Psytrance beziehungsweise Goa-Trance ist ein buntes, facettenreiches Genre – und mit Daksinamurti konnten wir einen Vertreter der etwas härteren, psychedelischeren Gangart für ein Interview gewinnen. Hinter diesem Namen steckt der DJ, Musiker und Ethnologe Till Kuhn aus dem hessischen Marburg an der Lahn. Seit 2011 führt er das Label Sangoma Records, das sich durch hochwertige Veröffentlichungen mit Liebe zum Detail auszeichnet und das deepere Spektrum dieses Genres bedient.
Als DJ hat Till sich über die Jahre einen Namen gemacht, heute ist er einer der meistgebuchten DJs der Psytrance-Szene. In den etwa 18 Jahren seiner bisherigen Karriere hat Daksinamurti in über 40 Ländern gespielt, unter anderem auf Festivals wie dem Boom Festival (Portugal), dem Ozora (Ungarn), Modem (Kroatien), Universo Parallelo (Brasilien), Antaris und der Fusion (Deutschland).
Till, warum bist du DJ geworden?
Ja, es ist ein bisschen mehr Berufung als Beruf. Was ich tue, mache ich vorwiegend aus Liebe zur Musik. Im Jahr 1996, mit zarten 14 Jahren, war ich auf dem Burg Herzberg Festival und kam so mit psychedelischer (Rock-)Musik wie Hawkwind und Gong in Berührung. Diese Verbindung zur Hippie-Kultur war es auch, was mich 1999 nach Goa brachte, wo ich bei einer Party am Strand zum ersten Mal Psychedelic Trance – damals noch Goa-Trance – hörte. Diese Musik hat mich von da an nicht mehr losgelassen.
Meine Jugend verbrachte ich im hessischen Fulda, wo es keine Szene gab. Mit einer Handvoll Freunden habe ich angefangen, kleinere Indoor- und Outdoor-Events zu veranstalten. Im Jahr 2000 war ich auf meinem ersten Voov Experience Festival, der „Mutter der Psytrance-Partys in Deutschland“, in Husum. Ende 2000/2001 stand ich dann auf einer Party von uns in der Kaserne eines ehemaligen US-Militärflughafens hinter Turntables und später CDJs. Da es niemanden in meiner näheren Umgebung gab, habe ich mir das Mixen auf zwei Discmans selbst beigebracht. Produziert habe ich erst viel später, was mir aber eine total neue Perspektive auf Musik an sich gegeben hat. 2012 fing ich an, mit einem Freund Musik zu machen, 2014 habe ich mit ihm als Android Spirit ein Album und zwei EPs herausgebracht. Seit letztem Jahr habe ich nun endlich mein eigenes Studio zu Hause.
Wie kam es dazu, dass du gleich zu Beginn in Indien aufgetreten bist?
Nach meinem ersten Indienaufenthalt folgten viele weitere in den Jahren darauf. Hier war es für mich leichter, an Gigs zu kommen, was auch daran lag, dass fast jeden Abend etwas los war und man von der Mentalität her dort eher aufgeschlossener ist. In Deutschland war es deutlich schwerer, Fuß zu fassen, da die damals etablierten Veranstalter und DJs ihren Kuchen ungern teilen wollten. Am Ende bin ich dankbar dafür, dass ich mir das, was ich heute genieße, selbst erarbeitet habe – auch wenn es eine harte Schule war. Ich kann anderen „Frischlingen“ nur raten, es mit harter Arbeit auf musikalischer Ebene, Geduld, Qualität, Professionalität und Eigeninitiative zu versuchen statt mit MP3-Traktorsets, Twitter, Instagram und massenhaft Spam-Posts.
Warum Psytrance und nicht Proggy?
Als ich anfing, auf Partys zu gehen, war Progressive in Deutschland die dominante Musikrichtung. Leider wurde das schnell zum Synonym für Langeweile – immer minimalistischere Sets und DJs, die alle die gleichen Tracks gespielt haben. Es ist nicht so, dass es für mich keine gute Progressive-Musik gab. Vor allem Flying Rhino, Spirit Zone und auch Spiral Trax haben damals sehr frische Musik herausgebracht und Künstler wie Atmos und Son Kite aka Miniloge funktionieren auch heute noch wunderbar. Jedoch gibt es auch musikalische Entwicklungen, die den Titel „Progressive“ nicht wirklich verdienen und eher auf leichte Unterhaltung mit Animateur ausgelegt sind. Für mich bleibt psychedelische, ekstatischere Musik mit Tiefgang interessanter.
Was war dein schönster Moment auf der Bühne?
