„Das nette Label aus der Nachbarschaft“– zehn Jahre Delude Records

 

 

Gegründet wurde Delude Records im Jahr 2011, genauer gesagt am Montag des 18. April in Berlin, von Ronny Heinze, besser bekannt als Tom Almex. Somit feiert das Label in diesem Monat sein zehnjähriges Jubiläum. In dieser Zeit formte sich eine Art fester Künstlerstamm um das Label, der dabei zwischen Techno und verschiedenen Stilen wie Minimal sowie Tech-House changierte. Mittlerweile ist Delude weit über die Grenzen der Republik bekannt und genießt internationale Reputation. Seinen ehrlichen, bodenständigen Charakter hat das Imprint im Laufe der Jahre nie aus den Augen verloren. Vielmehr ist Delude, trotz seiner Erfolge, nach wie vor „das nette Label aus der Nachbarschaft“, wie Almex es beschreibt.

 

Tom, wie bist du zur Musik gekommen und wer/was hat dich dabei besonders beeinflusst?

Als Kind der 80er-Jahre wurde ich von diversen Sounds beeinflusst. Disco fand ich spannend und Hip-Hop interessant, jedoch prägte mich die Popmusik mit den Sounds von Depeche Mode, New Order und den Pet Shop Boys sehr. Mich haben immer die damals legendären Maxi-Singles begeistert. Ich war fasziniert von Synthesizer-Sound und elektronischen Elementen. Zu Techno selbst kam ich aber relativ spät, Ende 1993 ungefähr. Zur selben Zeit habe ich mir damals ein gebrauchtes Mischpult und zwei Plattenspieler zugelegt und losgelegt. 1998 folgte Software ReBirth RB-338, damit habe ich dann begonnen zu experimentieren. Damit konnte man damals relativ leicht einen Track produzieren. 2002 kam meine Tochter zur Welt und ich ging in meiner Vaterrolle total auf. Aber Kinder werden ja größer und der persönliche Freiraum damit ebenso, und so habe ich 2010 angefangen, mich wieder bzw. weiter mit Techno auseinanderzusetzen. Meine ersten Tracks habe ich dann auf YouTube hochgeladen, um erste Reaktionen auszutesten. Es hat vielen Leuten gefallen, was ich gemacht habe und man tauschte sich untereinander aus. Daraus entstand dann die Idee zu einem Label, zumal mir der Gedanke gefiel, auch anderen Künstler*innen und ihrer Musik die Möglichkeit zu geben, sich der Welt zu präsentieren. Delude Records war somit geboren.

Jetzt feiert ihr Zehnjähriges, Gratulation dazu. Wie rekapitulierst du die Zeit vom ersten Release bis heute?

Wenn ich heute so auf die letzten zehn Jahre zurückschaue, muss ich feststellen, dass ich nur gewonnen habe. Am Anfang sehr holprig, etwas unbeholfen und vom Musikvertrieb absolut keine Ahnung, stürzte ich mich damals in ein Abenteuer. In dem Musikvertrieb Feiyr.com fand ich aber recht schnell einen Partner, mit dem ich unheimlich schnell ein Gefühl sowie Know-how für die Musikbranche bekam. Das Label hat sich in den ersten Jahren mit vielen Künstler*innen entwickelt. Nicht nur in der Berliner, sondern auch in der deutschen und internationalen Techno-Szene etablierte es sich mit der Zeit. Ich bekomme mittlerweile Demos aus der ganzen Welt. Somit denke ich, kann ich nicht sonderlich viel falsch gemacht haben (lacht). Durch die enge Zusammenarbeit mit Deejay.de ist es für uns auch möglich geworden, Vinyl zu produzieren. Jetzt weiß ich, wie viel Arbeit hinter so einem Release steckt und weiß dies extrem zu schätzen. Genauso wie die Gemeinschaft, die in dieser Zeit innerhalb des Labels entstanden ist.

Was macht für dich die Identität des Labels aus?

Wir stehen für ausgewogene Techno-Musik samt der Subgenres Minimal-Techno und Tech-House. Delude Records steht für musikalische Freiheit der Künstler*innen, realen Techno und die Community innerhalb der Künstler*innen. Kein Fake-Gepushe für kurzweiligen Chart-Erfolg. Ich würde sagen, wir sind trotz allem das nette Label aus der Nachbarschaft. Ich schreibe den Künstler*innen nicht vor, was sie zu machen haben. Es sind eher die kleinen Ratschläge und Tipps, welche ich an sie weiterleite, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Manche Leute sagen, der Sound des Labels sei zu breit gefächert. Das sehe ich allerdings nicht so und dabei fällt mir immer wieder das Zitat eines Musikfreunds des Labels ein: „Man kauft eine Delude-Platte nicht wegen einem oder zwei Tracks. Auch wenn die Richtungen manchmal etwas verschieden sind, überzeugt tatsächlich jeder Track für sich. Meiner Meinung nach eines der zurzeit besten Techno-Labels.“ Solche Aussagen erfüllen einen selbstredend mit Stolz.

Welche Meilensteine haben in deinen Augen besonders dazu beigetragen?

