Das Publikum aus DJ-Sicht – die Kolumne von Marc DePulse

Das Publikum aus DJ-Sicht
Das Publikum aus DJ-Sicht

Wenn man so Woche für Woche durch die Städte und Clubs dieser Welt zieht, dann begegnen einem schon die komischsten Leute. In letzter Zeit wurde ich immer mal wieder gefragt, wie ich mir das „perfekte Publikum“ vorstelle. Na klar, die Antwort ist eigentlich leicht: geil wäre es, wenn die Bude aus allen Nähten platzt, wenn alle kollektiv ausrasten würden und sich jeder lieb hat. Aber natürlich ist das leichter gesagt als getan. Wie also generiert man ein gutes Publikum? Am Einfachsten wahrscheinlich mit dem Ausschlussprinzip: Leute draußen lassen, mit denen keiner zusammen feiern möchte.

Szenenintern unterscheidet man zwischen guten und schlechten Clubs. Das hat meist weniger mit der Einrichtung oder der Anlage zu tun, sondern viel mehr mit dem Image, was ein Club durch sein Publikum bekommt. Betreiben die Clubs am Einlass keine strenge Selektion und lassen die augenscheinlich schwarzen Schafe alle rein – hauptsache sie zahlen Eintritt – dann wendet sich schnell das Blatt der Beliebtheit und innerhalb kürzester Zeit bekommt man von vielen Seiten zugetragen: „spiele dort mal lieber nicht“, denn da wurde wohl sinnbildlich verbrannte Erde hinterlassen. Ich denke jeder von euch weiß genau was ich meine bzw. kennt ein Beispiel aus seinem eigenen Feier-Umfeld.

Es ist ein schmaler Grat: Natürlich freut sich der Veranstalter über jeden zahlenden Gast, aber eine gesunde Selektion ist keine Diskriminierung sondern einfach nur ein völlig normaler Prozess. Und er ist so verdammt wichtig. Diesen einen Schritt zurück zu gehen (auf Geld kurzfristig zu verzichten) bedeutet wiederum zwei Schritte nach vorn zu machen – nämlich die Leute nachhaltig für sich und seine Events zu gewinnen. Denn keiner hat Lust auf pöbelnde Gäste, die sich selbst nur am Nächsten sind. Keiner will Leute im Club haben, die ab einem gewissen Pegel einfach nur noch aggressiv sind und ihre gute Erziehung vergessen (sofern sie eine hatten).

Natürlich spielt das Erscheinungsbild auch eine Rolle, denn weiße Stiefel trägt bekanntlich nur der Sandmann. Genauso fehl am Platze sind Jogginghosen und Fantrikots vom jeweiligen Lieblingsverein. Außer es ist vielleicht gerade WM und es ist cool ein Deutschland-Trikot zu tragen. Coolness hört aber auf, wenn der gerade 18 gewordene Pickel-Peter mit seinem Ultras-Eintracht-Shirt „Euer Hass ist unser Stolz“ vor dem Pult abspackt oder wenn der aufgepumpte Muskel-Mario seine politische Gesinnung unters Volk bringen möchte á la „Wir sind der nationale Widerstand“. Nein, das will kein Mensch im Club sehen. Und auch auf keinem Festival und ach überhaupt: nirgendwo!

Wir haben ja schon häufig feststellen müssen, dass auf eine Innovation meist eine große Reihe billiger Imitate folgt. Generation YOLO lässt grüßen. Seit Berlin´s Hippster-Kultur am Aufblühen ist, kann man Woche für Woche beobachten, wie schlecht sich die billigsten Kopien ständig aufs Neue übertreffen. Als DJ hast du jede Woche natürlich ein unglaubliches Privileg: du kannst nämlich vergleichen! Und dir selber deinen Teil dazu denken. Zwischen wirklich cool sein und nur einem Trend zu folgen ist halt noch ein großer Graben. Hinter dem Pult bekommst du davon natürlich nicht viel mit, aber dein DJ-Dasein beschränkt sich ja nicht nur auf deine 2 Stunden Playtime sondern auf all das, was du drumherum aufschnappen kannst.

