>album title goes here<” heißt das neue Album von Joel Zimmerman – besser bekannt als Mauskopf-tragender deadmau5 – das in der letzten Septemberwoche in die Läden kommt. Eigentlich gebieten es die Gesetze des siechenden Musikmarktes, dass jeder, der halbwegs fehlerfrei das Wort Blog buchstabieren kann, das neue Werk zur Verfügung gestellt bekommt und der Künstler sich in Interviewmarathons den Mund fusselig redet. Nicht so bei dem 31-jährigen Kanadier, der inzwischen weit über die Grenzen des Progressive-House-Genres hinaus Superstarstatus genießt.
Spätestens seitdem er die allein auf EDM beschränkten Sphären endgültig verlassen hat, etwa, um bei der diesjährigen Grammy-Verleihung in Los Angeles eine viel beachtete Kollaboration mit den Alternative-Rock-Heroen Foo Fighters einzugehen, und seit diesen Sommer selbst der bislang nicht gerade als Fachblatt für elektronische Klänge bekannte Rolling Stone Deadmau5 eine Titelstory widmete, kann sich Joel den Eigensinn allerdings auch leisten. Wer wie der „Event-driven marketing specialist“, so seine augenzwinkernde Selbstbeschreibung, mehr als sechseinhalb Millionen Anhänger auf Facebook und rund anderthalb Millionen Twitter-Follower hat, braucht vermutlich wirklich die Oldschool-Medien kaum noch, um die Werbetrommel zu rühren, und kann, zumindest für den Moment, den unnahbaren Rockstar spielen – auch wenn er der eigentlich nie sein wollte.
„Es ist nicht so, dass ich 18 war und dachte: ‚Jetzt werde ich Rockstar‘“, gestand er Mitte Februar in der amerikanischen Fernseh-Talkshow „Last Call With Carson Daly“, und dem US-Magazin Billboard sagte er 2011 am Rande des Lollapalooza-Festivals: „Einer der Gründe, warum ich es so weit geschafft habe, ist sicherlich, dass ich nicht viel über den Aufstieg nachgedacht habe, sondern mich auf die Kunst, die Inszenierung und die Art und Weise, wie ich die Dinge angehen will, konzentriert habe. Alles andere holt dich von ganz allein ein. Man sollte sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren und überlegen, was man tun kann, um seinen Sound, seine Inszenierung und sein Image zu verbessern, anstatt herumzusitzen und zu grübeln, ob man mal groß rauskommen wird.“ Folglich setzte sich der in der Kleinstadt Niagara Falls, rund 125 Kilometer entfernt von Toronto aufgewachsene Kanadier Schritt für Schritt neue Ziele. Mit 15 nutzte er seine Computer-Obsession zum Produzieren erster Chip-Tunes, kaum volljährig, half er mit, Musiksoftware zu entwickeln. Bald folgte dem Drang, in einem Tonstudio zu arbeiten, der Wunsch, selbst Platten zu veröffentlichen. Das war 2006, als er mit „Faxing Berlin“ und „Arguru“ erstmals aufhorchen ließ. Erst langsam erwuchs danach die Idee von eigenen Headline-Shows, wenngleich Joel 2010 in einem Interview mit dem britischen The Guardian zugab, dass er sich zunächst ziemlich unwohl fühlte in seiner Haut: „Anfangs war es in der Tat etwas beängstigend, aber man lernt schnell. Die Musik zu produzieren ist natürlich die Basis des Ganzen, insbesondere, sie so zu produzieren, dass sie in ein Format übertragen werden kann, das sich manipulieren lässt, das mehr ist, als nur den Track abzuspielen.“
