anna Harnes von der Kölner KLUBKOMM, dem Verband Kölner Clubs und Veranstalter*innen e.V.
Marcel, wir fangen bei dir an und blicken zunächst ins Jahr 1997 – dem Geburtsjahr von Treibstoff. Gib uns ein paar Insights in die Kölner Szene der späten 90er-Jahre.
Marcel Janovsky: 1997 begann eine Zeit, in der der elektronische Kölner Underground ein Label nach dem anderen hervorbrachte. Der Musiksender VIVA (wurde aus Köln-Ossendorf gesendet) erlebte – wie die Popkomm – seine letzten tollen Jahre, bevor Klingeltöne und Internet dem Ganzen vorerst den Stecker zogen. Damals konnte man noch ein paar Clubs auf den Ringen besuchen, die teils durch gute House-Promoter bespielt wurden, und im Keller unter dem heutigen Diamonds (die ehemalige Oshos Diskothek, wo z.B. während der Popkomm 1994 LFO live spielte!) gab es mit der Sundance eine wöchentliche Sonntags-Afterhour, die von 6 bis 18 Uhr andauerte.
Wirklich interessant aber waren Locations wie die KHD-Hallen (Kunstwerk) neben dem Gebäude 9, wo die Elektro-Bunker-Party von Dr. Walker (Air Liquide) regelmäßig gastierte und man im Basement alter Fabrikhallen inmitten zahlreicher Ateliers einen großartigen Bogen zwischen tanzbarer und experimenteller Elektronik spannte. Zeitgleich gab es die Total Confusion im Studio 672 unter dem Stadtgarten, die jeden Freitag lokale und internationale DJs im Programm hatte. Eine der wichtigsten Brutstätten jener Zeit war auch die Liquid Sky Bar auf der Kyffhäuser Straße, die ebenfalls von Dr. Walker und seiner Crew betrieben wurde – eine Art elektronisches Wohnzimmer, eingerichtet mit Sofas, schön-scheußlichem Trash und Retro-Arcade aus den 80ern. Man konnte dort gelegentlich einfach mit einer Handvoll Vinyl eine Stunde auflegen, abhängen oder steckte seinen mitgebrachten Synth mit ins Pult zum gemeinsamen Jammen. Glücklicherweise wohnte ich zu dieser Zeit keine 100 Meter entfernt.
Die Veranstaltung „Psycho Thrill“, bei der puristischer Detroit-Techno und Chicago-House aufgelegt wurden, gastierte regelmäßig im Bonner Ballhaus und später dann im 42dp auf der Ecke Hohenzollernring, Zülpicher Straße. Dort spielten Acts wie Jeff Mills an einem Mittwoch für 100 bis 200 Leute. Als „Psycho Thrill“ später ins Artheater zog, kam auch mein Label in Schwung und ich wurde Resident. Im Artheater hatte ich meine ersten ernstzunehmenden Gigs und seither bin ich verknallt in diesen charmanten Schuppen, mit all seinen Machern. Kurz nach den 00er-Jahren kam das Subway als weitere zuverlässige Adresse für fein selektierte elektronische Tanzmusik hinzu. Gegenüber befand sich das Six Pack, das als elektronische DJ-Bar eine Zeit lang täglich öffnete.
Im Sommer hatten wir die Pollerwiesen, die damals noch illegal und kostenlos an diversen Sonntagen auf Grünflächen wie dem Klettenbergpark oder am Herkulesberg gastierten. Die Bekanntmachung erfolgte damals noch über SMS-Listen.