Ich hatte viele schöne, magische, aber auch unschöne Erlebnisse. Diejenigen, die in Erinnerung bleiben, entstehen oftmals, wenn man eine längere Spielzeit hat. Man kann sie nicht durch einstündige Sets erzwingen. Ein gutes DJ-Set ist auch immer eine Geschichte, die Zeit braucht, um ihre Wirkung zu entfalten. Ich spiele gerne von der Nacht in den Morgen – ein Sonnenaufgang kann so zu einem mystischen Erlebnis werden. Persönliche Highlights gab es viele, dazu zählen unter anderem das Boom Festival 2012 und 2018, mein erster Auftritt auf dem Ozora Festival 2015, Antaris 2007 sowie Events in Japan, Südafrika und Nepal. Schöne Momente entstehen, wenn man über sich hinauswächst, ohne den Kopf im Weg zu haben, wie in Trance eins wird mit der Musik, der Umgebung und dem Publikum.
Du hattest 2008 deine erste Veröffentlichung auf Shiva Space Technology. Was bewegte dich dazu, Sangoma Records ins Leben zu rufen?
Sangoma habe ich 2011 mit meinem Partner Emiel gegründet und wir haben mittlerweile über 65 Releases, davon sind etwa die Hälfte CDs – Vinyl ist für Psytrance leider nicht mehr existent. Über die Jahre habe ich für verschiedene Labels gearbeitet und Erfahrung sammeln können. Bei der Gründung des Labels war es unsere Motivation, Musik, die uns gefällt, selbst herauszubringen und somit auch Kultur zu schaffen.
Wie wird Psytrance in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Ich denke, es gibt viele falsche Vorurteile gegenüber dieser Musik und elektronischer Musik generell. Vieles wird in der Öffentlichkeit auf Drogen reduziert – ein erbärmlicher Versuch, etwas zu erklären und zu entwerten, was man selbst nicht versteht und was über den eigenen Horizont hinausgeht. Speziell die Psytrance-Szene hat viele begnadete Künstler und Musiker und die Atmosphäre auf vielen Festivals – nicht auf allen – spricht für sich. Die Musik in den Top 100 von Beatport ist alles andere als repräsentativ für das, was hier wirklich los ist.
Wie bist du zu FM Bookings gekommen?
Mit FM Bookings arbeiten ich und andere Sangoma-Artists exklusiv für Israel. Ansonsten manage ich meine Bookings vorwiegend selbst und behalte dadurch die volle Kontrolle darüber, auch wenn es viel Zeit kostet und viel Logistik ist. Zu FM Bookings besteht seit mehreren Jahren ein freundschaftlicher Draht. Vor allem Raz und Yoni (Ace Ventura) sind passionierte Supporter unseres Labels.
Womit arbeitest du im Studio?
Ich arbeite vorwiegend mit Logic. In Sachen Hardware bin ich mit einem Virus TI Snow, Novation Peak, Roland TB-03, Behringer Neutron und Model D ausgestattet, aber meine Wunschliste ist lang …
Was können wir 2019 von dir erwarten?
2019 geht los mit dem Experience Festival in Thailand. Ende Januar kommt die Doppel-CD-Compilation „Sangoma Sound System II“ raus, die ich mit meinem Labelpartner Emiel gemacht habe. Geplant sind außerdem eine EP und Ende des Jahres mein Soloalbum. Ich freue mich auf zahlreiche Auftritte wie auf dem Ozora Festival in Ungarn – für mich ein persönliches Highlight!
Wer beziehungsweise was inspiriert dich?
Meine Familie, Begegnungen, Natur, Reisen, Freunde, Bücher, Filme, Musik. Auch geistiger Input ist wichtig. Was mich sicherlich auch stark inspiriert hat, sind mein – übrigens abgeschlossenes – Ethnologie-Studium und viele Themen und Fragestellungen, die den Menschen und dessen Vorstellungen und Handeln betreffen, wie Kultur, Kosmologien, Rituale, Mythologien etc. Wir leben heute in einer Welt, die zugänglicher ist als je zuvor, mit allen Vor- und Nachteilen. Wir haben ganz andere Möglichkeiten als unsere Eltern oder Großeltern. Ich habe Freunde und Bekannte weltweit, mit denen ich trotz der Distanz und dank der Technologie wunderbar in Kontakt bleiben kann. Trotz der vielen Probleme, schlechter Nachrichten und negativer Entwicklungen bin ich optimistisch und glaube an das Gute in den Menschen.
Aus dem FAZEmag 084/02.2019
Text: Jeanette Leiendecker
www.sangomarecords.com