Die erste Vinyl „Hell Beats“ von mir kam 2012 auf den Markt und erreichte Platz 1 der Sales-Charts bei Deejay.de. Kurz darauf organisierte ich die erste Labelnacht, die sogenannte Delude Night. Dort konnte ich den Künstler*innen eine Bühne geben, die Musik bekam plötzlich Gesichter. Höhepunkte waren Vinyl-Releases z.B. „Tanzdrang“ von Felix Bernhardt zusammen mit Sven Sossong in 2014, sowie das Label Crossover mit Teja im Jahr darauf mit einem Event in Berlin. Hefty aus London hat 2015 seine erste Vinyl bei uns veröffentlicht. Im Jahr 2016 habe ich mit Patrick Arbez zusammengearbeitet und sein drittes Studioalbum „Schwarze Messe“ als 3er-Vinyl im Doppelcover veröffentlicht. Das waren aufregende Zeiten, zumal ich so etwas vorher noch nie gemacht hatte. Meine Überzeugung für Patrick ließ mir aber praktisch keine andere Wahl. Das Album landete dann schlussendlich auf Platz 1 der Buzz-Charts bei Deejay.de. Mein Track „Pain“ erschien ebenfalls auf Vinyl und wurde hier bei Faze mit 10 von 10 Punkten bewertet. Insgesamt sind aber alle 100 Digital- sowie 26 Vinyl-Releases ein Puzzlestück von Delude, auf die ich gerne zurückblicke.

Wie hast du dich als Person und als Künstler dabei entwickelt?

Man reift und wächst mit der Zeit, in beiden Bereichen. Ich bezeichne mich mit meinen 46 Jahren auch gerne als „Label-Vati“. Auf künstlerischer Ebene habe ich in den letzten Jahren meinen Stil gefunden, Produktionen hören sich runder und voller an. Früher wollte ich immer alles schnell erledigt haben, heute liegt ein Track halt einen Monat, bis er fertig ist. Den Ausgleich zu vielen musikalischen Ideen gebe ich nach wie vor gerne an mein Pseudonym Paul Sim ab. Dieses Alias hat auch musikalisch die Krise rund um Corona 2020 in dem Album „Lost“ verarbeitet.

Wie zelebrierst du dieses Jahr – trotz der aktuellen Entwicklungen – gebührend?

Durch die anhaltende Pandemie wird es leider keine Geburtstagsfeier im Rahmen einer Delude Night geben. Darum habe ich mir gedacht, das Jubiläum mit einer Compilation zu feiern. Das Release wird gespickt sein mit neuen Tracks der Wegbegleiter des Labels. Es vereint sich quasi die Crème de la Crème der letzten zehn Jahre. Das Release wird noch in diesem Frühjahr in allen digitalen Shops erhältlich sein.

Im letzten Jahrzehnt hat sich die Szene gefühlt mehrfach gewandelt und zunehmend digitalisiert. Wie macht sich das bei Delude bemerkbar?

Man muss definitiv am Puls der Zeit bleiben und in den gängigen sozialen Netzwerken und Plattformen aktiv sein, um mit Fans, aber auch Künstler*innen zu agieren. Social Media hat sehr stark zur Entwickelung des Labels beigetragen. Es wird gefühlt immer einfacher, weltweit mit Leuten der Techno-Szene zu kommunizieren und sich auszutauschen. Man bekommt langsam den Eindruck, dass selbst Downloads bald der Vergangenheit angehören und sich alles immer weiter gen Streaming-Dienste wendet und dort die Monetarisierung stattfindet. Dennoch ist und bleibt Vinyl ein nicht wegzudenkendes Medium für uns, zumal es sich ja seit geraumer Zeit wieder großer Beliebtheit erfreut. Wir müssen als Label dem Kunden gegenüber breit aufgestellt sein, um in dieser schnelllebigen Zeit zu bestehen.

Wirkt sich die aktuelle Situation rund um Covid-19 sehr auf das Label aus?

Nunja, unser aller Leben hat sich enorm verändert. Man muss mit Einschränkungen leben und momentan in vielen Bereichen Verzicht üben. Persönlich trifft es mich allerdings nicht so hart, da ich in einem normalen Angestelltenverhältnis arbeite und so mein Leben finanziere. Beim Label spürt man die Krise etwas deutlicher, Verkaufszahlen sind zurückgegangen, sowohl im digitalen als auch im analogen Bereich. DJs kaufen – neben Privatpersonen – unsere Musik digital oder auf Vinyl. Haben diese durch Covid-19 keine Einkünfte mehr, geben sie dementsprechend auch weniger Geld für Musik aus. Aber wir sind zuversichtlich für die Zukunft.

Wie sieht deine Vision für Delude Records aus, sowohl kurz- als auch langfristig?

Meine Wunschvorstellung ist, mit allen Künstler*innen das zehnjährige Jubiläum mit einer Labelnacht nachzuholen. Auf lange Sicht würde ich gerne den Fokus wieder auf das Wesentliche richten, wofür Delude gegründet wurde, nämlich, junge Künstler*innen zu fördern. Meine realistische Vision für das Label ist relativ bescheiden. Ich wünsche mir weiterhin einen gesunden Mix aus bekannten Künstler*innen und neuen Talenten, die das Label weiterentwickeln und voranbringen. Ein Traum wäre es natürlich, irgendwann einmal zu den Top-20 der deutschen Techno-Labels zu gehören (lacht).

 

 

Aus dem FAZEmag 110/04.2021
Text: Triple P
www.facebook.com/deluderecords
Fotos: Privat