Wie ging es mit deinem Label und der später daraus resultierenden Event-Reihe Treibstoff Klub weiter? Die Plattform sollte sich schließlich als Sprungbrett für einige Künstler*innen von globalem Format herausstellen …
Marcel Janovsky: Maceo Plex – damals noch als Maetrik – veröffentlichte seine ersten EPs und zwei Alben auf Treibstoff. 2003 organisierte ich seine erste kleine EU-Tour und er übernachtete eine Woche auf meiner Couch. Wir tourten zwei Wochenenden durch Barcelona, Berlin und Köln und spielten unter anderem bei der eingangs erwähnten und von Kompakt organisierten Total Confusion im Studio 672 (heute Jaki). Obwohl Kompakt unser Vertrieb war, kostete es mich sehr viel Mühe, dort meine Label-Acts unterzubringen, und aus einem gewissen Frust heraus organisierte ich die ersten kleinen Partys in der Location, die heute das Gewölbe ist – damals noch eine Art Höhle im linken Flügel des Kölner Westbahnhofs. Der Eingang führte damals noch durch die Tür zur Bahnhofshalle, die heute der Notausgang am Dancefloor ist, was gelegentlich zu lustigen Szenen mit Verstrahlten und Bahnhofsgängern führte. Aus den anfänglichen Partys mit 50 Leuten aus dem Inner Circle entwickelte sich schließlich ein etabliertes Event mit 500 Gästen. Hier ein kleiner Auszug aus der frühen Gewölbezeit (2004 – 2007): Maetrik (Maceo Plex), Robert Babicz, Gabriel Ananda, Jens Zimmermann, G-Man (LFO), Cio D’or, Dandy Jack, André Galluzzi, Die Galoppierende Zuversicht, Rene Breitbarth, Jeff Bennett, Todd Bodine, Falko Brocksieper, Marek Hemman, Mathias Kaden …
An den Line-ups – damals wie heute – wird deutlich, dass sich der Treibstoff Klub schon immer abseits der Trends bewegt hat. Gibt es dennoch ein Konzept?
Marcel Janovsky: Es gibt kein Konzept. Auch das Label war nie konzeptionell gedacht. Ich habe immer das gemacht, was ich wollte. Wenn man mich als DJ fragt, was ich spiele, antworte ich „Techno & House“ – und genau das spiegelt sich auch in den Line-ups der Partys wider. Mein Veranstalterkollege Leolo Lozone und ich kennen uns seit Ende der 80er und wir haben in den 90ern vermutlich alles mitgemacht, was man an Clubbing und Rave mitnehmen konnte. Daher waren wir uns von vornherein einig, was die musikalische Ausrichtung und Vibe des Treibstoff Klub betrifft. Von 2005 bis 2015 war auch Annett Selk (WIR Schwestern) eine prägende Kraft im Team und hat bei wachsenden Besucherzahlen in Locations wie der Papierfabrik, Schrebergarten und Odonien für die richtigen Impulse gesorgt.
Nils, an dieser Stelle möchten wir gerne bei dir ansetzen. Du bist Mitgründer, Veranstalter und Resident-DJ von rheinrhythmik, einem Kollektiv, das seinen Schwerpunkt auf House und Minimal setzt. Vielleicht magst du uns eure Vision und Historie einmal vorstellen.
Nils Boshüsen: rheinrhythmik ist ein Kollektiv aus DJs, Produzenten und Freunden. Seit 2010 veranstalten wir Off-Location-, Open-Air- und Club-Events. Musikalisch sind vor allem Stripped-Back-House, Minimal-House, Micro-House, Tech-House und Minimal charakteristisch für unseren Sound. Während unserer Studienzeit erlebten wir das Kölner Nachtleben intensiv, stellten jedoch fest, dass uns musikalisch und atmosphärisch etwas fehlte. Wir hatten eine andere Vorstellung davon, wie sich eine Party anhören und anfühlen sollte. Daraus ist der Wunsch entstanden, etwas Eigenes zu machen. Der Fokus auf Off-Locations war uns besonders wichtig, auch legten wir viel Wert auf erstklassige Soundsysteme sowie die Integration von Visuals. Im Grunde waren wir eine Crew bester Freunde, die aufgelegt haben, viel Spaß hatten und einmal eine richtige Party in Köln schmeißen wollten. Nach unseren ersten Partys in der Kolbhalle begann eine aufregende Reise, die uns erst durch ganz Köln und Umgebung, später durch ganz Deutschland und Europa führte. Neben unserer Residency im Gewölbe und regelmäßigen Showcases in Berlin haben wir Partys in London, Amsterdam, Zürich und Istanbul gehostet und waren auf verschiedenen Festivals unterwegs.