Aber zurück zum Gig. Ihr alle habt sie schon einmal erlebt. Die typischen Fragen, die jedem DJ begegnen: „Gibst du mir mal meine Jacke?“ – „Kannst du mal auf meine Handtasche aufpassen?“ – “Hast du was zum ziehen?” – „Kann ich auch mal einen Track mixen?“ – „Kannst du mal den zweiten Track von meinem Stick spielen? Das ist mein Lieblingslied!“. Am Fantastischsten sind eigentlich die Leute, die dich einfach voll quatschen während du die Kopfhörer auf den Ohren hast. Ich meine, jedes Kind weiß: wenn man Kopfhörer trägt und Musik hört, dann versteht man nicht viel von seiner Umgebung. Merke: der DJ kann dich nicht hören, wenn die Muschel auf dem Ohr sitzt.

Okay, wie bekomme ich jetzt wieder den Bogen zu dem „Gutmenschen“? Ach ja: Feiern kann man am Besten gemeinsam und nicht jeder für sich alleine. So entstehen ja auch die lustigsten und schönsten Kontakte. Aber die aalglatten Leute sind es nicht, die einen im Nachhinein Geschichten erzählen lassen – nein, es sind die schrägen und gleichsam auch sympathischen Vögel, die im Kopf hängen bleiben. Hier mal ein Auszug, wem ich über die Jahre schon begegnet bin:

– Der Saufkumpan: Der Unbekannte, der die Shots ungefragt ans Pult bringt und meint, jetzt mit dir einen trinken zu müssen. Naja okay, ich hab manchmal schon eine kleine Ja-Nein-Schwäche, wirklich kritisch wird es dann allerdings, wenn man zu viel von den kleinen Stoßgetränken durcheinander trinkt. Der nächste Tag lässt grüßen. So sehr ich Katzen liebe, aber Kater sind ganz furchtbar!

– Der Ghetto-Fäustling: Er steht während deines gesamten Sets vor dir und muss in der Zeit mindestens 20 mal mit dir „abfausten“. Okay, zugegebenermaßen: ich mag ihn. Er ist pflegeleicht.

– Der Dauer-Shazamer: „Ey DJ, von der ersten Stunde habe ich fast alle Tracks gefunden, aber welcher war denn das bei Minute 72?“ – „Klar, warte, ich spule nochmal zurück.“

– Der Aus-dem-Takt-Klatscher: Oh ja, der böse Freund vom DJ. Wehe er macht das während eines Breaks und man lässt sich dabei erwischen, auch noch falsch mit zu klatschen. Könnte peinlich werden wenn die Kick wieder einsetzt.

– Der gar-nichts-Blicker: Der ganze Club tobt, schreit, jubelt, pfeift und tanzt sich die Füße wund und dann kommt ER zum Pult: „Ey was du hier spielst ist scheiße, das will doch gar keiner hören. Kannst du nicht mal richtig Techno auflegen???“

– Die Spaßbremse: die Tanzfläche ist voll, alle Arme sind oben, die Kick setzt ein und alle flippen aus. Nur einer nicht. Der Typ mit seinem Smartphone in der Hand, direkt in der Mitte. Vermutlich schreibt er seinen Kumpels gerade: „Die Party ist scheiße!“.

– DJs-best-friend: Er kündigt sich natürlich vorher schon an. Postet auf Facebook das Event und verlinkt den DJ unter seinem privaten Profil, einfach nur um zu zeigen wie cool man ist, weil man den DJ persönlich kennt. Im Club geht’s dann natürlich weiter. Umarmungen als würde man seine Sandkastenliebe nach 20 Jahren das erste Mal wieder treffen. Das ist natürlich auch der Grund, warum man die ganze Nacht HINTER dem Pult feiern muss. Ich find´s ja ganz furchtbar. Vor allem wenn dann im Laufe der Nacht so viele Leute hinter dem Pult stehen, dass dein eigener Bewegungsradius auf die Größe einer Vinyl geschrumpft ist.