Angetreten mit dem Ziel, die Live-Performance elektronischer Künstler zu revolutionieren, schwebten Joel von Anfang an Auftritte vor, die mehr sein sollten als nur gewöhnliche DJ-Sets, wie er unlängst im Gespräch mit dem Rolling Stone unterstrich: „Wenn ich wollte, könnte ich ein verdammtes .wav-File abspielen und die ganze Nacht einfach die Faust dazu in der Luft schwingen, und niemanden würde das auch nur ein bisschen interessieren.“ Aber natürlich will der Mäusekopf mehr, viel mehr, wenn er auf der Bühne steht. „Bei meinen Shows werden keine CDs verwendet“, unterstrich er bereits vor einigen Jahren. „Das Ganze da oben ist eine technologische Orgie, und ich versuche, dass es mehr meine Musik als die irgendeines anderen bleibt. Wenn die Leute kommen, um deadmau5 zu sehen, dann möchte ich, dass sie auch deadmau5-Musik zu hören bekommen.“ Folglich spielt er in erster Linie seine eigenen Produktionen, setzt – teils von ihm mitentwickelte – Technik ein, um seine Tracks während der Auftritte zu frisieren oder in neue Richtungen zu schubsen, und macht seine Gastspiele mit seiner fünf Kilogramm schweren Mausmaske und gleich sattelschlepperweise angekarrter LED-Technik zu audiovisuellen Events der Sonderklasse. Das, so erklärte er im Rolling-Stone-Interview unverblümt und selbstbewusst, unterscheide ihn von seinen Kollegen: „David Guetta hat zwei iPods und einen Mixer und spielt einfach Tracks ab. So in der Art ‚Hier ist einer mit Akon, checkt den mal‘. Selbst Skrillex macht nichts allzu Technisches. Er hat einen Laptop und einen MIDI-Recorder und spielt einfach sein Zeug. Die Leute werden sich, Gott sei Dank, immer mehr darüber bewusst, wer eigentlich was macht, aber da sind immer noch ‚button-pushers‘, die eine halbe Million dafür gezahlt kriegen. Damit will ich nicht sagen, dass ich kein ‚button-pusher‘ bin, aber ich drücke zumindest eine Menge mehr Knöpfe.“
Auch wenn die Kollegenschelte auf ein durchaus geteiltes Echo stieß – dass Joel mit seinen weltweit gefeierten Auftritten fraglos neue Maßstäbe auf dem Feld der „live“ aufgeführten elektronischen Musik gesetzt hat, steht außer Frage. Eine Tatsache, auf die er merklich stolz ist. „Das ist toll für die elektronische Musik, denn zuvor gab’s da einfach nur einen Typen, der vor einem schwarz verhüllten Klapptisch steht, mit zwei CD-Playern drauf, und den Scheiß von anderen Leuten spielt“, freute sich Joel im Carson-Daly-Interview. „Das ist prima, aber jetzt ist der akzeptierte Standard, dass die Leute eine große Bühnenproduktion sehen wollen.“
Das Schauen über den Tellerrand beschränkt sich bei Joel aber natürlich nicht nur auf seine Auftritte. Der ironische Titel „>album title goes here<” schlägt zwar in dieselbe Kerbe wie zuvor „Random Album Titel“ (2008) und „For Lack Of A Better Name” (2009), chronologisch folgt die Platte aber dem 2010er-Breakthrough-Album „4×4=12“, das sich in den USA sage und schreibe 100 Wochen in den Charts halten konnte. Musikalisch hält auch die neue Scheibe durchaus einige Überraschungen bereit. Interessant ist vor allem, dass Joel gleich mit einer ganzen Reihe zumeist hochkarätiger Künstler verschiedener Genres zusammenarbeitet, obwohl es nur wenige Monate her ist, dass er via Tumblr all diejenigen Kollegen an den virtuellen Pranger gestellt hatte, die sich dem Labeldruck beugen und Crossover-Kollaborationen initiieren würden. Seine Co-ops seien selbstverständlich frei von solchen Hintergedanken und hätten allein kreative Gründe. Sein Paradebeispiel dafür: das von Ray Bradburys gleichnamiger Kurzgeschichte inspirierte „The Veldt“, bei dem der überzeugte Social-Media-Fan Joel mit