Eure Bookings wirken ziemlich homogen und sorgfältig kuratiert. Die Crème de la Crème eures musikalischen Segments war bei euch zu Gast. Hast du einen Favoriten?
Nils Boshüsen: Einige unserer Highlights waren Ion Ludwig, Delano Smith, Nicolas Lutz, tINI, Fumiya Tanaka, Sweely, Traumer, Anthea, DJ MASDA, Sugar Free, Julian Perez, Enzo Siragusa, Ferro und zuletzt Quest, DJ TJIZZA und Munir Nadir.
Das Schöne an dieser Musikart ist, dass meist mit Platten aufgelegt wird und die Relevanz der Track-Selection eine viel größere Bedeutung genießt. Bucht ihr ausschließlich Vinyl-Artists?
Nils Boshüsen: Wir buchen ausschließlich Vinyl-Artists oder Live-Acts als Headliner. Künstler, die wir besonders schätzen und von denen wir wissen, dass sie zu rheinrhythmik passen. Oft sind es DJs, die wir selbst bereits live gesehen haben und unbedingt nach Köln holen möchten, um das musikalische Angebot hier zu bereichern. Da wir uns intensiv mit Musik beschäftigen, haben wir ein ganz gutes Händchen dafür, aufstrebende und talentierte Artists zu erkennen und zu buchen, bevor sie richtig durch die Decke gehen und dann meist unbezahlbar werden.
Eure Club-Heimat ist das Gewölbe, ihr veranstaltet allerdings auch Off-Location-Partys und Open-Airs. Gar nicht mal so einfach in Köln, oder? Ein paar Worte zu euren Aktivitäten in diesem Bereich?
Nils Boshüsen: Seit jeher ist es in Köln ein schwieriges und leidiges Thema. Einerseits ist das Angebot an möglichen Locations und ungenutzten Gebäuden oder Flächen begrenzt. Andererseits machen es einem die Behörden oder die Besitzer extrem schwer bis unmöglich, temporäre Zwischennutzungskonzepte oder langfristige Projekte umzusetzen. Diese Erfahrungen können sicher viele Kölner Crews und Veranstalter bestätigen. Neben unseren Nächten im Gewölbe hosten wir vierteljährlich den Wintergarten im Sisyphos in Berlin. Im Bereich der Off-Location Partys haben wir zuletzt den Tanz in den Mai in einer alten Fabrik im Kölner Süden zusammen mit unseren Freunden von Etage147 organisiert. Eines unserer coolsten Projekte war aber sicherlich die „Waschstraße“, für das wir eine alte Waschstraße in Köln in eine temporäre Off-Location verwandelt und dort legendäre Partys veranstaltet haben. Unter dem Namen „geheimrhythmik“ haben wir außerdem Open-Air-Partys veranstaltet, darunter viele (illegale) Open-Airs in Köln. Zuletzt haben wir diese im Bergischen Land auf einem alten Bauernhof veranstaltet und in einem angrenzenden Waldstück einen Floor im Festival-Look gebaut.
Wie schwer ist und war es, sich mit rheinrhythmik einen Nischenplatz in der hiesigen Szene zu erkämpfen?
Nils Boshüsen: rheinrhythmik ist als musikalische Ergänzung, vielleicht auch als Gegenentwurf zum damaligen Angebot in Köln, entstanden. Unsere Einflüsse kamen eher aus London und Berlin – wir wollten die Musik, den Sound und den Vibe dieser Partys und Clubs nach Köln bringen. Das kam gut an – von Anfang an waren unsere Partys sehr gut besucht und wir haben uns schnell einen Namen gemacht, was auch an dem persönlichen Einsatz und der Leidenschaft unserer gesamten Crew lag. Heute profitieren wir von der Reputation, die wir uns über die Jahre aufgebaut haben, aber wir müssen auch neue Gäste und jüngere Zielgruppen ansprechen. Deshalb entwickeln wir uns weiter und holen interessante Künstler nach Köln.