– Der neue Sänger am Sternenhimmel: Wehe ein Mikrofon liegt in seiner Nähe. Obacht: ein Live-Act ist keine open-mic-session. Mikro´s haben sowieso eine magische Kraft auf manche Leute. „Meine Freundin hat heute Geburtstag. Kannst du mal ´ne Durchsage machen?“

– Der gut Erzogene: „Entschuldigen Sie bitte, können Sie vielleicht mal etwas RNB spielen?“ – zwei No-Go´s in einem Satz. Erstens bin ich keine Jukebox und spiele mal eben zwischen den aktuellen EDM-Charts die Schunkelrunde und zweitens kenne ich keinen DJ, der im Club gerne gesiezt werden möchte. Aber rechnen wir es der heutigen Jugend einfach mal hoch an, wenn sie der etwas älteren Generation den nötigen Respekt zollen.

– Der großkotzige Manager-Typ. Malen wir ihn mal auf: 40 Jahre oder älter, schmierige Haare, dicker Bauch, Designerbrille, braun gebrannt, dicke Kette, goldene Uhr, Anzug, oberster Hemdknopf offen und schön den grauen Brustwuchs rauswuchern lassen. Schlichtweg der Großkotz, der denkt er könne sich mit Geld alles kaufen. „Junge, hier hast du 50 EUR. Nimm das und spiele jetzt was von den Ärzten oder den Hosen.“ Ja, nee, is klar. Das habe ich über die Jahre schon ein paar Mal erlebt. Manchmal liegt mir auf der Zunge zu antworten: „Also für 100 würde ich es machen“. Vermutlich lege ich mir damit aber dann selber ein Ei.

– Der Voyeur: Er steht irgendwo bewegungslos neben dem Pult. Aber egal was du tust, er beobachtet dich und schaut dir genau auf die Finger. Am Liebsten würde ich manchmal hingehen und sagen „Du kannst den Mund wieder zu machen, ich mixe wirklich. So und nun geh wieder an die Bar und hol dir ne Fassbrause.“

– Der Voyeur 2.0: Er steht meistens direkt neben dir und schaut bei jedem Übergang auf den Player, wie der Track jetzt heißt. Da ich das schon ein paar Mal erlebt habe, habe ich mir angewöhnt, manche Tracks einfach willkürlich umzubenennen. So heißt die Mp3 dann: „DAS GEHT DICH EINEN SCHEISSDRECK AN!!!“. Sein Blick: unbezahlbar!

– Der Durstige: „Hey DJ, verkaufst du auch Getränke?“. Also ja, da war ich wirklich mal sprachlos. Ich habe auf jede dumme Frage meist eine noch viel dümmere Antwort parat, aber diese Frage hat eine völlig neue Qualität erreicht.

– Der überbesorgte Veranstalter: er wiederholt im 5-Minuten-Takt „Es ist so schön, dass du da bist. Brauchst du noch irgendwas?“ Bei manchen hat man auch das Gefühl, sie würden dich nach dem Gig gerne noch ins Hotelzimmer bringen um dich richtig zuzudecken und dir noch ein Gute-Nacht-Lied zu singen. Aber ehrlich gesagt lieber so, als wenn du völlig verloren bist und da stehst wie der letzte Drops. Gerade im Ausland.

Und ja, es gibt sie natürlich auch noch: die Mehrzahl aller Leute. Nämlich die, die einfach nur gemeinsam feiern wollen und ihren Teil zu einer geilen Party beitragen. Die Leute, die den Grundgedanken der Feierkultur verinnerlicht haben und dabei ist es völlig egal ob sie groß oder klein, dünn oder dick, hässlich oder hübsch, schwarz oder weiß sind. „Music is the escape from all the bullshit in life“ und wenn man einen freundlichen und respektvollen Umgang miteiander pflegt, dann kann man auch mal eine „night to remember“ für sich erleben. Ich persönlich habe in diesem Jahr schon ganz viele solcher Nächte erlebt, natürlich auch weil man als DJ selektiert „wo spielst du und wo nicht“. Die schönsten Partys sind im Endeffekt die, wo du dich schon heute darauf freust, irgendwann einmal zurückzukehren.

In diesem Sinne. Habt euch alle lieb und lasst die Frühlingssonne in eure Herzen.

Hach!

Marc
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