einem Gastsänger namens Chris James zusammenarbeitete, über den er auf Twitter gestolpert war. „I was fucking nearly in tears”, beschrieb er in einem Tumblr-Posting den Moment, als er den Gesangspart des Nobodys zum ersten Mal hörte. „Er hat seine Hausaufgaben vernünftig gemacht, sich ein paar komplett ins Schwarze treffende Verse ausgedacht, die die Geschichte und die Stimmung vollkommen komplementieren. Das ist alles, was ich mir von einem Song mit lyrischem Inhalt wünsche. So sollte Inspiration funktionieren.“
Inspiriert klingt fraglos auch „Channel 42“, das gemeinsam mit Wolfgang Gartner entstand. Nachdem die beiden mit ihrer vorherigen Zusammenarbeit „Animal Rights“ dem Vernehmen nach nicht sonderlich zufrieden waren, fügen sich bei der neuerlichen Kollaboration die Styles der beiden perfekt zusammen, wenngleich ihre Trademarks durchaus individuell erkennbar bleiben. Etwas abwegiger, wenngleich nicht weniger gekonnt umgesetzt ist die Oldschool-meets-Zeitgeist-Zusammenarbeit mit Cypress Hill bei „Failbait“, das zwar durchaus auf eine bekannte deadmau5-Produktionsweise zurückgreift, aber trotzdem so zurückhaltend daherkommt, dass die Rap-Veteranen wirklich glänzen können. Ähnliches gilt auch für das Schlussstück des Albums, „Telemiscommunication“, das gemeinsam mit der britischen Leftfield-Pop-Chanteuse Imogen Heap entstand. Aufbauend auf dem unerwartet friedlichen Instrumental „Community Nap“, das Joel bereits Weihnachten 2010 veröffentlicht hatte, kokettiert der Track mit versponnener Sonnenuntergangsatmosphäre, sanften Pianotupfern und dem Elfengesang Imogens. Hier löst Joel praktisch das bereits vor mehr als zwei Jahren gegebene Versprechen ein, dass er auch Musik produzieren wolle, die zum Zuhören, nicht ausschließlich zum Sich-Bewegen gemacht sei. Wesentlich mehr auf Erfolg gebürstet erscheint derweil die von kräftigen Beats und verzerrten Gitarren angeschobene Uptempo-Nummer „Professional Griefers“ mit Gerard Way von den Platin-ausgezeichneten US-Alternative-Rockern My Chemical Romance zu sein, die bereits seit längerer Zeit als Instrumental existierte und mit der neuen Gesangsspur die Tür zum Mainstream ganz weit aufstößt. Schließlich wurde hinter vorgehaltener Hand schon seit Längerem gemunkelt, dass dem letzten deadmau5-Album lediglich wegen der Konzentration auf instrumentale Tracks der Grammy vorenthalten worden sei.
Während der ganz große Erfolg nur noch einen Schritt entfernt zu sein scheint, kommen beim auch mit seinem Label Mau5trap erfolgreichen Mäuserich allerdings bisweilen nostalgische Gefühl hoch. „Was mich bei meinen derzeitigen Shows stört, ist, dass die Coolness verschwunden ist“, gestand er Carson Daly und erinnerte sich geradezu wehmütig an die geheimen Partys, die er früher besucht hatte. „Ich hab bei Sam The Record Man in Toronto zwielichtige Tickets gekauft, auf denen nicht mehr stand als: ‚Treffpunkt Union Square. Steig in einen versifften Bus ein, der dich weiß der Himmel wohin fährt, und hoffe einfach, dass die Polizei die Party dieses Mal nicht sprengen wird!‘ Das kann man natürlich auf legalem Wege nicht reproduzieren!“
Vielleicht macht es sich der Mann, der bereits praktisch alles erreicht hat, ja zu seinem nächsten Ziel, genau für dieses Problem eine Lösung zu finden? Zuzutrauen wär es ihm allemal!
www.deadmau5.com
deadmau5 – >album title goes here< (mau5trap/EMI)
Text: Christoph Maybach