Eine feste Instanz im Techno-Segment ist die Veranstaltungsreihe Lichtblick, die primär im Odonien und im Artheater stattfindet. Im Fokus stehen Peaktime-, Melodic- und Hard-Techno. Daniel, seit wann bist du dabei?
Daniel: Bevor ich Lichtblick 2009 startete, habe ich bereits mehrere andere Veranstaltungsreihen in Köln kuratiert. Angefangen habe ich 2003. Die Szene war damals ganz anders und viel unprofessioneller. Sie hatte keinen Business-, sondern eher einen Piratencharakter und die Anzahl der Venues war vergleichsweise überschaubar.
Es war also schwieriger als heute, eine Partyreihe zu etablieren?
Daniel: Ja, auf jeden Fall. Es war viel umständlicher, regelmäßige Termine in Locations zu bekommen. 2004 hatte ich eine sehr erfolgreiche Party am Laufen, die zum damaligen Zeitpunkt im Stadtgarten stattfand. Ich musste über ein Jahr auf den nächsten Termin warten.
Du betreibst nicht nur die Lichtblick-Eventreihe, sondern auch das zweimal im Jahr stattfindende Ehrenfeld XL. Ein Kölner Club-Festival mit etlichen teilnehmenden Venues und einer bunten Genre-Palette. Machst du das Booking komplett eigenständig? Das klingt nach einer ziemlichen Herausforderung.
Daniel: Ja, das stimmt in der Tat. Ich buche alle Bausteine und Genres (mit Ausnahme von Drum ’n‘ Bass). Ich war schon immer ein Fan guter Musik, egal in welchem Genre, und kenne mich dementsprechend genug aus, um das Booking für 15 bis 20 verschiedene Genres machen zu können. Wenn man sich sein ganzes Leben mit Musik beschäftigt, kommt so etwas am Ende bei raus.
Hard-Techno und das Trance-Revival sind in Köln aktuell ziemlich präsent. Was haltet ihr von dieser Entwicklung und welche Auswirkungen hat das auf euch als Veranstalter? Wird man davon beeinflusst?
Marcel Janovsky: Es ist schwieriger geworden, gute Musik zu promoten. Nicht nur wegen anhaltender Trends, sondern auch weil die Aufmerksamkeitspanne durch Social Media sehr verkürzt wird. Musik, die sich ausschließlich über Drops, hohes Tempo oder gewaltig verzerrte Basskicks definiert, funktioniert in Kombination mit den entsprechenden Bildern enorm gut auf TikTok und Instagram. Deepness oder Minimal fordern dem Publikum eine gewisse Geduld ab und das lässt sich auf den heutigen Promotionkanälen nur sehr schwer überzeugend vermitteln. Das hängt auch mit der gebräuchlichen Audiowiedergabe über die Lautsprecher von Smartphones zusammen. Hard-Techno ballert auf jedem Handy, aber spiel den Leuten danach mal ein Snippet eines Ricardo-Villalobos-Sets in den Feed. Die (oft negativen) Kommentare belegen: Man sollte vor Ort gewesen sein, um zu verstehen, wie und warum solche Momente auf dem Dancefloor funktionieren, aber nicht auf dem Handybildschirm.
Was unsere inhaltliche Ausrichtung betrifft, haben wir durch unsere lange Geschichte vielleicht den Vorteil einer höheren musikalischen Bandbreite, die sich von House bis Techno erstreckt, z.B. mit einem Booking wie Cinthie, die in jedem ihrer Sets das Genre House definiert, bis Techno im Abrissbirnenmodus, wie ihn Berghains Boris seit Jahren bei uns spielt.
Nils Boshüsen: Das ist Geschmackssache – jede/r soll sein oder ihr Ding machen. Wir stehen anderen Sub-Genres der elektronischen Musik und Musik allgemein aufgeschlossen und neugierig gegenüber. Ob sie uns auch gefallen, ist eine andere Frage.
Ich denke, solche Mainstream-Entwicklungen haben auch eine positive Filterfunktion und können junge Menschen an elektronische Musik heranführen. Etwas kritisch sehe ich die Tik-Tok-isierung des Technos. Einerseits die Entwicklungen im Bereich Social Media, auch in Verbindung mit Bookings – wo Content, Likes und Reichweite wichtiger erscheinen als die Qualität der Musik. Andererseits gehören Handys für uns einfach nicht auf einen Floor.
Daniel: Lichtblick ist ein Kollektiv bzw. Freundeskreis. Wir spielen auf unseren Veranstaltungen entsprechend das, was wir musikalisch fühlen. Mit Alchemiah, Cay, Kos:mo, Noazem und Patrik Berg habe ich fünf Residents mit verschiedenen Stilen, an denen sich unser Sound orientiert. Glücklicherweise scheint es da draußen noch andere zu geben, die unseren Geschmack teilen, sodass wir auch nach 15 Jahren immer noch Partys machen können.
Hard-Techno ist vor allem bei Alchemiah und Noazem auf Anklang gestoßen, aber auch hier muss man differenzieren. Dieser „Last Day On Earth“-Vibe ist beispielsweise gar nicht unser Ding. Wir stehen eher für Liebe und Gemeinschaft. Trends kommen und gehen und ein jeder muss für sich entscheiden, ob es ihm zusagt oder nicht. Hard-Techno und Trance machen wahrscheinlich aktuell zwei Drittel der Veranstaltungen aus, in zwei Jahren wird die Verteilung aber auch wieder anders sein.
Abgesehen von den musikalischen Präferenzen kann man sich in Köln nicht über einen Mangel an Clubs beschweren. Mit dem Fi hat erst kürzlich ein neuer Laden aufgemacht und auch das Kollektiv von krakelee plant einen Club. Verträgt Köln denn überhaupt noch mehr Clubs oder belebt die Konkurrenz in diesem Fall das Geschäft?
Marcel Janovsky: Ich habe kürzlich das erste Mal im Fi gespielt und muss den Kolleginnen und Kollegen dort ein großes Lob aussprechen. Das Fi hat ein tolles Team und Köln einen solchen Club hinzustellen, welcher augenscheinlich ein enorm hohes finanzielles Investment vermuten lässt, ist pure Heimatliebe. Generell bin ich der Auffassung, dass eine gesunde Mitbewerberschaft gute Impulse hervorbringt. Ich glaube, wir sind hier in Köln recht umgänglich im Miteinander. Wenn man jahrelang in anderen Städten aufgelegt hat und viele Geschichten der örtlichen Promoter beim Dinner erzählt bekommt, weiß man Köln zu schätzen. In vielen Städten herrscht ein regelrechter Krieg unter Promotern.
Daniel: Diversität ist gut und jeder neue Laden ist immer eine Bereicherung, weil er Menschen Optionen bietet, sich künstlerisch zu verwirklichen. Wenn die Stadt ihre Förderungen sinnvoller verteilen würde und nicht eine Milliarde Euro in die Oper investieren würde, könnte aus Köln ein zweites Berlin werden. Die Kulturszene hier ist unfassbar kreativ und ambitioniert, erhält im Gegenzug aber leider wenig Unterstützung. Das macht sich natürlich auch in der elektronischen Musik bemerkbar. Sehr schade.
Ein guter Zeitpunkt, um dich ins Boot zu holen, Anna. Du bist in der Kölner KLUBKOMM tätig. In welchen Tätigkeitsfeldern seid ihr aktiv?
Anna Harnes: Die KLUBKOMM ist ein Zusammenschluss aus etwa 100 Mitgliedern aus den verschiedensten Bereichen, die Kölns bunte Musik- und (Sub-)Kultur widerspiegeln. Der Verband engagiert sich seit 2010 für Förderungen und den Erhalt der Kölner Spielstätten und Kulturflächen. Die Themen, die wir behandeln, sind ebenso breit gefächert: von GEMA und Fördergeldern über steuerliche Fragen wie beispielsweise der Vergnügungssteuer bis hin zu Safer-Nightlife-Themen, Nachhaltigkeit und Nachwuchsförderung, aber auch Beratungen bei der Erschließung und Genehmigung neuer Veranstaltungsorte – um nur einige Beispiele zu nennen.
Zu Corona-Zeiten habt ihr ein kostenloses Corona-Beratungsangebot ins Leben gerufen. Wie geht es den Clubs in Köln rund anderthalb Jahre nach der Pandemie?
Anna Harnes: Laut einer Studie der Liveinitiative NRW befinden sich 77 Prozent der Clubs in finanziellen Schwierigkeiten, ein Drittel davon in existenzbedrohendem Maße. Viele Clubs kämpfen immer noch mit den Altlasten aus der Corona-Zeit, wie etwa Rückzahlungen von Corona-Hilfen, Personalmangel und dem deutlich merkbaren Besucher*innen-Rückgang von ca. 20 Prozent. Hinzu kommen die gestiegenen Kosten für Waren, Produktionen, aber auch Gagen. Viele kleine und mittlere Künstler*innen leiden ebenso darunter wie die Clubs. Tourneen kosten auf einmal das Doppelte. Jungen Nachwuchskünstler*innen regelmäßig eine Bühne zu bieten, kann sich kaum noch jemand leisten, das Risiko ist zu groß, dass die Einnahmen für den Monat nicht die Ausgaben decken werden. Diese Entwicklung bereitet vielen Clubs und Kulturschaffenden Sorge, denn sie verändert die Musiklandschaft langfristig – Kunst und Kultur sollten nicht unter dem stetigen Druck der Wirtschaftlichkeit stehen. Hier geht etwas Existenzielles verloren.
Hast du einen Lieblingsclub?
Anna Harnes: Die 2011 geschlossene Papierfabrik in Ehrenfeld – hier wurde für eine kurze Zeit sehr deutlich, welches kulturelle Potenzial große leerstehende Flächen haben können. Pulsierende Kulturorte wie dieser haben eine besondere Anziehungskraft. Sie bieten Raum für Utopien und Experimente, vereinen diverse Subkulturen und bereichern so die Entwicklung der Kölner Szene. Ich hoffe sehr, dass in den nächsten Jahren wieder Räume dieser Art erobert und gestaltet werden.
Marcel attestierte der Kölner Szene bereits einen starken Zusammenhalt. Sollte es dennoch mal zu einem Konflikt kommen, wie wird dann damit umgegangen?
Anna Harnes: In einer lebendigen, vielfältigen Stadt wie Köln gibt es natürlich auch vielfältige Interessen und somit auch Interessenskonflikte. Von Schallemissionen über baurechtliche oder stadtplanerische Themen bis hin zur Gestaltung kultureller Angebote im öffentlichen Raum – für ein gutes Miteinander braucht es den Diskurs. In diesen Fällen kann die KLUBKOMM mit ihren verschiedenen Experten beratend tätig werden, aber auch als Moderator fungieren, um so Prozesse mitzugestalten und voranzutreiben.
Ein leider immer wieder aufkommendes Thema ist die Problematik rund um Sexismus, Rassismus und Diskriminierung. Auch hiermit setzt sich die KLUBKOMM auseinander. Wie sieht eure Arbeit in diesem Bereich aus?
Anna Harnes: Als KLUBKOMM haben wir vor zwei Jahren den Arbeitskreis „Safer Nightlife“ gegründet, der von Roxi Lofcali geleitet wird. Der Arbeitskreis beschäftigt sich mit den Themen Diversität, Awareness, Inklusion/Barrierefreiheit, Türpolitik/Anti-Diskriminierung, Safer Drug Use und Mental Health im Nachtleben und der Clubkultur. Hier geht es besonders darum, ein Bewusstsein für verschiedene Perspektiven und Bedürfnisse zu schaffen und eine offene, selbstbestimmte und inklusive Clubkultur zu fördern. Ziel ist es, gemeinsam mit Mitgliedern, Kultur-/Club-Akteur*innen, Expertenrunden, Aktivist*innen und betroffenen Personen die einzelnen Themengebiete zu bearbeiten und sie sichtbarer zu machen. Dafür kooperieren wir mit verschiedenen lokalen und überregionalen Initiativen und organisieren regelmäßig Workshops und Schulungen für Clubbetreibende, Veranstaltende und Mitarbeitende, um sie für die Themen zu sensibilisieren.
Bezüglich dieser Thematik muss man sicherlich auch einen Blick auf die Türpolitik in den Kölner Clubs werfen. Diese fällt vergleichsweise recht locker aus. Würde ein wenig Selektion an der Tür so mancher Party vielleicht guttun?
Anna Harnes: Die Türpolitik ist hier in der Tat recht locker, was zu einer offenen und vielfältigen Atmosphäre beitragen kann. Andererseits kann eine etwas strengere Selektion dafür sorgen, ein sicheres und angenehmeres Umfeld zu schaffen, indem Personen, die potenziell problematisches Verhalten zeigen, von vorneherein ausgeschlossen werden. Natürlich muss eine selektive Türpolitik sensibel und fair umgesetzt werden, um nicht selbst diskriminierend zu wirken. Wichtig ist, klare Kriterien zu haben und transparent zu kommunizieren, warum bestimmte Maßnahmen ergriffen werden. So kann eine Balance zwischen Offenheit und Schutz erreicht werden. Die Entscheidung für oder gegen eine stärkere Selektion sollte aber immer den Veranstaltenden bzw. den Clubs überlassen werden.
Marcel Janovsky: Auch wenn ich generell eher eine liberale Türpolitik bevorzugen möchte, tendiere ich persönlich für eine selektive Tür, denn die 90er sind lange vorbei und in der heutigen, kommerzialisierten Clublandschaft hast du eben nicht mehr nur Clubber und Raver in der Warteschlange. Berlin hat durch die historische Anziehungskraft und den Tourismus natürlich mehr Druck auf der Tür. Sorting muss man sich auch leisten können.
In Köln braucht es eurer Meinung nach mehr …?
Marcel Janovsky: Regelmäßige Locations, in denen halb-draußen, tagsüber bis abends legal und betriebssicher bei guter Beschallung getanzt und gefeiert werden kann. Etwas in der Dimension wie der Berliner Club der Visionäre. Eine Terrasse mit einem Häuschen, einer Bar und mit einer guten, druckvollen Beschallung, die niemanden im Umkreis stört und wo man nicht ständig fürchten muss, dass das Ordnungsamt oder die Polizei den Spaß jeden Moment beenden könnte.
Nils Boshüsen: Mehr Off-Locations, mehr Open-Air-Flächen, mehr neue Clubs wie das Fi und allgemein mehr Freiräume für Musik-, Kunst- und Kulturschaffende jeder Art.
Daniel: Freiräume der Stadt und Behörden. Die Kölner Kreativ-Szene wäre extrem potent, wenn ähnliche Bedingungen wie beispielsweise in Berlin vorherrschen würden. Es gibt sehr viel ungenutztes Potenzial.
Anna Harnes: Nachwuchs Akteur*innen, die sich aktiv für die Clubkultur und ihre Themen einsetzen möchten.
… und weniger?
Marcel Janovsky: Veranstalter mit Meta-Werbeanzeigenmanager-Abitur.
Nils Boshüsen: Verbote, Auflagen und Restriktionen durch Behörden und Verwaltung.
Daniel: Das sollen eher die Gäste entscheiden.
Anna Harnes: „Aber …“